OGH 7Ob91/22s

OGH7Ob91/22s29.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V* S*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei H* AG, *, vertreten durch Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. Februar 2022, GZ 60 R 123/21z‑10, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 24. September 2021, GZ 21 C 116/21v‑6, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00091.22S.0629.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weiter Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Zwischen der Klägerin und der Beklagten besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2008; idF „ARB“) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

Gemeinsame Bestimmungen

[...]

Art 8 Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet

1.1 den Versicherer

1.1.1 unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären,

1.1.2 ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen und

[...]

3. Für den Fall, dass der Versicherungsnehmer eine dieser Obliegenheiten verletzt, wird Leistungsfreiheit vereinbart. Die Voraussetzungen und Begrenzungen der Leistungsfreiheit sind gesetzlich geregelt (siehe § 6 Abs 3 VersVG im Anhang).

Art 9 Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen? Was hat bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer über die Art der Vorgangsweise oder die Erfolgsaussichten zu geschehen? (Schiedsgutachterverfahren)

[...]

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhalts unter Berücksichtigung der Rechts‑ und Beweislage zum Ergebnis:

2.1 dass hinreichende Aussicht besteht, in einem Verfahren im angestrebten Umfang zu obsiegen, hat er sich zur Übernahme aller Kosten nach Maßgabe des Artikels 6 (Versicherungsleistungen) bereit zu erklären;

2.2 dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, das heißt ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

2.3 dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.

[...]

Besondere Bestimmungen

[...]

Art 17 Schadenersatz‑, Straf‑ und Führerschein‑Rechtsschutz für Fahrzeuge (Fahrzeug‑Rechtsschutz) je nach Vereinbarung mit oder ohne Fahrzeug‑Vertrags‑Rechtsschutz

[...]

2. Was ist versichert?

Der Versicherungsschutz umfasst

2.1 Schadenersatz‑Rechtsschutz

für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen erlittener Personen‑, Sach‑ oder Vermögensschäden, soweit diese aus der bestimmungsgemäßen Verwendung des versicherten Fahrzeuges entstehen.

2.1.1 Kein Versicherungsschutz besteht für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragspartnern oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen (versicherbar gemäß Punkt 2.4.).

[...]

2.4 Fahrzeug‑Vertrags‑Rechtsschutz

Wenn vereinbart, umfasst der Versicherungsschutz auch die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen, die versicherte Fahrzeuge und Anhänger einschließlich Ersatzteile und Zubehör betreffen.

Als Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen gilt auch die Geltendmachung oder Abwehr von Schadenersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragspartnern oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen.

[...]

Art 19 Schadenersatz‑ und Straf‑Rechtsschutz für den Privat‑, Berufs‑ und Betriebsbereich

[...]

2. Was ist versichert?

Der Versicherungsschutz umfasst

2.1 Schadenersatz‑Rechtsschutz

für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen eines erlittenen Personen‑, Sach‑ oder Vermögensschadens;

[...]

3. Was ist nicht versichert?

3.1 Zur Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Rechtsschutz‑Bausteinen umfasst der Versicherungsschutz nicht

3.1.1 Fälle, welche beim Versicherungsnehmer und den mitversicherten Personen in ihrer Eigenschaft als Eigentümer, Halter, Zulassungsbesitzer, Leasingnehmer oder Lenker von Motorfahrzeugen zu Lande, zu Wasser und in der Luft sowie Anhängern eintreten (versicherbar gemäß Art 17 und 18);

[...]“

[2] Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 12. 9. 2019 von einem Privaten den Gebrauchtwagen Audi A3 Quattro Sportback (Erstzulassung am 21. 7. 2017) um 23.000 EUR.

[3] Mit Schreiben vom 18. 1. 2021 ersuchte der Klagevertreter die Beklagte um Deckung eines Rechtsstreits: „... Das Fahrzeug Ihres Versicherungsnehmers wurde mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert, welche streckengesteuert die AGR‑Rate anpasst. Ferner ist davon auszugehen, dass der Nox‑Speicherkatalysator unzureichend regeneriert wird, sodass auch aus diesem Grund die Emissionsminderungsfunktion im normalen Fahrbetrieb reduziert wird. Diese Annahme wird durch das bereits angebotene Software‑Update '23X4' für Golfmodelle bestätigt. Um für Ihre Versicherungsnehmerin gegen die [...] gerichtlich einschreiten zu können, ersuchen wir höflich um Rechtsschutzdeckung, um den Minderwert in Höhe von 30 % geltend zu machen [...].“

[4] Die Beklagte lehnte die Deckung mit Schreiben vom 16. 3. 2021 mit der Begründung ab, dass der Sachverhalt weder unter den Schadenersatz-Rechtsschutz nach Art 17.2.1 ARB noch unter den Fahrzeug‑Vertrags-Rechtsschutz nach Art 17.2.4 zu subsumieren sei. Auch eine Deckung gemäß Art 19 schloss sie unter Hinweis auf Art 19.3.1.1 ARB aus.

