OGH 7Ob19/23d

OGH7Ob19/23d24.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen unddie Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei E* M*, vertreten durch Dr. Christine Kolbitsch, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei Dr. C* M*, vertreten durch Dr. Erich Moser, Rechtsanwalt in Murau, wegen Ehescheidung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 17. Jänner 2023, GZ 21 R 204/22d-33, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 27. Juni 2022, GZ 4 C 17/21y (4 C 21/21m)-28, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00019.23D.0524.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung unter Einschluss des in Rechtskraft erwachsenen Scheidungsausspruchs zu lauten hat:

„1. Die am * 1998 vor dem Standesamt der Stadtgemeinde H* geschlossene und im Ehebuch * beurkundete Ehe der Parteien wird aus deren gleichteiligem Verschulden geschieden.

2. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei12,50 EUR an Barauslagen des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei 182,50 EUR an Barauslagen des Berufungsverfahrens und die mit 1.296,92 EUR (darin enthalten 545 EUR Barauslagen und 125,32 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin und Widerbeklagte (in der Folge Klägerin) und der Beklagte und Widerkläger (in der Folge Beklagter) schlossen am * 1998 die Ehe; ihrer Beziehung entstammen keine Kinder.

[2] Das Eheleben verlief zunächst über viele Jahre harmonisch. Bei der Lebensplanung orientierten sich die Parteien einvernehmlich am beruflichen Fortkommen des Beklagten, was insbesondere auch die Wohnorte der Parteien betraf. Dieser wurde nach reiflicher Überlegung im Jahr 2009 ins Ausland verlegt. Die Beklagte bekam dort erst nach drei Monaten eine Stelle als Physiotherapeutin. Die Zeit der Arbeitslosigkeit in einem fremden Land war für sie nicht einfach. Sie hat den Beklagten deshalb aber nicht zur Rückkehr bewegen wollen. Der Beklagte hat auch nicht zu ihr gesagt, sie könne alleine nach Österreich zurückgehen. Im Jahr 2011 kehrten die Parteien schließlich gemeinsam und einvernehmlich nach Österreich zurück.

[3] Sie entschieden, gemeinsam eine Ordination zu eröffnen, wofür Schulden aufgenommen werden mussten. Eröffnet wurde diese 2012. In den Anfangsjahren setzte der Beklagte seine Mitarbeiter sehr unter Druck, was er jedoch erkannte und änderte. Sowohl die Klägerin, ausgebildete Physiotherapeutin, als auch der Beklagte als Arzt arbeiteten gern und sehr viel, was sich beruflich auch bezahlt machte. Die Aufgabe der Klägerin war es in der Anfangszeit, als selbstständige Therapeutin zu arbeiten, welcher der Beklagte Patienten zuwies. Außerdem erledigte sie Organisatorisches in der Ordination. Die Klägerin war stolz auf den Beklagten, den sie bis 2019 nie aufgefordert hat, sein Arbeitspensum zu reduzieren. Der Beklagte wiederum schätzte die Arbeit der Klägerin als Physiotherapeutin sehr.

[4] Ende 2013 gestand der Beklagte der Klägerin eine außereheliche Beziehung und wollte diese als Dreierbeziehung fortsetzen, was für die Klägerin unmöglich war. Einvernehmlich bezog die Klägerin daher eine eigene Wohnung; die berufliche Verflechtung bestand aber auch in dieser schwierigen Phase der Ehe weiter. Nachdem ihr der Beklagte 2014 erklärte, sich getrennt zu haben, absolvierten sie eine Paartherapie, in welcher die außereheliche Beziehung aufgearbeitet wurde und andere Themen besprochen wurden, wie etwa die Arbeitsaufteilung in der Ordination. Das Sexualleben der Parteien war kein wichtiger Punkt der Therapie. Von Beginn der Ehe an fanden Sexualkontakte im Einvernehmen regelmäßig, aber nicht sehr häufig statt, da die Parteien zu unterschiedlichen Tageszeiten das Bedürfnis danach hatten. Die Parteien verkehrten bis Ende 2020 geschlechtlich miteinander, wobei die Häufigkeit aufgrund der familiären Spannungen ab 2019 abnahm. Der Beklagte versprach der Klägerin zu keinem Zeitpunkt, wegen von ihm zu verantwortenden sexuellen Problemen in der Ehe, eine Therapie zu machen. Die Klägerin verzieh dem Beklagten die außereheliche Beziehung und war dadurch auch nicht übertrieben eifersüchtig.

[5] Ab 2015 lebten die Parteien wieder in einem gemeinsamen Haushalt. Die Arbeiten im Haushalt wurden von ihnen von Beginn an bis Februar 2021 einvernehmlich durchgeführt.

