European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0090OB00033.23B.1123.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger kaufte am 2. 8. 2010 einen VW Passat Variant Highline TDI um 30.200 EUR. DerWagen ist mit einem Dieselmotor EA189 der Abgasklasse Euro 5 ausgestattet. Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs.
[2] Etwa Ende Oktober 2015 erhielt der Kläger ein Schreiben der P* GmbH & Co KG, dass er in den Medien wohl die „aktuelle Diskussion über Dieselmotoren“ verfolgt habe und er informiert werde, dass an seinem Fahrzeug Nacharbeiten erforderlich sein würden. Sein Fahrzeug sei technisch sicher und fahrbereit. Die Beklagte arbeite mit größtem Einsatz daran, eine mit den Behörden abgestimmte technische Lösung zu entwickeln, was aber noch einige Zeit in Anspruch nehmen werde. Sobald die technischen Maßnahmen zur Verfügung stünden, werde er nochmals schriftlich informiert.
[3] 2017 erhielt der Kläger ein weiteres Schreiben, dass er mit dem Fahrzeug eine Werkstatt aufsuchen müsse, um ein Software-Update aufzuspielen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt dachte er sich, was er „da wirklich gekauft“ habe. Am 26. 9. 2017 ließ der Kläger das Software-Update durchführen. Dabei sagte ihm ein Mechaniker, das Fahrzeug werde nach dem Update wahrscheinlich einen etwas – kaum spürbar – höheren Verbrauch haben. Man müsse das Update aber machen, sonst erhalte das Fahrzeug kein „Pickerl“ mehr. Der Kläger meinte daraufhin, dass er ohnehin nicht „aus könne“ und damit die Sache (also die ursprüngliche „Abgasskandal“-Problematik) für ihn erledigt sei.
[4] Im Jahr 2018 bemerkte der Kläger, dass das Fahrzeug mehr als 1 Liter Kraftstoff pro 100 km mehr verbraucht als zuvor. Dies führte er auf das Software-Update zurück. Er fragte einen Mechaniker, ob man dies wieder ändern könne. Dieser gab dem Kläger aber die Auskunft, das Update sei „gesetzliche Vorschrift“, dieses hätte durchgeführt werden müssen und sei nicht mehr zu ändern. Den Mehrverbrauch empfand der Kläger als Schaden. Er meinte aber, weil das Update „rechtlich vorgegeben“ gewesen sei, könne er nichts machen und er müsse die Mehrkosten tragen.
[5] Erst durch Medienberichte im Jahr 2022 erfuhr der Kläger, dass trotz Updates das Fahrzeug möglicherweise nach wie vor nicht den Vorschriften entspricht. Er nahm daraufhin mit der Klagsvertretung Kontakt auf. Dort erhielt er die Auskunft, dass das Fahrzeug zwischen 15 und 30 % weniger wert gewesen sei.
[6] Mit seiner am 28. 7. 2022 bei Gericht eingelangten Klage begehrt der Kläger 9.060 EUR sA. Er brachte, soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz vor, das Fahrzeug sei vom sogenannten „Abgasskandal“ betroffen. Die Beklagte habe in den Motor vorsätzlich und aus reinem Gewinnstreben eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Dadurch sei das Fahrzeug beim Ankauf 30 % weniger wert gewesen, der Kläger habe aufgrund dieser Täuschung einen entsprechend überhöhten Kaufpreis bezahlt und somit einen Schaden erlitten. Die Handlungen der Organe der Beklagten erfüllten den Tatbestand des schweren Betrugs, weshalb die 30-jährige Verjährungsfrist zur Anwendung komme. Der Kläger habe aber auch erst nach einem Software‑Update im Sommer 2022 Kenntnis davon erlangt, dass entgegen Zusicherungen der Beklagten weiterhin kein normkonformer Zustand vorliege. Ein Verjährungseinwand verstoße gegen Treu und Glauben.
