European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0100OB00038.23W.0813.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.032,90 EUR (darin 172,15 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Beklagte betreibt ein Lokal, das von einer Brauerei, deren Arbeitnehmer der Kläger ist, Getränke bezieht. Der Kläger belieferte die Beklagte seit mindestens fünf Jahren. Am 29. 7. 2020 stürzte er bei der Anlieferung und verletzte sich.
[2] Die Anlieferung erfolgte stets derart, dass der Lieferant zunächst über den an der Gebäuderückseite gelegenen Gastgarten die Getränke außen vor der Türe zum Lager abstellte. Dann sperrte er die hintere Außentüre zum Gastraum auf und durchquerte diesen sowie die Küche mit dem Lager, öffnete von innen die Türe des Lagers und räumte die außen abgestellten Getränke durch die Tür ins Lager ein. Die Türe ist im Innenbereich mit zwei Stahlzargen gesichert. Zum Öffnen der Türe müssen sie nach hinten verschoben und das Türschloss mit einem Schlüssel geöffnet werden. Die Türe ist nach außen zu öffnen, sie streift dabei an den kaputten Außenfliesen.
[3] Die Fliesenfläche im Gastgarten besteht aus einer Terrasse und dem Eingang zum Lagerraum samt einer Türschwelle und Stufe von etwa 15 Zentimeter Höhenunterschied. Die Stufe weist einen Vorsprung in den Lagerraum von zwei bis drei Zentimeter auf. An einer Seite sind die Kanten jedoch derart abgeschlagen, dass kein Überstand mehr vorhanden ist. Die Türschwelle besteht aus einem betonierten Sockel, der mit Natursteinplatten belegt ist. Die nach dem Vorfall vom 29. 7. 2020 noch vorhandenen Natursteinplatten liegen bereits hohl und sind nicht mehr mit dem Untergrund verbunden. Der Zustand der „hohlliegenden“ Platten bestand mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bereits zum Unfallzeitpunkt. Die Terrasse hat bereits erheblichen Wartungs‑ bzw Erneuerungsbedarf. Eine Hohllage ist für einen Laien nicht sofort ersichtlich, sondern lässt sich nur akustisch durch einen hohlen und hellen Klang erkennen, beispielsweise beim Abklopfen. Der Fliesenbelag hatte zum Unfallzeitpunkt das Ende seiner zu erwartenden Nutzungsdauer erreicht, auch wenn der Großteil des Fliesenbelags optisch und rein oberflächlich noch einen brauchbaren Eindruck machte.
[4] Am 29. 7. 2020 belieferte der Kläger die Beklagte mit Getränken. Er betrat wie stets den hinteren Gartenbereich und stellte die Getränkerodel neben der Türe zum Lager ab. Anschließend ging er zum Hintereingang, öffnete die Türe mit dem der Brauerei überlassenen Schlüssel und durchquerte den Gastraum, die Küche und das Lager, bis er zur Türe zum hinteren Gartenbereich kam. Er öffnete diese Türe wie immer dadurch, dass er die Eisenzargen öffnete und die Türe aufsperrte. Anschließend räumte er das Leergut händisch aus dem Lokal, indem er sich nach unten bückte und das Leergut in gebückter Haltung über die Stufe nach oben hob, sodass dessen Gewicht nahezu gänzlich auf dem rechten Fuß lastete. Dabei hielt er sich wie immer mit der linken Hand am Gitter des Fensters der geöffneten Außentüre an und räumte das Leergut mit der rechten Hand nach oben. Anschließend räumte er in der gleichen Art und Weise das Vollgut ins Lager. Er stand in gebückter Haltung und räumte eine volle Bierkiste mit der rechten Hand nach unten, als die Steinplatten, auf denen er stand, brachen und er nach innen stürzte. Dabei hielt er sich weiter am Gitter der Türe an. Durch das Gewicht und den Schwung wurde das unterste Scharnier herausgerissen und verdrehten sich das mittlere und das obere Scharnier, sodass die Türe ausgehängt wurde und auf die linke Schulter des Klägers fiel. Der Kläger erlitt dadurch näher festgestellte Verletzungen.
[5] Disloziert im Rahmen der Beweiswürdigung stellte das Erstgericht zum Unfallhergang fest, die hohl liegenden Steinplatten seien durch das hauptsächlich auf den rechten Fuß des Klägers verteilte Gewicht eingebrochen, wodurch der Kläger, der in der rechten Hand eine volle Bierkiste gehalten habe, aus dem Gleichgewicht gekommen sei.
[6] Der Kläger begehrt die Zahlung von 10.396,78 EUR an Schadenersatz (davon 10.000 EUR Schmerzengeld). Er brachte vor, die Türe sei defekt und in einem schlechten Zustand gewesen. Die nicht ordnungsgemäß verlegten Fliesen im Türschwellenbereich seien eingebrochen, wodurch er gestürzt sei.
[7] Die Beklagte wendete ein, der Kläger habe die Türe von außen mit Gewalt aus den Sicherungsschienen ausgehebelt und aus den Bändern gezwängt und dadurch die Fliesen im Türschwellenbereich beschädigt. Die Türe sei nicht defekt gewesen. Es treffe sie kein Verschulden.
[8] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es führte rechtlich aus, die Beklagte habe das Hohlliegen der Fliesen nicht erkannt und nicht erkennen können, weil dazu ein Klopftest notwendig gewesen wäre. Es treffe sie kein Verschulden. Demgegenüber sei dem Kläger der schlechte Zustand der Türe bekannt gewesen. Er habe sich dennoch daran angehalten.
[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und sprach mit Zwischenurteil aus, der Anspruch des Klägers bestehe dem Grunde nach zu Recht. Es ließ die Revision mit der Begründung zu, es bedürfe höchstgerichtlicher Klärung, ab wann bei einem sichtlich abgewohnten Boden der Nachweis eines objektiven, eine Überprüfungspflicht des Verkehrssicherungspflichtigen auslösenden Mangels gelungen sei.
[10] Rechtlich ging es von einer Verpflichtung der Beklagten aus, eine gefahrlose Anlieferung der Ware zu ermöglichen. Dem Kläger sei der Nachweis eines ein rechtswidriges Verhalten indizierenden objektiv rechtswidrigen Zustands in der Sphäre der Beklagten gelungen, weil sich die Steinplatten im Türschwellenbereich in einem beschädigten, abgewohnten Zustand befunden hätten. Dies sei auch abseits der Hohllage für einen Laien erkennbar gewesen; die Beklagte hätte eine Überprüfungspflicht getroffen; den Beweis, dass die Hohllage bei Überprüfung nicht hätte erkannt werden können, habe die Beklagte nicht angetreten. Angesichts des schlechten Zustands des Türschwellenbereichs könne dem Kläger kein Vorwurf gemacht werden, dass er sich an der Türe angehalten habe.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision der Beklagten ist nicht zulässig.
[12] 1.1. Jeden Vertragspartner treffen vertragliche Schutz‑ und Sorgfaltspflichten, die darauf abzielen, die Rechtsgüter des Vertragspartners, mit denen der Verpflichtete in Berührung kommt, nach Tunlichkeit vor Schaden zu bewahren (RS0013922; vgl RS0013999). Der Sicherungspflichtige muss den Verkehrsbereich für die befugten Benützer in einem sicheren und gefahrlosen Zustand erhalten und diese vor Gefahren schützen (4 Ob 7/23t [Rz 10]). Diese vertragliche Nebenpflicht gilt auch für einen Gewerbetreibenden gegenüber den Arbeitnehmern seines Vertragspartners, die Waren anliefern.
[13] Ebenso wie die deliktische ist die vertragliche Verkehrssicherungspflicht nicht zu überspannen (RS0023487; 10 Ob 53/15i [ErwGr 1.2]). Sie hat keine vom Verschulden unabhängige Haftung des Sicherungspflichtigen zur Folge (RS0023950).
[14] 1.2. Der Ansatz der Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen ist stets die vom Geschädigten zu beweisende Pflichtverletzung. Dieser hat die Sorgfaltsverletzung und die Kausalität der Sorgfaltsverletzung für den Schaden zu beweisen (RS0026290 [insb T8]). Hinsichtlich des Verschuldens gilt die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB (RS0022686).
[15] Wenn ein objektiv vertragswidriges Verhalten des Schädigers nicht feststellbar ist, kann die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB dann angewendet werden, wenn der Geschädigte beweist, dass nach allgemeiner Erfahrung die Schadensentstehung auf ein wenigstens objektiv fehlerhaftes (vertragswidriges) Verhalten des Schädigers zurückzuführen ist (RS0026290). Eine eingeschränkte Beweislastumkehr greift bereits dann Platz, wenn dem Geschädigten der Nachweis eines Schadens und der Kausalität sowie eines – ein rechtswidriges Verhalten indizierenden – objektiv rechtswidrigen Zustands (6 Ob 221/18w [ErwGr 1.2.]) oder eines objektiven Mangels in der Sphäre des Schädigers gelungen ist (10 Ob 53/15i [ErwGr 3.5.3.]; 6 Ob 10/22x [Rz 16]). Dem Schädiger steht dann der Entlastungsbeweis offen; er hat zu beweisen, dass er die erforderlichen Vorkehrungen getroffen hat (6 Ob 10/22x [Rz 16]; vgl 6 Ob 221/18w [ErwGr 1.2.]).
