OGH 1Ob107/23a

OGH1Ob107/23a24.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder 1. V*, geboren * 2008, und 2. A*, geboren * 2017, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter Mag. T*, vertreten durch Mag. Susanne Hautzinger‑Darginidis, Rechtsanwältin in Wien, gegen die Beschlüsse des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 9. Mai 2023, GZ 45 R 178/23v‑291 und GZ 45 R 179/23s‑293, mit denen den Rekursen der Mutter gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichts Hernals vom 26. Jänner 2023, GZ 3 Ps 28/20t‑267 und GZ 3 Ps 28/20t‑268, jeweils nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00107.23A.0824.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Pflegschaftssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die dem Beschluss über den Vollzug der Kindesabnahme der minderjährigen A* nach § 44 Abs 1 AußStrG zuerkannte vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit wird aufgehoben.

 

Begründung:

[1] Die Eltern zogen mit ihren beiden gemeinsamen Kindern im Jahr 2017 von Bulgarien nach Österreich. Ihre seit zumindest Anfang Mai 2020 zerrüttete Ehe wurde im Jahr 2021 rechtskräftig geschieden. Ende Juli 2020 zog die Mutter mit der zu diesem Zeitpunkt dreijährigen Tochter aus der ehelichen Wohnung aus. Der damals elfjährige Sohn weigerte sich, mit seiner Mutter auszuziehen, und blieb im Haushalt des Vaters. Von Beginn der Trennung an war das Verhältnis der Eltern zueinander äußerst konfliktreich. Bisher übten sie die gemeinsame Obsorge aus.

[2] Im September 2020 erstattete die Mutter eine Anzeige gegen den Vater und beschuldigte ihn, die gemeinsamen Kinder missbraucht zu haben. Der Vater hatte seine Kinder jedoch zu keiner Zeit körperlich oder sexuell missbraucht. Die Mutter hatte die Anschuldigungen erfunden. Die Staatsanwaltschaft stellte das Strafverfahren nach § 190 StPO ein.

[3] Der Tochter gegenüber zeigte die Mutter in der Vergangenheit (anlässlich einer Interaktionsbeobachtung durch die Wiener Jugendgerichtshilfe) eine wenig harmonische Beziehung. Gegenüber dem Sohn zeigte sie immer wieder ein aggressives Verhalten. Auch gegenüber der Tochter verhielt sie sich zumindest bei einem Vorfall aggressiv und wendete leichte Gewalt (Hochreißen) an.

[4] Im November 2020 wurden begleitete Besuchskontakte des Vaters zur Tochter und der Mutter zum Sohn festgelegt. Die Kontakte zwischen der Tochter und ihrem Vater funktionierten vorerst. Der Sohn verweigerte den Kontakt zu seiner Mutter zunächst, hielt sich dann aber immer wieder zum Teil bei der Mutter, zum Teil beim Vater auf. Während dieser Zeit kam es fortlaufend zu Konflikten zwischen den Eltern hinsichtlich des Umgangs mit dem Sohn und dessen Erziehung. Eine im Mai 2021 getroffene Kontaktrechtsvereinbarung der Eltern funktionierte nicht, sodass das Erstgericht im Juli 2021 neuerlich Kontakte festsetzte. Der Sohn verweigerte allerdings den Kontakt zur Mutter, weil er aufgrund einiger Vorfälle ein äußerst negatives Bild von ihr hat. In der Folge verweigerte die Mutter die Ausübung der vereinbarten Kontakte des Vaters zur Tochter. Unter anderem begründete sie dies mit erneuten Gewaltvorwürfen gegen den Vater gegenüber den Kindern. Der Kinder- und Jugendhilfeträger kam zum Ergebnis, dass in Hinblick auf den Sohn die Gewaltvorwürfe nicht erhärtet werden konnten. Auch betreffend der Tochter beendete der Kinder- und Jugendhilfeträger die Gefährdungsabklärung, weil keine akute Gefährdung festgestellt wurde. Schließlich wurden begleitete Kontakte zwischen dem Vater und der Tochter in einem Besuchscafé festgelegt. Im Februar 2022 erfolgte ein solcher Kontakt. Danach beendete das Besuchscafé die Begleitung der Familie aufgrund der Nichteinhaltung von Regeln durch die Mutter und deren Vertrauensperson. Seither fanden keine weiteren Kontakte zwischen dem Vater und der Tochter statt.

