OGH 17Ob15/23i

OGH17Ob15/23i25.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch diePräsidentin Hon.‑Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen Mag. Malesich und Dr. Kodek und die Hofräte Dr. Stefula und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R* F*, vertreten durch Wetzl Pfeil & Partner Rechtsanwälte GmbH in Steyr, gegen die beklagte Partei Ing. Mag. W* D*, Rechtsanwalt, *, als Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Dr. S* M*, und der Nebenintervenientin D* AG *, vertreten durch Dr. Haymo Modelhart ua, Rechtsanwälte in Linz, wegen 9.305 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 6. April 2023, GZ 1 R 36/23d‑60, womit das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 23. Jänner 2023, GZ 4 Cg 128/19k‑54, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0170OB00015.23I.0925.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin war bei Dr. S* M* (in Hinkunft: Schuldner) in zahnärztlicher Behandlung. Über dessen Vermögen wurde am 7. Mai 2019 zu 14 S 7/19f des Landesgerichts Steyr das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.

[2] Die Klägerin meldete einen Betrag von 10.450 EUR als Insolvenzforderung an. Der Beklagte bestritt die Forderung vorerst zur Gänze, nahm jedoch später die Bestreitung im Ausmaß von 5.950 EUR (Rückforderung bezahlten Honorars, Sanierungskosten) zurück. Bestritten blieb ein Betrag von 4.500 EUR (Schmerzengeld). Die Klägerin brachte am 22. November 2019 zu 4 Cg 123/19z des Landesgerichts Steyr eine Prüfungsklage auf Feststellung der weiteren Insolvenzforderung von 4.500 EUR ein, der mit rechtskräftigem Urteil vom 12. März 2021 stattgegeben wurde.

[3] Zwischen dem Schuldner und der Nebenintervenientin bestand zum Schadenszeitpunkt ein Haftpflichtversicherungsvertrag. Diesem lagen unter anderem die Allgemeinen und Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHVB und EHVB 2009 idF 2012) und die Besondere Vereinbarung zur Ärztehaftpflichtversicherung 39 L Fassung 2012 zugrunde. Diese lauten auszugsweise:

Allgemeine Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHVB)

„Artikel 1

Was gilt als Versicherungsfall und was ist versichert?

1. Versicherungsfall

1.1 Versicherungsfall ist ein Schadenereignis, das dem versicherten Risiko entspringt und aus welchem dem Versicherungsnehmer Schadenersatzverpflichtungen (Pkt. 2) erwachsen oder erwachsen könnten.

[...]

2. Versicherungsschutz

2.1 Im Versicherungsfall übernimmt der Versicherer

2.1.1 die Erfüllung von Schadenersatzverpflichtungen, die dem Versicherungsnehmer wegen eines Personenschadens, eines Sachschadens oder eines Vermögensschadens, der auf einen versicherten Personen- oder Sachschaden zurückzuführen ist, aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts erwachsen (in der Folge kurz 'Schadenersatzverpflichtungen' genannt):

[...]

Artikel 7

Was ist nicht versichert (Risikoausschlüsse)?

[...]

2. Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen der Personen, die den Schaden, für den sie von einem Dritten verantwortlich gemacht werden, rechtswidrig und vorsätzlich herbeigeführt haben. Dem Vorsatz wird gleichgehalten

2.1 eine Handlung oder Unterlassung, bei welcher der Schadenseintritt mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden musste, jedoch in Kauf genommen wurde (z. B. im Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitsparenden Arbeitsweise);

2.2 die Kenntnis der Mangelhaftigkeit oder Schädlichkeit von hergestellten oder gelieferten Waren oder geleisteten Arbeiten.

[...]“

Ergänzende Allgemeine Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (EHVB)

„Abschnitt A:

Allgemeine Regelungen für alle Betriebsrisken

[...]

3. Bewusstes Zuwiderhandeln gegen Vorschriften

Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt wurde und bewusst – insbesondere im Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitsparenden Arbeitsweise – den für den versicherten Betrieb oder Beruf geltenden Gesetzen, Verordnungen oder behördlichen Vorschriften zuwidergehandelt wurde, und zwar durch einen Versicherungsnehmer oder dessen gesetzlichen Vertreter oder dessen leitenden Angestellten im Sinne des Arbeitsverfassungsgesetzes (BGBl. 22/1974), in der jeweils geltenden Fassung, bzw. über Veranlassung oder mit Einverständnis einer dieser Personen.

[...]“

[4] Obwohl die Karies unter der Kunststofffüllung am Zahn 36 fortgeschritten war, brachte der Schuldner am 17. Februar 2017 bei der Klägerin ein Goldinlay an, ohne die Karies zu entfernen. Karies ist eine weichere Substanz als Zahnschmelz, weshalb der Befall bei der Behandlung erkannt werden kann. Auch nachdem ein halbes Jahr später ein Röntgen angefertigt worden war, aus dem ein Fortschreiten der Karies zu erkennen war, reagierte der Schuldner nicht. Dadurch wurde die Wurzel derart zerstört, dass der Zahn nicht mehr erhalten werden konnte, sondern gezogen werden musste. Diese Behandlung war nicht „lege artis“.

