European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00202.23V.0125.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
In Ansehung der Abweisung des Feststellungsbegehrens werden die Entscheidungen der Vorinstanzen als – die bereits in erster Instanz unangefochten gebliebene Abweisung des Begehrens auf Zahlung von 1.673 EUR samt 4 % Zinsen ab Klagszustellung einschließendes – Teilurteil bestätigt; die Entscheidung über die diesbezüglichen Verfahrenskosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Im Übrigen – in Ansehung der Abweisung des Begehrens auf Zahlung von 8.365 EUR samt 4 % Zinsen ab Klagszustellung sowie im Kostenpunkt – werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Rechtssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die diesbezüglichen Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung
und
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger erwarb am 18. 4. 2012 von einem Händler in Österreich – ohne dass die Beklagte an der Vertragsanbahnung oder am Vertragsabschluss beteiligt gewesen wäre – um 33.460 EUR einen von der Beklagten hergestellten, am 5. 7. 2012 erstmals zum Verkehr zugelassenen Neuwagen Marke V*Type *, den der Kläger weiterhin besitzt und benützt; bis 9. 1. 2020 hatte er damit ca 155.000 km zurückgelegt. In diesem Wagen ist ein 2,0 l‑Dieselmotor der Beklagten des Typs EA189 der Abgasklasse Euro 5 verbaut. Das Fahrzeug fällt unstrittig in den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 6. 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur‑ und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171/1 vom 29. 6. 2007; künftig: VO 715/2007/EG ).
[2] Die Beklagte hat in den Dieselmotor eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut, um die Abgaswerte zu verfälschen: Sie stattete ihn mit einer Software aus, die bewirkte, dass dieses Fahrzeug am Prüfstand (NEFZ) die NOX‑Werte der Euro 5‑Abgasnorm erkannte und einhielt, während es im normalen Fahrbetrieb auf Straßen einen deutlich höheren NOX‑Ausstoß aufwies, weil im normalen Straßenverkehr (Modus 0 oder Standardmodus 0) weniger Abgase rückgeführt wurden als am Prüfstand (Modus 1 oder NEFZ‑Modus 1).
[3] Beim Verkaufsgespräch zwischen Kläger und Händler waren die Abgaswerte kein Thema. Der Kläger informierte sich vor dem Autokauf nicht darüber, welche CO2‑Werte das Fahrzeug hat; er weiß auch nicht, was unter einem NOX‑Emissionswert zu verstehen ist. Beim Kauf des Fahrzeugs war für ihn die Emissionsklasse nicht ausschlaggebend und er stellte diesbezüglich auch keinerlei Vergleiche an. Beim Kauf war ihm nur wichtig, dass das neue Fahrzeug weniger Kraftstoff verbraucht als sein altes. Im Zeitpunkt des Ankaufs des Fahrzeugs wusste der Kläger nicht, dass im Motorsteuerungsgerät des Fahrzeugs eine die Abgasrückführungsrate am Prüfstand beeinflussende Software installiert ist; dass der Kläger das Fahrzeug nicht um den bezahlten Kaufpreis erworben hätte, wenn er im Kaufzeitpunkt gewusst hätte, dass das Fahrzeug nicht der Euro‑Abgasnorm 5 entspricht, konnte nicht festgestellt werden.
[4] Am 8. 9. 2016 wurde am Fahrzeug ein Software‑Update durchgeführt. Es ist mit einem „Thermofenster“ versehen, welches außerhalb eines Temperaturbereichs von 15°C bis 33°C sowie bei einer atmosphärischen Höhe von mehr als 1.000 m eine Korrektur der Abgasrückführungsrate über die Frischluftzufuhr vornimmt, wodurch ebenfalls die Wirksamkeit des Abgasrückführungssystems, das die NOX‑Emissionen mindern soll, verringert wird. „Die Verringerung der Abgasrückführungsrate wird mit dem Bauteilschutz begründet.“
[5] Auf dem österreichischen Gebrauchtwagenmarkt ist eine Verminderung des Wiederverkaufswerts durch die Abgasproblematik bzw den „Dieselskandal“ nicht eingetreten; die Problematik ist auf dem Markt „praktisch völlig verschwunden“; ein „Wertverlust des Fahrzeugs des Klägers ist nicht gegeben“.