[5] Aufgrund dieser Entwicklung hat sich für die Tochter ein deutlicher Nachteil in der Verlässlichkeit und notwendigen Dichte der Kontakte zu ihrem Vater ergeben. Das Verhalten der Mutter stellt eine Form der Bindungsblockade dar, welche sich in der Vereitelung von Kontakten zwischen dem Vater und der Tochter zeigt. Eine Bindungsblockade eines Elternteils führt zu einem deutlichen Loyalitätskonflikt bei Kindern und hat negative Auswirkungen auf eine gesunde psychische Entwicklung.

[6] Angesichts des Verhaltens der Mutter fand eine massive Entfremdung der Tochter zu ihrem Vater statt. Die Entfremdung erfolgte durch eine absichtliche Manipulation der Mutter oder von im Haushalt der Mutter lebenden Personen, indem der Tochter im Haushalt der Mutter kein realistisches Bild vom Vater vermittelt wurde.

[7] Mit Beschluss vom 26. 1. 2023, ON 267, entzog das Erstgericht unter Hinweis auf die vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit des Beschlusses nach § 107 Abs 2 Satz 3 AußStrG der Mutter vorläufig die Obsorge für die beiden Kinder und übertrug sie vorläufig alleine dem Vater. Mit Beschluss vom selben Tag, ON 268, ordnete es von Amts wegen die Kindesabnahme der Tochter an und erkannte diesem Beschluss nach § 44 AußStrG vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit zu.

[8] In rechtlicher Hinsicht führte es aus, dass die Mutter nicht in der Lage sei, auf die physischen und psychischen Bedürfnisse ihrer Kinder entsprechend zu reagieren und eine massive Entfremdung der Tochter zu ihrem Vater herbeiführe. Eine derartige Entfremdung löse einen massiven Loyalitätskonflikt aus und habe Auswirkungen auf die psychische Entwicklung eines Kindes. Ein gelinderes Mittel komme nicht zum Tragen, weil das bisherige Verfahren gezeigt habe, dass die Mutter die Kontakte der Tochter zum Vater laufend vereitelt habe. Auch eine Elternberatung habe in der Vergangenheit keine Besserung der Situation gebracht. Ein weiterer Verbleib der Tochter bei der Mutter würde das Wohl der Minderjährigen massiv gefährden. Aufgrund der akuten Gefährdung des Kindeswohls sei die vorläufige Vollstreckbarkeit des Beschlusses erforderlich (ON 267).

[9] Da davon auszugehen sei, dass die Mutter die Abnahme der Tochter mit allen Mitteln verhindern und vereiteln würde, sei zudem die Anordnung des Vollzugs auszusprechen gewesen (ON 268).

[10] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidungen mit den Beschlüssen ON 291 und ON 293.

[11] Den Feststellungen bzw dem Akteninhalt zufolge sei der vom Erstgericht verfügte Wechsel der Kinder – auch der Tochter – in die alleinige Obsorge und damit in den Haushalt des Vaters nach derzeitiger Aktenlage nicht zu beanstanden (ON 291).

[12] Die Mutter sei, wie ihr eigenes Verhalten zeige – sie habe mit der Tochter zunächst unbekannten Aufenthalt genommen, mittlerweile sei ein Aufenthalt der Minderjährigen und der Mutter in Bulgarien aktenkundig –, nicht dazu bereit, der gerichtlichen Entscheidung zu entsprechen. Die Notwendigkeit der zwangsweisen Durchsetzung der Obsorgeentscheidung und die mit dieser für das Kind verbundenen Belastungen seien ausschließlich die Folgen des Verhaltens der Mutter und wären – etwa mit einer freiwilligen Überlassung des Kindes in die Obhut des Vaters – durch die Mutter selbst vermeidbar (ON 293).

[13] Mangels erheblicher Rechtsfrage ließ das Rekursgericht den ordentlichen Revisionsrekurs jeweils nicht zu.

[14] Gegen die vorläufige Entziehung und Übertragung der Obsorge für die Tochter an den Vater sowie gegen die damit in Zusammenhang stehende Vollzugsanordnung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter, mit dem sie die alleinige Obsorge für die Tochter anstrebt. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[15] Der Vater beantragt in der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs der Mutter zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

[16] Aus Eingaben der Mutter ergibt sich, dass sie ihre Tochter inzwischen in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verbracht hat.

Rechtliche Beurteilung

[17] Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[18] 1. Die Entscheidung, welchem Elternteil die Obsorge für das Kind übertragen werden soll, ist grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls, die in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG hat (RS0007101). Das setzt allerdings voraus, dass ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen wurde (RS0115719). Im vorliegenden Fall lassen die Feststellungen (noch) keine gesicherte Beurteilung zu, ob die vorläufige Übertragung der alleinigen Obsorge auf den Vater dem Wohl der Tochter entspricht.

