OGH 2Ob108/23f

OGH2Ob108/23f27.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, die Hofrätin Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer sowie die Hofräte Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Thomas Kainz, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Vertragsaufhebung und 34.780 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Jänner 2023, GZ 1 R 161/21k-81, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 28. Juli 2021, GZ 20 Cg 31/16m‑70, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00108.23F.0627.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es – unter Einschluss der in Rechtskraft erwachsenen Teile – insgesamt lautet:

„1. Der zwischen der klagenden Partei und der A*, als Rechtsvorgängerin der beklagten Partei am 28. 6. 2010 abgeschlossene Vertrag über den Kauf des Audi A3 Cabriolet 1,6 l TDI Ambition (8P7BE4A2), FIN *, wird aufgehoben.

2. Die Klagsforderung besteht mit 34.780 EUR zu Recht.

3. Die Gegenforderung besteht mit 14.321,85 EUR zu Recht.

4. Die beklagte Partei ist daher schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 20.458,15 EUR samt 4 % Zinsen aus 34.780 EUR seit 1. 10. 2010 bis zur Rechtskraft dieser Entscheidung und 4 % Zinsen aus 20.458,15 EUR ab Rechtskraft Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs Audi A3 Cabriolet 1,6 l TDI Ambition (8P7BE4A2), FIN *, zu zahlen.

5. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei weiters schuldig, der klagenden Partei 14.321,85 EUR Zug um Zug gegen Herausgabe des genannten Fahrzeugs zu zahlen, sowie das Zinsenmehrbegehren werden abgewiesen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.339,06 EUR (darin enthalten 139,80 EUR USt und 1.500,26 EUR Barauslagen) bestimmten anteiligen Verfahrenskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 28. 6. 2010 bei der Rechtsvorgängerin der beklagten Händlerin einen mit einem vom „Abgasskandal“ betroffenen Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestatteten Neuwagen Audi A3 um den Kaufpreis von 34.780 EUR. Das Auto wurde ihr am 1. 10. 2010 übergeben.

[2] Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz (4. 5. 2021) legte die Klägerin 102.946 km zurück. Der Händlereinkaufspreis für ein entsprechendes Fahrzeug unter Berücksichtigung der Laufleistung und der konkreten Verhältnisse des Audi A3 (kleine Schäden bei sonst überdurchschnittlich gutem Erhaltungszustand) betrug zu diesem Zeitpunkt 7.200 EUR. Die erwartete Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs beträgt 250.000 km.

[3] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr die Berechnung des Benützungsentgelts.

[4] Das Erstgericht hob den Kaufvertrag auf, stellte die Klageforderung mit 34.780 EUR (= Höhe des Kaufpreises) und die auf die Zahlung von Benützungsentgelt gestützte Gegenforderung mit 25.500 EUR als zu Recht bestehend fest, verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 9.280 EUR samt 4 % Zinsen daraus seit 1. 10. 2010 Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Das Mehrbegehren wies es (erkennbar) ab. Unter Erörterung verschiedener Methoden zur Berechnung des Benützungsentgelts (lineare Berechnung, Kaufpreis minus Händlereinkaufspreis ua) setzte das Erstgericht das Benützungsentgelt nach § 273 ZPO mit 25.500 EUR fest.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht, jener der Klägerin aber teilweise Folge und bemaß die Höhe des Benützungsentgelts nach § 273 ZPO mit 24.000 EUR. Der sich aus der linearen Berechnung ergebende Betrag von 14.321,85 EUR sei (nur) als Untergrenze zu verstehen, während die von der Beklagten geltend gemachte Wertminderung (Kaufpreis minus Händlereinkaufspreis zum Schluss der mündlichen Verhandlung) in Höhe von 27.850 EUR die Obergrenze bilde. Die Klägerin habe den PKW bis zum Schluss der Verhandlung fast 11 Jahre genutzt, sodass sie den „Vorteil Neuheit“ des PKW weitgehend genossen habe und daher einen zeitbedingten Wertverlust (wenn auch nicht zu Gänze) zu tragen habe.

[6] Das Berufungsgericht ließ die Revision mit Blick auf die über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Rechtsfragen bei der Rückabwicklung von Kaufverträgen über vom „Abgasskandal“ betroffene Kraftfahrzeuge zu.

[7] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin. Die Klägerin strebt unter Hinweis auf 10 Ob 2/23a die Stattgabe der Klage in vollem Umfang an.

[8] Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der mittlerweile ergangenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Berechnung des Benützungsentgelts abgewichen ist. Sie ist auch teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[9] 1.1 Die Klägerin weist zutreffend darauf hin, dass nach der neueren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RS0134263 = 10 Ob 2/23a; zuletzt ebenso 9 Ob 68/22y Rz 31 und 2 Ob 82/23g Rz 8 ff) der Gebrauchsnutzen des Käufers eines Kraftfahrzeugs, der – wie auch im vorliegenden Fall – die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, grundsätzlich in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern linear zu berechnen ist. Der Nutzen ist ausgehend vom Kaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch (gefahrene Kilometer) und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer (erwartete Gesamtlaufleistung bei Neufahrzeugen) zu bestimmen.

[10] 1.2 Dass diese lineare Berechnung bloß die Untergrenze des Ersatzes darstellen soll, ist der Entscheidung 10 Ob 2/23a gerade nicht zu entnehmen. Vielmehr erachtete der Oberste Gerichtshof diese Ermittlungsmethode als sachgerecht (Rz 116).