[5] Beim Zahn 25 (und auch beim Zahn 26) war bei der Klägerin ein Eiterherd vorhanden, der im Röntgen durch eine leichte Aufhellung an der Wurzelspitze zu erkennen war. Ein Sofortimplantat darf bei einer Beherdung des Zahns oder auch eines Nachbarzahns nicht eingesetzt werden. Am 22. Juni 2017 wurde der Klägerin bei Zahn 25 trotz der Eiterbeherdungen ein Einzelimplantat gesetzt. Am 29. August 2017 setzte der Schuldner auf das Implantat eine Krone. Das Implantat heilte nicht knöchern ein und hatte bis auf zwei Gewindegänge keinen Kontakt mit dem Kieferknochen. Die Krone war nicht fest verschraubt. Das Implantat und die Krone wurden nicht lege artis gesetzt. Beim Setzen des Implantats am 22. Juni 2017 war derSchuldner und auch dessen Bruder Dr. Sa* M* anwesend; beide führtenBehandlungen an der Klägerin durch. Durch die Fehlbehandlung in der Position 25 war der Zahn 26 in derartigem Ausmaß geschädigt, dass er ebenfalls nicht erhalten werden konnte. Es musste daher ein Knochenaufbau sowie am Zahn 26 ein weiteres Implantat gesetzt werden. Ohne die Fehlbehandlung hätte der Zahn 26 (aufgrund weiterer Schäden) im besten Fall noch zwei bis drei Jahre im Kiefer verbleiben können. Es wäre nach dieser Zeit am Zahn 26 nur ein Implantat und kein Knochenaufbau erforderlich gewesen. Dadurch wären ein Tag mittlere und drei Tage leichte Schmerzen entstanden.

[6] Insgesamt litt die Klägerin durch die unsachgemäßen Zahnbehandlungen und die erforderlichen Sanierungsarbeiten in geraffter Form acht Tage starke und 15 Tage leichte Schmerzen. Darin sind zwei Tage starke und sieben Tage leichte Schmerzen für die Sanierung der Zähne 25 und 26 durch Implantatsetzung und dem Auffüllen des Sinuslifts enthalten.

[7] Es wurden bereits Sanierungsarbeiten durchgeführt. Dafür sind angemessene Kosten von 7.805 EUR angefallen. Für eine Behandlung am Zahn 36 wären zum Zeitpunkt der Behandlung der Klägerin 700 EUR üblich gewesen. Für ein Implantat auf Position 25 inklusive einer Krone wären Kosten von 2.400 EUR üblich gewesen. Der Gesamtpreis für beide gemeinsam hätte 3.000 EUR betragen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die sanierten Positionen erneut sanierungsfällig werden.

[8] Die Klägerin begehrte vom Beklagten zuletzt (unter Berücksichtigung eines im ersten Rechtsgang bereits rechtskräftig abgewiesenen Teils) Zahlung von 9.305 EUR sA bei Exekution in den Deckungsanspruch gegen den Haftpflichtversicherer des Schuldners sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche zukünftige Schäden aus den nicht fachgerecht durchgeführten Behandlungen des Schuldners mit seinem Deckungsanspruch gegen dessen Haftpflichtversicherer. Dieser habe einerseits nicht erbrachte Leistungen verrechnet, andererseits medizinische Kunstfehler zu verantworten. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Rückzahlung geleisteter Behandlungskosten, auf ein angemessenes Schmerzengeld, auf einen Ausgleich für den Verlust des Zahns 36 sowie auf Ersatz der zweckmäßigen und notwendigen Sanierungskosten. Spät‑ und Dauerfolgen seien aufgrund der nicht lege artis durchgeführten Behandlungen nicht auszuschließen. Die Klägerin habe ein Absonderungsrecht nach § 157 VersVG am Deckungsanspruch des Schuldners gegen seinen Haftpflichtversicherer. Bei der Geltendmachung und Durchsetzung dieses Absonderungsrechts gehe es nur um die Haftungsfrage, erst in einem allenfalls anzustrebenden Drittschuldnerprozess sei die Deckungsfrage zu klären. Unabhängig davon bestehe ohnehin Deckungspflicht. Der Versicherer könne sich gegenüber der Klägerin nicht auf seine Leistungsfreiheit berufen, weil es sich um eine Pflichthaftpflichtversicherung handle. Die Klauseln Art 7.2.1, 7.2.2 AHVB und Abschnitt A Z 3 EHVB, deren Voraussetzungen auch nicht vorlägen, würden den Versicherungsschutz der Pflichtversicherung aushöhlen und den vom Gesetzgeber vorgesehenen Schutz des Dritten untergraben, sodass sich der Beklagte und die Nebenintervenientin nicht darauf berufen könnten. Die eingetretenen Schmerzen sowie die angefallenen Sanierungskosten seien Mangelfolgeschäden, für die jedenfalls Deckungspflicht bestehe. Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit seien nicht gegeben, der Schuldner habe die Leistungen schlichtweg nicht mit der Sorgfalt eines Durchschnittszahnarztes erbracht. Dem Schuldner seien auch allfällige Behandlungsfehler seines Bruders – ebenfalls Zahnarzt – zuzurechnen, da dieser als Erfüllungsgehilfe tätig geworden sei.