[6] Da beide Parteien sehr hart und erfolgreich arbeiteten, wuchs der Patientenstock mehr und mehr. Sie entschieden sich daher im Jahr 2016 für eine Anstellung der Klägerin in der Ordination. Der Beklagte verdiente gut und bestritt einvernehmlich von seinem Einkommen den Großteil der mit der Lebensführung verbundenen Kosten. Neben den Kreditraten und anderen Fixkosten finanzierte er beispielsweise auch die gemeinsamen Urlaube. Er bezahlte der Klägerin ein sehr gutes Gehalt, welche einen kleinen Teil davon auch für das gemeinsame Leben aufwendete. Da die Ordination ein gutes Einkommen brachte, und der Beklagte kein geiziger Mensch war/ist, stand nie ernsthaft zur Debatte, dass sich die Klägerin finanziell mehr beteiligt. Das Geld wurde nur ein Mal aufgrund einer längeren Erkrankung des Beklagten 2018/2019 knapp, was zur Folge hatte, dass ihn die Klägerin zwei Mal bei der Bezahlung der Gehälter finanziell unterstützte und mehrere Monate auf ihr Gehalt verzichtete. Der Beklagte bezahlte ehestmöglich die geliehenen Beträge zurück und die Gehälter der Klägerin nach. Sowohl der Beklagte als auch die Klägerin hatten lange Arbeitstage und verbrachten ihre spärliche Freizeit gemeinsam.

[7] Kinder waren nie ernsthaft Thema in der Ehe. Die Parteien waren viel zu sehr mit ihrem beruflichen Erfolg beschäftigt, weshalb die Klägerin bereits während eines Auslandsaufenthalts zum Beklagten sagte, dass er kein geeigneter Vater wäre und sie deshalb keine Kinder mit ihm wolle, was den Beklagten aber nur momentan irritierte.

[8] Auch wenn der Arbeitsdruck enorm war, führten die Parteien eine mehr oder weniger harmonische Ehe, wobei sich immer wieder das berufliche auf das private Miteinander (und umgekehrt) auswirkte. Es kann nicht festgestellt werden, dass sich der Beklagte bereits 2016/2017 zurückzog.

[9] Schwierig wurde es, als der Beklagte Ende des Jahres 2018 an einer Gehirnhautentzündung erkrankte und um sein Leben kämpfte. Die Klägerin kümmerte sich in dieser Phase ausreichend um den Ordinationsbetrieb und den Beklagten. Sie informierte auch dessen Verwandte ausreichend und verbot diesen nicht, den Beklagten, der von sich aus Besuche ablehnte, im Krankenhaus zu besuchen. Zu den Verwandten des Beklagten hatte die Klägerin schon einige Jahre eine schwierige Beziehung und betrat deshalb auch das Elternhaus des Beklagten schon einige Jahre nicht mehr. Der Grund hierfür kann nicht festgestellt werden. Sie hatte aber gegen persönliche Kontakte des Beklagten zu seiner Familie grundsätzlich nichts einzuwenden.

[10] Dem Rat seines Umfelds, so auch der Klägerin, zum Wohle seiner Gesundheit, nach der Genesung kürzer zu treten, folgte der Beklagte nicht, sondern erbrachte zumindest das gleiche Arbeitspensum wie zuvor. Der Klägerin hingegen wurde langsam alles zu viel, was sich auf ihre Gesundheit auswirkte. Sie erkrankte öfters und ging teilweise nicht ganz gesund ihrer Arbeit nach. Sie wollte daher, dass beide Parteien das Arbeitspensum ihrer Gesundheit wegen anpassen und weniger arbeiten, worauf sich der Beklagte, der nach seiner Erkrankung an einer depressiven Verstimmung litt, nicht einließ. Die bereits davor zur Aufarbeitung seiner schwierigen Kindheit begonnene Psychotherapie brach er ab, weil er nicht genügend Zeit dafür aufwenden wollte.

[11] Für die Arbeit des Beklagten als Arzt war es wichtig, dass die Klägerin genügend Atemphysiotherapien anbot. Da sie dies in seinen Augen nicht tat, kam es immer häufiger zu Diskussionen, die auch zunehmend Spannungen im Privatleben der Parteien mit sich brachten. Der Beklagte hatte gelegentlich am Aussehen der Klägerin etwas auszusetzen, was sie aber nicht nachhaltig belastete. Der Umgangston zwischen den Parteien wurde beidseits derber. Sie fanden keine Gesprächsbasis mehr. Sprachen sie über ihre beruflichen und privaten Probleme, wurde insbesondere die Klägerin schnell emotional, sodass der Beklagte nach einer Zeit Gespräche darüber abblockte und auf die Notwendigkeit einer weiteren Paartherapie verwies, was die Klägerin jedoch ablehnte. Ab 2019 forderte die Klägerin den Beklagten regelmäßig auf, weniger zu arbeiten und sich dafür mehr um sie zu kümmern; insbesondere auch mehr mit ihr zu reden.