[6] Der Kläger begehrte von der Beklagten aus dem Titel des deliktischen Schadenersatzes, § 874 und § 1295 Abs 2 ABGB, den Minderwert des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs in Höhe von (ursprünglich) 10.038 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für jeden Schaden des Klägers aus dem Kauf des Fahrzeugs. Der Schaden liege darin, ein mit einem Mangel behaftetes Fahrzeug um 30 % überteuert erworben zu haben. Er habe darauf vertraut, ein den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes Fahrzeug zu erwerben. Durch das Software‑Update sei der gesetzeskonforme Zustand nicht hergestellt worden, weil auch das „Thermofenster“ eine unzulässige Abschalteinrichtung sei.
[7] Die Beklagte bestritt die Ansprüche. Es lägen kein Wertverlust, kein Schaden, kein Vermögensnachteil, keine Täuschung und kein Irrtum vor; die „technische Maßnahme“ (das Software‑Update) sei erfolgreich gewesen; mit der Durchführung des Updates sei ein allfälliger – bestrittener – Mangel beseitigt worden, weil das „Thermofenster“ von den zuständigen Behörden als rechtskonforme Maßnahme zum Bauteilschutz eingestuft worden sei. Der Kläger habe keinen Schaden erlitten, weil das Fahrzeug über eine aufrechte EG‑Typengenehmigung verfüge und im Straßenverkehr uneingeschränkt benützbar sei. Das mängelfreie Fahrzeug habe dem vertraglich Geschuldeten entsprochen. Es fehlten auch der Kausalzusammenhang zwischen der behaupteten Täuschung und dem Vertragsabschluss sowie ein Verschulden der Beklagten. Der Kläger habe kein rechtliches Interesse am Feststellungsbegehren.
[8] Das Erstgericht wies das gesamte Klagebegehren ab; das Berufungsgericht, das nur gegen die Abweisung des Begehrens auf Zahlung von 8.365 EUR sowie des Feststellungsbegehrens angerufen worden war, bestätigte diese Abweisung. Die Vorinstanzen beurteilten die ursprüngliche „Umschaltlogik“, nicht aber das „Thermofenster“ als gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotene Abschalteinrichtung. Da nicht feststellbar gewesen sei, dass der Kläger das Fahrzeug nicht um den bezahlten Kaufpreis erworben hätte, wenn er gewusst hätte, dass es nicht der EU‑Abgasnorm 5 entspricht, mangle es an der Kausalität der arglistigen Irreführung. Nach der Durchführung des Software‑Updates befinde sich das Fahrzeug in dem normkonformen Zustand, dem es bereits bei Auslieferung entsprechen hätte müssen; es liege kein Schaden mehr vor. Nach den Feststellungen habe das Software‑Update keinen Einfluss auf den Gebrauchtwagenwert gehabt.
[9] Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend und ließ nachträglich die ordentliche Revision zu, weil sein Urteil im Widerspruch zur danach ergangenen Entscheidung 10 Ob 16/23k stehen könnte.
[10] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist zulässig und zum Teil im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[12] 1.1. Nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, grundsätzlich unzulässig. Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition von Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
[13] 1.2. Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EG normiert nur drei Ausnahmetatbestände von diesem grundsätzlichen Verbot von Abschalteinrichtungen.
[14] Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen dann nicht unzulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Kraftfahrzeugs zu gewährleisten. Dabei ist eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ im Sinne von Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG , wenn zum Zeitpunkt der EG‑Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (EuGH C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 73; C‑128/20 , GSMB Invest, Rn 62; C‑134/20 , IR gegen Volkswagen, Rn 74; C‑873/19 , Deutsche Umwelthilfe, Rn 94 f, ÖJZ 2023/16 [Brenn]; 10 Ob 31/23s Rz 28; 2 Ob 5/23h Rz 26; 6 Ob 155/22w Rz 38 f; 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 59 f).
[15] Die Ausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit b VO 715/2007/EG (dass die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist) ist hier nicht einschlägig.
[16] Nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit c VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, (ausnahmsweise) nicht unzulässig, wenn „die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind“.
[17] 1.3. Da die Ausnahme eng auszulegen ist, kann eine solche Abschalteinrichtung nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführsystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, wobei diese Risiken so schwer wiegen müssen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs bilden (vgl 10 Ob 31/23s Rz 27 f).