[9] DerBeklagte bestritt das Klagebegehren und beantragt die Klageabweisung. Das Absonderungsrecht setze einen Haftpflichtversicherungsschutz für entstandene Schäden voraus. Den Absonderungsanspruch habe der Beklagte dem Grunde nach anerkannt und zur Höhe darauf verwiesen, dass der Haftpflichtversicherer des Schuldners die Ansprüche abgelehnt habe.

[10] Die Nebenintervenientin brachte ergänzend vor, das Anerkenntnis durch den Insolvenzverwalter begründe keine Deckungspflicht. Sie sei berechtigt, sich auf alle Bestimmungen der Polizze, der AHVB/EHVB und der Besonderen Bedingungen 39 L zu berufen, die den Umfang des Versicherungsvertrags betreffen. Diese würden nicht gegen gesetzliche Regelungen verstoßen, insbesondere nicht gegen § 52d ÄrzteG oder §§ 158b ff VersVG. Auch in der Pflichtversicherung seien Risikobeschränkungen und Risikoausschlüsse – wie hier – zulässig. Bei den begehrten Beträgen handle es sich um Ansprüche aus Gewährleistung bzw Erfüllung und um Erfüllungssurrogate, die nicht durch den Versicherungsvertrag gedeckt seien. Der Schuldner sei in Kenntnis der Mangelhaftigkeit und Schädlichkeit seiner Leistungen gewesen, was sich aus den systematischen Fehlbehandlungen zahlreicher Patienten ergebe. Der Versicherungsfall sei grob fahrlässig herbeigeführt worden. Die Klägerin sei auch vom Bruder des Schuldners zahnärztlich behandelt worden, dessen Tätigkeit nicht mitversichert sei. Er habe nicht als Erfüllungsgehilfe des Schuldners, sondern als selbständiger Zahnarzt gehandelt, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein. Dies habe der Schuldner auch gewusst. Bei seinem Einsatz hätten sowohl er als auch der Schuldner gegen die geltenden Gesetze, Verordnungen oder behördlichen Vorschriften verstoßen, zumal dieser die ärztliche Berufsberechtigung nicht in uneingeschränkter Form aufgewiesen habe. Die Sanierungskosten würden sich jedenfalls um den vom Sachverständigen angeführten Betrag von 3.100 EUR reduzieren, da Kosten in dieser Höhe auch für die vom Schuldner vorgenommenen Zahnbehandlungsarbeiten bei einer angemessenen Honorierung angefallen wären.

[11] Im ersten Rechtsgang wurde der Beklagte zur Zahlung von 9.305 EUR sA (Schmerzengeld 4.500 EUR, Sanierungskosten 4.805 EUR) bei sonstiger Exekution in den Deckungsanspruch gegen die Haftpflichtversicherung des Schuldners verpflichtet; ein Mehrbegehren von 6.835 EUR sA (Schmerzengeld 2.690 EUR, Rückzahlung Behandlungskosten 1.950 EUR, als Erfüllungssurrogat beurteilte Sanierungskosten 2.195 EUR) wurde abgewiesen. Dem Feststellungsbegehren für die Haftung zukünftiger Schäden, resultierend aus den nicht fachgerecht durchgeführten Behandlungen des Schuldners wurde stattgegeben. Infolge Berufung des Beklagten und der Nebenintervenientin wurde das Urteil in seinem stattgebenden Teil aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

[12] Mit dem nunmehr im zweiten Rechtsgang ergangenen Urteil wies das Erstgericht sowohl das Zahlungsbegehren als auch das Feststellungsbegehren zur Gänze ab und verpflichtete die Klägerin zum Kostenersatz. Für das Bestehen des behaupteten Absonderungsanspruchs sei entscheidend, ob die geltend gemachten Schadenersatzansprüche vom Versicherungsverhältnis des Schuldners und seinem Haftpflichtversicherer umfasst seien. Bei den gegenständlichen Klauseln des Art 7.2 AHVB und Abschnitt A Z 3 EHVB handle es sich um Risikoausschlüsse. Da es der Schuldner bei der Behandlung der Zähne 36 und 25 für möglich gehalten und sich damit abgefunden habe, dass die Behandlungen nicht lege artis und mit weiteren Schäden bzw Schmerzen für die Klägerin verbunden sind, liege Leistungsfreiheit der Nebenintervenientin vor. Mangels Bestehens eines Deckungsanspruchs des Schuldners gegenüber der Nebenintervenientin sei das Klagebegehren abzuweisen.

