European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00042.23V.0215.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
I. Der Revision wird nicht Folge gegeben.
II. Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird mit der Maßgabe bestätigt, dass sie zu lauten hat:
„1. Der zwischen der klagenden Partei und der erstbeklagten Partei abgeschlossene Kaufvertrag vom 21. 2. 2012 über den Ankauf des Kfz VW Tiguan Sky TDI BMT, FahrgestellNr: *, um 28.190 EUR, wird aufgehoben.
2. Die Klagsforderung gegen die erstbeklagte Partei besteht mit 24.356,16 EUR zu Recht.
3. Die Gegenforderung der erstbeklagten Partei besteht mit 676,56 EUR zu Recht.
4. Die Klagsforderung gegen die zweitbeklagte Partei besteht mit 23.679,60 EUR zu Recht.
5. Die Gegenforderung der zweitbeklagten Partei besteht nicht zu Recht.
6. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 23.679,60 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe des Kfz VW Tiguan Sky TDI BMT, FahrgestellNr: * zu bezahlen, die erstbeklagte Partei samt 4 % Zinsen pa aus 28.190 EUR von 3. 3. 2012 bis 30. 8. 2018, aus 24.356,16 EUR von 31. 8. 2018 bis 15. 6. 2020 und aus 23.679,60 EUR ab 16. 6. 2020 und die zweitbeklagte Partei samt 4 % Zinsen pa aus 24.356,16 EUR von 31. 8. 2018 bis 15. 6. 2020 und aus 23.679,60 EUR ab 16. 6. 2020.
Das Mehrbegehren, die beklagten Parteien seien darüber hinaus schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen weitere 676,56 EUR Zug um Zug gegen Rückstellung des genannten Kfz zu bezahlen, sowie das Zinsenmehrbegehren werden abgewiesen.
Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 10.525,30 EUR (darin 2.333,30 EUR Barauslagen und 1.365,33 EUR USt) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
7. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 4.975,69 EUR (darin 619,73 EUR USt und 1.257,30 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Die beklagten Parteien sind weiters zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 1.725,72 EUR (darin 287,62 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin kaufte am 21. 2. 2012 von der erstbeklagten Vertragshändlerin einen neuen Pkw um 28.190 EUR. Das Fahrzeug ist von seiner Herstellerin, der Zweitbeklagten, mit einem Dieselmotor Type EA189 ausgestattet. Dieser sah eine Umschaltlogik vor, die zwischen dem Prüfstandmodus und dem normalen Fahrbetrieb unterschied. Im Prüfstand wurden aufgrund der Umschaltlogik die Stickoxid‑/NOx‑Wertgrenzen eingehalten, im normalen Fahrbetrieb hingegen nicht. Das Vorhandensein der beiden Betriebsmodi war weder notwendig, um den Motor vor Beschädigungen zu schützen, noch um eine Verkehrssicherheit zu gewährleisten.
[2] Die Klägerin und die Erstbeklagte hatten bei Abschluss des Kaufvertrags davon keine Kenntnis, es wurden auch keine Gespräche über Abgaswerte geführt. Hätte die Klägerin von der Software gewusst, hätte sie das Fahrzeug dennoch gekauft.
[3] Durch ein am 21. 11. 2016 vorgenommenes Software‑Update wurde die ursprüngliche Umschaltlogik beseitigt, aber dafür ein „Thermofenster“ implementiert. Dieses bewirkt, dass die Abgasrückführung auch außerhalb des Prüfstands funktioniert, aber im niedrigen und hohen Temperaturbereich sukzessive abnimmt bis hin zur gänzlichen Abschaltung. Die Verwendung eines Thermofensters ist grundsätzlich notwendig, um eine Versottung und Verkokung des Motors, insbesondere bei winterlichen Temperaturen, zu verhindern. Ob „der Temperaturbereich“ nur bei Außentemperaturen zwischen 15°C und 30°C eingehalten wird, konnte nicht festgestellt werden. Auswirkungen auf die Fahrbarkeit oder den durchschnittlichen Kraftstoffverbrauch des Fahrzeugs hatte das Software‑Update nicht. Das Klagsfahrzeug verfügte durchgehend über eine Typengenehmigung und Zulassung.
