European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E122377
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das – hinsichtlich des Auflösungsausspruchs in Rechtskraft erwachsene – Urteil des Erstgerichts hinsichtlich des Verschuldensausspruchs und der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 730,97 EUR (darin 121,83 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.012,91 EUR (darin 83,65 EUR USt und 511 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile führten schon vor ihrer Eheschließung am 30. 5. 1997 eine Lebensgemeinschaft, der die im Juli 1994 geborene Tochter und der im Dezember 1995 geborene Sohn entstammen. Nach der Eheschließung kam der im Dezember 1997 geborene Sohn zur Welt. Zunächst lebten sie in einer Wohnung, entschieden sich aber dann gemeinsam Geld zu sparen, um einen Hausbau zu finanzieren. Der Kläger übernahm dabei die Rolle des Zeichners und Bauherren und investierte sehr viel Zeit in die Baustelle, die Beklagte betreute hauptsächlich die drei Kinder. Zur Entlastung der Beklagten kümmerte sich der Kläger teilweise um die Verköstigung der Arbeiter, teilte ihr dies aus Angst vor einem Streit jedoch nicht mit. Zur Finanzierung des Hausbaus war ein Landesdarlehen erforderlich, das bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz noch mit 52.000 EUR aushaftete.
Der Kläger hatte bereits aufgrund einer Äußerung der Beklagten beim Hochzeitsfest bereut, sie geheiratet zu haben und an der Ehe zu zweifeln begonnen, weil er den Eindruck hatte, der Beklagten nichts recht machen zu können. Die Beklagte hatte zwar am Hochzeitstag ebenso bereits ein „komisches“ Gefühl gehabt, die ersten zwei bis drei Jahre der Ehe allerdings als passend empfunden.
Der Verlauf der Ehe war von Geldsorgen geprägt, zumal die Beklagte keiner Erwerbstätigkeit nachging, um sich um die Kinder kümmern zu können. Der Kläger zahlte ihr zuletzt 50 EUR (richtig:) wöchentlich an Haushaltsgeld, seit 2017 leistete er 300 EUR Unterhalt. Zuletzt verdiente der Kläger monatlich 1.900 EUR netto „samt Sonderzahlungen“.
Der Schuleintritt der Kinder verschärfte die Geldproblematik insbesondere im Hinblick auf Skikurse oder Sommersportwochen. Am Monatsende war das Geld regelmäßig sehr knapp, was dem Kläger große Sorgen bereitete und zu Unstimmigkeiten und Streitereien führte. Weil die Beklagte das Festnetztelefon auch für Mobilgespräche nutzte – nach Ansicht des Klägers bis ins Uferlose –, ließ er das Festnetz hiefür sperren. Er war grundsätzlich der Auffassung, die Beklagte könne sparsamer leben und hielt sie dazu an, was zu Diskussionen und Streitereien führte. Die Streitteile beschimpften einander wechselseitig etwa als Schwein. Die Beklagte sagte zum Kläger, sie „werde ihn nach Mauer bringen, er solle sich einen Strick kaufen, um sich aufzuhängen“. Der Kläger beschimpfte die Beklagte als „fette Sau“, „faule Sau“, „Hure“, „Drecksau“ und sagte zu ihr, „er würde sich schämen, wenn er so aussehen würde“ oder „sie gehöre daschlogn“.
In den letzten drei Jahren notierte der Kläger in der Früh jeweils den Wasserstand und kontrollierte diesen auch am Abend. Er kam dadurch zur Auffassung, die Beklagte benötige 50–60 l Warmwasser, was er ihr als überdurchschnittlich vorhielt. Beschimpfungen eskalierten, die Parteien wurden laut und schrien einander an.
Zum Austausch von Zärtlichkeiten kam es im Verlauf der Ehe nicht, seit mehreren Jahren fand auch kein Geschlechtsverkehr mehr statt. Beide Parteien wünschten voneinander den Austausch von Streicheleinheiten, sprachen diesen Wunsch aber nie an. Sie fragten einander nicht, wie es dem anderen geht. Sie wünschten sich jeweils ein Eingehen auf die eigenen Gefühle, teilten diesen Wunsch jedoch nie mit. Beide hatten das Gefühl, vom anderen abgelehnt und nicht wertschätzend behandelt zu werden, sprachen Probleme allerdings wechselseitig grundsätzlich nicht an. Einmal versuchte die Beklagte vor rund 10 Jahren sich dem Kläger anzunähern, in dem sie ihm vorschlug eine Pizza zu holen, sich gemütlich zusammenzusetzen und ein Gläschen Wein zu trinken, was der Kläger ablehnte. Die fehlende Kommunikation und die ständigen wechselseitigen Beschimpfungen führten zur Entfremdung der Parteien und zur Zerrüttung der Ehe.