[13] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Bereits im vorliegenden Prozess, in dem die Klägerin einen Absonderungsanspruch geltend mache, sei die Deckungspflicht der Nebenintervenientin zu prüfen. Art 7.2 AHVB und Abschnitt A Z 3 EHVB seien Risikoausschlüsse, die den von der Pflichthaftpflichtversicherung geforderten Schutz des Dritten nicht entscheidend untergraben, der Bestimmung des § 26c ZÄG nicht widersprechen und daher als zulässig anzusehen seien. Die wirksam vereinbarten Haftungsausschlüsse würden auch gegenüber der Klägerin gelten. Ausgehend von den Feststellungen liege der Risikoausschluss nach Art 7.2.1 AHVB vor. Als ausgebildeter Zahnarzt habe der Schuldner wissen müssen (§ 1299 ABGB), dass das Goldinlay am Zahn 36 erst nach vollständiger Entfernung der Karies eingebracht werden hätte dürfen bzw aufgrund des später erfolgten Kontrollröntgens auf die noch vorhandene Karies reagiert hätte werden müssen und das Implantat am Zahn 25 aufgrund der Beherdung dieses und des Nachbarzahns nicht eingesetzt werden hätte dürfen. Mit seinen grob kunstwidrigen Behandlungen habe er damit bewusst gegen die Regeln der ärztlichen Kunst verstoßen und außerdem bewusst in Kauf genommen, dass der behandelte Zahn 36 (bzw der dem behandelten Zahn 25 benachbarte Zahn) nicht erhalten werden könne. Darüber hinaus habe der Schuldner durch sein Verhalten auch den Ausschluss vom Versicherungsschutz nach Art 7.2.2 AHVB verwirklicht. Dabei reiche für die Leistungsfreiheit des Versicherers aus, dass Kenntnis über die Mangelhaftigkeit oder Schädlichkeit des Verhaltens bestehe. Dies lasse sich aus den Feststellungen des Erstgerichts in Zusammenhang mit der Vermutung für das Vorhandensein der Fähigkeiten und Kenntnisse zur Durchführung einer kunstgerechten Zahnbehandlung ableiten. Dass die bestehenden kunstwidrigen Behandlungen des Schuldners den zur Deckung geforderten Schadenseintritt jedenfalls (mit Wahrscheinlichkeit) „erwarten ließen“, liege auf der Hand.

[14] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei, weil die Frage, ob im vorliegenden Haftungsprozess gegen den Insolvenzverwalter bereits die Frage der Deckungspflicht des Pflichthaftpflichtversicherers des Schuldners umfänglich zu prüfen oder erst nach Pfändung und Überweisung aufgrund eines rechtskräftigen und vollstreckbaren Urteils in einem allfälligen Drittschuldnerprozess zu klären sei, über den Rechtsstreit hinausgehende Bedeutung habe.

[15] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[16] Der Beklagte und die Nebenintervenientin begehren, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[17] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[18] 1. Im zweiten Rechtsgang sind noch die Begehren auf Zahlung von 9.305 EUR (4.500 EUR Schmerzengeld und 4.805 EUR Sanierungskosten) bei Exekution in den Deckungsanspruch gegen die Haftpflichtversicherung des Schuldners sowie auf Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche zukünftige, derzeit nicht bekannten Schäden aus den nicht fachgerecht durchgeführten Behandlungen des Schuldners mit seinem Deckungsanspruch gegen dessen Haftpflichtversicherer Gegenstand.

[19] 2.1 Die §§ 149 bis 158i VersVG beinhalten allgemeine Vorschriften im Rahmen des mit „Haftpflichtversicherung“ übertitelten 6. Kapitels des 2. Abschnitts dieses Gesetzes. Eine Haftpflichtversicherung soll grundsätzlich im Rahmen des Versicherungsvertrags das Risiko abdecken, dass der Versicherungsnehmer von einem Dritten (zu Recht oder zu Unrecht) auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird. Durch derartige Schadenersatzforderungen eines Geschädigten wird das Vermögen des Haftpflichtigen belastet, der mit dem Versicherer abgeschlossene Versicherungsvertrag gibt dem Versicherungsnehmer den Anspruch, ihn von dieser Schuld zu befreien (7 Ob 133/14f mwN).

[20] 2.2 Darüber hinaus kommt dem Geschädigten in der Haftpflichtversicherung ausdrücklich besonderer Schutz zu, obwohl er selbst amVertrag nicht beteiligt ist. Zwar hat er – mit Ausnahmen – gegen den Versicherer keinen direkten Anspruch, sondern ist auf den Schadenersatzanspruch gegen den Versicherungsnehmer beschränkt. Verfügungen des Versicherungsnehmers über die Entschädigungsforderung aus dem Versicherungsverhältnis sind aber zu Gunsten des Geschädigten unwirksam (§ 156 Abs 1 VersVG). Daher haftet dieser Anspruch dem Geschädigten bevorzugt. Auch der exekutive Zugriff durch andere Gläubiger des Versicherungsnehmers auf die Forderung ist gegenüber dem Geschädigten wirkungslos (§ 156 Abs 1 Satz 2 VersVG). Zuletzt dient der Anspruch selbst imInsolvenzverfahren des Versicherungsnehmers primär der Befriedigung des Geschädigten (§ 157 VersVG).