[7] Die Beklagte bestritt und wandte unter anderem Verjährung ein. Die 30-jährige Verjährungsfrist komme nicht zur Anwendung, weil das Verhalten der Beklagten nicht tatbestandsmäßig iSd § 146 StGB sei. Ein allfälliges strafgesetzwidriges Verhalten von leitenden Angestellten, denen keine Organstellung zukomme, sei nicht ausreichend.
[8] Der Kläger sei am 20. 10. 2015 durch ein Schreiben informiert worden, dass sein Auto vom „Abgasskandal“ betroffen sei; spätestens mit Durchführung des Software-Updates am 26. 9. 2017 habe die Verjährungsfrist zu laufen begonnen.
[9] Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil gemäß § 393a ZPO aus, dass die Klageforderung nicht verjährt sei. Die Verjährungsfrist des § 1489 ABGB beginne mit Kenntnis des Geschädigten von Schaden und Schädiger. Der Kläger habe zunächst keinen Grund gehabt, an der zugesagten Mangelbehebung durch das Update zu zweifeln. Damit habe aber keine Notwendigkeit zur Interessenwahrnehmung gegen den Hersteller bestanden und damit keine ausreichende objektive Grundlage zur Klagsführung. Nach den Feststellungen sei dies erst 2022 der Fall gewesen, weshalb bei Klagseinbringung die dreijährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen gewesen sei. Auf die 30‑jährige Frist komme es nicht an.
[10] Das Berufungsgericht gab der Berufung derBeklagten nicht Folge. Beim Zwischenurteil gemäß § 393a ZPO werde nur die allfällige (nicht gegebene) Verjährung des Klagsanspruchs beurteilt und selbständig im Instanzenzug überprüfbar. Die abgesonderte Prüfung der allfälligen Verjährung eines Anspruchs erfordere aber die vorläufige Annahme dieser Anspruchsgrundlagen. Der Kläger stütze seinen Anspruch auf § 1295 Abs 2 und § 874 ABGB sowie andererseits auf „Schutzgesetzverletzung“, insbesondere §§ 146 ff StGB und Art 5 VO (EG) 715/2007 . Er habe vorgebracht, dass Mitarbeiter (Leiter der Entwicklungsabteilung) und ein Entscheidungsträger (Vorstandsmitglied) der beklagten Partei vorsätzlich das nicht genehmigungsfähige Klagsfahrzeug mit dem Wissen in den Verkehr gebracht hätten, dass dadurch (ua) der Kläger geschädigt werde. Damit habe er (schlüssig) die Voraussetzungen für eine Straftat vorgebracht, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sei. Da das Vorliegen der geltend gemachten Anspruchsgrundlagen vorläufig angenommen werden müsse, gelte für die behauptete deliktische Schädigung die allgemeine Verjährungsfrist von 30 Jahren. Diese sei aber noch nicht abgelaufen. Eine Teilung des Prozessstoffs zwischen den geltend gemachten Rechtsgründen bzw eine Teilerledigung des Klagsanspruchs komme nicht in Betracht.
[11] Die Revision wurde vom Berufungsgericht nachträglich über Antrag der Beklagten zugelassen, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob die Tatbestandsmerkmale, die als Begründung für den Schadenersatzanspruch behauptet würden und die allgemeine 30-jährige Verjährungsfrist begründen sollten, bei Fassung eines Zwischenurteils gemäß § 393a ZPO als Anspruchsgrundlage vorläufig anzunehmen seien oder nicht.
[12] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[13] Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[14] Die Revision ist zur Klarstellung zulässig, aber nicht berechtigt.
[15] 1. § 393a ZPO schafft die Möglichkeit, dass über den Einwand der Verjährung des geltend gemachten Anspruchs vorab mit einem – die Verjährung des Anspruchs verneinenden – Zwischenurteil entschieden wird. Die Entscheidung spricht verbindlich nur über den verneinten Verjährungseinwand ab, ohne dabei die – nur auf ihre Schlüssigkeit hin zu prüfenden – Anspruchsvoraussetzungen zu beurteilen. Gegenstand des Zwischenurteils ist demnach der Einwand bzw die Frage der Verjährung des mit der Klage prozessual geltend gemachten Anspruchs oder eines von mehreren Ansprüchen (vgl RV 981 BlgNR 24. GP 86). Der prozessuale Anspruch wird durch das Begehren und die diesem zugrunde liegenden rechtserzeugenden Tatsachen bestimmt (vgl 4 Ob 145/18d [Pkt 2.1.]).