2009 begab sich die Beklagte erstmals wegen psychischer Probleme in das Landesklinikum Mauer, weil sie nicht mehr schlafen konnte. Sie hatte den Eindruck, dem Kläger nichts recht machen zu können, dem ihrer Ansicht nach nichts mehr passte. Im Zuge des stationären Aufenthalts wurde der Kläger zu einer Therapiesitzung der Beklagten beigezogen. Dort fühlte sich die Beklagte von Worten des Klägers provoziert, sodass sie wild und lauter wurde. Die Therapeutin gab ihr mit auf den Weg, „sie solle oba vom Gas gehen“. Auch 2010 war sie im Landesklinikum Mauer stationär aufgenommen.
Zwischen 2005 und 2010 zog die Beklagte aus dem gemeinsamen Schlafzimmer aus. Grund dafür war, dass der Kläger die Beklagte im alkoholisierten Zustand zu einem Geschlechtsverkehr aufforderte, der für die Beklagte schmerzhaft war, was sie ihm allerdings nicht mitteilte. Sie richtete sich ein Bett im Wohnzimmer ein. Dem lautstarken Wunsch des Klägers, dieses Bett wieder zu entfernen, begegnete sie nur mit der Antwort „nein“, teilte dem Kläger ihre weiteren Beweggründe aber nicht mit. Später sagte sie ihm, der Grund sei sein lautes Schnarchen gewesen, tatsächlich war dies auch einer der Beweggründe für das Verlassen des gemeinsamen Schlafzimmers. Letztlich tauschte der Kläger das Ehebett im Schlafzimmer gegen ein Einzelbett aus.
Nach dem Auszug der Beklagten aus dem gemeinsamen Schlafzimmer hatte der Kläger das Gefühl, die Beklagte wolle von ihm weg. Sie begann – ohne dies mit ihm zu besprechen – seine Wäsche nicht mehr zu waschen und nicht mehr für ihn zu kochen, sodass es in weiterer Folge zur Führung getrennter Haushalte durch die Parteien kam. Der Kläger kaufte dann für sich selbst Lebensmittel ein, kochte selbst und wusch seine Wäsche in einer eigenen Waschmaschine. Er hatte den Eindruck, am „Familientisch“ nicht mehr erwünscht zu sein, und nahm seine Mahlzeiten getrennt von der restlichen Familie ein. Der Kläger ging der Beklagten immer mehr aus dem Weg und zog sich überwiegend in einem von ihm als „Verlies“ bezeichneten Kellerraum zurück, um Ruhe zu finden. Die Beklagte folgte ihm oft dorthin, um mit ihm etwas zu besprechen, vorwiegend die Benutzung des Autos, die immer wieder zu großen Streitigkeiten führte, weil die Beklagte von ihm – teils vehement – die Herausgabe der Autoschlüssel forderte.
Seit jeher war die Benützung des einen gemeinsamen Autos ein großes Problem zwischen den Streitteilen. Der Kläger fuhr gegen halb 6 oder halb 7 Uhr in der Früh in die Arbeit und kehrte um 17 Uhr zurück. Er war der Auffassung, die Fahrten der Beklagten stellten „Luxusfahrten“ dar, hinsichtlich derer die Beklagte ihn in „normalem Tonfall“ fragen müsse. Wenn die Beklagte zu ihm sagte: „i sog dir, wann i des Auto brauche“, fühlte er sich stark gekränkt, ebenso wenn die Beklagte sehr bestimmend die Autoschlüssel forderte. Weil die Beklagte das Auto auch ungefragt benutzte, nahm der Kläger ihr letztlich den Reserveschlüssel weg. Zu Streitigkeiten kam es auch, wenn die Beklagte den gemeinsamen Sohn mit dem Auto zum Fußballtraining fahren wollte. Der Kläger verweigerte der Beklagten die Autobenützung, als ihr bei einer starken Regelblutung Toilettartikel ausgegangen waren, ebenso für den Arztbesuch anlässlich eines Bandscheibenvorfalls, weil sie ohnedies am Vortag beim Arzt gewesen sei, und auch zu Zwecken eines Vorstellungsgesprächs.
