OGH 7Ob165/22y

OGH7Ob165/22y9.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L* J*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei D* AG *, vertreten durch die Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, wegen Feststellung (Streitwert 7.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. Juli 2022, GZ 60 R 41/22t‑16, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 25. Februar 2022, GZ 20 C 453/21w‑10, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00165.22Y.1109.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Diebeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 624 EUR (darin enthalten 104 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] Zwischen der Mutter der Klägerin und der Beklagten besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2016) zugrunde liegen. Die Klägerin ist Mitversicherte, die Mutter hat der Klageführung zugestimmt. Die ARB 2016 lauten auszugsweise:

Artikel 6

Welche Leistungen erbringt der Versicherer?

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, übernimmt der Versicherer im Falle seiner Leistungspflicht die Kosten gemäß Punkt 6., soweit sie für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers notwendig sind.

[...]

3. Notwendig sind die Kosten, wenn die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zweckentsprechend und nicht mutwillig ist und hinreichende Aussicht auf deren Erfolg besteht. […]

[…]

Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,

1.1. den Versicherer

1.1.1. unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären,

1.1.2. und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen und

[…]

2. Für den Fall, dass der Versicherungsnehmer eine dieser Obliegenheiten verletzt, wird Leistungsfreiheit vereinbart. Die Voraussetzungen und Begrenzungen der Leistungsfreiheit sind gesetzlich geregelt (siehe § 6 Abs. 3 VersVG).

[...]

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen? [...]

[...]

2. [...]Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis:

[…]

2.2. dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d. h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

2.3. dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen;

[…]

Besondere Bestimmungen

[...]

Artikel 19

Schadenersatz- und Straf-Rechtsschutz für den Privat-, Berufs- und Betriebsbereich

[…]

2. Was ist versichert?

Der Versicherungsschutz umfasst

2.1.  Schadenersatz-Rechtsschutz

für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen eines erlittenen Personen-, Sach- oder Vermögensschadens.

[…]

3.   Was ist nicht versichert?

3.1. Zur Abgrenzung von anderen Rechtsschutz-Bausteinen umfasst der Versicherungsschutz hier nicht

3.1.1 Fälle, welche beim Versicherungsnehmer und den mitversicherten Personen in ihrer Eigenschaft als Eigentümer, Halter, Zulassungsbesitzer, Leasingnehmer oder Lenker von Motorfahrzeugen zu Lande, zu Wasser und in der Luft sowie Anhängern eintreten (nur nach Maßgabe der Artikel 17 und 18 versicherbar);

[...]“

[2] Da die Beklagte in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[3] 1. Entgegen der Ansicht der Beklagten hat die Klägerin konkret vorgebracht, dass sie Rechtsschutzdeckung für die Geltendmachung eines deliktischen Anspruchs auf Ersatz des Minderwerts (30 % des Kaufpreises) gegen die Herstellerin ihres Fahrzeugs begehrt, dessen Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden sei [vgl ON 6, S 6/7].

[4] 2.1. Die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung decken wegen der schweren Überschaubarkeit und Kalkulierbarkeit sowie der Größe des Rechtskostenrisikos im gesamten Bereich des privaten wie auch öffentlichen Rechts nur Teilgebiete ab. Eine universelle Gefahrenübernahme, bei der der Versicherer jeden beliebigen Bedarf des Versicherungsnehmers nach Rechtsschutz decken müsste, ist in Österreich nicht gebräuchlich. Die Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen sind einerseits in die „Gemeinsamen Bestimmungen“ (Art 1 bis 16 ARB) und andererseits in die „Besonderen Bestimmungen“ (Art 17 bis 29 ARB) unterteilt. Diese stellen die sogenannten „Rechtsschutzbausteine“ dar, die jeweils die Eigenschaften und Rechtsgebiete, für die Versicherungsschutz bestehen, umschreiben (7 Ob 115/19s mwN).

[5] 2.2. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 7 Ob 91/22s mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass der hier behauptete deliktische Anspruch von Art 19.2.1. ARB 2008 umfasst ist. Dies gilt auch für die in diesem Fall anwendbaren ARB 2016 (vgl auch 7 Ob 129/22d zu den ARB 2009 und 7 Ob 130/22a zu den ARB 2005), ergibt sich doch auch bei der hier verwendeten Formulierung eindeutig, dass es sich bei Art 19.3.1.1. ARB 2016 um einen Deckungsabgrenzungsausschluss, und nicht um einen Deckungsausschluss handelt („Zur Abgrenzung von anderen Rechtsschutz-Bausteinen ...“). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch dem Rechtsschutzbaustein des Art 19.2.1. ARB 2016 untersteht, entspricht daher der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.

[6] 3.1. In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0117144). Eine Vorwegnahme des Ergebnisses des zu deckenden Prozesses im Deckungsprozess durch Klärung der dort gegenständlichen – bisher noch nicht gelösten – Rechtsfragen zur Beurteilung der Erfolgsaussichten kommt ebenso wenig in Betracht wie die Vorwegnahme der Klärung der Tatfragen (7 Ob 65/22t mwN).

[7] 3.2. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass das von der Klägerin zum Haftpflichtanspruch erstattete Vorbringen nicht unschlüssig sei und der Ausgang des Haftpflichtprozesses von nicht im Deckungsprozess zu klärenden Tatfragen sowie – zumindest auch – von der Beantwortung bisher nicht gelöster Rechtsfragen abhängt (zB Vorteilsausgleich), ist nicht korrekturbedürftig (vgl 7 Ob 65/22t; 7 Ob 130/22a). Die von der Revision zitierte Entscheidung 1 Ob 198/20d spricht für die Rechtsansicht der Vorinstanzen, begründet der Oberste Gerichtshof doch dort die Zurückweisung der Revision mit dem Hinweis auf die vom Erstgericht getroffene (Negativ‑)Feststellung, wonach nicht festgestellt werden konnte, ob die Klägerin das Fahrzeug in Kenntnis der Manipulation überhaupt oder allenfalls um einen geringeren Preis erworben hätte (so auch 7 Ob 61/22d; 7 Ob 129/22d). Die Entscheidung 9 Ob 53/20i ist schon deshalb nicht einschlägig, weil die Klägerin weder Leasingnehmerin ist noch war.

[8] 4. Zur behaupteten Obliegenheitsverletzung gemäß Art 8.1.1. ARB 2016 ist die Revision nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sich die Beklagte mit den Argumenten des Berufungsgerichts nicht auseinandersetzt (vgl RS0043603 [insb T9, T12]), wonach sie bislang nicht näher spezifiziert hat, welche Informationen zu welchem Zweck erforderlich gewesen wären. Soweit die Beklagte diese nun erstmals in der Revision zu konkretisieren versucht, verstößt sie gegen das Neuerungsverbot.

[9] 5. Die Revision der Beklagten ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

[10] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

Stichworte