[12] Im Oktober 2019 verbrachten die Parteien einige Tage mit Freunden auf Urlaub im Ausland; dies obwohl die Klägerin bereits davor gesundheitlich angeschlagen war. Aufgrund einer Nasennebenhöhlen- und einer Lungenentzündung musste sie letztlich das Bett hüten. Mit ihrem Einverständnis unternahm der Beklagte mit den Mitreisenden gelegentlich etwas außerhalb des Hauses, in dem sie untergebracht waren. Die Klägerin war währenddessen zu keinem Zeitpunkt alleine. War der Beklagte nicht auswärts, kümmerte er sich um die Klägerin, die sich zu Hause am wohlsten gefühlt hätte, aber in ihrem Zustand nicht flugfähig war. Der Beklagte trat daher die Heimreise ohne die Klägerin an, da er den Ordinationsbetrieb in der Folgewoche wiederaufnehmen wollte. Die Klägerin akzeptierte dies, hätte sich aber gewünscht, dass er bei ihr blieb, was dem Beklagten auch bewusst war. Tatsächlich wäre dies unter Inkaufnahme von Komplikationen/Verzögerungen möglich gewesen. Während der Beklagte also in der Folgewoche seiner Arbeit nachging, erholte sich die Klägerin im Haus ihrer Freunde. Dabei kümmerte sich die ihr schon länger bekannte Haushälterin um sie. Die Parteien waren in dieser Zeit ständig in Kontakt und schrieben sich auch liebevolle Nachrichten. Der Mann der Haushälterin, den die Klägerin ebenso schon länger kannte, brachte sie am Ende der Woche zu einem nahegelegenen Flughafen, wo sie sich mit dem Beklagten, der am Freitag nach der Ordination einen Flug dorthin nahm, traf, um gemeinsam den Heimflug anzutreten. Der Beklagte nahm das Angebot von Freunden, ein Privatflugzeug zu nutzen nicht an. Er lehnte auch das Angebot, das Wochenende mit der Klägerin im Haus zu verbringen, ab.

[13] Die Klägerin erholte sich nur langsam von ihrer Erkrankung. Der Beklagte zeigte Verständnis und gönnte ihr eine Auszeit von ca drei Monaten. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beklagte der Klägerin anbot, künftig einen Tag weniger in der Ordination zu arbeiten. Während ihrer Auszeit ging der Beklagte wie gewohnt seiner Arbeit und seinen sonstigen Interessen nach und verhielt sich der Klägerin gegenüber wie immer. Er ging nicht speziell auf ihren angeschlagenen Gesundheitszustand ein, was die Klägerin allerdings gebraucht hätte und sich erhoffte. Die Klägerin wollte nicht, dass der Krankenstand offiziell gemeldet wird, weil sie Einschränkungen in ihrer Lebensführung befürchtete. Dies hätte finanzielle Vorteile für den Beklagten als Arbeitgeber gebracht. In diesem Zusammenhang nannte sie den Beklagten aus einer Emotion heraus einen „schäbigen Geizhals“. Tatsächlich empfand sie den Beklagten nie als geizigen Menschen.

[14] Auch in der Ordination kam es schon länger immer häufiger zu massiven Streitereien, die von der Klägerin derart ausgetragen wurden, dass diese sowohl die Mitarbeiter als auch die Patienten mitbekamen. Auch den Mitarbeitern gegenüber verhielt sich die Klägerin teilweise sehr unleidlich, was zu Mitarbeiterkündigungen und zu einer großen Unruhe im Ordinationsbetrieb führte. Die Klägerin blockierte Anweisungen, welche die Mitarbeiter im Auftrag des Beklagten ausführten und bot zunehmend weniger Atemphysiotherapien an, obwohl sie dazu gesundheitlich in der Lage gewesen wäre. Sie verweigerte ein harmonisches Zusammenarbeiten, wie dies lange Zeit der Fall war. Auch wandte sie zumindest eine Therapieform nicht an, die der Beklagte verschrieben hatte, weil sie diese nicht als zielführend erachtete, was sie zumindest einer Patientin im Juni 2021 auch sagte. Es kann nicht festgestellt werden, dass sie darüber hinaus den Beklagten neben Mitarbeitern bloßstellte oder ihn neben diesen beschimpfte. Sie forderte aber im Jänner 2021 einen wichtigen Außendienstarbeiter auf, die Geschäfte nicht mehr mit den unfähigen Mitarbeitern des Beklagten, sondern mit ihr zu besprechen.

[15] Im Dezember 2019 hatten die Parteien einen heftigen Streit wegen der Arbeitsweise der Klägerin. Im Zuge dieses Streits kündigte der Beklagte an, sich von der Klägerin zu trennen, sollte sie nicht einsichtig werden und an ihrem Verhalten arbeiten. Zur Rettung der Ehe schlug er eine Paartherapie vor, die von der Klägerin sinngemäß mit den Worten, er müsse sie so nehmen, wie sie sei, abgelehnt wurde. Trotz der inzwischen massiven Spannungen, führten die Parteien zu diesem Zeitpunkt noch ein „normales“ Eheleben, schliefen in einem Bett, führten gemeinsam den Haushalt, unternahmen gemeinsam etwas und hatten sexuelle Kontakte.

[16] Beide Parteien hatten die Hoffnung, dass ihre Ehe gerettet werden kann, wobei es unterschiedliche Auffassungen gab, wie dies gelingen konnte.