[5] Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihr die Beklagte für „die klageweise Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Kauf des Audi A3 Quattro Sportback um 23.000 EUR vom 12. 9. 2019 gegen die [...], Deckung zu gewähren“ habe. Das Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet. Die Beklagte habe nach Art 17.2.4 ARB, in eventu Art 17.2.1 oder Art 19.2.1 ARB Deckung zu gewähren. Die Klägerin habe erst anlässlich der Erstbesprechung beim Klagevertreter erfahren, dass das Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen sei. Sollte, was bestritten werde, eine Obliegenheit verletzt worden sein, so sei dies weder grob fahrlässig noch vorsätzlich erfolgt und habe auf die Feststellung des Versicherungsfalls keinen Einfluss. Es liege keine mangelnde Erfolgsaussicht vor.

[6] Die Beklagte bestritt und brachte vor, dass Art 17.2.1 ARB nicht zur Anwendung gelange, weil im vorliegenden Fall der behauptete Schaden nicht aus der bestimmungsgemäßen Verwendung des versicherten Fahrzeugs entstanden sei. Die Anwendung des Art 19.2.1 ARB scheide aufgrund des Deckungsausschlusses des Art 19.3.1.1 ARB aus. Auch der Fahrzeug-Vertrags-Rechtsschutz nach Art 17.2.4 ARB sei nicht anwendbar, weil dieser Rechtsschutzdeckung nur für Rechtsstreitigkeiten zwischen Vertragspartnern gewähre. Die Deckung sei auch wegen der grob schuldhaften Verletzung der Obliegenheiten nach Art 8.1.1 iVm Art 9 ARB zu verwehren, weil die Klägerin in ihrer äußerst rudimentären Schadenmeldung nicht offen gelegt habe, worin der Schaden liege und weshalb ihr ein Anspruch von 30 % des Kaufpreises zustehe.

[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Deckung gemäß Art 17.2.1 ARB scheide aus, weil die gegen den Hersteller des Fahrzeugs geltend zu machenden deliktischen Ansprüche schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht unter den Begriff „bestimmungsgemäßer Gebrauch“ zu subsumieren seien. Die Beklagte sei auch nach Art 17.2.4 ARB nicht zur Deckung verpflichtet, weil sich diese Bestimmung auf die Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Bestimmungen zwischen Vertragspartnern beziehe. Die begehrte Deckung sei aber auch nicht von Art 19 ARB umfasst, weil Art 19.3.1.1 ARB diesbezüglich auf Art 17 ARB verweise, wonach solche Fälle nur eingeschränkt versicherbar seien.

[8] Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im klagsstattgebenden Sinn ab. Eine Deckung nach Art 17.2.1 ARB scheide aus, weil der hier in Frage stehende Anspruch, nämlich ein aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung in das Fahrzeug resultierender Schaden, vom Wortlaut nicht umfasst sei. Art 17.2.4 ARB gelange nicht zur Anwendung, weil die Klägerin ihren Anspruch nicht auf einen zwischen ihr und der Fahrzeugherstellerin bestehenden Vertrag stütze. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch sei aber von Art 19.2.1 ARB umfasst. Der Deckungsabgrenzungsausschluss nach Art 19.3.1.1 ARB komme nur für Fälle des Art 19 zur Anwendung, die von der primären Risikoumschreibung des „verwiesenen“ Bausteins, hier des Art 17 ARB umfasst würden. Da der vorliegende Sachverhalt nicht unter die primären Risikoumschreibungen der Art 17.2.1 ARB und Art 17.2.4 ARB zu subsumieren sei, falle er nicht unter den Deckungsabgrenzungsausschluss des Art 19.3.1.1 ARB und sei daher nach Art 19.2.1 ARB versichert. Dass die Beklagte von der Klägerin vor Erstellung der Deckungsabsage weitere Informationen abverlangt hätte, welchem Ersuchen die Klägerin nicht nachgekommen sei, sei von der Beklagten nicht vorgebracht. Dadurch habe sie sich allerdings der Möglichkeit begeben, die Richtigkeit der Angaben der Klägerin zu überprüfen, ohne dass dieser eine Verletzung einer Aufklärungsobliegenheit vorgeworfen werden könne. Dass die Klägerin wegen Unschlüssigkeit oder unbehebbaren Beweisnotstand keine Aussicht auf Erfolg hätte, sei nicht vorgebracht worden. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben und den Grundsätzen nach § 2 VersVG liege nicht vor.