[18] Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, fällt – ungeachtet des Vorliegens der sonst in Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG normierten Voraussetzungen – nicht unter diese Verbotsausnahme (vgl 10 Ob 31/23s Rz 31 mwN).
[19] 1.4. Grundsätzlich hat jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen (RS0106638; RS0037797). Soweit sich die Beklagte auf eine Ausnahme vom Verbot des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG stützen will, läge es daher an ihr, die für die Verbotsausnahme erforderlichen Voraussetzungen zu behaupten und zu beweisen (6 Ob 155/22w Rz 66; 1 Ob 149/22a Rz 46; 10 Ob 31/23s Rz 25; RS0134458).
[20] 2.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass die auch beim gegenständlichen Fahrzeug zum Übergabezeitpunkt vorhandene „Umschaltlogik“ jedenfalls als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG zu qualifizieren ist (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 47 uva).
[21] 2.2. Darüber hinaus wurde auch ein im Kern denselben Temperaturbereich wie im vorliegenden Fall umfassendes „Thermofenster“ als Abschalteinrichtung im Sinne von Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG qualifiziert, die nicht nach dem – hier in Frage kommenden – Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG zulässig ist (vgl 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 55 ff; 10 Ob 16/23k Rz 24; 6 Ob 158/22m Rz 45).
[22] 2.3. Hier steht fest, dass nur in einem Temperaturbereich von 15°C bis 33°C sowie bei einer atmosphärischen Höhe von unter 1.000 m keine Korrektur der Abgasrückführungsrate über die Frischluftzufuhr stattfindet. Damit kann nicht – dem Regel-Ausnahme-Verhältnis entsprechend – davon ausgegangen werden, dass im überwiegenden Teil des Jahres keine Reduktion der Abgasrückführung stattfände.Zufolge des gebotenen engen Verständnisses der unionsrechtlichen Ausnahmeregelungen konnte die Beklagte damit nicht nachweisen, dass die gegenständliche Abschalteinrichtung unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG fällt. Somit ist auch hier das „Thermofenster“ als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren.
[23] 3.1. Der Europäische Gerichtshofhat in der Entscheidung C‑100/21 , QB gegen Mercedes Benz Group AG, den Schutz der Einzelinteressen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Hersteller des Fahrzeugs bejaht.
[24] „Hersteller“ ist nach der Legaldefinition von Art 3 Z 27 RL 2007/46/EG die Person oder Stelle, die gegenüber der Typengenehmigungsbehörde für alle Belange des Typengenehmigungs‑ oder Autorisierungsverfahrens sowie für die Sicherstellung der Übereinstimmung der Produktion verantwortlich ist; diese Person oder Stelle muss nicht notwendigerweise an allen Stufen der Herstellung des Fahrzeugs, des Systems, des Bauteiles oder der selbständigen technischen Einheit, das bzw der Gegenstand des Genehmigungsverfahrens ist, unmittelbar beteiligt sein.
[25] „Übereinstimmungsbescheinigung“ ist nach Art 3 Z 36 RL 2007/46/EG das in Anhang IX wiedergegebene, vom Hersteller ausgestellte Dokument, mit dem bescheinigt wird, dass ein Fahrzeug aus der Baureihe eines nach dieser Richtlinie genehmigten Typs zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entspreche (vgl die korrespondierende Bestimmung in Anhang IX Abschnitt 0 RL 2007/46/EG ).
[26] Nach Art 18 Abs 1 RL 2007/46/EG hat der Hersteller „in seiner Eigenschaft als Inhaber der EG‑Typengenehmigung“ jedem Fahrzeug, das in Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ hergestellt worden ist, eine Übereinstimmungsbescheinigung beizulegen. Diese ist nach Art 26 Abs 1 RL 2007/46/EG für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme von Fahrzeugen zwingend vorgeschrieben.
[27] 3.2. Der Europäische Gerichtshof leitet den Schutz von Einzelinteressen des individuellen Käufers durch Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG maßgeblich aus den genannten Vorschriften über die Übereinstimmungsbescheinigung ab, weil ein Käufer aus dem Inhalt der Übereinstimmungsbescheinigung vernünftigerweise erwarten könne, dass die unionsrechtlichen Vorschriften bei diesen Fahrzeugen eingehalten würden (C‑100/21 , QB gegen Mercedes Benz Group AG, Rn 78–81).
