OGH 1Ob8/24v

OGH1Ob8/24v24.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. C*, vertreten durch die Laback Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. W*, Rechtsanwalt, *, vertreten durch Dr. Manfred Steininger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 212.446,92 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 178.246,92 EUR sA und Feststellung) gegen dasUrteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 15. November 2023, GZ 11 R 253/23s‑128, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00008.24V.0724.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] In einem arbeitsgerichtlichen Verfahren (in der Folge: Vorverfahren) begehrte die geschiedene Frau des Klägers (in der Folge: Frau) gegenüber diesem als dortigen Beklagten die Feststellung, dass das seit 1. 5. 2002 bestehende Dienstverhältnis als Ordinationsangestellte nach wie vor unbefristet aufrecht sei, sowie die Zahlung eines ausständigen Entgelts. Die vom dortigen Beklagten (nunmehrigen Kläger) am 5. 12. 2013 schriftlich ausgesprochene Kündigung zum 31. 12. 2013 sei unwirksam, weil ihr seit 24. 11. 1992 die Stellung als begünstigte Behinderte nach dem BEinstG zukomme, der Behindertenausschuss der Kündigung nicht zugestimmt und der dortige Beklagte (jetzige Kläger) außergerichtlich auf die Aufkündigung des Dienstverhältnisses bis zur Erreichung des Regelpensionsalters verzichtet habe. In diesem Verfahren wurde der Kläger vom beklagten Rechtsanwalt vertreten, der in der Tagsatzung vom 31. 3. 2014 ein Anerkenntnis abgab, worauf das Gericht ein Anerkenntnisurteil fällte, das in der Folge rechtskräftig wurde.

[2] Der Kläger begehrt vom beklagten Rechtsanwalt wegen diesem anzulastender Beratungs- und Vertretungsfehler Schadenersatz und die Feststellung von dessen Haftung für künftige Schäden. Zwischen ihm und der Frau habe bloß ein Scheinarbeitsverhältnis bestanden. Darüber hinaus habe er seine Ordination am 1. 10. 2006 in eine OEG eingebracht, womit das Arbeitsverhältnis auf diese übergegangen sei. Obwohl ihm diese Umstände bekannt gewesen seien, habe der Beklagte weder die Nichtigkeit des Dienstverhältnisses noch seine mangelnde passive Legitimation eingewendet, sondern ein Anerkenntnis abgegeben. Dadurch sei ihm ein Schaden von insgesamt 178.246,92 EUR erwachsen. Weitere Schäden aus Entgeltzahlungen an die Frau seien auch in Zukunft zu erwarten und derzeit noch nicht bezifferbar.

[3] Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts, mit dem es das Klagebegehren abgewiesen hatte, und ließ die Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[4] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revisiondes Klägers, die keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen kann.

[5] 1. Wenn ein Rechtsanwalt eine pflichtwidrige Unterlassung zu verantworten hat, hängt seine Schadenersatzpflicht gegenüber dem Mandanten von der Kausalität dieses Fehlverhaltens für den Eintritt des behaupteten Schadens ab. Den Geschädigten trifft die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass der Schaden bei pflichtgemäßem Handeln des Rechtsanwalts nicht eingetreten wäre (RS0022700).

[6] Dazu ist der mutmaßliche Erfolg der pflichtwidrig unterlassenen Schritte zu ermitteln. Das mit dem Schadenersatzanspruch befasste Gericht hat den Vorprozess daher hypothetisch nachzuvollziehen und zu beurteilen, wie das Verfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit geendet hätte (RS0022706 [T6]). Das Regressgericht hat seiner Entscheidung den Sachverhalt zu Grunde zu legen, der dem Gericht des Vorverfahrens bei pflichtgemäßem Verhalten des Rechtsanwalts unterbreitet und von ihm aufgeklärt worden wäre (RS0127136). Geht es bei dieser hypothetischen Beurteilung um die Klärung strittiger Tatfragen, ist das Ergebnis dieser Prüfung als in dritter Instanz unanfechtbare Tatsachenfeststellung zu werten (RS0022706 [T5]), während deren rechtliche Beurteilung revisible Rechtsfrage ist (vgl RS0115755 [T4]).

[7] 2. Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die zusammengefasst zum Ergebnis gelangten, dass der Kläger im Vorverfahren jedenfalls unterlegen wäre, entsprechen diesen Grundsätzen. Demgegenüber kann der Kläger mit seinen in dritter Instanz noch aufrecht gehaltenen Argumenten weder eine erhebliche Rechtsfrage noch eine im Einzelfall allenfalls aufzugreifende Fehlbeurteilung darlegen:

[8] 2.1. Bei einem Scheingeschäft wollen die Parteien einverständlich schon bei Geschäftsabschluss die mit dem Rechtsgeschäft verbundenen Rechtsfolgen nicht oder nicht so wie vertraglich niedergelegt eintreten lassen (2 Ob 185/14s mwN; RS0018149). Wer sich auf ein Scheingeschäft beruft, muss das Vorliegen der Voraussetzungen hierfür beweisen. Entscheidende Bedeutung kommt dabei der Absicht der Beteiligten zu (RS0018103; RS0018129). Das gilt auch bei arbeitsvertraglichen Scheinkonstruktionen zwischen Ehegatten (vgl etwa 2 Ob 185/14s).

[9] 2.1.1. Nach den Feststellungen des Erstgerichts hat der Kläger die Frau ab 1. 5. 2002 als Ordinationsgehilfin angemeldet und ihr das vereinbarte Gehalt stets ausbezahlt. Erst nach seinem Auszug aus der vormaligen ehelichen Wohnung im August 2007 hat er ihr keine Arbeit mehr zugeteilt und erstmalig die Kündigung des Dienstverhältnisses zum 31. 12. 2008 ausgesprochen, diese jedoch wieder zurückgenommen, nachdem er erfahren hatte, dass sie zum Kreis der Begünstigten gemäß § 2 Abs 1 BEinstG gehörte. In einem darauf von der Frau am 25. 4. 2008 gegen den Kläger wegen Feststellung, dass das Dienstverhältnis aufrecht sei, und rückständiger Gehaltszahlungen eingeleiteten Verfahren hat er nur die Gehaltsforderung bestritten, darüber letztlich aber einen Vergleich geschlossen.

[10] 2.1.2. Diese Sachlage spricht ausreichend deutlich für den Willen zum (ausdrücklichen) Abschluss eines Dienstvertrags (vgl wiederum 2 Ob 185/14s mwN). Damit ist es auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht dem Standpunkt des Klägers, es sei nach der Parteienabsicht von Anfang an kein Dienstvertrag gewollt gewesen, nicht zu folgen vermochte und zum Ergebnis gelangte, dass im Vorverfahren ein Scheindienstverhältnis nicht mit Erfolg eingewendet werden hätte können. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Anmeldung der Frau erfolgte, damit diese sozialversichert ist, wie der Kläger unter Berufung auf die Feststellungen betont. Es trifft zwar zu, dass die Anmeldung zur Sozialversicherung für das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses nicht von konstitutiver Bedeutung ist, sondern nur ein Indiz dafür sein kann (RS0021265). Das Berufungsgericht hat die Anmeldung zur Sozialversicherung aber ohnedies nicht als allein ausschlaggebendes Kriterium seiner Beurteilung angesehen. Es ist auch nicht von den Feststellungen abgewichen oder hat diese ergänzt, wenn es aus dem festgestellten Sachverhalt ableitete, dass die Frau bis August 2007 Arbeitsleistungen für den Kläger erbrachte. Dabei handelt es sich um eine Frage der Auslegung der Urteilsfeststellungen, die im Einzelfall (dazu RS0118891) nicht zu beanstanden ist.

[11] 2.1.3. Nachträgliche Vereinbarungen, von einem (wirksamen) Vertrag keinen oder nur beschränkten Gebrauch zu machen, rechtfertigen nicht die Annahme eines Scheingeschäfts (RS0018121). Damit ist der Umstand, dass er der Frau ab einem bestimmten Zeitpunkt keine Arbeit mehr zugeteilt hat, sie bloß formal weiterbeschäftigt wurde und ein Gehalt ohne Gegenleistung bezog, für die Beurteilung, ob früher ein Scheindienstverhältnis begründet worden war, bedeutungslos. Dass das (reguläre) Dienstverhältnis nach August 2007 einvernehmlich (konkludent) aufgelöst, nur zum Schein fortgesetzt und in Wahrheit durch eine (konkludente) Unterhaltsvereinbarung ersetzt worden wäre, behauptet der Kläger in seinem Rechtsmittel erst gar nicht.

[12] 2.1.4. Das Verbot der Überraschungsentscheidung bedeutet nicht, dass Gerichte ihre Rechtsansicht kundtun müssten (RS0122749). In der anderen rechtlichen Wertung des vom Kläger in erster Instanz vorgebrachten Standpunkts, das Dienstverhältnis zur Frau sei nur zum Schein eingegangen worden, liegt daher keine Verletzung der richterlichen Anleitungspflicht (RS0037300 [T51]).

