OGH 7Ob130/22a

OGH7Ob130/22a28.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W* G*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 7.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. Mai 2022, GZ 1 R 260/21p‑21, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 21. Oktober 2021, GZ 16 C 189/21t‑14, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00130.22A.0928.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Diebeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 624 EUR (darin enthalten 104 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] Zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2005 R 909) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

„Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

[…]

3. In den übrigen Fällen gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. […]

[…]

Artikel 6

Welche Leistungen erbringt der Versicherer?

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, übernimmt der Versicherer im Falle seiner Leistungspflicht die ab dem Zeitpunkt der Geltendmachung des Deckungsanspruches entstehenden Kosten gemäß Punkt 6., soweit sie für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers notwendig sind.

[...]

3. Notwendig sind die Kosten, wenn die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zweckentsprechend und nicht mutwillig ist und hinreichende Aussicht auf deren Erfolg besteht. […]

[…]

Artikel 7

Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?

[…]

2. Vom Versicherungsschutz sind ferner ausgeschlossen,

[…]

2.4 die Geltendmachung von Forderungen, die an den Versicherungsnehmer abgetreten wurden, und die Abwehr von Haftungen aus Verbindlichkeiten anderer Personen, die der Versicherungsnehmer übernommen hat, wenn die Abtretung oder Haftungsübernahme erfolgte, nachdem der Versicherungsfall eingetreten ist, oder nach dem vom Versicherungsnehmer, Gegner oder einem Dritten eine den Versicherungsfall auslösende Rechtshandlung oder Willenserklärung vorgenommen wurde;

[…]

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen? [...]

[...]

2. [...]Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis:

[…]

2.2 dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d. h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

2.3. dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen;

[…]

Besondere Bestimmungen

[...]

Artikel 19

Schadenersatz- und Straf-Rechtsschutz für den Privat-, Berufs- und Betriebsbereich

[…]

2. Was ist versichert?

Der Versicherungsschutz umfasst

2.1   Schadenersatz-Rechtsschutz

für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen eines erlittenen Personen-, Sach- oder Vermögensschadens;

[…]

3. Was ist nicht versichert?

3.1 Zur Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Rechtsschutz-Bausteinen umfasst der Versicherungsschutz nicht

3.1.1 Fälle, welche beim Versicherungsnehmer und den mitversicherten Personen in ihrer Eigenschaft als Eigentümer, Halter, Zulassungsbesitzer, Leasingnehmer oder Lenker von Motorfahrzeugen zu Lande, zu Wasser und in der Luft sowie Anhängern eintreten (versicherbar in Artikel 17 und 18);

[...]

3.1.3 die Geltendmachung von Ansprüchen aus schuldrechtlichen Verträgen sowie die Geltendmachung von Ansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung vertraglicher Pflichten entstehen und über das Erfüllungsinteresse hinausgehen, oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen (versicherbar in Artikel 23);

[...]“

[2] Da die Beklagte in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[3] 1.1. Die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung decken wegen der schweren Überschaubarkeit und Kalkulierbarkeit sowie der Größe des Rechtskostenrisikos im gesamten Bereich des privaten wie auch öffentlichen Rechts nur Teilgebiete ab. Eine universelle Gefahrenübernahme, bei der der Versicherer jeden beliebigen Bedarf des Versicherungsnehmers nach Rechtsschutz decken müsste, ist in Österreich nicht gebräuchlich. Die Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen sind einerseits in die „Gemeinsamen Bestimmungen“ (Art 1 bis 16 ARB) und andererseits in die „Besonderen Bestimmungen“ (Art 17 bis 29 ARB) unterteilt. Diese stellen die sogenannten „Rechtsschutzbausteine“ dar, die jeweils die Eigenschaften und Rechtsgebiete, für die Versicherungsschutz bestehen, umschreiben (7 Ob 115/19s mwN).

[4] 1.2. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 7 Ob 91/22s mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass der hier behauptete deliktische Anspruch gegen die Herstellerin eines Kraftfahrzeugs von Art 19.2.1 ARB 2008 umfasst ist. Dies gilt auch für die in diesem Fall anwendbaren (gleichlautenden) ARB 2005 (vgl auch 7 Ob 129/22d zu den ARB 2009). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der vom Kläger geltend gemachte Anspruch dem Rechtsschutzbaustein des Art 19.2.1 ARB 2005 untersteht, entspricht daher der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.

