OGH 14Os125/22x

OGH14Os125/22x24.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Jänner 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M., den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M.sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Seidenschwann in der Strafsache gegen * F* wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht vom 20. September 2022, GZ 17 Hv 71/22y‑16, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00125.22X.0124.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * F* – soweit hier von Relevanz – des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (I.1.) und eines Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 1 erster Fall StGB (I.2.) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 2. Juli 2022 in S*

I. dadurch, dass er den auf Krücken angewiesenen * D* zur Seite stieß, dessen Geldbörse, die mit einem Lederband am Schlüsselbund befestigt war und in der sich (soweit hier von Bedeutung) 100 Euro Bargeld und die Bankomatkarte des D* befanden, vom Schlüsselbund abriss und an sich nahm,

1. D* mit Gewalt eine fremde bewegliche Sache, nämlich 100 Euro Bargeld, mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern,

2. sich ein unbares Zahlungsmittel, über das er nicht verfügen durfte, nämlich die Bankomatkarte des D*, mit dem Vorsatz verschafft, dass er durch dessen Verwendung im Rechtsverkehr unrechtmäßig bereichert werde.

Rechtliche Beurteilung

[3] Inhaltlich allein gegen den Schuldspruch zu I.1. richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

[4] Der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider stehen die Lichtbilder über die vom Opfer nachgestellte Tatsituation (ON 2.17 S 2 ff) der Feststellung zur Gewaltanwendung des Angeklagten nicht erörterungsbedürftig entgegen (vgl RIS‑Justiz RS0098495 [insbes T6]).

[5] Mit der Behauptung, aus den Lichtbildern ergebe sich, dass der Angeklagte freien, vom Opfer nicht verdeckten Zugang zum Schlüsselbund gehabt habe und deshalb nicht dazu gezwungen gewesen sei, D* zur Seite zu drücken, bekämpft die Beschwerde bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (vgl § 283 Abs 1 StPO) die tatrichterliche Beweiswürdigung.

[6] Die weitere Mängelrüge moniert einen Widerspruch (Z 5 dritter Fall – vgl RIS‑Justiz RS0119089) zwischen den Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO – US 5: Gewaltausübung durch ein „Zur‑Seite‑Tauchen“ des D* und Entreißen der Schlüsseltasche, wodurch der lederne Befestigungsriemen abriss) und deren Referat im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO – US 1: „Stoß zur Seite“). Damit spricht die Beschwerde bloß die Art der angewendeten Gewalt iSd § 142 Abs 1 StGB und deshalb keine entscheidende Tatsache an (RIS‑Justiz RS0117499, RS0106268).

[7] Das damit im Zusammenhang stehende (einen Schuldspruch nach § 127 StGB anstrebende) Vorbringen (nominell Z 5 dritter Fall, der Sache nach Z 10), das konstatierte „Zur‑Seite‑Tauchen“ stelle keine Gewalt dar, weil damit kein tatsächlicher oder erwarteter Widerstand überwunden worden sei und der Angeklagte so „unversehens“ angegriffen habe, dass er einen Widerstandswillen des D* gar nicht habe erfassen können, orientiert sich prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz RS0099810) nicht am Urteilssachverhalt, wonach der Angeklagte das betagte und gehbehinderte Opfer (vgl allgemein zum objektiv‑individuellen Beurteilungsmaßstab RIS‑Justiz RS0094100, RS0092984; Jerabek/Ropper in WK² StGB § 74 Rz 35) mit dem Ziel zur Seite drückte, an die Schlüsseltasche zu gelangen, um diese mit einer Vehemenz zu entreißen, dass der Befestigungsriemen riss (US 5; vgl zum Entreißen einer Tasche RIS‑Justiz RS0093941 [insbes T15 und T20]). Im Übrigen kommt es beim Gewaltbegriff nicht darauf an, dass das Opfer tatsächlich Widerstand leistet (RIS‑Justiz RS0094021).

[8] Indem die Beschwerde (nominell Z 5 vierter Fall) die Kritik offenbar unzureichender Begründung der Feststellung zur Gewaltanwendung lediglich mit eigenen Schlussfolgerungen aus der von den Tatrichtern gewürdigten Aussage des Zeugen D* (US 7 f) untermauert, bekämpft sie abermals bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung (vgl RIS‑Justiz RS0099455 [T2]).

[9] Die Tatsachenrüge (Z 5a) weckt mit den aus der Aussage des Opfers, insbesondere aus dessen Schilderung, wonach der Schlüssel bereits im Schloss der Eingangstür gesteckt gewesen sei, als der Angeklagte angegriffen habe (vgl dazu US 5 und 7), sowie aus den Lichtbildern der nachgestellten Tatsituation und aus den Mutmaßungen des Angeklagten über (tatsächlich ausgebliebene) Folgen einer Gewaltausübung gegen das Opfer gezogenen Schlüssen keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen (vgl RIS‑Justiz RS0099674).

[10] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

[11] Dieses wird zu beachten haben, dass dem Schuldspruch zu I.2. nicht geltend gemachte Nichtigkeit (Z 10) anhaftet, weil die Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 1 erster Fall StGB in subjektiver Hinsicht voraussetzt, dass sich der Täter das unbare Zahlungsmittel mit dem Vorsatz verschafft, sich oder einen Dritten durch dessen Verwendung im Rechtsverkehr unrechtmäßig zu bereichern (vgl für viele Schroll in WK² StGB § 241e Rz 10). Solche Feststellungen sind den Entscheidungsgründen aber nicht zu entnehmen.

[12] Anlass für eine amtswegige Maßnahme nach § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO besteht nicht, weil sich dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen bei der Strafrahmenbildung (nach § 142 Abs 1 StGB) nicht ausgewirkt hat und bei der Strafzumessung lediglich das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit mehreren Vergehen „verschiedener Art“ (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) als erschwerend gewertet wurde (US 10).

[13] Das Oberlandesgericht ist im Rahmen des Berufungsverfahrens an die fehlerhafte Subsumtion nicht gebunden (RIS‑Justiz RS0118870).

[14] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte