European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00053.15I.1022.000
Spruch:
1. Die Revision wird im Umfang von 1.000,70 EUR samt 4 % Zinsen seit 15. Mai 2012 zurückgewiesen.
2. Im Übrigen wird der Revision Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Die Beklagte betreibt eine Supermarktkette. Am 10. Februar 2012 rutschte der Kläger in einem der Verkaufslokale der Beklagten in einer etwa 1 m x 1 m großen Lacke, die sich bei der Palette mit den isotonischen Getränken gebildet hatte, aus. Er stürzte und zog sich eine Verletzung am Knie zu.
Der Kläger begehrt zuletzt 6.394,30 EUR an Schadenersatz (Schmerzengeld, Ersatz für Therapiekosten, Selbstbehalte, Rezeptgebühren, Haushaltshilfe etc) sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden. Er brachte zusammengefasst vor, die Bodenreinigung sei im Betrieb der Beklagten mangelhaft organisiert. Deren Mitarbeiter seien ihrer Verpflichtung, die Verkaufsfläche auf Gefahrenstellen hin zu überprüfen und diese zu beseitigen, nicht hinreichend nachgekommen. Die Lacke habe schon längere Zeit vor dem Sturz bestanden. Zudem weise der im Verkaufslokal verlegte Fliesenboden nicht mehr die ursprünglich vorhanden gewesenen Gleit‑ und Rutschwerte auf. Die Beklagte hätte zumindest jährlich die Rutschfestigkeit der Fliesen überprüfen und Abhilfe schaffen müssen. Er selbst verantworte kein Mitverschulden, da die ausgeronnene Flüssigkeit für ihn kaum erkennbar gewesen sei. Zudem habe er sich gerade auf seinen Einkauf sowie darauf konzentriert, bei welcher Kasse er sich anstellen sollte. Spätschäden des Unfalls seien nicht auszuschließen.
Die Beklagte bestritt, beantragte Klageabweisung und wendete im Wesentlichen ein, ihre Mitarbeiter hätten keine Schutz‑ und Sorgfaltspflichten verletzt, weil sämtliche Vorkehrungen getroffen worden seien, um derartige Unfälle zu verhindern. Sollte eine Lacke zum Unfallzeitpunkt vorhanden und für den Sturz ursächlich gewesen sein, sei auszuschließen, dass sich die Lacke schon längere Zeit vor dem Sturz des Klägers auf dem Boden befunden habe, da die Mitarbeiter permanente Kontrollgänge durchführen, bei denen sie auf Verunreinigungen des Bodens achten und allfällige Verunreinigungen sofort beseitigen. Die Mitarbeiter der beklagten Partei ‑ und auch jene der gegenständlichen Filiale ‑ seien nämlich angewiesen, laufend und regelmäßig Kontrollgänge im Geschäftsraum durchzuführen und dabei insbesondere auf Verunreinigungen des Bodens zu achten. Zudem erfolge die Kontrolle der Böden durch die Mitarbeiter im Zuge jeder im Geschäftsraum vorgenommenen Tätigkeit, sodass unabhängig davon, welche Tätigkeit von einem Mitarbeiter gerade vorgenommen werde, zugleich bzw beiläufig auf die Sauberkeit des Bodens geachtet werde. Kontrollen des Bodens fänden daher laufend statt, weshalb auszuschließen sei, dass sich die behauptete Verunreinigung bereits länger am Boden befunden habe. Die Lacke müsse demnach unmittelbar vor dem Sturz des Klägers entstanden sein, sodass es den Mitarbeitern in dem zum Unfallzeitpunkt stark frequentierten Verkaufslokal unmöglich gewesen sei, auf die allenfalls gegebene Gefahrensituation zu reagieren. Jeder Mitarbeiter sei persönlich während jeder Tätigkeit in der Filiale für die Sauberkeit des Bodens verantwortlich. Diese Vorgangsweise habe die beklagte Partei im Zuge der Erarbeitung von Verkaufsstandards entwickelt, die auch die Reinigung und Sauberkeit beinhalten. Ein entsprechender Pflichtenkatalog werde jedem Mitarbeiter ausgehändigt. Der Filialleiter und der Regionalverkaufsleiter seien für die Umsetzung durch entsprechende Anweisungen und Personalschulungen verantwortlich. Gleiches gelte für die Richtlinien, die im Rahmen des „HACCP‑Systems“ erarbeitet worden seien. Entsprechend diesen Richtlinien habe eine Reinigung des Fußbodens im Verkaufsraum sowie des Ein‑ und Ausgangsbereichs zumindest täglich sowie stets nach Bedarf mit einer Reinigungsmaschine zu erfolgen.
Die im Verkaufslokal verlegten Fliesen seien rutschfest, entsprächen der Klasse „R 9“ und könnten selbst im verunreinigten Zustand gefahrlos begangen werden. Es sei damit zu rechnen gewesen, dass die normgerecht verlegten Fliesen für ihre normale Lebensdauer von in der Regel 20 bis 30 Jahren in diesem Zustand verbleiben. Den Kläger treffe das Alleinverschulden an dem Sturz, jedenfalls aber das überwiegende Mitverschulden, da für ihn die Verunreinigung leicht zu erkennen gewesen wäre und er ihr ausweichen hätte können, sofern er beim Gehen einen Blick vor die Füße geworfen hätte.
Der Kläger erwiderte, nach den Aussagen der Filialleiterin vor der Polizei würden in der Filiale keine regelmäßigen Kontrollen auf Verunreinigungen des Fußbodens durchgeführt, sondern werde dort der Fußboden nur nach Bedarf gereinigt. In dem gegen die Filialleiterin eingeleiteten Strafverfahren habe diese das Angebot der Staatsanwaltschaft auf Diversion unter Setzung einer Probezeit und Ersatz der Pauschalkosten angenommen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 3.329,60 EUR samt Zinsen sowie der Feststellung der Haftung der Beklagten für zwei Drittel zukünftiger Schäden statt und wies das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 3.000 EUR (gemeint offenbar 3.064,70 EUR) samt Zinsen ab. Weiters wies es das Feststellungsmehrbegehren, es werde festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger gegenüber für sämtliche zukünftigen Schäden aus dem Unfall hafte, ab. Es traf zusammengefasst über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus noch folgende weitere Feststellungen:
„Der Kläger, der feste Winterschuhe mit einer glatten Gummisohle trug, begab sich am 10. 2. 2012 gegen 17:00 Uhr in das zu diesem Zeitpunkt stark frequentierte Verkaufslokal der Beklagten, um einzukaufen. Er wollte sich mit den von ihm gewählten Waren in einem 1,8 m breiten Gang entlang von Getränkepaletten Richtung Kasse begeben. Er blickte (geradeaus) dorthin, um festzustellen, bei welcher Kassa er sich anstellen sollte, als er in einer etwa 1 m x 1 m großen Lacke, die sich bei der Palette mit den isotonischen Getränken gebildet hatte, ausrutschte. Er kam zu Sturz und zog sich eine Zerrung des linken Kniegelenks mit einer Ruptur des Innenseitenbandes zu. Es kann nicht festgestellt werden, wie lange sich die ausgeschüttete Flüssigkeit im Bereich der Unfallstelle schon am Boden befunden hat. Als die Stelle nach dem Unfall von einer Mitarbeiterin gereinigt wurde, bemerkte diese, dass eine der in dem Stapel mit den isotonischen Getränken befindlichen Getränkedosen kaputt war. Hätte der Kläger vor dem Unfall zu Boden geblickt, hätte er die Lacke wahrnehmen können.
Für das Verkaufslokal gibt es einen „Putzplan“, der die tägliche Reinigung nach Bedarf vorsieht. Die Mitarbeiter der Beklagten sind aber auch angewiesen, ständig die Sauberkeit des Bodens zu kontrollieren, während sie andere Arbeiten im Geschäft ausführen. Verunreinigungen sollten sofort bei Erkennen vom jeweiligen Mitarbeiter entfernt werden. Für die Kontrolle der Sauberkeit des Bodens ist die Filialleiterin zuständig; diese wird wiederum vom Regionalverkaufsleiter überprüft. Kontrollen, die lediglich der Überprüfung der Sauberkeit des Bodens dienen, sind im Betrieb der Beklagten nicht vorgesehen. Eigenes Putzpersonal für das Verkaufslokal gibt es nicht. Am Unfalltag waren in der Filiale die Mitarbeiterinnen P***** (Hauptkasse) und S***** zum Kassieren eingeteilt. Die Mitarbeiterin D***** war nach Bedarf für die Kassatätigkeit eingeteilt. Zusätzlich war die Filialleiterin anwesend. Laut Putzplan sollte die Mitarbeiterin S***** am Unfalltag die Reinigungsmaschine bedienen, sofern sie Zeit hat. Ansonsten wurde je nach Verfügbarkeit ein anderer Mitarbeiter bestimmt, die Reinigungsmaschine zu bedienen. Zum Unfallzeitpunkt verrichtete die Mitarbeiterin S***** gerade Kassatätigkeit. Die Mitarbeiterin D***** war mit Reinigungsarbeiten unter Einsatz der Putzmaschine an dem der Unfallstelle gegenüberliegenden Gang beschäftigt; die Filialleiterin nahm elektronische Bestellungen vor.
Das Verkaufslokal war im Frühjahr 2004 errichtet worden. Der Boden besteht aus rund 20 cm x 20 cm großen Fliesenplatten. In der Bau‑ und Betriebsstättenbewilligung 2003/2004 war für die Rutschhemmung keine konkrete behördliche Anforderung angegeben. Im Zeitpunkt deren Einbaus im Jahr 2004 war die Eignung der Fliesen gegeben. Sie entsprachen der Klasse „R 9“, sodass hinsichtlich ihrer Rutschhemmung der damalige Stand der Technik eingehalten war. Zum Zeitpunkt der Untersuchung durch den gerichtlichen Sachverständigen im August 2013 wiesen die an der Unfallstelle verlegten Fliesen die ursprünglich vorhandenen Gleit‑ und Rutschwerte nicht mehr auf. Bei Wasserlackenbildung und Ähnlichem besteht erhöhte Rutschgefahr, wobei die Nutzungssicherheit für diesen Fall (zum Zeitpunkt August 2013) nicht mehr gewährleistet war. Wie der exakte Zustand der Fliesen im Unfallzeitpunkt (im Februar 2012) beschaffen war, ist nicht mehr feststellbar. Bodenbeläge haben eine gewöhnliche Nutzungsdauer von 15 bis 35 Jahren.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, eine jährliche Überprüfung der Rutschfestigkeit der ursprünglich dem Stand der Technik entsprechenden Fliesen würde die Sorgfaltspflicht der Beklagten überspannen, weil eine solche Überprüfung mit einem erheblichen technischen Aufwand verbunden wäre. Anders verhalte es sich aber mit dem Vorhandensein der Lacke. Wie lange diese vor dem Unfall bereits bestanden habe, habe nicht festgestellt werden können. Die Pflicht, die Anlage im gefahrlosen Zustand zu halten, bedeute, dass regelmäßige Kontrollen stattzufinden haben. Der Reinigungsplan der Beklagten sehe aber keine regelmäßigen Kontrollen vor, sondern halte die Mitarbeiter lediglich an, im Zuge anderer Arbeiten auch auf die Sauberkeit zu achten. Wenn in Zeiten hoher Kundenfrequenz die Mehrheit der Mitarbeiter mit dem Kassieren beschäftigt sei und nicht Arbeiten in den Gängen des Verkaufslokals durchführe, entstünden Kontrolllücken. Der Beklagten sei der Beweis, dass sie am Vorhandensein der unfallskausalen Lacke kein Verschulden treffe, demnach nicht gelungen. Da der Kläger, wenn er „vor seine Füße“ geschaut hätte, die Lacke wahrnehmen hätte können, treffe ihn ein Mitverschulden von einem Drittel.