[21] 2.3 Ist über das Vermögen des Versicherungsnehmers ein Insolvenzverfahren eröffnet, so kann der Dritte gemäß § 157 VersVG (insoweit vergleichbar § 110 dVVG) wegen des ihm gegenüber dem Versicherungsnehmer zustehenden Anspruchs abgesonderte Befriedigung aus der Entschädigungsforderung des Versicherungsnehmers verlangen. Der Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer stellt ein Sondervermögen dar, das nicht in die Insolvenzmasse fällt, sondern zur Befriedigung des geschädigten Dritten dient (RS0064041). Ein Absonderungsrecht nach § 157 VersVG kann der Geschädigte nach Insolvenzeröffnung mit Klage gegen den Insolvenzverwalter geltend machen, eine Forderungsanmeldung ist nicht notwendig (RS0064068 [T3]). Die Klage ist grundsätzlich auf Zahlung bei sonstiger Exekution in den Deckungsanspruch zu richten (RS0064068 [T4]). Behauptet der Kläger ein Absonderungsrecht nach § 157 VersVG, so kann er die Feststellung begehren, dass der Insolvenzverwalter für zukünftige Schäden mit dem Deckungsanspruch hafte (RS0128127 [T1]). Hintergrund dafür ist, dass den übrigen Insolvenzgläubigern ansonsten ein ihnen nicht zustehender Vorteil entstünde, würde die Entschädigung einfach in die Insolvenzmasse fallen (vgl RS0112252 = 7 Ob 144/99v, RS0064041; 7 Ob 62/08f, 7 Ob 133/14f, 17 Ob 7/20h, 17 Ob 11/20x).

[22] 3. Zur Frage, ob das Bestehen des Deckungsanspruchs im Absonderungsverfahren zu prüfen ist, wurde in Lehre und Rechtsprechung bisher wie folgt Stellung genommen:

[23] 3.1 In der Entscheidung 7 Ob 62/08f sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass § 157 VersVG nichts darüber aussage, ob der Versicherungsnehmer tatsächlich einen Deckungsanspruch gegen den Versicherer habe oder nicht, sondern einen solchen vielmehr voraussetze.

[24] In 7 Ob 145/13v setzte sich der Oberste Gerichtshof mit dem Absonderungsanspruch nach § 157 VersVG näher auseinander: Der Versicherer haftet nur im Rahmen der von ihm übernommenen Gefahr. Entscheidungswesentlich für das Bestehen eines behaupteten Absonderungsanspruchs des Klägers ist vorerst, ob die geltend gemachten Schadenersatzansprüche vom Versicherungsverhältnis des Schädigers und seiner Haftpflichtversicherung umfasst sind. Der Oberste Gerichtshof prüfte sodann die Zulässigkeit der vom Haftpflichtversicherer vorgenommenen Einschränkung seines Deckungsschutzes und bejahte den Einwand der fehlenden Deckung.

[25] Cohen (Absonderungsrecht des Kostengläubigers in der Insolvenz des Rechtsschutzversicherungsnehmers, ZIK 2015/54 [49]) weist allgemein darauf hin, die Frage, ob dem klagenden Kostengläubiger des Versicherungsnehmers (dort eines Rechtsschutzversicherers) nach § 157 VersVG (analog) ein Absonderungsrecht zugutekomme, sei nicht nur für die Zulässigkeit des Rechtswegs (§ 6 Abs 1 und 2 IO), sondern auch für die Anspruchsberechtigung entscheidend. Die Absonderungsberechtigung sei daher prozess- und materiell‑rechtliche Voraussetzung, mit anderen Worten: sie sei „doppelt relevant“.

[26] Ganter (Die prozessuale Geltendmachung eines Rechts auf abgesonderte Befriedigung in der Insolvenz, NZI 2022, 881 [886]) führt aus, dass das Absonderungsrecht aus § 110 dVVG nach allgemeiner Ansicht einen bestehenden Haftpflichtanspruch voraussetze, es also in einem weiteren Sinn akzessorisch sei. Deswegen sei bereits im Absonderungsstreit die Absonderungsberechtigung mitsamt der Forderung, deretwegen die abgesonderte Befriedigung begehrt wird, zu prüfen. Dabei handle es sich nicht um eine Vorfrage, sondern um einen Bestandteil des Streit‑gegenstands.

[27] Littbarski (in Langheid/Wandt MünchKomm VVG² § 110 Rn 21) vertritt ebenfalls, dass das Absonderungsrecht aus § 110 dVVG einen bestehenden Haftpflichtanspruch voraussetze.

[28] Auch Schultheiß (Das Verteilungsverfahren nach § 109 dVVG in der Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, VersR 2016, 497 [502]) ist der Meinung, dass es sich bei der Absonderungsklage – trotz grundsätzlicher Trennung von Haftpflicht‑ und Deckungsfrage – um einen „hybriden Prozess“ handle, weil die Zahlung „beschränkt auf die Versicherungssumme“ eine Deckung grundsätzlich voraussetze, sodass jedenfalls der evidente Ausschluss jeglichen Deckungsschutzes bereits zur Abweisung wegen Unbegründetheit führe. Die Absonderungsklage sei insofern nicht mit dem „klassischen Haftpflichtprozess“ vergleichbar.