[19] 1.1. Nach § 181 Abs 1 ABGB hat das Gericht die zur Sicherung des Kindeswohls nötigen Verfügungen zu treffen, sofern die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl eines minderjährigen Kindes gefährden. Eine Gefährdung des Kindeswohls ist dann gegeben, wenn die Obsorgeberechtigten ihre Pflichten objektiv nicht erfüllen oder diese subjektiv gröblich vernachlässigen und durch ihr Verhalten schutzwürdige Interessen des Kindes wie die physische oder psychische Gesundheit, die altersgemäße Entwicklung und Entfaltungsmöglichkeit oder die soziale Integration oder die wirtschaftliche Sphäre des Kindes konkret gefährden (RS0048633). Eine Verfügung, mit der die Obsorge entzogen wird, kommt dabei nur als ultima ratio in Betracht (RS0132193). Eine Obsorgeentziehung kann nur dann angemessen sein, wenn die Nachteile und Gefahren der Aufrechterhaltung der bisherigen Verhältnisse für das Kindeswohl eindeutig jene übersteigen, die mit dem Wechsel notwendigerweise einhergehen (8 Ob 7/14h; 4 Ob 205/21g).

[20] 1.2. Nach § 107 Abs 2 AußStrG kann das Gericht die Obsorge und die Ausübung des Rechts auf persönliche Kontakte nach Maßgabe des Kindeswohls auch vorläufig einräumen oder entziehen. Gemäß § 107 Abs 2 Satz 3 AußStrG kommt einer solchen Regelung bereits ex lege vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit zu, sofern das Gericht diese nicht ausschließt.

[21] Nach dem Willen des Gesetzgebers hat das Gericht eine solche vorläufige Entscheidung nach § 107 Abs 2 AußStrG schon dann zu treffen, wenn zwar für die endgültige Regelung noch weitergehende Erhebungen (etwa die Einholung oder Ergänzung eines Sachverständigengutachtens) notwendig sind, aber eine rasche Regelung der Obsorge oder der persönlichen Kontakte für die Dauer des Verfahrens Klarheit schafft und dadurch das Kindeswohl fördert. Die Voraussetzungen für die Erlassung vorläufiger Maßnahmen sind in dem Sinne reduziert, dass diese nicht erst bei akuter Gefährdung des Kindeswohls, sondern bereits zu dessen Förderung erfolgen dürfen (4 Ob 110/20h mwN). Auch eine solche Entscheidung erfordert allerdings eine ausreichende Tatsachengrundlage (RS0129538 [T6]).

[22] 2. Im vorliegenden Fall steht zwar fest, dass die von der Mutter herbeigeführte Entfremdung der Tochter zum Vater das Kindeswohl gefährdet. Es fehlen aber jegliche Feststellungen, die eine Beurteilung der Frage erlauben, ob die Nachteile und Gefahren der Aufrechterhaltung der bisherigen Verhältnisse für das Kindeswohl eindeutig jene übersteigen, die mit dem Wechsel notwendigerweise einhergehen. Der erstinstanzlichen Feststellung, dass ein hauptsächlicher Aufenthalt der Tochter beim Vater „weniger gefährdend“ als ein weiterer Aufenthalt bei der Mutter sei, kann keine Aussage darüber entnommen werden, wie sich ein (erzwungener) Wechsel in den Haushalt des Vaters auf das Kind, dessen psychische Situation und dessen Entwicklung auswirken würde. Immerhin steht fest, dass die jetzt Sechsjährige seit Juli 2020 ausschließlich im Haushalt der Mutter gewohnt und den Vater zuletzt im Februar 2022 gesehen sowie bereits im September 2022 eine (deutliche) Abwehr von Kontakten zu ihm gezeigt hat. Solange mangels ausreichender Tatsachengrundlage das Für und Wider der ins Auge gefassten vorläufigen Maßnahme nicht abgewogen werden kann, kann auch nicht beurteilt werden, ob diese das Kindeswohl tatsächlich fördert oder nicht doch eher gefährdet. Das Erstgericht wird daher nach einer Ergänzung des Verfahrens Feststellungen zu treffen haben, die eine Zukunftsprognose ermöglichen, wie sich der Aufenthaltswechsel und die Unterbringung der Tochter bei ihrem Vater auf sie auswirken könnte (vgl RS0048632).