Gegen dieses Urteil erhoben beide Parteien Berufung. Der Kläger strebte den Zuspruch von 5.393,60 EUR sA (somit einen weiteren Zuspruch von 2.064 EUR sA) sowie die gänzliche Stattgebung seines Feststellungsbegehrens an. Im Umfang von 1.000,70 EUR samt Zinsen blieb die Klageabweisung unbekämpft. Die Beklagte strebte die gänzliche Klageabweisung an.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten, nicht jedoch jener des Klägers Folge und änderte das Urteil unter Einbeziehung der mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsenen Abweisung von 1.000,70 EUR sA im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung ab. Es sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die von der Beklagten bekämpfte negative Feststellung des Erstgerichts, es könne nicht festgestellt werden, wie lange vor dem Unfallzeitpunkt die Lacke schon bestanden habe, übernahm das Berufungsgericht mit der Begründung nicht, dass die dazu getroffene Beweiswürdigung mangelhaft sei. Das Erstgericht habe sich mit den in der Berufungsschrift der Beklagten vorgebrachten gewichtigen Argumenten, die indizieren würden, dass die Lacke erst kurz vor dem Sturz entstanden sei, nicht befasst und die dafür notwendigen Sachverhaltsgrundlagen nicht erarbeitet. Dennoch erübrige sich eine weitere Auseinandersetzung mit der Beweisrüge zu dieser (negativen) Feststellung, weil diese Feststellung ‑ entgegen der Ansicht des Erstgerichts ‑ aus rechtlichen Gründen die Beklagte ohnedies nicht belasten könne. Es sei vielmehr zu berücksichtigen, dass die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht nicht überspannt werden dürften. In Geschäften, in denen Kunden Waren selbst entnehmen und zur Kasse tragen könnten, sei nie auszuschließen, dass Teile von Waren auf den Boden gelangen und diesen verschmutzen. Das Aufstellen von Personal an mehreren Stellen des Geschäftslokals zwecks ständiger Kontrolle des Fußbodens auf Verunreinigungen wäre dem Geschäftsinhaber nicht zumutbar und würde zu einer Erfolghaftung führen. Auch im vorliegenden Fall sei deshalb eine permanente Kontrolle des Fußbodens durch die Mitarbeiterinnen der Beklagten nicht zu fordern und das von der Beklagten eingerichtete Kontrollsystem nicht zu beanstanden. Da kein Anhaltspunkt dafür bestehe, dass die gegenständliche Lacke so lange bestanden habe, dass ihr Übersehen der Beklagten bzw deren Mitarbeitern als Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht angelastet werden könne, fehle eine Haftungsgrundlage. Die verwendeten Fliesen hätten im Zeitpunkt der Errichtung des Verkaufslokals dem Stand der Technik entsprochen. Es stehe nicht fest, ob der für diese Verwendung vorgegebene Gleitreibungskoeffizient der Fliesen im Unfallzeitpunkt überhaupt unterschritten gewesen sei. Insgesamt sei der Beklagten daher kein Verstoß gegen ihre Verkehrssicherungspflichten anzulasten.
Auf Antrag des Klägers änderte das Berufungsgericht seinen Zulassungsausspruch dahingehend ab, dass es die ordentliche Revision doch für zulässig erklärte. Das Berufungsgericht sei im Sinne der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs davon ausgegangen, dass eine permanente Kontrolle des Bodens in Selbstbedienungsläden nicht gefordert werden könne. Eine Haftung der Beklagten komme nur dann in Betracht, wenn die Verunreinigung so lange bestanden habe, dass ihr Übersehen bzw ihre unterlassene Beseitigung durch die MitarbeiterInnen der Beklagten dieser als Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht anzulasten wäre. Dafür sei jedoch der Geschädigte beweispflichtig. Der Geschädigte müsse daher einen Sachverhalt nachweisen, der eine konkrete Sorgfaltswidrigkeit der Beklagten nahelege und über das bloße Vorhandensein der Lacke im Zeitpunkt des Sturzes des Klägers hinausgehe. Diesen Beweis habe der Kläger auch ausgehend von der ‑ nur von der Beklagten bekämpften ‑ Negativfeststellung des Erstgerichts nicht erbracht. Auf die begehrte Ersatzfeststellung, die ausgeschüttete Flüssigkeit habe sich erst kurze Zeit vor dem Unfallgeschehen im Bereich der späteren Unfallstelle befunden, komme es nicht an. Sollte der Kläger jedoch ‑ ausgehend von einer anderen Rechtsauffassung ‑ mit dem Nachweis, als Kunde der Beklagten in deren Geschäftslokal in einer Lacke ausgerutscht zu sein, seine Beweispflicht bereits erfüllt haben und die Beklagte nachweisen müssen, dass ihre Mitarbeiter nicht schuldhaft gehandelt haben, da die Lacke erst kurze Zeit vor dem Unfall entstanden sei, wäre die Sache wegen der dann doch entscheidungswesentlichen Beweisrüge der Beklagten noch nicht spruchreif.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers mit dem Begehren auf Abänderung im Sinne einer gänzlichen Klagsstattgebung, hilfsweise wird die Aufhebung und Zurückverweisung beantragt.