[16] 2. Beim Zwischenurteil gemäß § 393a ZPO zur (verneinten) Verjährung wird nur die allfällige Verjährung des Klagsanspruchs beurteilt und selbständig im Instanzenzug überprüfbar, bevor ein unter Umständen umfangreiches (Beweis-)Verfahren über die übrigen Anspruchsgrundlagen des Klagsanspruchs durchgeführt werden muss (RS0127852 [T2]). Eine solche Entscheidung spricht daher verbindlich nur über den verneinten Verjährungseinwand ab, ohne dabei die – nur auf ihre Schlüssigkeit hin zu prüfenden – Anspruchsvoraussetzungen zu beurteilen. Liegt ein solches Urteil vor, kann im Instanzenzug nur die Frage der Verjährung des (behaupteten) Klagsanspruchs überprüft werden (RS0127852 [T6]).
[17] 3. Ein solches Urteil hat jedoch nur zu ergehen, wenn auch ein schlüssiges Tatsachenvorbringen des Klägers zum Anspruchsgrund vorliegt; sonst wäre die Klage – wie auch sonst erst nach Erörterung der Unschlüssigkeit (RS0117576) – abzuweisen (RS0129001). Das heißt, nur die Verjährung eines schlüssigen Anspruchs kann verneint werden.
[18] 4. Da über die Verjährung abschließend entschieden wird, sind über alle für die Beurteilung der Verjährung des geltend gemachten Anspruchs relevanten Umstände entsprechende Feststellungen zu treffen. Nur die „übrigen“ Voraussetzungen des Klagsanspruchs sind zugrunde zu legen.
[19] 5. Die Verjährung bezieht sich auf den jeweils geltend gemachten Anspruch. Ein Anspruch wird – wie der Streitgegenstand – durch die zu seiner Begründung vorgebrachten Tatsachen konkretisiert. Stützt daher der Kläger sein Begehren alternativ auf verschiedene Sachverhaltsvarianten, liegen in Wahrheit zwei Ansprüche vor, die auch verjährungsrechtlich getrennt zu beurteilen sind (5 Ob 133/15t [Pkt 3.1.] mwN).
[20] Gründet der Kläger daher wie im vorliegenden Fall seinen Anspruch auf Umstände, die einerseits die Anwendbarkeit der dreijährigen Verjährungsfrist begründen als auch auf solche, die zu einer Verjährung erst nach 30 Jahren führen, kann eine Verjährung des Anspruchs insgesamt nicht allein deshalb verneint werden, weil die 30‑jährige Frist noch nicht abgelaufen ist, da ein solches Urteil für das Verfahren bindend auch über den (Nicht-)Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist entscheiden würde.
[21] Der Revision kommt jedoch dennoch keine Berechtigung zu, weil im vorliegenden Fall sowohl die 30‑jährige als auch die dreijährige Verjährungsfrist bei Klagseinbringung noch nicht abgelaufen waren.
[22] 6. Die kurze Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Ersatzberechtigte sowohl den Schaden als auch den Ersatzpflichtigen so weit kennt, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann (RS0034524). Die Kenntnis muss dabei den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch die Kenntnis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schaden und einem bestimmten, dem Schädiger anzulastenden Verhalten, in Fällen der Verschuldenshaftung daher auch jene Umstände, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt (RS0034951 [T1, T2, T4 bis T7] uva). Der anspruchsbegründende Sachverhalt muss dem Geschädigten zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch so weit bekannt sein, dass er in der Lage ist, das zur Begründung seines Anspruchs erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten (RS0034366; RS0034524). Hat der Geschädigte als Laie keinen Einblick in die für das Verschulden maßgeblichen Umstände, so beginnt die Verjährung nicht zu laufen (RS0034603).