[17] Trotz der inzwischen massiven Eheprobleme verbrachten die Parteien Silvester 2019/2020 mit Freunden auf einer Insel. Der Beklagte wollte eigentlich gar nicht dorthin, weshalb er sich viel in der Unterkunft aufhielt. Die Klägerin blieb oft bei ihm, wodurch sie sich eine emotionale Wiederannäherung erhoffte. Die Atmosphäre zwischen den Parteien blieb aber unterkühlt. Um Mitternacht des Silvesterabends weinte die Klägerin, was den Beklagten dazu bewog, sinngemäß zu ihr zu sagen, dass das neue Jahr genauso „beschissen“ anfangen würde, wie das alte Jahr geendet habe.

[18] Im Februar 2020 verbrachten die Parteien einen Abend vor dem Kamin. Der Beklagte versuchte die Klägerin – wie schon des Öfteren in den Jahren zuvor – zur medizinischen Abklärung ihrer Ticks (Beißen in die Mundschleimhaut und Nägelkauen) zu bewegen. Die Klägerin reagierte darauf derart, dass sie dem Beklagten empfahl wegzuschauen und sich Kopfhörer aufzusetzen.

[19] Im selben Monat besuchten die Parteien das Geburtstagsfest einer Freundin. An diesem Tag schlug der Beklagte erstmals vor, die Parteien mögen jeder einen Wohnungsschlüssel für den Fall mitnehmen, dass sie getrennt nach Hause kommen sollten. Die meiste Zeit verbrachte der Beklagte mit einer anderen Frau an der Bar. Deshalb fühlte sich die Klägerin gedemütigt, zumal sie auch von fremden Personen darauf angesprochen wurde. Sie begab sich weinend zu einer Freundin, der sie ihr Leid klagte und lehnte es ab, mit dem Beklagten zu später Stunde zu tanzen.

[20] Im Februar 2020 chattete die Klägerin mit einer Freundin, fragte dabei nach „tollen Männern“ und deutete dabei an, getrennt und hoffentlich bald frisch verliebt zu sein, wobei sie dies nicht ernst meinte, sondern sich von der Ehekrise ablenken wollte.

[21] Im Frühjahr 2020 erfuhr der Beklagte, es würde das Gerücht geben, er hätte zwei uneheliche Kinder. Die Klägerin forderte von ihm eine Richtigstellung in der Öffentlichkeit, was der Beklagte ablehnte, da er nicht noch mehr Aufsehen erwecken wollte, worüber die Klägerin nicht glücklich war. Sie fing an, den Beklagten derart zu kontrollieren, dass sie ihn ein bis drei Mal im Monat innerhalb kurzer Zeit öfter hintereinander anrief, wenn er nicht sofort ans Telefon ging und verlangte teilweise Rechtfertigungen, wenn er das Haus verließ. Sie fuhr auch gelegentlich an der Ordination vorbei, um zu sehen, ob der Beklagte tatsächlich noch arbeitete.

[22] Obwohl zwei gemeinsam besuchte Hochzeitsfeiern eine kleine Annäherung zwischen der Klägerin und ihrer Schwiegermutter brachten, wollte der Beklagte nicht, dass die Klägerin im April 2020 zu seinem 50. Geburtstag mit zu seinen Eltern fuhr, weil er Spannungen befürchtete. Die Klägerin besorgte für den Beklagten eine Torte und schenkte ihm eine Uhr zum Geburtstag.

[23] Im Juni 2020 veranstalteten die Parteien, als nachträgliche Geburtstagsfeier des Beklagten, ein Grillfest, das emotional sehr unterkühlt verlief, da der Beklagte der Klägerin am Tag zuvor eröffnete, dass er sich scheiden lassen wolle, sollten die Parteien keinen Weg finden, die Eheprobleme in den Griff zu bekommen. Dabei lehnte er – wieder unter Hinweis auf die Notwendigkeit einer Paartherapie – jedes weitere Gespräch unter vier Augen ab. Die Klägerin hingegen lehnte wiederum eine Paartherapie ab. Der Beklagte forderte nicht mehr Freiraum und sagte auch nicht, dass er die Freizeit künftig ohne die Klägerin verbringen will. Trotz der Eheprobleme hielten die Parteien an der Ehe fest und verbrachten auch ihre Freizeit teils noch miteinander. Die Parteien, beide noch in der Hoffnung, die Ehe zu retten, verbrachten im Sommer 2020 einen gemeinsamen zweiwöchigen Urlaub.

[24] Die Klägerin zeigte im Oktober 2020 kein besonderes Interesse an einer Zahnbehandlung des Beklagten und beschädigte im November 2020 in der Ordination aus Wut eine Vase und das Anamnesebuch des Beklagten. Da die Klägerin vom Beklagten nach wie vor keine Antwort auf ihre Fragen zu den Gründen der angekündigten Trennung unter vier Augen bekam, nicht mehr wusste, wie sie mit den Eheproblemen umgehen sollte und psychisch inzwischen sehr belastet war, suchte sie im Dezember 2020 einen Psychiater auf, der ihr Psychopharmaka verschrieb.