Die Beklagte begehrt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist, soweit sie auch gegen die bereits in Rechtskraft erwachsene Abweisung von 1.000,70 EUR sA gerichtet ist, als unzulässig zurückzuweisen; im Übrigen ist die Revision zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Der Revisionswerber macht zusammengefasst geltend, im Bereich der Verkehrssicherungspflichten komme die Beweislastumkehr nach § 1298 ABGB zur Anwendung. Da zum mangelnden Verschulden der Beklagten nur eine „non‑liquet“ Feststellung getroffen worden sei, belaste diese Feststellung sehr wohl die Beklagte. Das im Betrieb der beklagten Partei praktizierte Kontrollsystem zum Hintanhalten von Verunreinigungen sei nicht geeignet, um den der Beklagten obliegenden Sorgfaltspflichten im ausreichenden Ausmaß nachzukommen. Darüber hinaus hätte die Beklagte die bauliche Sicherheit betreffend die Rutschfestigkeit des verlegten Fliesenbodens laufend überprüfen und die Baulichkeiten dem Ergebnis der Kontrolle entsprechend einwandfrei in Stand setzen müssen. Der Umstand, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass bereits im Unfallzeitpunkt Februar 2012 der Gleitreibungskoeffizient unter dem durch die seit 2009 geltende Ö-Norm Z 1261 vorgegebenen Wert von 0,44 gelegen sei, gehe ebenfalls im Sinne der Beweislastumkehr des § 1298 ABGB zu Lasten der Beklagten.
Dazu ist auszuführen:
1. Zur Verkehrssicherungspflicht:
1.1 Jeden Inhaber eines Geschäfts trifft gegenüber einer Person, die das Geschäft als Kunde betritt, die (vor‑)vertragliche Pflicht, für die Sicherheit des Geschäftslokals zu sorgen (RIS‑Justiz RS0016407). Der Inhaber des Geschäfts hat die seiner Verfügung unterliegenden Anlagen, die er den Kunden zur Benutzung einräumt, in verkehrssicherem und gefahrlosem Zustand zu halten. Er muss alle erkennbaren Gefahrenquellen, die sich aus dem Geschäftsbetrieb ergeben, ausschalten (RIS‑Justiz RS0023597). Für die Verletzung dieser Schutzpflicht hat der Geschäftsinhaber nach Vertragsgrundsätzen einzustehen (RIS‑Justiz RS0016407).
1.2 Ebenso wie die deliktische ist auch die vertragliche Verkehrssicherungspflicht aber nicht zu überspannen (RIS‑Justiz RS0023487). Sie soll keine vom Verschulden unabhängige Haftung des Sicherungspflichtigen zur Folge haben (RIS‑Justiz RS0023950). Es kann daher nicht die Beseitigung aller nur möglicher Gefahrenquellen gefordert werden. Jede Verkehrssicherungspflicht findet ihre Grenze in der Zumutbarkeit möglicher Maßnahmen der Gefahrenabwehr (RIS‑Justiz RS0023397). Umfang und Intensität von Verkehrssicherungspflichten richten sich vor allem danach, in welchem Maß die Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen können (RIS-Justiz RS0023726). Vom Besucher eines Supermarkts (Kaufhauses) ist zu erwarten, dass er der einzuschlagenden Wegstrecke Aufmerksamkeit zuwendet (RIS‑Justiz RS0023787).
1.3 Das Bestehen einer Sorgfaltspflicht und deren Verletzung (hier durch Unterlassung) sowie die Kausalität der Sorgfaltsverletzung für den Schaden hat grundsätzlich der Geschädigte zu behaupten und zu beweisen ( Reischauer in Rummel 3 § 1298 ABGB Rz 4a).
2. Zur behaupteten Verletzung der Verkehrssicherungspflichten im Hinblick auf die mangelnde Rutschfestigkeit der Bodenfliesen:
Eine solche ist der Beklagten nicht vorzuwerfen, weil nicht einmal fest steht, dass durch die Fliesen überhaupt eine Gefahrenquelle bzw Erhöhung vorlag (es steht auch nicht fest, ob die Fliesen im Unfallzeitpunkt der maßgebenden Ö‑Norm entsprachen). Konnte kein zum Unfalltag gegebener zu geringer Gleitkoeffizient festgestellt werden, ist dem Kläger der ihm obliegende Beweis des Bestehens einer Gefahrenquelle und damit einer Sorgfaltspflichtverletzung der Beklagten nicht gelungen (vgl 4 Ob 18/15y).
3. Zu der behaupteten Verletzung der Verkehrssicherungspflicht infolge der am Fußboden stehenden Lacke:
3.1 Zur bisherigen Rechtsprechung in Österreich:
3.1.1 In der Entscheidung 2 Ob 541/81 wurde eine Haftung eines Geschäftsinhabers aus dem Grund der Überspannung von Verkehrssicherungspflichten verneint, wenn in einem Lebensmittelgeschäft, in dem die Kunden das Obst selbst entnehmen, eine einzige Weintraubenbeere auf dem Boden liegt (auf der die Klägerin ausrutschte und zu Sturz kam) und nicht festgestellt werden konnte, wann die Weinbeere dahin gelangte. Ein Verschulden des beklagten Geschäftsinhabers oder eines seiner Betriebsgehilfen sei deshalb nicht anzunehmen, weil eine permanente Kontrolle des Bodens in Selbstbedienungsläden auf zu Boden gefallenes Obst oder Gemüse nicht gefordert werden könne. In dieselbe Richtung gehen die Entscheidungen 7 Ob 558/87 und 3 Ob 519/95, die jeweils Unfälle in einem Selbstbedienungsladen durch ein auf dem Boden liegendes Salatblatt betreffen. Es sei unvermeidbar, dass in Selbstbedienungsläden, in denen Kunden selbst mit Obst und Gemüse hantieren, immer wieder Früchte oder Gemüsestücke zu Boden fallen. Für den Geschäftsinhaber wäre es ein unzumutbarer Mehraufwand, wenn er an mehreren Stellen des Geschäfts Personal so aufstellen müsste, dass der gesamte Boden des Geschäfts ständig auf herabfallende Obst‑ und Gemüsestücke kontrolliert werden kann. Man werde von jemanden, der in einem Selbstbedienungsladen einkaufe, ein Minimum an Aufmerksamkeit verlangen dürfen. Ähnlich wie in der Entscheidung 2 Ob 541/81 wurde in der Entscheidung 7 Ob 558/87 darauf hingewiesen, dass sich aus dem dort festgestellten Sachverhalt auch keine Anhaltspunkte dafür ableiten ließen, dass das Obst‑ bzw Gemüsestück schon so lange auf dem Boden gelegen habe, dass sein Übersehen durch das Personal der Beklagten dieser als Verstoß gegen ihre Verkehrssicherungspflichten angelastet werden könne.