[29] Nunner‑Krautgasser/Reckenzaun (Schadensversicherung und Schadensfälle in der Insolvenz ÖJZ 2019, 22) meinen zwar eingangs, dass zu den Voraussetzungen für das Bestehen eines Absonderungsrechts nach § 157 VersVG der Haftpflichtversicherungsschutz für die entstandenen Schäden zähle und der Geschädigte ohne Deckung auch keine abgesonderte Befriedigung erwarten könne. Allerdings gehen sie in der Folge – aber ohne nähere Begründung – davon aus, dass es bei der Geltendmachung und Durchsetzung des Absonderungsrechts nach § 157 VersVG in einem ersten Schritt nur um die Haftungsfrage gehe. Erst mit einem klagestattgebenden, rechtskräftigen und vollstreckbaren Urteil könne der Kläger gegebenenfalls den Deckungsanspruch pfänden und sich überweisen lassen. Erst im Drittschuldnerprozess sei daher „grundsätzlich“ die Deckungsfrage zu beantworten. Die Frage des Bestehens des Absonderungsrechts sei im Unterschied zu einer herkömmlichen Pfandklage in diesem (ersten) Prozess gegen den Insolvenzverwalter nicht zu beantworten.

[30] Nach Prankl (Absonderungsrecht nach § 157 VersVG: Kein Zurückwechseln zur Schuldklage im Rechtsmittelverfahren nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens RZ 2020, 8 [10]) bestünden zwischen Hypothekarklage und Absonderungsrecht nach § 157 VersVG wesentliche Unterschiede. Während der Pfandgläubiger mit dem Titel die reine Sachhaftung des Pfandbestellers unmittelbar realisieren könne, müsse sich der Geschädigte die Entschädigungsforderung nach den Regeln der Forderungsexekution pfänden und überweisen lassen und gegebenenfalls die Drittschuldnerklage erheben.

[31] Bäuerle in Braun, dIO9 Vor §§ 49–52 Rn 6) geht – ebenfalls ohne nähere Begründung – auch im Zusammenhang mit dem Absonderungsrecht nach § 110 dVVG davon aus, dass Einwendungen aus dem Deckungsverhältnis im Rechtsstreit gegen den Versicherer zu klären seien, sodass der Dritte das Risiko trage, dass ihm zwar ein Haftpflichtanspruch gegen den Schuldner zustehe, die Entschädigungsforderung aber etwa wegen Verfristung, Verjährung oder Obliegenheitsverletzung nicht mehr bestehe.

[32] 3.2 Der erkennende Senat schließt sich der bereits in 7 Ob 145/13v vertretenen Rechtsansicht an. Entscheidungswesentlich für das Bestehen eines behaupteten Absonderungsanspruchs des klagenden Geschädigten ist vorerst, ob die geltend gemachten Schadenersatzansprüche vom Versicherungsverhältnis des Schädigers und seiner Haftpflichtversicherung umfasst sind. Die Ratio des § 157 VersVG liegt – wie eingangs dargestellt – in der Sicherung des Haftungsfonds des Geschädigten, es handelt sich gerade nicht um einen „reinen“ Haftpflichtprozess, gerichtet auf die persönliche Haftung des Schuldners, sondern der Geschädigte macht ein behauptetes Absonderungsrecht geltend. Dieses beinhaltet den Anspruch auf abgesonderte Befriedigung aus bestimmten Sachen/Vermögenswerten des Schuldners (=Sondermasse). Ist die (potentielle) Sondermasse nicht (mehr) vorhanden, kommt eine vorrangige Befriedigung daraus nicht infrage. Die Prüfung des geltend gemachten Absonderungsanspruchs erfordert – bei dessen Bestreitung durch den Insolvenzverwalter und/oder der als Nebenintervenientin beigetretenen Versicherung – damit aber auch die Beurteilung des Bestehens der Sondermasse (hier: den Deckungsanspruch des Schuldners gegenüber seiner Haftpflichtversicherung), weil die Absonderungsberechtigung Bestandteil des Streitgegenstands des Absonderungsverfahrens ist.

[33] 4. Zu prüfen ist nunmehr, ob ein derartiger Deckungsanspruch besteht.

[34] 4.1 Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikobegrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166 [insb T10]; RS0080068).

[35] 4.2 In der obligatorischen Haftpflichtversicherung genießt der Geschädigte zusätzlichen Schutz. Hier ist der Versicherer im Rahmen des versicherten Risikos auch dann haftpflichtig, wenn im Verhältnis zum Versicherungsnehmer Leistungsfreiheit besteht (§ 158c VersVG). Zwar hat der Geschädigte im Regelfall keinen unmittelbaren Ersatzanspruch gegen den Versicherer (§ 158c Abs 5 VersVG), er kann aber zur Hereinbringung seiner Schadenersatzforderung im Exekutionsverfahren den – nur fingierten – Anspruch des Versicherungsnehmers pfänden lassen und dann direkt gegen den Versicherer vorgehen (7 Ob 108/11z, 7 Ob 189/12p).

[36] 4.3 Nach § 158c Abs 1 VersVG bleibt die Verpflichtung des Versicherers in Ansehung des Dritten auch dann bestehen, wenn der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung dem Versicherungsnehmer gegenüber ganz oder teilweise frei ist. „Leistungsfreiheit des Versicherers“ bedeutet allgemein seine einseitige Befreiung von seiner Einstandspflicht für einen Versicherungsfall. Gemäß § 158c Abs 1 VersVG wird ungeachtet der Leistungsfreiheit des Versicherers im Verhältnis zum Versicherungsnehmer oder Mitversicherten im Verhältnis zwischen Versicherer und geschädigtem Dritten das Bestehen eines Versicherungsanspruchs des Versicherungsnehmers oder Mitversicherten fingiert (7 Ob 108/11z, 7 Ob 189/12p).