[25] Das gemeinsam verbrachte Weihnachtsfest 2020 verlief unter den gegebenen Umständen harmonisch, jedoch entwickelte sich in der Weihnachtszeit wegen einer Skitour ein Streit. Der Streit führte dazu, dass die Klägerin auswärts nächtigte und dem Beklagten im Jänner 2021 einen Brief hinterlegte, den sie über Anraten von Freunden aufgesetzt hatte. Sie erhoffte sich dadurch eine Lösung. Der Beklagte empfand einerseits Erleichterung als er den Brief las, weil dieser für sein Empfinden erstmalig zum Ausdruck brachte, dass die Klägerin Einsicht zeigte, andererseits war er auch betroffen. Als die Parteien das nächste Mal aufeinander trafen, erbat sich der Beklagte Bedenkzeit, was die Klägerin wiederum hoffnungsvoll stimmte. Letztlich kam dem Beklagten allerdings die Wortwahl des Briefes komisch vor, was ihn dazu veranlasste, im iPad der Klägerin nach Hinweisen zu suchen, ob der Brief mit Hilfe einer anderen Person aufgesetzt wurde. Der Beklagte kannte sowohl den Zugangscode zum iPad als auch zum iPhone der Klägerin, welche diese ihm vor längerer Zeit selbst mitgeteilt hat. Hinweise fand der Beklagte keine, jedoch entdeckte er die Chatnachrichten, in der die Klägerin nach „tollen Männern“ fragte und andeutete, getrennt und hoffentlich bald frisch verliebt zu sein. Dies bedeutete für ihn das endgültige Aus der Ehe, was er der Klägerin am 3. Februar 2021 auch mitteilte. Die Klägerin, die nicht wusste, dass der Beklagte die Nachrichten kannte, forderte ihn auf, wegen der Scheidung einen Rechtsanwalt aufzusuchen, was dieser auch tat. Einige Zeit nach diesem Gespräch legte der Beklagte der Klägerin den Entwurf einer Trennungsvereinbarung als Diskussionsgrundlage vor, welcher die Klägerin derart verletzte, dass auch sie sich seither keine gemeinsame Zukunft mehr mit dem Beklagten vorstellen konnte.

[26] Sie beschlossen, fortan in getrennten Betten zu schlafen. Die Klägerin beanspruchte weiterhin das eheliche Schlafzimmer, das Badezimmer und den Ankleideraum. Dem Beklagten gewährte sie nur Zutritt, wenn sie nicht anwesend war. Der Beklagte verfügte in Zeiten ihrer Anwesenheit über keine gleichwertige Schlaf- und Waschgelegenheit. Seine Kleidung musste er sich am Vorabend aus dem Ankleideraum holen. Einvernehmlich führten die Parteien seit diesem Gespräch keinen gemeinsamen Haushalt mehr und führten getrennte Leben.

[27] Der Beklagte forderte die Klägerin am 11. Oktober 2021 auf, in die Ehewohnung zurückzukehren, wobei die Parteien bereits im August 2021 im Rahmen von gerichtlichen Vergleichsgesprächen übereinkamen, dass die Klägerin ab 1. September 2021 gesondert Wohnung nehmen konnte und ihr dies nicht als Eheverfehlung vorgeworfen wird.

[28] Da sie ihre Arbeit in der Ordination vernachlässigte, musste sie der Beklagte im Juni 2021 dienstfrei stellen. Letztlich wurde das Dienstverhältnis einvernehmlich aufgelöst.

[29] Die Klägerin begehrt die Scheidung aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Im November 2013 habe sie zufällig entdeckt, dass der Beklagte eine außereheliche Beziehung mit einer anderen Frau gehabt habe. Auf ihre Bitte, beruflich kürzer zu treten und den Stress zu reduzieren, zumal sie selbst zunehmend körperliche bzw gesundheitliche Probleme gehabt habe, habe der Beklagte verständnislos, geradezu unfreundlich reagiert. Gegen Ende des Jahres 2019 habe sie bemerkt, dass der Beklagte sich im Verhalten ihr gegenüber verändert habe; sie habe ihm plötzlich nichts mehr recht machen können, weder beruflich noch privat. Ab diesem Zeitpunkt habe er auch begonnen, sich emotional von ihr zu entfernen. Über das zunehmend lieb- und interesselose Verhalten des Beklagten sei sie sehr bestürzt gewesen. Sie habe das Gefühl gehabt, kurz vor einem körperlichen bzw psychischen Zusammenbruch zu stehen. Der Beklagte habe aber kein Verständnis für ihre Situation gehabt, er habe ihr keinerlei Trost oder ehelichen Beistand geleistet. Im Dezember 2019 habe der Beklagte ihr erstmals eröffnet, dass er sich trennen werde. Nach den Gründen für seine Entscheidung gefragt, habe der Beklagte ihr nichts sagen können bzw wollen. Im Juni 2020 habe der Beklagte seinen Wunsch, sich scheiden zu lassen, ihr gegenüber bekräftigt. Ihre Hoffnung, die Ehe zu retten, sei vom Beklagten enttäuscht worden; der Beklagte habe sich ihr gegenüber immer aggressiver, unleidlicher, ja geradezu böse verhalten. Ihre Versuche, ein Gespräch mit ihm zu finden, habe er abgeblockt; auf einen Brief im Jänner 2021 habe ihr der Beklagte mitgeteilt, dass er kein Interesse an einer Therapie mit ihr habe, er werde sich trennen.