2014/2015 war die Heizung im Haus reparaturbedürftig. Die Beklagte verweigerte die Unterfertigung eines gemeinsamen Kreditantrags, weshalb der Kläger einen Privatkredit zu schlechteren Konditionen eingehen musste.
Am 12. 6. 2016 kam es zu einem Streit. Die Beklagte verlangte vom Kläger die Inbetriebnahme seiner Waschmaschine, ihre eigene war kaputt. Der Kläger forderte von der Beklagten, sie solle zivilisiert mit ihm sprechen. Als sie die Kellerräumlichkeiten verlassen wollten und der Kläger nach der Türschnalle griff, schloss die Beklagte die Tür und traf damit den Kläger am Auge, der eine Rissquetschwunde auf der linken Augenbraue erlitt und im Krankenhaus medizinisch versorgt werden musste. Das Strafverfahren endete mit einer Diversion, die Beklagte verpflichtete sich zur Zahlung von 300 EUR an den Kläger. Es steht nicht fest, ob die Beklagte in der Absicht handelte, den Kläger zu verletzen oder mit der Türe zu treffen.
Ein Verkehrsunfall am 11. 1. 2017, die Beklagte verursachte einen Wildschaden, führte wieder zu einem heftigen Streit der Parteien, obwohl der Schaden von der Kaskoversicherung gedeckt war.
Die Beklagte sah die Ehe bereits 2002/2003 als gescheitert an, der Kläger erst ab ihrem Antrag auf gesonderte Wohnungnahme 2016.
Das Erstgericht schied die Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden der Streitteile. Die Zerrüttung der Ehe sei darauf zurückzuführen, dass die Parteien nicht über ihre Probleme redeten, keinerlei Zärtlichkeiten austauschten und ihre Kommunikation einstellten. Sie hätten sich voneinander abgewendet, sich wechselseitig lieb‑ und interesselos verhalten und einander regelmäßig beschimpft und angeschrien. Dies habe dazu geführt, dass sie nur mehr nebeneinander her und nicht miteinander gelebt hätten, was als Verletzung zur Pflicht zur anständigen Begegnung zu werten sei. Die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft sei bereits nach kurzer Zeit, spätestens mit dem Zeitpunkt des Schulbeginns der Kinder, aufgehoben gewesen und ab diesem Zeitpunkt von einer unheilbaren Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses auszugehen. Die später begangenen Eheverfehlungen hätten bei der Verschuldensabwägung keine entscheidende Rolle mehr gespielt. Da ein überwiegendes Verschulden eines Ehegatten nur auszusprechen sei, wenn der Verschuldensgrad dieses Ehegatten an der Zerrüttung der Ehe erheblich schwerer wiege als das des anderen, was hier nicht der Fall sei, sei von gleichteiligem Verschulden auszugehen.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil über Berufung der Beklagten ab. Es sprach aus, dass den Kläger das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe. Die Feststellungen zum Zeitpunkt der subjektiven Zerrüttung seien zwar widersprüchlich, allerdings sei es eine Rechtsfrage, wann die Ehe objektiv zerrüttet gewesen sei. Der objektive Zerrüttungszeitpunkt sei nicht zwingend derjenige, den die Beklagte als Scheitern der Ehe angegeben habe, sondern hier mit ihrem Auszug aus dem gemeinsamen Schlafzimmer anzunehmen, was auch dem in diesem Punkt übereinstimmenden Vorbringen der Parteien in erster Instanz entspreche. Das Verhalten des Klägers, die Beklagte in wirtschaftlicher Abhängigkeit zu halten und ihr keine Wertschätzung entgegenzubringen, habe entscheidend zur Zerrüttung beigetragen, während die Beschimpfungen der Beklagten deutlich in den Hintergrund träten, sodass das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe den Kläger treffe. Aufgrund der objektiven Zerrüttung der Ehe im Jahr 2010 komme den Verhaltensweisen der Streitteile ab diesem Zeitpunkt keine entscheidende Bedeutung mehr zu.
Die ordentliche Revision sei aufgrund der Einzelfallbezogenheit der Verschuldensabwägung nicht zuzulassen.