[5] 2.1. Für den Eintritt des Versicherungsfalls ist hier unbestritten Art 2.3 ARB 2005 maßgeblich. Der Verstoß ist im Fall des serienmäßigen Einbaus eines nicht rechtskonformen Bauteils in eine Sache der Zeitpunkt des Kaufs der mangelhaften Sache durch den Versicherungsnehmer (RS0114001 [T9]). Der Versicherungsfall ist daher der Erwerbdes Fahrzeugs, weil sich erst damit die vom Rechtsschutzversicherer in Bezug auf den Versicherungsnehmer konkret übernommene Gefahr zu verwirklichen beginnt (7 Ob 32/18h).

[6] 2.2. Im vorliegenden Fall hat der Versicherungsnehmer während des versicherten Zeitraums einen gebrauchten Diesel-PKW erworben und begehrt Deckung für gegen die Fahrzeugherstellerin geltend zu machende Ansprüche. Nach Art 7.2.4 ARB 2005 ist die Deckung ausgeschlossen, wenn eine Forderung geltend gemacht wird, die an den Versicherungsnehmer abgetreten wurde, nachdem der Versicherungsfall eingetreten ist oder nachdem vom Versicherungsnehmer, Gegner oder einem Dritten eine den Versicherungsfall auslösende Rechtshandlung oder Willenserklärung vorgenommen wurde. Die für den Deckungsausschluss erforderliche zeitliche Voraussetzung einer Abtretung nach Eintritt des Versicherungsfalls bzw der diesen auslösenden Rechtshandlung oder Willenserklärung, hier somit nach Erwerb des Fahrzeugs, ist nicht erfüllt und wird von der Beklagten auch nicht behauptet (7 Ob 133/21s). Durch die dem Abschluss des Kaufs vorangehenden Willenserklärungen entweder des Klägers (Versicherungsnehmers), das Fahrzeug um einen bestimmten Preis zu kaufen, oder des Gebrauchtwagenverkäufers (Dritten), das Fahrzeug zu einem bestimmten Preis zu verkaufen, ist – entgegen der nicht näher begründeten Ansicht der Beklagten – der Versicherungsfall nicht ausgelöst worden (7 Ob 129/22d).

[7] 2.3. Die von der Revision ins Treffen geführte Entscheidung 1 Ob 269/06z betraf keinen Versicherungsvertrag; für die Frage der Erfüllung des Deckungsausschlusses nach Art 7.2.4 ARB 2005 ist daraus nichts abzuleiten (7 Ob 133/21s; 7 Ob 61/22d; 7 Ob 129/22d).

[8] 3.1. In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0117144).

[9] 3.2. Der Kläger begehrt Rechtsschutzdeckung für die Geltendmachung eines auf § 1295 Abs 2 ABGB sowie § 874 ABGB gestützten Anspruchs auf Ersatz des Minderwerts (30 % des Kaufpreises) gegen die Herstellerin wegen des Kaufs eines Fahrzeugs, dessen Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden sei [vgl Protokoll ON 13.2, PS 2]. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass dieses Vorbringen nicht unschlüssig sei, eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs bestehe und dass der von der Beklagten erhobene Einwand, der Kläger hätte das Fahrzeug auch in Kenntnis der Softwaremanipulation nicht um einen geringeren Preis erworben, als Tatfrage im Haftpflichtprozess zu beurteilen und daher für die Deckungspflicht unbeachtlich sei, ist nicht korrekturbedürftig. Die von der Revision zitierte Entscheidung 1 Ob 198/20d spricht für die Rechtsansicht der Vorinstanzen, begründet der Oberste Gerichtshof doch dort die Zurückweisung der Revision mit dem Hinweis auf die vom Erstgericht getroffene (Negativ-)Feststellung, wonach nicht festgestellt werden konnte, ob die Klägerin das Fahrzeug in Kenntnis der Manipulation überhaupt oder allenfalls um einen geringeren Preis erworben hätte (so auch 7 Ob 61/22d; 7 Ob 129/22d).

[10] 4. Die Revision der Beklagten ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

[11] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

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