[30] Der Beklagte erhob Widerklage und begehrte die Scheidung aus dem Alleinverschulden der Klägerin. Die Klägerin habe in den vorangegangenen Monaten keine Tätigkeiten im gemeinsamen Haushalt verrichtet und ihn nicht an ihrem Leben teilnehmen lassen. Es habe keine gemeinsamen Freizeitgestaltungen und keine Kommunikation mit Anstand und Wohlwollen, wie dies unter Ehegatten sonst üblich sei, gegeben. Er habe sich fortwährend um einen „normalen Umgang“ bemüht, von der Klägerin sei dies jedoch komplett abgeblockt worden; sie habe mit ihm entweder gar nicht kommuniziert oder ihn angeschrien, beleidigt und beschimpft. Seit 2019 habe die Klägerin seine Ordinationsangestellten schikaniert und gemobbt. In den letzten sechs Monaten habe sie in der Ordination nicht ihrer Anstellung und Entlohnung entsprechend gearbeitet. Die Klägerin habe sich auch beharrlichgeweigert, eine Paartherapie mit ihm zu besuchen. Sein Ehebruch sei durch die Klägerin verziehen worden. Nachdem sich die Situation im Haushalt, in der Ehe und auch in der Ordination zwischen den Ehegatten seit 2019 sukzessive verschlechtert habe, habe er vorerst eine Trennung und dann eine einvernehmliche Scheidung angestrebt. Dies sei jedoch bisher an den völlig überzogenen finanziellen Forderungen der Klägerin gescheitert.

[31] Das Erstgericht schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten. Die Eheverfehlungen vor 2019 hätten zur Zerrüttung nicht beigetragen, sondern seien von der Klägerin verziehen worden. Die Zerrüttung sei ausschließlich deshalb eingetreten, weil der Beklagte nicht ausreichend erkannt habe, wie schlecht es der Klägerin ab 2019 gegangen sei und weil er das Funktionieren des Ordinationsbetriebs dem Wohlergehen der Klägerin übergeordnet habe. Somit habe er mit dem für die Zerrüttung relevanten Verhalten begonnen. Auch der Klägerin seien Eheverfehlungen vorzuwerfen, welche allerdings einerseits als Reaktion auf das Verhalten des Klägers zu werten, andererseits erst nach Eintritt der unheilbaren Ehezerrüttung im Februar 2021 gesetzt worden seien. Das Verschulden des Beklagten sei als erheblich überwiegend anzusehen.

[32] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung und ließ die Revision nicht zu. Zur Zerrüttung der Ehe habe geführt, dass der Beklagte dem Rat seines Umfelds, kürzer zu treten, nicht gefolgt sei, sondern das gleiche Arbeitspensum wie zuvor erbracht habe, der Klägerin hingegen „langsam alles zu viel“ geworden sei, was sich auch auf ihre Gesundheit ausgewirkt habe. Ihr Verhalten in der Ordination und im Privatleben sei ihr nicht als Eheverfehlung zur Last zu legen, weil sie den Beklagten ab dem Jahr 2019 regelmäßig aufgefordert habe, weniger zu arbeiten und sich dafür mehr um sie zu kümmern, was dieser jedoch nicht getan habe. Das Verhalten der Klägerin sei somit als bloße Reaktion auf das Verhalten des Beklagten zu werten. Auch dass die Klägerin eine Paartherapie abgelehnt habe, weil der Beklagte jedes weitere Gespräch unter vier Augen verweigert habe, stelle im Kern nur eine Reaktion auf die vom Beklagten bereits eingeleitete Ehezerrüttung dar. Dazu komme die außereheliche Beziehung des Beklagten in den Jahren 2013/2014, sodass das überwiegende Verschulden beim Beklagten liege.

[33] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, das gleichteilige Verschulden der Parteien auszusprechen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[34] DieBeklagte beantragt in ihrer vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[35] Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig, sie ist auch berechtigt.

[36] 1. Ein Ehegatte kann Scheidung begehren, wenn der andere durch eine schwere Eheverfehlung oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten die Ehe schuldhaft so tief zerrüttet hat, dass die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann (§ 49 EheG).

[37] 2.1. Das Gesetz verpflichtet die Ehegatten unter anderem zur anständigen Begegnung. Dieser Begriff ist objektiv auszulegen. Schwere und beharrliche Verstöße gegen dieses Verhaltensgebot, in denen sich eine mangelnde Schätzung der Persönlichkeit des Ehepartners ausdrückt, sind eine schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG (RS0056321 [T3]). Ein Ehepartner verstößt gegen die Verpflichtung zur gegenseitigen Achtung, Rücksichtnahme und zum ehrlichen Bemühen, dem anderen Ehepartner das Zusammenleben erträglich zu machen, wenn er ein Verhalten an den Tag legt, das den anderen kränkt oder geeignet ist, ihm Aufregung zu bereiten (RS0055998), wie etwa bei wiederholten Beschimpfungen (vgl RS0056652). Jeder Ehegatte ist auch verpflichtet, sich seine berufliche Arbeit so einzuteilen, dass er entsprechende Zeit für den anderen Gatten und für die Familie aufbringen kann. Der Ehegatte, der keine Fühlung mit dem anderen sucht und nur seinen Interessen lebt, handelt daher ehewidrig (RS0056053). Dabei ist jedoch auch die finanzielle Anspannung und deren Ursachen mitzuberücksichtigen (RS0056053 [T8]).