[4] Das Klagsfahrzeug wies bei Schluss der Verhandlung einen Kilometerstand von rund 40.000 auf. Es hatte zu diesem Zeitpunkt einen Zeitwert von 11.000 EUR und einen Wiederbeschaffungswert von 13.500 bis 14.000 EUR. Ein Wertverlust aufgrund der ursprünglich vorhandenen Abschalteinrichtung ist nicht eingetreten.
[5] Die Klägerin begehrte, gestützt auf List und Irrtum, Gewährleistung und Schadenersatz, gegenüber der Erstbeklagten Wandlung des Kaufvertrags und gegenüber beiden Parteien Zahlung von 24.356,15 EUR, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Zwei Eventualbegehren sind auf Zahlung von 6.000 EUR sowie auf Feststellung der Haftung der Beklagten für allfällige künftige Schäden aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung gerichtet. Im Zahlungsbegehren ist ein Betrag von 3.833,84 EUR berücksichtigt, den sich die Klägerin als Benützungsentgelt anrechnen lässt.
[6] Die Beklagten wandten – soweit im Rechtsmittelverfahren noch relevant – ein, das Fahrzeug sei rechtlich und tatsächlich mängelfrei. Das Software‑Update sei von der Typengenehmigungsbehörde KBA als zulässig bestätigt worden. Eine Irrtumsanfechtung scheide gegenüber beiden Parteien aus, zumal die Erwartungen der Klägerin an das Fahrzeug erfüllt worden seien. Die Ansprüche seien im Übrigen verjährt.
[7] Für den Fall der Klagsstattgebung wandten die Beklagten eine Gegenforderung an Benützungsentgelt in Höhe von 17.190 EUR ein.
[8] Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Die ursprünglich im Klagsfahrzeug verbaute Umschaltlogik sei eine nach der VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung gewesen. Dieser Mangel sei durch das Software-Update aber behoben worden, weshalb der Klägerin gegenüber der Erstbeklagten weder primäre noch sekundäre Gewährleistungsbehelfe zustünden.
[9] Eine Irrtumsanfechtung scheitere bereits an der mangelnden Kausalität des Irrtums, weil die Klägerin den Pkw auch dann zu den selben Bedingungen gekauft hätte, wenn sie von der Umschaltlogik informiert gewesen wäre. Eine Anfechtung des Vertrags wegen List komme mangels einer Täuschungshandlung der Erstbeklagten nicht in Frage, das Wissen der Zweitbeklagten sei ihr nicht zuzurechnen. Es sei der Klägerin kein Schaden entstanden.
[10] Gegenüber der Zweitbeklagten scheitere der Anspruch nach § 874 ABGB an mangelnder Kausalität für den Kaufentschluss der Klägerin, da sie den Pkw auch ohne die behauptete vorsätzliche Irreführung zu den selben Bedingungen gekauft hätte.
[11] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerin Folge. Es gab dem Hauptbegehren statt, stellte die Klagsforderung als mit 24.356,16 EUR und die Gegenforderung mit 676,56 EUR als zu Recht bestehend fest und verpflichtete beide Beklagten zur Zahlung der Differenz samt Anhang, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.
[12] Die Erstbeklagte treffe die Beweislast dafür, dass sie den ursprünglich vorhandenen Mangel der unzulässigen Abschalteinrichtung behoben habe. Dies erfordere den Nachweis, dass die nun implementierte Steuerung mit Anwendung eines Thermofensters den Anforderungen des Art 5 Abs 2 lit a der VO 715/2007/EG entspricht. Dies sei ihr nach den Feststellungen nicht gelungen, woran auch die Freigabe durch die Typisierungsbehörde nichts ändere.
[13] Der Einwand der Verjährung sei nicht substantiiert vorgetragen worden und nicht berechtigt. Die Verjährungsfrist sei durch den erfolglosen Verbesserungsversuch unterbrochen und die Klage danach rechtzeitig eingebracht worden.
[14] Der Zweitbeklagten als Herstellerin des Motors und des Fahrzeugs sei bezüglich der Umschaltlogik eine arglistige Täuschung sowohl des KBA als auch der Fahrzeugkäufer vorzuwerfen.