3.1.2 Die Entscheidung 10 Ob 26/00x betrifft die in einem Geschäftslokal aufgetretene Nässe am Boden. Waren die Kunden durch den zum Unfallzeitpunkt herrschenden strömenden Regen bereits hinreichend vorgewarnt, sei davon auszugehen, dass sie in Anbetracht der mit Schuhen in das Geschäft eingeschleppten Nässe nicht mit völlig trockenen Gängen rechnen konnten. Der im Eingangsbereich vorhandene Spannteppich sei neben dem Auflegen von Matten und regelmäßigem Aufwischen daher als ausreichend anzusehen, um ein sicheres Betreten des Lokals zu gewährleisten.
3.1.3 Eine Entscheidung zu einem dem vorliegenden Fall vergleichbaren Sachverhalt findet sich ‑ soweit überblickbar ‑ in der österreichischen Rechtsprechung nicht. Er unterscheidet sich von den den Entscheidungen 2 Ob 541/81, 7 Ob 558/87 und 3 Ob 519/95 zu Grunde liegenden Sachverhalten wesentlich. Während die Gefahrenquellen in den genannten Vorentscheidungen infolge des Zubodenfallens von Obst‑ und Gemüsestücken jeweils auf das Verhalten von Kunden (beim Hantieren mit Obst und Gemüse) zurückzuführen und für die Kunden jeweils leicht erkennbar waren, ist die Gefahrenquelle im vorliegenden Fall dadurch entstanden, dass die Beklagte in ihrem Geschäftslokal ein schadhaftes Behältnis zum Verkauf angeboten hat, dessen Inhalt ausgeflossen ist und zu einer Sturzgefahr führenden Lacke in einem stark frequentierten Bereich des Verkaufslokals geführt hat. Mit solchen örtlichen Gegebenheiten, wie am Boden stehenden Lacken infolge Ausrinnens von Flüssigkeiten (wie etwa auch von Speiseöl, Flüssigwaschmittel oder Weichspüler) aus zum Verkauf angebotenen, schadhaften Dosen oder Flaschen in stark frequentierten Bereichen eines Supermarkts, muss ein Kunde aber grundsätzlich nicht rechnen. Der (generelle) Entfall der Verkehrssicherungspflicht ist in derartigen Fällen auch nicht damit begründbar, dass der Kunde sich selbst schützen kann, weil die Gefahr für ihn in jedem Fall leicht (das heißt ohne genauere Betrachtung) erkennbar gewesen wäre (RIS‑Justiz RS0114360).
3.2 Zur deutschen Rechtsprechung:
3.2.1 Nach dieser haben Einzelhändler in den Grenzen des technisch Möglichen und wirtschaftlich Zumutbaren dafür zu sorgen, dass Verbraucher durch die angebotene Ware keine Gesundheitsschäden erleiden (BGH 31. 10. 2006, VI ZR 223/05, NJW 2007, 762). Einer Entscheidung des OLG Hamm (in der Rs 6 U 253/99 , NJW‑RR 2002, 171) lag ein Sturz einer Kundin wegen einer sich auf dem Boden eines Querganges in einem Selbstbedienungsdrogeriemarkt befindlichen farblosen Öllacke (die sich aufgrund einer ausgelaufenen Babyölflasche gebildet hatte) zu Grunde. Die Tatsache, dass die Klägerin auf einer Babyöllacke ausgerutscht war, begründe einen objektiv verkehrsunsicheren Zustand des Fußbodens des Geschäftslokals. In Verneinung einer Verkehrssicherungspflichtverletzung wurde die Klage (auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes etc) aber mit der Begründung abgewiesen, es sei bewiesen, dass der letzte Kontrollgang im Unfallzeitpunkt noch nicht mehr als 30 Minuten zurückgelegen und zu diesem Zeitpunkt kein Öl auf dem Boden gelagert habe. Zu häufigeren Kontrollen als alle 30 Minuten sei die Beklagte nicht verpflichtet.
3.2.2 Einer jüngeren Entscheidung des OLG Hamm vom 15. 3. 2013, 9 U 187/12, NJW-RR 2013, 1242, lag der Sturz einer Kundin eines Baumarkts im Kassenbereich infolge einer am Fußboden vorhandenen Flüssigkeit zugrunde. Der verkehrssicherungswidrige Zustand bestehe in der am Fußboden vorhandenen Flüssigkeit. Der Anscheinsbeweis spreche dafür, dass die Kausalität des verkehrssicherungswidrigen Zustands des Fußbodens kausale Bedingung für den Sturz der Klägerin sei. Im Rahmen der Beweislastumkehr gemäß § 280 Abs 1 Satz 2 BGB müsse die Beklagte darlegen, dass ihr die Einhaltung der objektiv erforderlichen Verkehrssicherungspflichten subjektiv in der konkreten Situation nicht möglich oder zumutbar war. Das sei ihr nicht gelungen. Der Schadenersatzanspruch sei zu bejahen, weil der Beklagten Organisationsverschulden vorzuwerfen war.