[38] 2.2. Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG müssen schuldhaft gesetzt werden und objektiv schwer sein (RS0056366) sowie zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe beigetragen haben (8 Ob 157/18y mwN; vgl auch RS0056921 [T3]). Wenn sich ein ehewidriges Verhalten des beklagten Ehegatten als Reaktion auf das Verhalten des klagenden Teils darstellt, liegt hingegen keine schuldhafte Eheverfehlung vor (RS0057033). Von einer solchen entschuldbaren Reaktionshandlung kann aber nur dann gesprochen werden, wenn sich ein Ehepartner als unmittelbare Folge eines grob ehewidrigen Verhaltens des anderen dazu hinreißen lässt, in einer verständlichen Gemütsbewegung, die die Zurechnung seines Handelns als Verschulden ausschließt, seinerseits Eheverfehlungen zu setzen (RS0057136).

[39] 2.3. Bei der Beurteilung des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten sind alle Umstände zu berücksichtigen und in ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen (RS0057303). Es ist nicht jeder einzelne als Eheverfehlung geltend gemachte Tatbestand für sich allein, sondern das Gesamtverhalten der Ehegatten zu beurteilen (RS0056171). Ein überwiegendes Verschulden ist (nur) dann auszusprechen, wenn der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (RS0057821), also das Verschulden des einen Teils erheblich schwerer ist, als das des anderen (RS0057858 [T1]), wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist, weil die Scheidungsfolgen bei überwiegendem Verschulden, jenen bei alleinigem Verschulden gleichgestellt sind (6 Ob 197/20v; vgl auch RS0057858 [T13, T14]).

[40] 2.4. Bei der Verschuldensabwägung kommt es aber nicht nur auf die Schwere der Verfehlungen an sich, sondern auch darauf an, in welchem Umfang diese Verfehlungen zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe beigetragen haben. Beiderseitige Eheverfehlungen müssen in ihrem Zusammenhang gesehen werden. Es kommt daher nicht nur auf den Grad der Verwerflichkeit der einzelnen Ehewidrigkeiten an, sondern auch darauf, wie weit sie einander bedingen und welchen ursächlichen Anteil sie am Scheitern der Ehe haben (RS0057223). Der Umstand, dass das schuldhafte Verhalten eines Teils das des anderen hervorgerufen hat, führt dabei regelmäßig zur Annahme, dass dem Beitrag des ersteren zur Zerrüttung der Ehe größeres Gewicht beizumessen ist (RS0056751). Maßgeblich ist daher vor allem, wer den ersten Anlass zur Zerrüttung der Ehe gegeben hat und wodurch sie in erster Linie zu einer unheilbaren wurde (RS0057361; vgl auch RS0057858).

[41] 2.5. Auch verfristete oder verziehene Eheverfehlungen können zur Unterstützung anderer Eheverfehlungen (RS0056907) und ebenso für die Verschuldensabwägung herangezogen werden (RS0043434). Je länger eine Eheverfehlung zurückliegt, desto weniger kann ihr bei der Verschuldensabwägung Bedeutung zukommen (RS0057358 [T1]). Auch sind verfristete Eheverfehlungen gegenüber nichtverfristeten grundsätzlich geringer zu bewerten (RS0043434 [T4]), dies stellt aber keinen unabänderlichen Grundsatz, sondern lediglich eine Erfahrungstatsache dar, die in der Vielzahl der Fälle zutrifft (RS0043434 [T7]). Eheverfehlungen nach unheilbarer Zerrüttung spielen mangels Kausalität für das Scheitern der Ehe grundsätzlich keine entscheidende Rolle (RS0057338; RS0056921).

[42] 2.6. Unheilbare Ehezerrüttung im Sinne des § 49 EheG ist dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv (also von außen erkennbar, wie etwa durch Auszug aus dem Schlafzimmer; vgl 5 Ob 70/18g) und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat und die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden geistigen, seelischen und körperlichen Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten ist (RS0056832; RS0043423; 8 Ob 157/18y). Ob eine Ehe unheilbar zerrüttet ist, ist eine Rechtsfrage, während die Frage, ob ein Ehegatte die Ehe subjektiv als unheilbar zerrüttet ansieht, zum Tatsachenbereich gehört (RS0043432 [T1, T4]).