[15] Es könne aus den Feststellungen zum hypothetischen Kaufverhalten der Klägerin nicht entnommen werden, dass sie das Fahrzeug auch in Kenntnis der bewussten Manipulation und der dadurch in Frage gestellten Rechtsbeständigkeit der Zulassung erworben hätte. Auch das Schadenersatzbegehren gegenüber der Zweitbeklagten sei daher berechtigt.
[16] Für die Ermittlung des angemessenen Benützungsentgelts sei eine lineare Berechnungsmethode im Verhältnis der gefahrenen Kilometer zur durchschnittlichen Gesamtlaufleistung anzuwenden.
[17] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil seine Entscheidung Rechtsfragen zur Rückabwicklung von Kaufverträgen über vom „Abgasskandal“ betroffene Fahrzeuge, insbesondere auch zur Berechnungsmethode für das Benützungsentgelt, zum Thema habe, deren Bedeutung über den Einzelfall hinausgehe.
[18] Die von der Klägerin beantwortete Revision der Beklagten strebt die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung an.
Rechtliche Beurteilung
[19] Die Revision ist im Sinne des Zulassungsausspruchs zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.
[20] 1. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wird nicht dargestellt. Das Vorbringen der Beklagten, das Berufungsgericht habe die Feststellung, dass die Klägerin das Fahrzeug auch dann zu den selben Bedingungen gekauft hätte, wenn sie vom Vorhandensein der Umschaltlogik Kenntnis gehabt hätte, unrichtig interpretiert und zu Unrecht ein Zugeständnis der Beklagten angenommen, ist als Frage der Auslegung der Urteilsfeststellungen der Rechtsrüge zuzuordnen (RS0118891).
[21] Die Beklagten haben nicht behauptet, dass die Klägerin zu den selben Bedingungen ein Fahrzeug kaufen hätte wollen, das nicht nur eine Abschalteinrichtung aufwies, sondern überdies durch Täuschung des zuständigen Kraftfahrtbundesamts über die Steuerung der Abgasrückführung eine Typisierung erlangt hat und dessen Zulassung dadurch zumindest ex ante nicht sicher rechtsbeständig war. Zu diesem konkreten Thema waren daher auch keine zusätzlichen Beweise aufzunehmen.
[22] 2. Im Zivilprozess hat grundsätzlich jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen (RS0106638; RS0037797). Der Oberste Gerichtshof hat in Entscheidungen zum „Abgasskandal“ bereits wiederholt ausgesprochen, dass die klagende Partei das Vorhandensein einer nach Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG grundsätzlich unzulässigen, nur in Ausnahmefällen zulässigen Abschalteinrichtung zu beweisen hat. Wenn ihr dies – so wie der Klägerin bezüglich der Umschaltlogik – gelingt, muss sie aber nicht nachweisen, dass der einmal unter Beweis gestellte Mangel immer noch vorhanden ist, sondern es ist dann Sache der beklagten Partei nachzuweisen, dass er wirksam beseitigt wurde (allgemein RS0106638 [T2]; 1 Ob 149/22a Rz 46; 6 Ob 155/22w; 8 Ob 21/23f). Soweit das Erstgericht hier keine genauen Feststellungen zum Wirkungsbereich des implementierten Thermofensters treffen konnte, fällt dies nach dem genannten Grundsatz den Beklagten zur Last. Die von der Revision zitierte Rechtsprechung, aus der sie das Gegenteil ableiten will (RS0018553; RS0018687; RS0124755) ist hier nicht einschlägig, da sich die genannten Rechtssätze und Entscheidungen auf die Beweislast für den ursprünglich geltend gemachten Mangel bzw für einen im Zuge der Verbesserung neu aufgetretenen, vom ursprünglichen verschiedenen Mangel beziehen.