In seiner außerordentlichen Revision beantragt der Kläger die Wiederherstellung des Ersturteils, hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
In der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, die außerordentliche Revision als unzulässig zurück, hilfsweise als unbegründet abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht eine auch im Einzelfall zu korrigierende Fehlbeurteilung unterlaufen ist, sie ist auch berechtigt.
1. Die Verschuldenszumessung bei der Scheidung erfolgt nach den Umständen des Einzelfalls und kann in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage begründen (RIS‑Justiz RS0119414; RS0118125). Ob die Heranziehung verziehener oder verfristeter Eheverfehlungen der Billigkeit entspricht, ist ebenso wie die Gewichtung des beiderseitigen Fehlverhaltens grundsätzlich einzelfallbezogen zu beurteilen und daher mangels der Voraussetzung des § 502 Abs 1 ZPO nicht revisibel (RIS‑Justiz RS0056171 [T11]). Auf Basis der erstgerichtlichen Feststellungen hat das Berufungsgericht hier aber den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum in einem auch im Einzelfall aufzugreifenden Ausmaß überschritten.
2.1. Nach ständiger Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0057057) muss bei beiderseitigem Verschulden ein sehr erheblicher Unterschied im Grad des Verschuldens gegeben sein, um ein überwiegendes Verschulden eines Teils annehmen zu können. Es ist dabei nicht nur zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe begonnen hat, sondern auch, wer entscheidend dazu beigetragen hat, dass die Ehe unheilbar zerrüttet wurde. Ein überwiegendes Verschulden ist nur dort anzunehmen und auszusprechen, wo der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (RIS‑Justiz RS0057821). Weil das überwiegende Verschulden – insbesondere bei den Scheidungsfolgen – dem alleinigen Verschulden gleichgestellt wird, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Anders als im allgemeinen Sprachgebrauch ist ein überwiegendes Verschulden daher nicht schon bei mehr als 50 % Überwiegen anzunehmen (2 Ob 192/10i), zumal der Gesetzgeber dem Richter nicht die Pflicht auferlegt hat, hinsichtlich des Verschuldensausmaßes subtile Abwägungen vorzunehmen; nur das erheblich schwerere Verschulden eines Teils soll im Scheidungsurteil zum Ausdruck kommen (RIS‑Justiz RS0057325). Es muss ein sehr erheblicher gradueller Unterschied im beiderseitigen Verschulden bestehen, der offenkundig hervortritt (RIS‑Justiz RS0057858 [T15]). Das mindere Verschulden müsste fast völlig in den Hintergrund treten, was nicht allein nach der Schwere der Verfehlungen, sondern danach zu beurteilen ist, in welchem Umfang diese Verfehlungen zur Zerrüttung der Ehe beigetragen haben (RIS‑Justiz RS0057858 [T17]).
2.2. Beiderseitige Eheverfehlungen müssen in ihrem Zusammenhang gesehen werden. Es kommt daher nicht nur auf den Grad der Verwerflichkeit der einzelnen Ehewidrigkeiten an, sondern auch darauf, wie weit sie einander bedingen und welch ursächlichen Anteil sie am Scheitern der Ehe haben (RIS‑Justiz RS0057223). Maßgeblich ist vor allem, wer den ersten Anlass zur Zerrüttung der Ehe gegeben hat und wodurch sie in erster Linie zu einer unheilbaren wurde (RIS‑Justiz RS0057361). Es ist das Gesamtverhalten der Ehegatten, soweit darin eine Eheverfehlung erblickt wird, zu beurteilen. Es sind nicht einzelne Eheverfehlungen zahlenmäßig gegenüberzustellen (RIS‑Justiz RS0056171). Eheverfehlungen nach unheilbarer Zerrüttung spielen mangels Kausalität für das Scheitern der Ehe grundsätzlich keine entscheidende Rolle (RIS‑Justiz RS0056921).