[43] 3. Ausgehend von den Feststellungen der Vorinstanzen ist nicht zweifelhaft, dass im vorliegenden Fall beide Parteien relevante Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG begangen haben. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen hat der Beklagte aber nicht den ersten Anlass für die Zerrüttung der Ehe gegeben, wodurch sie in erster Linie zu einer unheilbaren wurde: Der Wunsch der Klägerin nach einer Reduktion ihres Arbeitspensums war zwar angesichts ihres sich verschlechternden Gesundheitszustands absolut verständlich, allerdings konnte sie dies nicht auch ohne Weiteres vom Beklagten verlangen, entsprach die intensive berufliche Tätigkeit des Beklagten doch der bisherigen einvernehmlichen Lebensweise und den wirtschaftlichen Interessen beider Parteien. Besonders deutlich zeigt dies der Umstand, dass der Krankenstand des Beklagten in den Jahren 2018/2019 zu einem massiven finanziellen Engpass bei den Streitteilen führte. Im Übrigen führten die Parteien trotz der ab dem Jahr 2019 bestehenden Spannungen bis Anfang des Jahres 2021 noch ein „normales“ Eheleben, schliefen in einem Bett, führten gemeinsam den Haushalt, unternahmen gemeinsam etwas und hatten sexuelle Kontakte. Auch hatten beide Parteien noch die Hoffnung, dass ihre Ehe zu retten ist. Dass die durch die Kontroverse um die berufliche Tätigkeit des Beklagten hervorgerufenen Spannungen nicht bewältigt wurden, haben sich beide Parteien gleichermaßen zuzuschreiben, weil die Klägerin jegliche Paartherapie ablehnte und der Beklagte persönliche Gespräche über die Eheprobleme abblockte. Auch ging der Beklagte zwar nicht speziell auf den angeschlagenen Gesundheitszustand der Klägern ein, gewährte ihr aber immerhin eine berufliche Auszeit von drei Monaten, damit sie sich gesundheitlich erholen konnte. Das unleidliche Verhalten der Klägerin in der Ordination, dass zu großer Unruhe und sogar zu Mitarbeiterkündigungen führte, kann schon deshalb nicht als bloße Reaktion auf die nicht erfolgte Reduktion des Arbeitspensums des Beklagten abgetan werden, weil es sich über einen längeren Zeitraum hinzog. Die Intensivierung der Spannungen gegen Ende des Jahres 2019 haben wiederum beide Parteien zu verantworten, gab es doch einerseits unfreundliche Äußerungen und einen beginnenden (unbegründeten) „Kontrollzwang“ der Klägerin und andererseits Ignoranz und mangelnde Empathie des Beklagten. Dazu kam, dass die Klägerin nach wie vor jegliche Paartherapie ablehnte und der Beklagte persönliche Gespräche über die Eheprobleme weiterhin abblockte.

[44] Zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe Anfang Februar 2021 kam es schließlich, als der Beklagte die zwei – sehr kränkenden – Chatnachrichten der Klägerin las. Ab diesem Zeitpunkt war die Ehe für den Beklagten subjektiv unheilbar zerrüttet und durch die ab diesem Zeitpunkt bestehende getrennte Lebensführung der Parteien von außen erkennbar, dass die Grundlage der Ehe zu bestehen aufgehört hat. Die nach diesem Zeitpunkt erfolgten Verfehlungen (zB Vernachlässigung der Arbeit in der Ordination durch die Klägerin, Beleidigungen des Beklagten) spielen daher keine entscheidende Rolle mehr. Insgesamt tritt selbst unter Berücksichtigung des von der Klägerin verziehenen Ehebruchs, der im Übrigen auch lange Zeit vor der unheilbaren Zerrüttung der Ehe stattfand, kein solcher gradueller Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich und offenkundig hervor, dass von einem erheblich schwerer wiegenden Verschulden eines Teils gesprochen werden könnte.

[45] 4. Der Revision des Beklagten war somit Folge zu geben und – in Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen – die Ehe der Streitteile gemäß §§ 49, 60 EheG aus deren gleichteiligem Verschulden zu scheiden.

[46] 5. Die Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens beruht auf § 43 Abs 1 ZPO. Im Fall eines gleichteiligen Verschuldens hat Kostenaufhebung einzutreten. Gemäß § 43 Abs 1 Satz 3 ZPO haben die Parteien jeweils Anspruch auf Ersatz der halben Barauslagen. Im Verfahren erster Instanz verbleibt ein Barauslagenersatzanspruch des Beklagten in Höhe von 12,50 EUR wegen einer von ihm bezahlten Zeugengebühr. Darüber hinaus hat der Beklagte ausgehend vom endgültigen Prozessergebnis und einem gleichteiligen Erfolg beider Parteien im Rechtsmittelverfahren Anspruch auf Ersatz der halben Pauschalgebühr des Berufungsverfahrens (§§ 50 Abs 1, 43 Abs 1 letzter Satz ZPO; 7 Ob 21/19t; 2 Ob 164/20m; 6 Ob 55/21p). Im Revisionsverfahren hat der Beklagte zur Gänze obsiegt. Da er aber nur noch ein gleichteiliges Verschulden anstrebt, gebührt ihm ein Kostenersatz lediglich auf Basis einer Bemessungsgrundlage von 6.000 EUR. Die Höhe der Pauschalgebühr richtet sich nach § 32 TP 3 Anm 6 GGG.

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