3.3 Wollte man im Einklang mit der wiedergegebenen deutschen Rechtsprechung davon ausgehen, dass die Schutz‑ und Sorgfaltspflichtverletzung bereits in der unterbliebenen ‑ und nicht erst in der nicht rechtzeitigen ‑ Beseitigung der Gefahrenquelle (Lacke) besteht, müsste die Einhaltung der im Rahmen der Sorgfaltspflicht erforderlichen und angemessenen Kontrollen von der Beklagten im Sinne einer für die Sorgfaltsebene bestehenden Beweislastumkehr bewiesen werden. Die Frage, wie lange die Gefahrenquelle im konkreten Fall bereits bestanden hat, wäre in diesem Fall der Sorgfaltsebene zuzurechnen. Kann nicht festgestellt werden, wie lange sich die ausgeschüttete Flüssigkeit im Bereich der Unfallstelle schon am Boden befunden hat, weil die notwendige Kontrolle und Beseitigung nicht vorgenommen wurde, würde eine Negativfeststellung zu Lasten der Beklagten gehen.
Der Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht könnte aber auch weder in der bloßen Existenz der Lacke noch in einer zu langen Dauer des Bestands gesehen werden, sondern in der Verletzung der möglichen und zumutbaren Kontrollpflicht, welche durch die Dauer des Bestands der Lacke lediglich indiziert wird. Das Bestehen einer Gefahrenquelle (Lacke) in einem häufig frequentierten Bereich wie dem Kassabereich könnte diesfalls darauf schließen lassen, dass die notwendige Kontroll‑ und Beseitigungspflicht nicht eingehalten wurde. Es wäre dann ebenfalls Sache des Beklagten nachzuweisen, dass im konkreten Fall ein der Schutz‑ und Sorgfaltspflicht entsprechendes Kontrollsystem eingehalten wurde. Die Negativfeststellung würde sie belasten.
3.4
Zum Meinungsstand im Schrifttum:
3.4.1 F. Bydlinski vertritt die Auffassung, im Zusammenhang mit den (bloßen) Schutz‑ und Sorgfaltspflichten seien der äußere Sorgfaltsverstoß und die Vorwerfbarkeit als Verschulden in der Regel voneinander gar nicht zu trennen. Nicht hinreichend geklärt sei, was ‑ in Entsprechung der Nichterfüllung ‑ bewiesen werden muss, damit dann hinsichtlich des Verschuldens die Beweislastumkehr greife. Sei zumindest prima facie von einem sorgfaltswidrigen Verhalten auf der Schuldnerseite auszugehen, könne Verschulden vermutet werden. Ließen sich weiter in der persönlichen und sachlichen Interessen‑ und Herrschaftssphäre des Schädigers objektiv gefährliche oder doch objektiv mangelhafte und dadurch unkontrollierbare Umstände lokalisieren (sei es auch durch prima‑facie‑Beweis), die für einen Schaden ursächlich waren, kann auch dies als Anknüpfungspunkt für die Beweislastumkehr genügen ( F. Bydlinski , Zur Haftung der Dienstleistungsberufe in Österreich und nach dem EG‑Richtlinienvorschlag, JBl 1992, 341, 348 f).
3.4.2 Nach Koziol ist der Grund für die Beweislastumkehr bei Verletzung von Pflichten aus schon bestehenden Schuldverhältnissen darin zu erblicken, dass die Lebensverhältnisse in der Sphäre des Schuldners für den Gläubiger nicht durchschaubar sind und er daher in Beweisnotstand geriete, wenn er das Verschulden beweisen müsste ( Koziol , Haftpflichtrecht I 3 , 510).
3.4.3 Karollus vertritt die Auffassung, dass die bloße Tatsache der Schädigung allein nie ausreichen könne, um die Beweislast zu verschieben. Erforderlich, aber auch genügend sei stets, dass der Geschädigte ein zumindest abstrakt pflichtwidriges Verhalten, das heißt einen Mangel „in der Sphäre des Schädigers“ nachweise. Dieser könne etwa darin bestehen, dass eine zur Gefahrenabwendung gebotene Maßnahme (Verkehrssicherungspflicht) nicht gesetzt wurde. Es komme zu einer Beweislastumkehr iSd § 1298 ABGB, sodass in weiterer Folge der Schädiger das Fehlen einer Sorglosigkeit beweisen müsse ( Karollus , Praktische Probleme der Schutzgesetzhaftung, insbesondere im Verkehrshaftpflichtrecht, ZVR 1994, 129 [136]). . Zur Frage, wer die Beweislast für das Vorliegen eines spezifischen Sorgfaltsverstoßes trägt, hält Karollus des Weiteren fest, dass zwischen der Tatbestandserfüllung und dem Vorliegen objektiver Sorgfaltswidrigkeit eine Indikation bestehe. Prima facie sei davon auszugehen, dass bei Tatbestandserfüllung auch die objektive Sorgfaltswidrigkeit vorliege. In diesem Fall müsse der Schädiger die Indikation erschüttern. Gelinge die Erschütterung der Indikation, trage insoweit wieder der Geschädigte die „volle“ Beweislast und damit das Risiko der Unaufklärbarkeit ( Karollus , Funktion und Dogmatik der Haftung aus Schutzgesetzverletzung [1992] 176 mwN).
3.4.4 Nach Karner erscheint es mit F. Bydlinski (JBl 1992, 347 ff) für die Anwendbarkeit des § 1298 ABGB zutreffend, auf das Vorliegen eines objektiven Mangels in der Sphäre des Schädigers abzustellen ( Karner in KBB 4 § 1298 Rz 3). Für die Beweislastumkehr sei es erforderlich, dass der Geschädigte einen Mangel in der Sphäre des Schädigers nachweist, der auf das Vorliegen eines Sorgfaltsverstoßes hinweist ( Karner , Geldersatz für ideelle Schäden, Minderung der Ersatzpflicht, Beweislast, Verjährung, in Griss/Kathrein/Koziol , Entwurf eines neuen österreichischen Schadenersatzrechts [2005] 91 Rz 25).