[28] Da der Hersteller eines Fahrzeugs bei der Aushändigung der Übereinstimmungsbescheinigung an den individuellen Käufer des Fahrzeugs für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme dieses Fahrzeugs die sich aus Art 5 VO 715/2007/EG ergebenden Anforderungen beachten muss, ermöglicht diese Bescheinigung insbesondere, den Käufer davor zu schützen, dass der Hersteller seine Pflicht nicht einhält, im Einklang mit dieser Bestimmung stehende Fahrzeuge auf den Markt zu bringen (C‑100/21 , QB gegen Mercedes Benz Group AG, Rn 82).
[29] 3.3. Infolge der erörterten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofshat auch der Oberste Gerichtshof bereits klargestellt, dass der Schutzzweck von (unter anderem) Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs umfasst (10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 Rz 10 ff; 10 Ob 16/23k Rz 25 ff). Ein Verstoß gegen Art 5 VO 715/2007/EG kann den Hersteller daher auch dann ersatzpflichtig machen, wenn er in keinem Vertragsverhältnis mit dem Käufer steht (10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 Rz 18; 10 Ob 16/23k Rz 33).
[30] Ein Schaden, der darin besteht, dass die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs eingeschränkt ist und sich das Vermögen des Erwerbers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs infolge einer unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung nicht entsprechend den objektiv berechtigten Verkehrserwartungen oder einem von diesen Verkehrserwartungen konkret abweichenden Willen des Erwerbers zusammensetzt (vgl 10 Ob 16/23k Rz 25; 10 Ob 27/23b Rz 15), steht im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit den Schutzgesetzen der Art 18 Abs 1, Art 26 Abs 1, Art 46 „Rahmen‑RL“ 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. 9. 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (künftig: RL 2007/46/EG ) in Verbindung mit Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG (10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 Rz 29; RS0031143 [T39] = RS0008775 [T21]).
[31] 3.4. Daraus folgt, dass ein individueller Fahrzeugkäufer die Person oder Stelle für einen deliktischen Schadenersatzanspruch aus der (bloß schuldhaften) Verletzung des als Schutzgesetz zu qualifizierenden Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG in Anspruch nehmen kann, die im Typengenehmigungsverfahren als Herstellerin des Fahrzeugs aufgetreten ist und die Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hat (vgl 3 Ob 40/23p Rz 32 ff; vgl auch BGH VIa ZR 1119/22).
[32] 4.1. Für einen solchen Schadenersatzanspruch macht der Europäische Gerichtshof grundsätzliche Vorgaben, nämlich in dem Sinn, dass die Mitgliedstaaten in einem solchen Fall einen Schadenersatzanspruch zu Gunsten eines Käufers gegenüber dem Hersteller vorzusehen haben, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (C‑100/21 , QB gegen Mercedes Benz Group AG,Rn 91). Dabei handelt es sich um einen im nationalen Recht wurzelnden Schadenersatzanspruch, der am unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz zu messen ist (C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 93), also eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion für den Verstoß darstellen muss (vgl C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz‑Group AG, Rn 90). Im Übrigen richten sich die Modalitäten dieses Schadenersatzanspruchs nach nationalem Recht (C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 92), hier also unstrittig nach österreichischem Recht.
[33] 4.2. Eine unionsrechtliche Vorgabe eines Schadenersatzanspruchs ist das Vorliegen eines Schadens: Der Europäische Gerichtshof betont, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs ein Schadenersatzanspruch zusteht, wenn ihm ein Schaden entstanden ist (C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 91). Als nachteilige Folge – vor der ein Fahrzeugkäufer durch das Unionsrecht geschützt werden soll – sieht der Europäische Gerichtshof an, dass durch die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung die Gültigkeit der EG‑Typengenehmigung und daran anschließend die der Übereinstimmungsbescheinigung in Frage gestellt werden, was wiederum (unter anderem) zu einer Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit (Anmeldung, Verkauf oder Inbetriebnahme des Fahrzeugs) und „letztlich“ zu einem Schaden führen kann (C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 84). Damit stellt er klar, dass ein deliktischer Schadenersatzanspruch nicht als ein von einem Schadenseintritt losgelöster Akt der privaten Durchsetzung von Emissionsnormen zu sehen ist. Vielmehr geht es um den Ausgleich der objektiven Unsicherheit hinsichtlich der Fahrzeugnutzung, mit der der individuelle Fahrzeugerwerber konfrontiert ist (vgl 10 Ob 16/23k Rz 34 ff; ebenso 9 Ob 65/22g Rz 41 ff).