2.3. Verstöße gegen die Pflicht zur anständigen Begegnung (wie etwa die Einhaltung der üblichen Höflichkeitsformen, täglicher Ansprache, Respektierung der beiderseitigen Rechte im Haus und dem Kind gegenüber, wiederholte Beschimpfungen, bei denen es sich nicht um milieubedingte Entgleisungen handelt, Drohungen mit Misshandlungen, in beleidigender Form vorgebrachte Hinweise auf Krankheiten oder geminderte körperliche Leistungsfähigkeit des anderen Ehegatten) sind schwere Eheverfehlungen (RIS‑Justiz RS0056652). Bei wiederholter Verletzung der Pflicht zur anständigen Begegnung durch einen längeren Zeitraum schließt schon das zeitliche Moment aus, dies als entschuldbare Reaktion auf ehewidriges Verhalten des anderen Partner zu qualifizieren (RIS‑Justiz RS0057494 [T5]). Die zum Wesen der Ehe gehörende Gemeinsamkeit der Lebensführung hat sich nicht auf eine rein räumliche Gemeinsamkeit zu beschränken, sie erfordert ein geistig‑seelisches Miteinanderleben (RIS‑Justiz RS0056053 [T2]). Es ist grundsätzlich Pflicht der Ehegatten, dem Partner tolerant und achtungsvoll zu begegnen und etwa auch widerstreitende berufliche Vorstellungen zu koordinieren (RIS‑Justiz RS0056053 [T3, T9]). Dabei sind die finanzielle Anspannung und deren Ursachen mitzuberücksichtigen (RIS‑Justiz RS0056053 [T8]).
2.4. Unheilbare Ehezerrüttung im Sinn des § 49 EheG ist dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (RIS‑Justiz RS0056832; RS0043423). Ob eine Ehe unheilbar zerrüttet ist, ist nach objektiven Maßstäben zu beurteilen und eine Rechtsfrage, während die Frage, ob ein Ehegatte die Ehe subjektiv als unheilbar zerrüttet ansieht, zum Tatsachenbereich gehört (RIS‑Justiz RS0043432 [T4]).
3.1. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, der objektive Zerrüttungszeitpunkt sei mit dem Auszug der Beklagten aus dem gemeinsamen Schlafzimmer gleichzusetzen, wird im Revisionsverfahren nicht bezweifelt, sondern den Rechtsmittelausführungen zutreffend zugrunde gelegt, zumal die Streitteile nach den Feststellungen ab diesem Zeitpunkt begannen, im gemeinsamen Haus getrennte Haushalte zu führen, was auch das Kochen, Wäschewaschen oder das Putzen betraf. Eheverfehlungen der Parteien nach diesem Zeitpunkt konnte daher keine entscheidende Bedeutung für die Zerrüttung der Ehe mehr zukommen. Dies gilt im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichts aber nicht nur für das Verhalten des Klägers anlässlich des Verkehrsunfalls im Jänner 2017 und den Streit vom Juni 2016, der zur Verletzung des Klägers führte. Auch dass der Kläger seinen Wasserstand täglich prüfte, um der Beklagten dann einen zu hohen Verbrauch vorzuwerfen, bezieht sich nach den Feststellungen erst „auf die letzten drei Jahre“, somit auf einen Zeitraum, als die Zerrüttung der Ehe der Streitteile in objektiver Hinsicht jedenfalls bereits eingetreten war. Zum Streit um das gemeinsame Auto lassen die zeitlich nicht näher konkretisierten erstgerichtlichen Feststellungen keinen verlässlichen Schluss darauf zu, wann es zu den im Einzelnen dargestellten Vorfällen gekommen war und ob dies vor oder nach dem objektiven Zerrüttungszeitpunkt der Fall war. Das Erstgericht stellte aber immerhin fest, dass das Auto seit jeher ein großes Problem zwischen den Streitteilen und Quelle von Streitigkeiten war, was für die rechtliche Beurteilung ausreicht.
3.2. Beiden Teilen sind wiederholte massive Beschimpfungen vorzuwerfen, die – entgegen dem jeweiligen Prozessvorbringen – nicht nur zulässige Reaktionen auf Verfehlungen des jeweils anderen Teils waren und nicht mehr nur als milieubedingte Unmutsäußerungen gewertet werden können. Die vom Berufungsgericht hervorgehobenen Äußerungen gegenüber der Beklagten „fette Sau“, „wenn er so aussehen würde, würde er sich schämen“ oder „sie gehöre daschlogn“ bringen ohne Zweifel mangelnde Wertschätzung der Beklagten durch den Kläger zum Ausdruck und sind schwere Eheverfehlungen. Auch die Beklagte beschimpfte den Kläger allerdings als „Schwein“, drohte ihm an, „sie werde ihn nach Mauer bringen“ und „er solle sich einen Strick kaufen, um sich aufzuhängen“. Auch sie ließ daher Wertschätzung gegenüber dem Kläger vermissen.