3.4.5 Binder erachtet die Gefahrenkreistheorie für sinnvoll, da diese darauf Rücksicht nimmt, dass der Schuldner hinsichtlich der in seiner Sphäre liegenden Umstände die besseren Einsichts- und damit Beweismöglichkeiten hat. Dennoch solle eine Beweislastumkehr iSd § 1298 ABGB nicht stattfinden, wenn die Verletzung der gebotenen Sorgfalt als vertragliche Pflichtwidrigkeit und damit Rechtswidrigkeit gedeutet wird. Diese Norm habe nur das Verschulden im Auge ( Binder , Zur Beweislast bei Vertragsverletzung, JBl 1990, 814 [815]).
3.4.6 Reischauer vertritt die Auffassung, dass der Beweis der Sorgfaltsverletzung unter Umständen prima facie erbracht werden kann. Voraussetzung sei ein typischer Beweisnotstand. Der Prima-facie-Beweis habe vor allem in Verbindung mit einer (schwer) zu beweisenden Sorgfaltspflichtverletzung Bedeutung. Es sei sohin unrichtig, dass er bloß für die Kausalität heranzuziehen sei ( Reischauer in Rummel 3 § 1298 ABGB Rz 4a, § 1296 ABGB Rz 4c und 4d).
3.4.7 Nach Kodek (in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.01 § 1298 Rz 39) wird dem Geschädigten bei Verletzung einer Schutz‑ und Sorgfaltspflicht vielfach der Anscheinsbeweis zugute kommen.
3.5 Zur Anwendung auf den vorliegenden Fall:
3.5.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist Haftungsansatz stets die vom Geschädigten zu beweisende Pflichtverletzung. Dieser hat die Sorgfaltsverletzung und die Kausalität der Sorgfaltsverletzung für den Schaden zu beweisen (RIS‑Justiz RS0026290; Reischauer in Rummel 3 § 1298 ABGB Rz 4a). Bei Nichtfeststellbarkeit eines objektiv vertragswidrigen Verhaltens des Schädigers ist nach bisheriger Rechtsprechung die Beweislastumkehr nach § 1298 ABGB aber auch bereits dann anwendbar, wenn der Geschädigte beweist, dass nach aller Erfahrung die Schadensentstehung auf ein wenigstens objektiv fehlerhaftes (vertragswidriges) Verhalten des Schädigers zurückzuführen ist (RIS‑Justiz RS0026290). In der Entscheidung 1 Ob 664/90, JBl 1991, 453 f, wurde unter Hinweis auf die oben zitierte Ansicht Koziols ausgeführt, in Fällen, in denen die Verhältnisse in der Sphäre des Schuldners für den Gläubiger nicht durchschaubar seien, sei eine Umkehr der Beweislast nach § 1298 ABGB geboten. Falle zB ein größerer Gegenstand von einer höheren Montageebene eines Bauwerks herab, erscheine der Schluss gerechtfertigt, dass der kausal handelnde Schuldner die ihm obliegende Sorgfaltspflicht verletzt habe, weshalb die Aufteilung der Beweislast nach Gefahren‑ und Verantwortungsbereichen gerechtfertigt sei, dh nach jenen Bereichen, die der Schuldner zu beherrschen vermag. Bei Ungeklärtbleiben des Absturzes des Holzpfostens treffe daher die Beklagte die Beweislast, dass sie oder ihre Leute daran keine Sorgfaltspflichtverletzung und kein Verschulden traf.
3.5.2 Nach diesen soeben zitierten Entscheidungen greift eine (eingeschränkte) Beweislastumkehr bereits dann Platz, wenn dem Geschädigten der Nachweis eines Schadens und der Kausalität sowie zumindest eines ‑ ein rechtswidriges Verhalten indizierendes ‑ objektiv rechtswidrigen Zustands gelungen ist. Dem Schädiger steht dann der Entlastungsbeweis offen. Dieses Ergebnis ist auf den vorliegenden Fall übertragbar:
3.5.3 Der Kläger hat im bisherigen Verfahren nachgewiesen, dass zu einem Zeitpunkt, zu dem sich viele Kunden im Geschäft befanden, am Boden in einem stark frequentierten ‑ zur Kassa führenden ‑ Gang eine Lacke vorhanden war, die entstanden ist, weil aus einer schadhaften, im Geschäftslokal zum Verkauf angebotenen Getränkedose Flüssigkeit ausgeronnen ist. Das Bestehen einer derartigen Gefahrenquelle in einem häufig frequentierten Bereich wie dem Kassenbereich lässt (aller Erfahrung nach) darauf schließen, dass die geforderte Kontroll‑ und Beseitigungspflicht nicht eingehalten wurde. Der Kläger hat somit den Nachweis eines zumindest abstrakt pflichtwidrigen Verhaltens bzw eines objektiven Mangels in der Sphäre des Schädigers erbracht, weshalb der Schluss gerechtfertigt erscheint, die Beklagte bzw ihre Mitarbeiter hätten nicht sorgfaltskonform ‑ also entsprechend dem gebotenen Sorgfaltsmaßstab ‑ gehandelt. Bereits dieser Nachweis kann als Anknüpfungspunkt für die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB genügen.
3.5.4 Als Konsequenz ist daher festzuhalten, dass im vorliegenden Fall der Beklagten der Beweis dafür obliegt, dass es zur Entstehung und zum Aufrechtbleiben der Gefahrenquelle ohne Sorgfaltsverstoß (von ihr bzw ihren Mitarbeitern) gekommen ist. Dieses Ergebnis berücksichtigt, dass die Beklagte sachnäher ist, weil nur sie Einblick in die von ihr entwickelten Reinigungs‑ und Kontrollmaßnahmen und deren tatsächliche Handhabung zum Unfalltag hat.