[23] 3. Nach den unionsrechtlichen Vorgaben liegt der Nachteil des Käufers eines Fahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung darin, dass dadurch die Gültigkeit der EG‑Typengenehmigung und daran anschließend die der Übereinstimmungsbescheinigung in Frage gestellt werden, was wiederum unter anderem zu einer Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit (Anmeldung, Verkauf oder Inbetriebnahme des Fahrzeugs) und „letztlich“ zu einem Schaden führen kann (EuGH C‑100/21 , QB/Mercedes-Benz Group AG, Rn 84). Der EuGH bejaht damit abschließend den Eintritt eines objektiv-abstrakt zu ermittelnden Schadens allein aufgrund des Kaufvertrags (10 Ob 46/23x; 10 Ob 27/23b Rz 25; Maderbacher, Angemessener Schadenersatz in Abgasfällen, VbR 2023/63, 77). Im Fall des Erwerbs eines mit einer im Sinn des Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs liegt das – den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend einen Schaden im Sinn des § 1293 ABGB bildende – geringere rechtliche Interesse in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit (10 Ob 16/23k Rz 35 f).
[24] Es wäre daher Sache der Beklagten gewesen, zu behaupten und zu beweisen, dass das Klagsfahrzeug bei seinem Kauf mit dem so beschriebenen Nachteil dennoch den Vorstellungen der Klägerin entsprochen hat, dass also diese Abweichung von den gewöhnlich von einem typisierten Neuwagen zu erwartenden Eigenschaften im Einzelfall als vertragsgemäß vereinbart war (vgl RS0107681). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass eine Feststellung, wonach die Klägerin die Abschalteinrichtung in Kauf genommen hätte, weil ihr Umweltfreundlichkeit kein besonderes Anliegen war, diesen relevanten Punkt nicht erfasst und der Beweis damit allein nicht gelungen ist, ist nicht zu beanstanden.
[25] 4. Zur Verjährung von Ansprüchen im Zusammenhang mit dem „Abgasskandal“ hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt festgehalten, dass ein Käufer, der unter Hinweis auf die Betroffenheit seines Fahrzeugs zur Durchführung eines Software‑Updates aufgefordert wird, dieses Verhalten dahin verstehen muss, dass die Gewährleistung aus dem Verkauf eines den geltenden Abgasvorschriften widersprechenden Fahrzeugs anerkannt und auf die Einrede der allenfalls bereits eingetretenen Verjährung verzichtet wird (8 Ob 40/23z uva).
[26] Da der Verbesserungsversuch gescheitert ist, weil das Fahrzeug auch nach dem Software‑Update nicht den geltenden Zulassungsvorschriften entspricht, und es sich dabei auch um keinen bloß geringfügigen Mangel handelt, hat der Kläger Anspruch auf Wandlung des Kaufvertrags (8 Ob 118/23w ua). Die Revisionsausführungen zeigen keine Argumente auf, die ein Abweichen von dieser auch vom Berufungsgericht beachteten, gefestigten Rechtsprechung indizieren könnten.
[27] 5. Ob das Vorhandensein eines als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizierenden Thermofensters aufgrund der zweifelhaften Rechtsbeständigkeit der Typisierung als Rechtsmangel oder, wie der Oberste Gerichtshof in nunmehr ständiger Rechtsprechung judiziert (10 Ob 2/23a; 8 Ob 81/23d ua) als Sachmangel gilt, ist für das Ergebnis ohne Bedeutung (2 Ob 137/23w).
[28] 6. Der Einwand der Zweitbeklagten, sie habe bei der Implementierung des Thermofensters auf die positive fachkundige Beurteilung der Typisierungsbehörde vertrauen dürfen, sodass sie sich in entschuldbarem Rechtsirrtum über die vom EuGH festgestellte Unzulässigkeit (auch) des Software‑Updates befunden habe, ist hier nicht zielführend.
[29] Grundsätzlich hat der Schädiger zu beweisen, dass ihn an der Übertretung eines Schutzgesetzes kein Verschulden trifft (RS0112234 [T1]). Den Standpunkt, dass sie schon an der ursprünglichen, der Typisierungsbehörde verschwiegenen Abschalteinrichtung kein Verschulden getroffen hätte, vertritt die Zweitbeklagte im Revisionsverfahren zu Recht nicht mehr (vgl 3 Ob 121/23z [Rz 23]; 9 Ob 55/23p). Ob der Versuch einer Schadensbeseitigung verschuldet oder unverschuldet fehlschlägt, ist dann aber ohne Auswirkungen. Auch wenn die Zweitbeklagte beim fehlgeschlagenen Verbesserungsversuch hinsichtlich der Zulässigkeit des Thermofensters einem entschuldbaren Rechtsirrtum unterlegen wäre, würde sich nichts an ihrer Haftung ändern (vgl 8 Ob 21/23f ua).