3.3. Mangelnde Wertschätzung kam aber auch im Auszug der Beklagten aus dem ehelichen Schlafzimmer, der endgültig die objektive Zerrüttung der Ehe besiegelte, zum Ausdruck. Sie stellte den Kläger vor vollendete Tatsachen und nannte ihm zunächst keine Begründung für ihr Verhalten. Erst im Nachhinein schob sie sein Schnarchen als Begründung vor, ohne den für sie schmerzhaften Geschlechtsverkehr zu erwähnen. In weiterer Folge nahm sie den Auszug aus dem Schlafzimmer zum Anlass, für den Kläger keine Haushaltstätigkeiten mehr auszuüben, ohne diesbezüglich das Gespräch mit ihm zu suchen.
3.4. Allgemein war die Ehe der Streitteile von Anfang an dadurch charakterisiert, dass die Streitteile miteinander nicht – oder nur im Rahmen von Streitigkeiten – kommunizierten, ihre Probleme vielmehr für sich behielten und einander auch den Wunsch nach Zärtlichkeit nicht mitteilten. Nach den Feststellungen führte dies zu einer Entfremdung der Eheleute und zu deren bloßen „Nebeneinanderherleben“, was Kern der Ursache für die Zerrüttung der Ehe war und von beiden Streitteilen zu verantworten ist. Dass die Beklagte sich einmal vor etwa 10 Jahren um ein Gespräch bemühte, vermag daran nichts Wesentliches zu ändern.
4.1. Das Berufungsgericht begründete das überwiegende Verschulden des Klägers damit, er habe die Beklagte von Anfang an nicht als gleichberechtigte Partnerin in der Ehe akzeptiert, sondern ihr stets ihre – vor allem wirtschaftliche – Abhängigkeit vom Kläger vor Augen geführt. Aus den Feststellungen lässt sich diese Beurteilung– jedenfalls was den Zeitraum bis zum Auszug der Beklagten aus dem gemeinsamen Schlafzimmer betrifft – nicht ableiten.
4.2. Der Entschluss, Geld zu sparen, um einen Hausbau zu finanzieren, war ein gemeinsamer. Während der Kläger als Zeichner und Bauherr viel Zeit in die Baustelle investierte, kümmerte sich die Beklagte hauptsächlich um die drei gemeinsamen Kinder. Der Kläger übernahm während des Hausbaus zur Entlastung der Beklagten sogar die Verköstigung der Arbeiter. Dies lässt nicht den Schluss zu, der Kläger habe die Beklagte von Anfang an nicht als gleichberechtigte Partnerin akzeptieren wollen.
4.3. Richtig ist zwar, dass der Kläger der Beklagten finanzielle Mittel nur in äußerst knappem Umfang überließ, selbst wenn man berücksichtigt, dass er Alleinverdiener (mit einem damals wohl noch unter 1.900 EUR monatlich liegenden Einkommen) war und Schuldendienst aufgrund des Hausbaus zu leisten hatte. Ein „Kostgeld“ von („zuletzt“) wöchentlich 50 EUR war zweifellos unzureichend, auch wenn aus den Feststellungen nicht konkret zu erschließen ist, was genau die Beklagte davon zu finanzieren hatte und seit wann er ihr nur mehr diesen Betrag zur Verfügung stellte. Dass der Kläger die Beklagte immer wieder dazu anhielt, sparsamer zu leben, ihr deshalb das Festnetztelefon für Mobilgespräche sperrte und das gemeinsame Kfz nicht für seiner Ansicht nach als „Luxus“ zu wertende Fahrten überließ, mag Ausdruck eines übersteigerten Kontrollbedürfnisses des Klägers sein. Allerdings lassen die Feststellungen offen, ob die Beklagte nicht allenfalls tatsächlich in – angesichts der beengten finanziellen Situation der Familie – übertriebenem Ausmaß teure Gespräche zu Mobiltelefonen vom Festnetz aus führte oder nicht unbedingt notwendige Fahrten mit dem Pkw unternahm. Bei der Beurteilung dieses Verhaltens des Klägers als Eheverfehlung ist unabhängig davon, ob seine Vorwürfe aus objektiver Sicht berechtigt waren oder nicht – relevante sekundäre Feststellungsmängel liegen daher insoweit nicht vor –, jedenfalls auf die seit dem Schuleintritt der Kinder verschärfte Geldproblematik Bedacht zu nehmen, die dazu führte, dass es sich am Monatsende gerade knapp mit dem Geld ausging, was ihm als Alleinverdiener große Sorgen bereitete. Dass die Beklagte bereit gewesen wäre, auf diese – nachvollziehbaren – Sorgen des Klägers einzugehen, sich mit ihm darüber auszutauschen, wie die schwierige finanzielle Situation der Familie bestmöglich bewältigt werden könnte, und allenfalls selbst im Rahmen des Möglichen einen Beitrag dazu zu leisten, ergibt sich aus den Feststellungen nicht. Vorhalte des Klägers führten vielmehr nur zu Beschimpfungen und Streitigkeiten. Dass der Kläger selbst nicht sparsam gelebt hätte, wurde weder behauptet noch festgestellt.