3.5.5 Um zu klären, ob der Beklagten tatsächlich eine Sorgfaltsverletzung zur Last zu legen ist, ist zu beurteilen, welche Pflichten von ihr bzw ihren Mitarbeitern einzuhalten waren und welche allenfalls verletzt wurden.
3.5.5.1 Grundsätzlich ist die Festlegung des konkreten Inhalts einer Verkehrssicherungspflicht, also hier die Festlegung, unter welchen Umständen bestimmte Reinigungs- und Kontrollmaßnahmen dem Geschäftsinhaber zur Abwehr von Gefahren noch zumutbar sind (oder schon die Grenze der Zumutbarkeit übersteigen), wegen der gänzlich unterschiedlichen Gegebenheiten selbst bei gleichartigen Anlagen nicht möglich. Ihre Beurteilung hängt jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab (1 Ob 114/08h mwN).
3.5.5.2 Das Erstgericht vertrat die Ansicht, die aus der Verkehrssicherungspflicht erwachsende Pflicht, das Geschäftslokal in gefahrlosem Zustand zu halten, bedeute, dass regelmäßige (in bestimmten Intervallen zu erfolgende) Kontrollen hinsichtlich etwaig entstandener Gefahren stattzufinden haben. Der Reinigungsplan der Beklagten sehe aber keine regelmäßigen Kontrollen vor, sondern halte die Mitarbeiter lediglich an, im Zuge anderer Arbeiten auch auf die Sauberkeit zu achten. Wenn in Zeiten hoher Kundenfrequenz die Mehrheit der Mitarbeiter mit dem Kassieren beschäftigt sei und nicht Arbeiten in den Gängen des Verkaufslokals durchführe, entstünden Kontrolllücken.
3.5.5.3 Das Berufungsgericht vertrat hingegen die Ansicht, permanente Kontrollen des Bodens durch die Mitarbeiterinnen der Beklagten würden zu einer Überspannung der Verkehrssicherungspflichten führen, weshalb das von der Beklagten entwickelte (abstrakte) System der „Reinigung bei Bedarf“ grundsätzlich nicht zu beanstanden sei.
3.5.5.4 Nach der bereits oben wiedergegebenen Rechtsprechung hat der Geschäftsinhaber das Geschäftslokal in gefahrlosem Zustand zu erhalten; es sind ihm aber nur mögliche und zumutbare Pflichten zur Vermeidung von Gefahren aufzuerlegen. Der Bedarf an Kontrollen des Fußbodens in einem Supermarkt auf Verunreinigungen wird daher im Einzelfall stets von verschiedensten Faktoren abhängig sein, wie der Kundenfrequenz und dem Gefahrenpotential, das von den zum Verkauf angebotenen Waren ausgeht, aber auch von Umständen wie der Witterung, der Größe des Geschäftslokals etc. Erhöhtem Gefahrenpotential wird durch erhöhte Sorgfaltspflichten (Kontroll- und Reinigungstätigkeiten) zu begegnen sein. Sicherungsmaßnahmen sind nämlich umso eher zumutbar, je größer die Gefahr und die Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung ist. Die Einhaltung eines ‑ den erforderlichen Schutz‑ und Sorgfaltspflichten entsprechenden ‑ Kontrollsystems wird darüber hinaus wohl auch eine gewisse zeitliche Regelmäßigkeit voraussetzen. Unzweifelhaft kommt es daher nicht allein auf die „abstrakte“ Eignung des Kontrollsystems der Reinigung „nach Bedarf“ an, sondern ist maßgeblich, wie dieses Kontrollsystem gerade vor dem Unfall bei der damals gegebenen starken Kundenfrequenz mit der vorhandenen Anzahl an Mitarbeitern gehandhabt und umgesetzt wurde. Es ist also von Bedeutung, ob und allenfalls wie es zu Kontrollen des Bodens an der späteren Unfallstelle gekommen ist, allenfalls wie oft und wann zuletzt vor dem Unfall. Maßgeblich erscheint insbesondere auch, ob die im Nebengang zum Zeitpunkt des Sturzes des Klägers gerade im Einsatz gewesene Reinigungsmaschine unmittelbar vor dem Unfall auch an der Unfallstelle zum Einsatz gekommen ist oder dies nicht der Fall war. Die von der Beklagten gezogene (allgemeine) Schlussfolgerung, infolge ihrer ‑ im Zuge der Erarbeitung von Verkaufsstandards entwickelten ‑ generellen Anweisungen an ihre Mitarbeiter und der diesen übertragenen persönlichen Verantwortlichkeit könne ausgeschlossen werden, dass sich die Verunreinigung bereits längere Zeit am Boden befunden habe, weshalb jedes Verschulden zu verneinen sei („was nicht sein darf, kann nicht sein“), reicht jedenfalls nicht aus, um den der Beklagten obliegenden Entlastungsbeweis als gelungen anzusehen.
4. Da die vom Erstgericht in diesem Zusammenhang bisher getroffenen Feststellungen aufgrund der dargelegten Erwägungen für eine abschließende Beurteilung der Frage, ob der Beklagten im konkreten Fall eine Sorgfaltspflichtverletzung zur Last zu legen ist, nicht ausreichen, ist eine Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und eine Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung notwendig. Im fortgesetzten Verfahren werden unter Berücksichtigung des beiderseitigen Prozessvorbringens ergänzende Feststellungen insbesondere über die tatsächliche Umsetzung und Handhabung des Reinigungs- und Kontrollsystems bezogen auf die Situation zum Unfallzeitpunkt zu treffen sein.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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