[30] Da die Zweitbeklagte als Herstellerin des Kfz aufgrund der unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung für eine Schutzgesetzverletzung einzutreten hat, kommt es auf die in der Revision angestellten, auf eine Irrtumsanfechtung bezogenen Überlegungen nicht an.
[31] 7. Der Gebrauchsnutzen des Käufers eines Kfz, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, ist in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern aufgrund der Vorgaben des EuGH zur Effektivität des Schadenersatzes linear zu berechnen. Er ist ausgehend vom Kaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch (gefahrene Kilometer) und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer (erwartete Gesamtlaufleistung bei Neufahrzeugen und erwartete Restlaufleistung bei Gebrauchtwagen) zu bestimmen (RS0134263 [T1; T3]; 6 Ob 150/22k). Eine Berechnung nach der Differenz zwischen angemessenem Kaufpreis und Händlereinkaufspreis (so noch 3 Ob 248/08d; 5 Ob 274/09v) wurde in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung für die hier vorliegende Konstellation nicht aufrecht erhalten.
[32] Nach diesem vom Obersten Gerichtshof als sachgerecht erachteten, auch vom Bundesgerichtshof praktizierten Ermittlungsansatz (10 Ob 2/23a Rz 114 mwN) kommt es auf die unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende durchschnittliche Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs und nicht darauf an, welche Gesamtlaufleistung das Fahrzeug unter günstigsten Bedingungen erreichen kann oder in bestimmten Einzelfällen erreicht hat. Der gezogene Gebrauchsvorteil pro gefahrenem Kilometer wird unabhängig davon bemessen, ob der konkrete Nutzer eine schonende oder beanspruchende Fahrweise an den Tag gelegt hat (2 Ob 82/23g Rz 10; 2 Ob 108/23f Rz 11).
[33] Der Anwendung der linearen Berechnungsmethode steht daher auch nicht entgegen, dass die Klägerin das Fahrzeug besonders wenig benützt hat. Das Berufungsgericht hat nach der linearen Methode ein angemessenes Benützungsentgelt von 4.510,40 EUR ermittelt. Die Richtigkeit des Rechenvorgangs selbst wird in der Revision nicht in Frage gestellt.
[34] 8. Die Erstbeklagte haftet der Klägerin aus Gewährleistung für den vorhandenen Sachmangel, dessen Verbesserung fehlgeschlagen ist. Da von keinem geringfügigen Mangel auszugehen ist, kann die Klägerin nach Misslingen des ersten Verbesserungsversuchs Wandlung begehren.
[35] Das im Rahmen der Rückabwicklung des Kaufvertrags zu berücksichtigende Benützungsentgelt hat die Klägerin zum Teil bereits von ihrer Forderung in Abzug gebracht. Der restliche Teil bildet eine Gegenforderung der erstbeklagten Händlerin (vgl 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 85 mwN; 2 Ob 5/23h Rz 52 ua).
[36] Bei der Forderung gegen die Zweitbeklagte, deren Haftung auf Schadenersatz gründet, ist dagegen über Einwendung eine Vorteilsanrechnung vorzunehmen. Dabei ist alles zu berücksichtigen, was der Geschädigte aus dem ungewollten Vertrag zu seinem Vorteil erlangt hat, insbesondere die Nutzung des Fahrzeugs (bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz). Diese Anrechnung des Vorteils hat durch unmittelbaren Abzug von der Klageforderung und nicht in Form einer Gegenforderung zu erfolgen (2 Ob 5/23h Rz 53 mwN).
[37] Das Urteil des Berufungsgerichts war daher mit einer diese Differenzierung berücksichtigenden Maßgabe zu bestätigen.
[38] Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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