[34] 4.3. Der Schadensbegriff des ABGB wird diesen unionsrechtlichen Voraussetzungen gerecht. Als Schaden im Sinne des § 1293 ABGB ist jeder Zustand zu verstehen, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht (RS0022537). Im vorliegenden Fall des Erwerbs eines mit einer im Sinne des Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs besteht dieses geringere rechtliche Interesse – den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend – in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit. Ein Schadenseintritt wäre lediglich dann zu verneinen, wenn das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entsprach (vgl 10 Ob 16/23k Rz 38 ff [insb Rz 42 ff]; ebenso 9 Ob 65/22g Rz 41 ff [insb Rz 46 ff]).
[35] 5. Hierkonnte nicht festgestellt werden, dass der Kläger das Fahrzeug nicht um den bezahlten Kaufpreis erworben hätte, wenn er im Kaufzeitpunkt gewusst hätte, dass das Fahrzeug nicht der Euro‑Abgasnorm 5 entspricht.
[36] 5.1. Die Klage wurde abgewiesen, weil die Vorinstanzen entgegen der oben dargelegten Rechtslage der Ansicht waren, die Negativfeststellungen zur Kaufabsicht des Klägers bei Kenntnis der Umschaltlogik und des diesbezüglichen Nichtentsprechens der Abgasvorschriften genügten, um Kausalität zu verneinen. Um diesen Schluss zu ziehen, reichen diese Negativfeststellungen nicht hin.
[37] 5.2. Diese Negativfeststellungen sind nicht hinreichend konkret, um überhaupt die Berechtigung oder Nichtberechtigung des Klagebegehrens beurteilen zu können. Insbesondere tragen sie mit dem pauschalen Verweis auf den bloßen Umstand, „der Euro‑Abgasnorm 5“ nicht zu entsprechen, nicht den Schluss, dem Kläger sei kein Schaden entstanden. Die getroffenen Feststellungen lassen in keine Richtung ausreichend erkennen, ob und welche von den objektiven Verkehrserwartungen abweichenden erheblichen Umstände der Kläger konkret in Kauf genommen und das Fahrzeug dennoch erworben hätte: Sie geben keine Auskunft darüber, ob er das Fahrzeug gekauft hätte, wenn er gewusst hätte, dass es sich bei der vorhandenen Software („Umschaltlogik“) um ein verbotenes Konstruktionselement handelte, das der Typengenehmigungsbehörde verschwiegen wurde, sodass nur deshalb die EG‑Typengenehmigung erteilt wurde. Ebenso wenig lässt die Feststellung erkennen, ob der Kläger die Notwendigkeit des Software‑Updates und die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs (C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 84) in Kauf genommen und den gegenständlichen Neuwagen dennoch erworben hätte (vgl 10 Ob 16/23k Rz 38 ff [insb Rz 42 ff]; ebenso 9 Ob 65/22g Rz 45 ff [insb Rz 49 ff]).
[38] 6. Zur in der Revisionsbeantwortung angesprochenen Frage der Schadenshöhe ist auf die zwischenzeitig ergangene Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu verweisen, die im fortgesetzten Verfahren zu beachten sein wird:
[39] 6.1. Bereits zu 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 Rz 36 wurde dargelegt, dass, wenn durch das angebotene Software‑Update zwar der „Umschaltmodus“ beseitigt wird, aber infolge eines „Thermofensters“ eine unzulässige Abschalteinrichtung weiter aktiv ist, dies nicht zur Beseitigung der Unsicherheit hinsichtlich der Nutzungsmöglichkeit und des ungewollten Zustands des Vermögens des Käufers (einem Fahrzeug, bei dem die zulassungsrechtlichen Vorschriften nicht eingehalten werden) führt. Dem haben sich in der Folge bereits andere Senate des Obersten Gerichtshofs angeschlossen (9 Ob 33/23b Rz 27; 6 Ob 150/22k Rz 44): Wenn ein Software‑Update nur zum Austausch einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch eine andere unzulässige Abschalteinrichtung führte, liegt auch nach der „Verbesserung“ durch das Software‑Update weiterhin ein Sachmangel in Form einer unzulässigen Abschalteinrichtung vor (RS0018722 [T3]).