[16] 1.3. Die Frage des konkreten Umfangs der Verkehrssicherungspflichten hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere davon, ob einem sorgfältigen Menschen erkennbar war, dass die Gefahr der Verletzung von anderen besteht und ob bestimmte Maßnahmen zur Vermeidung dieser Gefahr auch zuzumuten sind (vgl RS0110202).
[17] Auch die Beurteilung, ob ein objektiver Mangel in der Sphäre des Schädigers ein rechtswidriges Verhalten indiziert, kann nur nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden.
[18] 2.1. Im vorliegenden Fall wertete das Berufungsgericht den (disloziert in der Beweiswürdigung festgestellten) Umstand, dass die auf der Stufe im Türbereich verlegten Steinplatten nicht mehr fest mit dem Betonsockel verbunden waren, sondern nur noch hohl auflagen, als objektiven Mangel in der Sphäre der Beklagten. Angesichts des Umstands, dass die Getränkekisten nach der jahrelang praktizierten Vorgangsweise durch die Türe von der Terrasse zum Lager eingeräumt wurden, ist die Erwägung, dass der Bodenbelag im Bereich der Türschwelle und Stufe auch punktuell das hohe Gewicht einer Person sowie zusätzlich einer vollen Bierkiste standhalten muss, nicht zu beanstanden. Der Umstand, dass die Hohllage für einen Laien optisch nicht ohne weiteres erkennbar war, ändert – entgegen dem in der Revision vertretenen Rechtsstandpunkt der Beklagten – nichts an der objektiven Mangelhaftigkeit dieses Zustands.
[19] Die weitere Beurteilung des Berufungsgerichts, der objektiv mangelhafte Zustand der Bodenplatten indiziere ein rechtswidriges Verhalten, nämlich die Verletzung der Verpflichtung der Beklagten, durch eine Überprüfung dafür zu sorgen, dass die Getränkeanlieferungen für die Arbeitnehmer ihres Vertragspartners ohne Gefahren für deren Gesundheit erfolgen kann, bewegt sich innerhalb des dem Berufungsgericht eingeräumten Beurteilungsspielraums.
[20] Die an den Nachweis eines (ein rechtswidriges Verhalten indizierenden) rechtswidrigen Zustands anknüpfende Anwendung der Beweislastumkehr des § 1298 ABGB betreffend das Verschulden der Beklagten steht im Einklang mit der dargestellten Rechtsprechung.
[21] 2.2. Die Revision erblickt eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung darin, dass das Berufungsgericht hinsichtlich der Erkennbarkeit der Gefahrensituation im Türschwellenbereich für die Beklagte vom festgestellten Sachverhalt abgewichen sei, indem es einen beschädigten, abgewohnten Zustand der Steinplatten angenommen habe.
[22] Das behauptete Abweichen von den erstgerichtlichen Feststellungen liegt nicht vor, hat das Erstgericht doch unbekämpft festgestellt, dass der Überstand der Fliesen an der Türschwelle auf der einen Seite bereits gänzlich abgeschlagen war und die Türe beim Öffnen an den kaputten Außenfliesen schleifte. Dass das Berufungsgericht – neben der ausdrücklichen Bezugnahme auf den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt – ergänzend auf vorgelegte Lichtbilder Bezug nahm, begründet für sich kein Abgehen vom festgestellten Sachverhalt. Soweit in der Revision betont wird, der Fliesenbelag habe optisch noch einen brauchbaren Eindruck gemacht, traf dies nach den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichts nur auf den „Großteil“, also keinesfalls auf den gesamten Belag zu.
[23] Dass das Berufungsgericht bei dieser Sachlage den nach § 1298 ABGB von der Beklagten zu führenden Beweis dafür, dass ihr die Notwendigkeit der objektiv gebotenen Überprüfung des Bodenbelags im Türschwellenbereich subjektiv nicht erkennbar und daher nicht vorwerfbar gewesen sei, als nicht erbracht ansah, ist im vorliegenden Einzelfall vertretbar.
[24] 3. Aufgrund der Einzelfallabhängigkeit des Umfangs von Verkehrssicherungspflichten (vgl RS0110202) liegt in der vom Berufungsgericht aufgeworfenen Frage, ob ein abgewohnter Boden (stets) eine Überprüfungspflicht auslöse, keine Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO. Eine solche wird auch in der Revision nicht aufgezeigt.
[25] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0112296).
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