[23] 7. Nach den Feststellungen hatte der Kläger spätestens 2017 Zweifel daran, ob mit seinem Fahrzeug alles in Ordnung war. Allerdings wurde ihm ein Software-Update angeboten, das „eine technische Lösung“ für das Problem bieten sollte und das der Kläger auch in Anspruch nahm. Erst aufgrund von Medienberichten 2022 erfuhr er, dass das Fahrzeug trotz des Updates möglicherweise noch immer nicht den Vorschriften entspricht.
[24] Darf der Geschädigte aber annehmen, dass der aufgetretene Schaden behoben ist, besteht für ihn nicht der geringste Anlass zur Verfolgung von – für ihn rein hypothetischen – weiteren Ersatzansprüchen, und sei es auch in Form einer Feststellungsklage. Die Sachlage ist dann nicht anders, als wenn der Betroffene von einem – an sich vorhandenen – Schaden bisher überhaupt noch nicht Kenntnis erlangt hat (RS0034426). Es wäre nicht sinnvoll, dem Geschädigten zur Wahrung seiner Interessen die Klagserhebung aufzuerlegen, obwohl weitere Schadensfolgen nicht vorhersehbar sind und daher die Überzeugung gerechtfertigt erscheint, dass die Geltendmachung weiterer Ansprüche nicht in Betracht komme. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Geschädigte mit gutem Grund annehmen darf, dass der aufgetretene Schaden zur Gänze behoben ist (1 Ob 82/00s mwN).
[25] 8. Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Vorinstanzen zu Recht davon ausgegangen, dass ein allfälliger Anspruch bei Klagseinbringung noch nicht verjährt war. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Kläger bereits 2017 Kenntnis von Schaden und Schädiger hatte, konnte er aufgrund des Verhaltens der Beklagten, die das von ihr entwickelte Software-Update (über ihre Vertragshändler) den Endkunden, deren Fahrzeuge vom „Abgasskandal“ betroffen waren, anbot, mit gutem Grund davon ausgehen (und ging auch davon aus), dass der bei Erwerb des Fahrzeugs vorliegende Mangel behoben wurde. Damit erschien eine Klagsführung aber überflüssig. Der vom Kläger festgestellte Treibstoffmehrverbrauch war kein Grund, dass er vom Vorliegen einer verbotenen Abschalteinrichtung ausgehen musste (vgl auch 7 Ob 98/22w [Rz 20]).
[26] Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt im konkreten Fall zu dem Zeitpunkt, zu dem der Kläger davon Kenntnis erlangte, dass trotz des Software-Updates nach wie vor vom Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen sei. Die geltend gemachten Ansprüche waren demnach bei Klagseinbringung auch unter Zugrundelegung der dreijährigen Verjährungsfrist noch nicht verjährt.
[27] 9. Soweit die Beklagte geltend machte, dass durch das Software-Update die ursprüngliche „Umschaltlogik“ beseitigt worden sei und das vom Kläger behauptete „Thermofenster“, unabhängig davon, ob es rechtmäßig sei oder nicht, keinen Einfluss auf einen bei Kauf vorhandenen Minderwert habe, ist sie darauf zu verweisen, dass der Oberste Gerichtshof zu 10 Ob 2/23a (Endurteil vom 25. 4. 2023, Rz 36) dargelegt hat, dass, wenn durch das angebotene Software-Update zwar der „Umschaltmodus“ beseitigt wird, aber infolge eines „Thermofensters“ eine unzulässige Abschalteinrichtung weiter aktiv ist, dies nicht zur Beseitigung der Unsicherheit hinsichtlich der Nutzungsmöglichkeit und des ungewollten Zustands des Vermögens des Käufers (einem Fahrzeug, bei dem die zulassungsrechtlichen Vorschriften eingehalten werden) führt. Dem haben sich in der Folge bereits andere Senate des Obersten Gerichtshofs angeschlossen (3 Ob 121/23z; 9 Ob 65/22g; 6 Ob 150/22k ua). Auch der erkennende Senat sieht keine Veranlassung von diesen Grundsätzen abzugehen.
[28] 10. Der Revision war daher nicht Folge zu geben.
[29] 11. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 393 Abs 4 ZPO (RS0128615).
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