[40] Der Erwerber eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs kann entweder Geldersatz in Form einer Zug-um-Zug-Abwicklung (Rückzahlung des Kaufpreises gegen Übergabe des Fahrzeugs) verlangen oder – wie hier – den Minderwert des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs geltend machen.
[41] 6.2. Der zu ersetzende Betrag ist im Sinne des § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung – selbst mit Übergehung eines von der Partei angebotenen (etwa: Sachverständigen‑)Beweises – innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises festzusetzen. Dies schließt allerdings nicht aus, dass die Wertminderung exakt festgestellt wird und der Käufer Ersatz derselben verlangt (RS0134498; vgl auch 8 Ob 70/23m Rz 26 mwH). Steht – wie hier – das Nichtvorliegen eines Minderwerts fest, wäre dies ein Grund dafür, den zu zahlenden Betrag im unteren Bereich der Bandbreite festzusetzen (RS0134498 [T2]).
[42] 6.3. Aus der in der Revisionsbeantwortung der Beklagten ins Treffen geführten Entscheidung 9 Ob 33/23a ist für sie hier nichts zu gewinnen, weil sich dort der Schaden nicht beim dortigen Kläger realisiert hatte, sondern bei einem nicht am Verfahren beteiligten Dritten, dem jener das Fahrzeug bereits um einen ohne wegen der Abschalteinrichtung geminderten Preis verkauft hatte.
[43] 7.1. Insgesamt ist in Ansehung des noch Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens bildenden Teils des Zahlungsbegehrens die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung in den erörterten Punkten sowie neuerlichen Entscheidung erforderlich.
[44] 7.2. Auf die vom Kläger ins Treffen geführten weiteren Anspruchsgrundlagen § 874 und § 1295 Abs 2 ABGB muss im jetzigen Verfahrensstadium nicht eingegangen werden.
[45] 8. Das Feststellungsbegehren wurde hingegen im Ergebnis zu Recht abgewiesen:
[46] Der Kläger stützt dessen Berechtigung im Revisionsverfahren nur noch auf einen in der Zukunft möglichen (weiteren) Vermögensschaden aufgrund des drohenden Entzugs der Zulassung.
[47] Dazu ist aber – wie die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung zutreffend aufzeigt – in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bereits geklärt (10 Ob 27/23b Rz 43 f; 8 Ob 90/22a Rz 28 f; 8 Ob 70/23m Rz 28 ff), dass Folgeschäden im Bereich des Abgasrückführsystems die Gültigkeit der EG‑Typengenehmigung oder der Übereinstimmungsbescheinigung nicht in Frage stellen. Sie bringen keine Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeit der Fahrzeugnutzung mit sich und sind somit nicht vom Schutzzweck der hier gegenständlichen unionsrechtlichen Schutzgesetze erfasst. Das theoretische Risiko eines Zulassungsentzugs fließt bereits in die Bemessung des Schadenersatzes ein. Dadurch wird letztlich jener Zustand hergestellt, der bei Kenntnis vom Bestehen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorliegen würde. Aufgrund der Entscheidung des Erwerbers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs, es in seinem Vermögen zu behalten und nicht die nach österreichischem Recht mögliche Zug‑um‑Zug-Abwicklung zu wählen, sondern den Ersatz des Minderwerts zu begehren, geht er das Risiko des Zulassungsentzugs vielmehr bewusst ein. Der Umstand, dass sich dieses Risiko in weiterer Folge verwirklicht, ist daher nicht zusätzlich zum dadurch geminderten Wert des Fahrzeugs bei Vertragsabschluss ersatzfähig (vgl 10 Ob 31/23s Rz 72 mwN).
[48] Die Abweisung des Feststellungsbegehrens war daher zu bestätigen. Es bleibt – gemeinsam mit der bereits in erster Instanz unangefochten gebliebenen Abweisung des Begehrens auf Zahlung von 1.673 EUR samt 4 % Zinsen ab Klagszustellung – als Teilurteil bestehen.
[49] 9. Der Kostenvorbehalt beruht hinsichtlich des Teilurteils auf § 52 Abs 4 ZPO und im Übrigen auf § 52 Abs 1 letzter Satz ZPO.
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