4.4. Vergleichbares gilt für die festgestellten Streitigkeiten um den einzigen PKW in der Familie. Dass der Kläger – der diesen für Fahrten zu seiner Arbeitsstelle nutzte – der Ansicht war, die Beklagte müsse ihn wegen der Autobenützung in „normalem Tonfall“ fragen, ist für sich allein betrachtet noch nicht als ehewidriges Verhalten zu werten; anders ist die Wegnahme der Reserveschlüssel zu beurteilen, die allerdings nach den Feststellungen darauf zurückzuführen war, dass die Beklagte das Auto einfach benützte, ohne den Kläger darüber zu informieren.
4.5. Dem Berufungsgericht ist zwar beizupflichten, wenn es dem Kläger anlastet, dass auch der stationäre Aufenthalt der Beklagten im Landesklinikum Mauer nichts an seinem Verhalten der Beklagten gegenüber änderte; nach den Feststellungen war dies aber auch von Seiten der Beklagten nicht der Fall. Sie wurde bei einer gemeinsamen Therapiesitzung aufgrund der Worte des Klägers wild und lauter, sodass sich sogar ihre Therapeutin veranlasst sah, ihr den Rat zu geben, „sie solle oba vom Gas gehen“.
5. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung kann keine Rede davon sein, dass ihr Verschulden fast völlig hinter jenes des Klägers zurücktreten würde. Die beengte wirtschaftliche Situation im Zusammenhang mit den immer wiederkehrenden Vorhaltungen des Klägers, die Familie müsse sparsam leben, waren zwar wohl Anlass für laufende Streitigkeiten und Zerwürfnisse der Parteien; auch die Beklagte hat es aber an Respekt und Wertschätzung gegenüber dem Kläger fehlen lassen, mit ihm nicht gesprochen und das Interesse an ihm verloren, zumal sie – im Gegensatz zum Kläger – die Ehe subjektiv bereits 2002 oder 2003 als gescheitert ansah. Auch den letzten Schritt zur Zerrüttung der Ehe in objektiver Hinsicht setzte die Beklagte, indem sie – ohne dies mit dem Kläger zu besprechen – aus dem Schlafzimmer auszog.
6. Zusammenfassend ist daher davon auszugehen, dass das Verschulden der Beklagten im Vergleich zu jenem des Klägers nicht fast völlig in den Hintergrund tritt, sodass das Ersturteil in seinem Verschuldensausspruch– einschließlich der unbekämpft gebliebenen Kostenentscheidung – wiederherzustellen war.
7. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, in dem nur mehr die Verschuldensfrage strittig war, beruht auf § 41 Abs 1, § 50 ZPO. Ausgehend vom endgültigen Prozessergebnis hat die Beklagte dem Kläger die Kosten der Berufungsbeantwortung zu ersetzen. Mit seiner außerordentlichen Revision strebte der Kläger lediglich die Wiederherstellung des Ersturteils (also den Ausspruch gleichteiligen Verschuldens) an, er ist daher als im Revisionsverfahrens voll obsiegend zu betrachten. ERV-Gebühr steht allerdings nur im Ausmaß von 2,10 EUR (§ 23a RATG) zu, die Pauschalgebühr für die Revision beträgt 511 EUR (Anm 6 zu TP 3 GGG).
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