[23] In dem Zusammenhang wird zu beachten sein, dass Obsorgeentscheidungen zukunftsbezogene Rechtsgestaltungen und nur dann sachgerecht sind, wenn sie auf aktueller bis in die jüngste Gegenwart reichender Tatsachengrundlage beruhen (RS0106312). Deshalb ist eine Entscheidung, die etwa auf einer veralteten Gutachtenserstellung beruht, problematisch (vgl 7 Ob 67/22m). Es wird daher nötig sein, die Tochter einer aktuellen Befundung durch einen kinderpsychologischen Sachverständigen zu unterziehen, wobei zu einer sorgfältig erhobenen Tatsachengrundlage auch eine Auseinandersetzung mit den von der Mutter vorgelegten Privatgutachten und den von ihrer Seite gegen das bisher erstattete Gerichtsgutachten erhobenen Einwänden sowie sämtlichen relevanten Aktenbestandteilen gehört. So ist etwa darauf zu verweisen, dass sich das Erstgericht zwar auf einen Bericht der Wiener Jugendgerichtshilfe vom Oktober 2020 bezieht, wonach zwischen Mutter und Tochter eine „wenig harmonische, aber angstfreie Grundstimmung“ herrsche, die mit einer von der Mutter während der Interaktionsbeobachtung gezeigten Unsicherheit begründet wird, aber zur Gänze ausblendet, dass in der Gefährdungsabklärung durch den Kinder- und Jugendhilfeträger vom Oktober 2021 (also ein Jahr später) ein fürsorglicher und liebevoller Umgang zwischen der Mutter und der Tochter beschrieben wird.

[24] Im Übrigen bedürfen vor einer (auch nur vorläufigen) Entscheidung über die Obsorge folgende von den Eltern ins Verfahren eingebrachte Aspekte einer abschließenden Klärung, weil sie – je nach ihrer Richtigkeit – eine Kindeswohlgefährdung indizieren und die Erziehungsfähigkeit des jeweils betreffenden Elternteils bezweifeln lassen:

[25] So hat die Mutter mehrfach zahlreiche Textnachrichten vorgelegt, die nach ihrer Darstellung vom Vater stammen und in denen vor allem ihr in äußerst vulgärer Sprache derbe Gewalt angedroht wird. Es stellt sich die Frage, ob diese Vorwürfe zutreffen und, falls ja, inwieweit sich in diesen Nachrichten ein Mangel der Erziehungsfähigkeit des Vaters manifestiert. Nur weil sich der Vorwurf der Mutter, der Vater missbrauche die Kinder, als falsch erwiesen hat, können ihre anderen für die Obsorgeentscheidung potentiell bedeutsamen Behauptungen nicht kommentarlos ungeprüft bleiben. Falls es sich dabei aber um weitere falsche (in der Diktion des Revisionsrekursgegners „haarsträubende“) Anschuldigungen der Mutter gegen den Vater handeln sollte, wird sich das Erstgericht mit seiner Behauptung auseinandersetzen zu haben, das Verhalten der Mutter offenbare eine schwere psychische Erkrankung, die ihre Erziehungsfähigkeit massiv beeinträchtige. Diesfalls würde die (erforderliche) Bedachtnahme auf die Erziehungskontinuität nämlich (noch weiter) in den Hintergrund treten (vgl RS0047928 [T16]).

[26] Zu Recht verweist der Revisionsrekurs zudem darauf, dass das Erstgericht nie Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung der Besuchskontakte der Tochter zum Vater – trotz entsprechender Anträge des Vaters – erlassen hat. Aus welchen Gründen dieses gegenüber der Obsorgeentziehung gelindere Mittel zur Hintanhaltung einer Bindungsblockade konkret nicht ergriffen wurde, muss ebenfalls nachvollziehbar begründet werden.

[27] 3. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung aufzuheben.

[28] Da die voraussichtlichen Auswirkungen einer Kindesabnahme und eines Aufenthaltswechsels auf das Wohl der Minderjährigen noch nicht abschließend beurteilt werden können, war die der Vollzugsanordnung gemäß § 44 AußStrG zuerkannte vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit von Amts wegen aufzuheben.

[29] 4. Der Vollständigkeit halber ist darauf zu verweisen, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht bei (wie hier nach wie vor gegebener) gemeinsamer Obsorge beiden Eltern zukommt (4 Ob 6/23w). Das Verbringen der Tochter ins EU‑Ausland durch die Mutter war daher ein widerrechtlicher Eingriff in die (gemeinsame) Obsorge des Vaters, weswegen die internationale Zuständigkeit der österreichischen Pflegschaftsgerichte nach dem wegen Verfahrenseinleitung vor dem 1. August 2022 zufolge Art 100 Abs 2 VO (EU) 2019/1111 (Brüssel IIb‑VO) noch anwendbaren Art 10 Brüssel‑IIa‑VO aufrecht bleibt (6 Ob 49/19b; 6 Ob 170/16f). Es liegt an der Mutter, für die umgehende Rückführung des Kindes nach Österreich zu sorgen, damit es hier eingeschult werden kann.

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