[11] Soweit die Beklagte einwendet, die Methode lasse die Art und Weise der konkreten Nutzung (Intensität, Pflege, etc) außer Acht, übersieht sie, dass es – nach dem vom Obersten Gerichtshof als sachgerecht erachteten, (auch) vom Bundesgerichtshof praktizierten Ermittlungsansatz (10 Ob 2/23a Rz 114 mwN) – auf die unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende durchschnittliche Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs und nicht darauf ankommt, welche Gesamtlaufleistung das Fahrzeug unter günstigsten Bedingungen erreichen kann oder in bestimmten Einzelfällen erreicht hat. Der gezogene Gebrauchsvorteil pro gefahrenem Kilometer wird unabhängig davon bemessen, ob der konkrete Nutzer eine schonende oder beanspruchende Fahrweise an den Tag gelegt hat (2 Ob 82/23g Rz 10).

[12] Auch das Argument, die Ermittlungsmethode führe gerade bei „Wenigfahrern“ im Hinblick auf die dann objektiv unüblich lange Nutzungsdauer zu unangemessenen Ergebnissen, weil das Fahrzeug mit dem Alter immer weniger dem Stand der Technik sowie den Sicherheits- und Komforterwartungen entspreche, sodass der Gesamtnutzen abnehme, rechtfertigt kein Abgehen von der erst jüngst vom Obersten Gerichtshof als grundsätzlich sachgerecht erachteten Berechnungsmethode. Einerseits liegt der primäre Gebrauchsnutzen eines Fahrzeugs in der Transportleistung. Dieser lässt sich aber am ehesten anhand der gefahrenen Kilometer im Verhältnis zur Gesamtlaufleistung abbilden. Andererseits stellen im Laufe der Zeit sich generell verändernde technische Standards oder Sicherheits- und Komforterwartungen keine den Gebrauchsnutzen eines konkreten Fahrzeugs verändernde Parameter dar. Mit anderen Worten: Nur weil sich allgemein die technischen Standards oder Sicherheits- und Komforterwartungen verändern (erhöhen), nimmt der Gebrauchsnutzen des konkreten Fahrzeugs nicht ab. Die einem bestimmten Fahrzeug zugeordneten (über die Nutzungsdauer gleich bleibenden) Sicherheits- oder Komforteigenschaften finden vielmehr Ausdruck im Kaufpreis, der ohnehin Ausgangspunkt der linearen Berechnung ist. Dass sich die Eigenschaften im Vergleich zu neueren Fahrzeugen allenfalls verschlechtern, verringert nicht den konkreten Gebrauchsnutzen des erworbenen Fahrzeugs.

[13] 1.3 Ausgehend von der erwarteten Gesamtlaufleistung im Erwerbszeitpunkt von 250.000 km und dem damals vereinbarten, marktüblichen Kaufpreis von 34.780 EUR, sowie ausgehend davon, dass die Klägerin das Fahrzeug auch nach Geltendmachung der Wandlung weiter nutzte und bis zum Beurteilungszeitpunkt (§ 193 ZPO) damit 102.946 km zurücklegte, schuldet sie ein Benützungsentgelt von 14.321,85 EUR (34.780 x 102.946/250.000). Die angefochtene Entscheidung war hinsichtlich der Kapitalforderung daher dahin zu ändern, dass der Klägerin 20.458,15 EUR (= Differenz Kaufpreis und Benützungsentgelt) zuzusprechen waren

2. Zinsen

[14] Das Berufungsgericht sprach der Klägerin Verzugszinsen aus dem Kaufpreis vom Tag der Übergabe bis zur Rechtskraft der Entscheidung zu und für die Zeit danach Zinsen aus dem zugesprochen Betrag von 10.780 EUR. Ersteres erwuchs in Rechtskraft. Hinsichtlich der ab Rechtskraft der Entscheidung angefallenen Zinsen war die angefochtene Entscheidung wegen des höheren Zuspruchs entsprechend abzuändern.

3. Kostenentscheidung

[15] 3.1 Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 43 Abs 1 ZPO. Die Klägerin ist mit gut 58 % ihrer Klagsforderung durchgedrungen, sodass hinsichtlich der Vertretungskosten eine Kostenaufhebung gerechtfertigt ist. Die Klägerin hat nach § 43 Abs 1 Satz 3 ZPO Anspruch auf Ersatz von 50 % der von ihr entrichteten Pauschalgebühr (707 EUR). Die Streitteile haben die Sachverständigengebühren jeweils zur Hälfte getragen.

[16] 3.2 Im Berufungsverfahren drang die Klägerin mit knapp 44 % ihrer Berufung durch, sodass es auch diesbezüglich zu einer Kostenaufhebung kommt. Die Klägerin hat Anspruch auf Ersatz von 44 % der von ihr entrichteten Pauschalgebühr (1.219 EUR).

[17] Die Berufung der Beklagten war erfolglos, sodass sie der Klägerin die Kosten für die Berufungsbeantwortung zu ersetzen hat.

[18] 3.3 In dritter Instanz hat die Klägerin ca zu 40 % obsiegt. Sie hat Anspruch auf 40 % der von ihr entrichteten Pauschalgebühren und muss der Gegenseite 20 % der Kosten für die Rechtsmittelbeantwortung ersetzen.

[19] 3.4 Nach Saldierung ergibt sich der im Spruch ausgewiesene Kostenersatzanspruch der Klägerin.

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