[13] 2.2. Der Kläger stützt sich in Bezug auf den hypothetischen Kausalverlauf auf ein erstinstanzliches Urteil in einem arbeitsgerichtlichen Prozess, den er (mit einem anderen Anwalt) zwei Jahre nach dem hier zu beurteilenden Verfahren führte. Dort hatte er neuerlich gekündigt und der wieder auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses gerichteten Klage der Frau ua das Vorliegen eines bloßen Scheindienstverhältnisses entgegengehalten. Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit dieser Begründung ab. Das Berufungsgericht gab dem Begehen demgegenüber statt, weil sich der Kläger wegen des Anerkenntnisurteils nicht auf das Nichtbestehen des Dienstverhältnisses berufen könne. Der Kläger ist der Auffassung, dass die Rechtsansicht des Erstgerichts dem hypothetischen Kausalverlauf im hier zu beurteilenden Verfahren zugrunde zu legen sei.

[14] Eine Begründung dafür ist allerdings nicht erkennbar. Selbst wenn das Urteil des Erstgerichts rechtskräftig geworden wäre, hätten die subjektiven Grenzen der Rechtskraft (1 Ob 28/15x mwN) den am Verfahren nicht beteiligten Beklagten nicht erfasst. Aufgrund der Abänderung durch das Berufungsgericht liegt auch kein Urteil (mehr) vor, das allenfalls Tatbestandswirkung äußern könnte. Es ist daher nicht weiter zu prüfen, ob und mit welcher Begründung in der vorliegenden Konstellation überhaupt eine Tatbestandswirkung angenommen werden könnte, die letztlich auf eine Bindung des Beklagten an Ergebnisse eines ohne seine Beteiligung geführten Verfahrens hinausliefe (vgl dazu Klicka in Fasching/Konecny 3 § 411 Rz 172 mwN).

[15] 2.3. Nach § 3 Abs 1 AVRAG tritt im Falle des Übergangs eines Unternehmens, Betriebs oder Betriebsteils auf einen anderen Inhaber dieser als Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse ein. Ein Ex‑lege‑Übergang des Arbeitsverhältnisses gemäß dieser Bestimmung kann nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs aber durch eine Vereinbarung zwischen allen betroffenen Parteien (Veräußerer, Erwerber, Arbeitnehmer) vermieden werden, wenn der Verbleib beim ursprünglichen Arbeitgeber für den Arbeitnehmer günstiger ist (RS0122202).

[16] Nach den Feststellungen hat der Kläger sein Unternehmen (die Ordination) am 1. 10. 2006 zwar in eine OEG eingebracht. Dazu steht aber auch fest, dass die neu gegründete Gesellschaft nicht in das Arbeitsverhältnis zur Frau eingetreten ist. Berücksichtigt man das nachfolgende Verhalten des Klägers (Kündigung des Arbeitsverhältnisses im eigenen Namen, Zurücknahme der Kündigung, Zahlung des Gehalts durch ihn) kann am Vorliegen einer (allenfalls konkludenten) Vereinbarung, dass das Arbeitsverhältnis mit der Frau beim Kläger verbleiben und nicht auf die Gesellschaft übergehen sollte, kein Zweifel bestehen. Damit kann der Kläger mit seinem Hinweis, er sei im Vorverfahren passiv nicht legitimiert gewesen, was der Beklagte einwenden hätte müssen, nicht darlegen, dass ein solcher Einwand zum Prozesserfolg geführt hätte und eine Fehlbeurteilung der Vorinstanzen vorläge.

[17] 3. Ein prozessuales Anerkenntnis ist eine nur den Regeln des Prozessrechts unterworfene Prozesshandlung, die dem Gericht die Möglichkeit nimmt, die materielle Rechtslage zu prüfen (RS0040792; RS0040845). Das auf einer solchen Parteiendisposition beruhende (Anerkenntnis‑)Urteil wird der gleichen materiellen Rechtskraft teilhaftig wie die nach einem kontradiktorischen Verfahren gefällte Entscheidung (RS0120239). Sind daher die Vorinstanzen vertretbar davon ausgegangen, dass das Vorverfahren auch bei dem nach Ansicht des Klägers pflichtgemäßen Verhalten des Beklagten verlorengegangen wäre, ist auch nicht zu erkennen, inwieweit das von ihm abgegebene Anerkenntnis für den nunmehr behaupteten Schaden kausal sein soll. Damit fehlt es insgesamt an den Voraussetzungen für eine Haftung des Beklagten für bereits erlittene oder allenfalls zukünftige Schäden.

[18] 4. Die übrigen vom Kläger behaupteten Mängel des Verfahrens vor dem Berufungsgericht, soweit er damit nicht ohnedies eine bereits von diesem verneinte Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens geltend macht, die in dritter Instanz nicht mehr aufgegriffen werden kann (vgl RS0042963; RS0043919), wurden geprüft; sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

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