[37] 4.4 Der Versicherer haftet aber immer nur im Rahmen der von ihm übernommenen Gefahr; die örtlichen, zeitlichen und sachlichen Grenzen der Gefahrenübernahme, also auch die zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer zulässig vereinbarten Ausschlüsse gelten gegenüber dem Dritten, der sich insoweit nicht auf § 158c VersVG stützen kann. Das heißt, die Leistungspflicht des Versicherers kann nicht weiter als bei einem ordnungsgemäßen Versicherungsverhältnis gehen (7 Ob 145/13v; RS0129256).

[38] 4.5 Die Grenze von Risikoausschlüssen liegt jedoch (neben den allgemeinen Grenzen der §§ 864a, 879 Abs 1 und 3 ABGB) in der Umgehung der gesetzlichen Intention einer Pflichthaftpflichtversicherung (vgl 7 Ob 33/10v, 7 Ob 70/14s, 7 Ob 30/18i). Pflichthaftpflichtversicherungen werden regelmäßig dort eingeführt, wo der geschädigte Dritte nach Ansicht des Gesetzgebers besonders schutzwürdig ist, was gegenständlich bereits durch den Direktanspruch des Geschädigten (§ 26c ZÄG) zum Ausdruck kommt (vgl auch 7 Ob 152/06p). Auch wenn keine „all‑risk‑Versicherung“ geboten ist und daher Risikobeschränkungen und -ausschlüsse grundsätzlich möglich sind, dürfen diese den Schutz des Dritten nicht entscheidend untergraben (vgl 7 Ob 152/06p, 7 Ob 33/10v). Der gebotene Inhalt eines Pflichthaftpflichtversicherungsvertrags muss sich daran orientieren, was der Gesetzgeber damit erreichen wollte (7 Ob 70/14s; 7 Ob 30/18i). Ohne besondere gesetzliche Anordnung oder einen entsprechenden gesetzgeberischen Willen läuft dies im Ergebnis auf den Abschluss einer Haftpflichtversicherung mit dem üblichen Deckungsumfang, also auch mit den üblichen Risikoausschlüssen und -begrenzungen, hinaus (RS0125940; 7 Ob 33/10v; 7 Ob 30/18i, 7 Ob 139/18v).

[39] 5. Der Oberste Gerichtshof hatte mit Art 7.2.1, Art 7.2.2 AHVB und Abschnitt A Z 3 EHVB vergleichbare Bedingungen schon mehrfach zu beurteilen und diese für zulässig erachtet.

[40] 5.1 Art 7.2 AHVB schließt parallel zu § 152 VersVG den Versicherungsschutz für Schäden aus, die der Versicherte rechtswidrig und vorsätzlich herbeigeführt hat. Dem Vorsatz wird in Art 7.2.1 AHVB die Inkaufnahme des Schadens, der als Folge einer Handlung oder Unterlassung mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, gleichgestellt. In Art 7.2.2 AHVB wird darüber hinaus (nicht mehr dem Modell des § 152 VersVG entsprechend) dem Vorsatz die Kenntnis der Mangelhaftigkeit oder Schädlichkeit von hergestellten oder gelieferten Waren oder geleisteten Arbeiten ebenfalls gleichgestellt (RS0081692). Gemeinsam ist diesen beiden Bestimmungen, dass sich die Bedenken und der Entschluss des Versicherungsnehmers nicht auf den Schadenserfolg selbst, sondern nur auf einen diesem Erfolg vorgelagerten Umstand beziehen müssen (RS0087592), der im Fall von Art 7.2.1 AHVB eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür begründet, dass es wirklich zum Eintritt des Schadens kommen kann. Ob der Haftpflichtversicherte eine Schadenszufügung in Kauf genommen hat (RS0087591), ist eine Tatfrage (RS0081689). Bei Art 7.2.2 AHVB ist nicht die Inkaufnahme des Schadenseintritts durch den Versicherten erforderlich, da für den Risikoausschluss bereits das positive Wissen von der Mangelhaftigkeit und Schädlichkeit der von ihm geleisteten Arbeit ausreicht (7 Ob 14/18m mwN).

[41] 5.2 Nach der Bestimmung des Abschnitts A Z 3 EHVB ist der Versicherer nur dann leistungsfrei, wenn der Versicherungsfall fahrlässig herbeigeführt wurde und bewusst – insbesondere im Hinblick auf die Wahl einer kosten‑ oder zeitsparenden Arbeitsweise – den für den versicherten Betrieb oder Beruf geltenden Gesetzen, Verordnungen oder behördlichen Vorschriften zuwider gehandelt wird, und zwar durch den Versicherungsnehmer oder dessen gesetzlichen Vertreter oder dessen leitenden Angestellten im Sinn des Arbeitsverfassungsgesetzes. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorhanden sein. Die Leistungsfreiheit des Versicherten setzt daher nicht das Kennenmüssen, das heißt, einen grob fahrlässigen Verstoß gegen Vorschriften voraus, sondern einen bewussten, das heißt, vorsätzlichen Verstoß (7 Ob 99/13d mwN). Der Versicherungsnehmer muss die Vorschrift zwar nicht in ihrem Wortlaut und in ihrem ganzen Umfang kennen, er muss sich aber bei seiner Vorgangsweise bewusst sein, dass er damit gegen Vorschriften verstößt, muss also das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit seiner Handlungsweise haben (vgl RS0052282; 7 Ob 14/18m mwN).

[42] 5.3 Der Kläger erachtet die genannten Risikoausschlüsse nicht vereinbar mit § 26c Abs 1 ZÄG.

[43] 5.3.1 Gemäß § 26c Abs 1 ZÄG soll der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung als Berufspflicht für freiberuflich tätige Zahnärzte normiert werden. Die Regelung orientiert sich in seiner Gestaltung an den Regelungen für Ärzte (§ 52d ÄrzteG), Rechtsanwälte (§ 21a RAO), Musiktherapeuten (§ 34 Musiktherapiegesetz – MuthG) und für allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige und Dolmetscher (§ 2a Sachverständige‑ und Dolmetschergesetz – SDG). Als Höhe der Mindestversicherungssumme wird pro Versicherungsfall der aus der zahnärztlichen Berufsausübung entstandene Schadenersatzanspruch mit 2 Mio EUR festgesetzt (§ 26c Abs 2 ZÄG). Ein weiterer wesentlicher Eckpfeiler der Regelung ist, dass der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung Voraussetzung für die Aufnahme der freiberuflichen Tätigkeit sein soll und diese der Österreichischen Zahnärztekammer nachzuweisen ist (§ 26c Abs 4 ZÄG). Im Übrigen soll der Ausschluss oder eine zeitliche Begrenzung der Nachhaftung des Versicherers unzulässig sein (§ 26c Abs 5 ZÄG).

[44] 5.3.2 Entgegen der Ansicht der Klägerin lässt sich dem klaren Wortlaut der Bestimmung weder eine Erweiterung der grundsätzlich von der Haftpflichtversicherung umfassten versicherten Risiken noch eine Einschränkung der nach dem VersVG zulässigen Risikobeschränkungen entnehmen. Da es nicht Aufgabe des Haftpflichtversicherers ist, vorsätzliches oder diesem gleichgestelltes Verhalten des Versicherungsnehmers zu decken, umgehen die Risikoausschlüsse des Art 7.1.2 und 7.1.2 AHVB sowie des Abschnitts A Z 3 EHVB auch nicht die Intention der vorliegenden Pflichthaftpflichtversicherung. Die – wie aufgezeigt – vom Obersten Gerichtshof bereits als üblich beurteilten Risikoausschlüsse gelten daher auch gegenüber der Klägerin.

[45] 6.1 Das Berufungsgericht ging davon aus, dass die kunstwidrigen Behandlungen des Schuldners (§ 1299 ABGB) die in den Versicherungsbedingungen normierten Risikoausschlüsse Art 7.1.1 und 7.1.2 AHVB verwirklichen würden.

[46] 6.2 § 1299 ABGB führt einen objektiven Sorgfaltsmaßstab von Sachverständigen ein, weshalb der Sachverständige auch für die typischen Fähigkeiten seines Berufsstandes einzustehen hat. Die Bestimmung schließt damit zwar den Einwand aus, dass der Sachverständige die von ihm erwarteten Kenntnisse und Fähigkeiten eines Sachverständigen tatsächlich nicht hat. Art 7.2.1 AHVB erfordert aber, dass der Versicherungsnehmer den schädigenden Erfolg seines Verhaltens vorhersehen und ihn zumindest billigend in Kauf nehmen muss (RS0087591). Art 7.2.2 AHVB fordert die Kenntnis der Mangelhaftigkeit oder Schädlichkeit von hergestellter oder gelieferter Ware oder geleisteter Arbeiten (RS0081692). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts begründet eine nach § 1299 ABGB kunstwidrig erfolgte Behandlung keine unwiderlegbare Vermutung für das Vorliegen der eben genannten Voraussetzungen der Risikoausschlüsse.

[47] 6.3 Vielmehr sind die für die Beurteilung der herangezogenen Risikoausschlüsse notwendigen Tatsachenfeststellungen zu treffen. Zur Kenntnis der Mangelhaftigkeit oder Schädlichkeit der geleisteten Arbeit (Art 7.2.2 AHVB) wurden ebenso wenig Feststellungen getroffen, wie zum bewussten Zuwiderhandeln gegen Gesetze, Verordnungen oder behördliche Vorschriften (Abschnitt A Z 3 EHVB). Das Erstgericht hat aber die Feststellung getroffen, dass der Schuldner es für möglich gehalten und sich damit abgefunden hat, dass seine Behandlungen nicht lege artis und mit Schäden bzw Schmerzen für die Klägerin verbunden sind. Da das Berufungsgericht sich mit der Tatsachenrüge zu diesen entscheidungswesentlichen Feststellungen nicht auseinandersetzte, war sein Urteil schon aus diesem Grund aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

[48] 7. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.

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