[9] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil die Auslegung von Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen bestimmter Geschäftsbranchen, welche regelmäßig für eine größere Anzahl von Kunden und damit Verbrauchern bestimmt und von Bedeutung seien, eine erhebliche Rechtsfrage darstelle, sofern solche Klauseln bisher vom Obersten Gerichtshof noch nicht zu beurteilen gewesen seien.

[10] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag dahin, das Klagebegehren abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] Die Klägerin begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

[12] Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt im Sinne des Aufhebungantrags.

Rechtliche Beurteilung

[13] 1.1. Die Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen decken wegen der schweren Überschaubarkeit und Kalkulierbarkeit sowie der Größe des Rechtskostenrisikos im gesamten Bereich des privaten wie auch öffentlichen Rechts nur Teilgebiete ab. Eine universelle Gefahrenübernahme, bei der der Versicherer jeden beliebigen Bedarf des Versicherungsnehmers nach Rechtsschutz decken müsste, ist in Österreich nicht gebräuchlich. Die Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen sind einerseits in die „Gemeinsamen Bestimmungen“ (Art 1 bis 16 ARB) und andererseits in die „Besonderen Bestimmungen“ (Art 17 bis 29 ARB) unterteilt. Diese stellen die sogenannten „Rechtsschutzbausteine“ dar, die jeweils die Eigenschaften und Rechtsgebiete, für die Versicherungsschutz bestehen, umschreiben (7 Ob 115/19s mwN).

[14] 1.2. Die Klägerin begehrt Versicherungsschutz aus den Rechtsschutzbausteinen Art 17.2.1 ARB (Fahrzeug‑Rechtsschutz), Art 17.2.4 ARB (Fahrzeug-Vertrags-Rechtsschutz) und Art 19.2.1 ARB (Schadenersatz-Rechtsschutz).

[15] 1.3. Für das Vorliegen eines Versicherungsfalls trifft nach der allgemeinen Risikoumschreibung den Versicherungsnehmer die Beweislast (RS0043438). Der Versicherungsnehmer, der eine Versicherungsleistung behauptet, muss daher die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Eintritts des Versicherungsfalls beweisen (RS0080003).

[16] 1.4. Als Voraussetzung für das Bestehen des Versicherungsschutzes sind daher die in den „Besonderen Bestimmungen“ (Art 17 bis 29 ARB) genannten Leistungsarten vom Versicherungsnehmer nachvollziehbarauszuführen. Behauptet der Versicherungsnehmer die Notwendigkeit der Interessenwahrnehmung im Rahmen einer bestimmten von ihm versicherten Leistungsart, dann muss er schlüssig darlegen, dass der von ihm verfolgte oder abzuwehrende Anspruch aus einem Rechtsverhältnis herrührt, das in den Schutzbereich seines Versicherungsvertrags fällt (7 Ob 115/19s;Obarowski in Harbauer Rechtsschutzversicherung9 ARB 2010 § 2 Rn 4; vgl auch Lücke in Prölss/Martin VVG31 Vor § 100 Rn 1).

[17] 1.5. Diese Voraussetzungen sind hier derzeit nicht gegeben, was die Beklagte ausdrücklich in ihrer Revision releviert. Es fehlt jegliches Vorbringen zu den tatsächlichen Voraussetzungen einer Anspruchsgrundlage für einen Anspruch der Klägerin gegenüber der Herstellerin. Offen ist nämlich, welches konkrete Begehren die Klägerin im zu deckenden Verfahren erheben und welches Vorbringen sie zur Darlegung welchen Anspruchs erstatten wird, um dort eine Klagsstattgebung zu erreichen. Damit können auch die Voraussetzungen für das Bestehen des begehrten Versicherungsschutzes noch gar nicht abschließend beurteilt werden. Dies kann allerdings nicht zur sofortigen Abweisung des Klagebegehrens führen. Der Oberste Gerichtshof darf die Parteien nicht mit einer Rechtsansicht überraschen, die sie nicht beachtet und auf die das Gericht nicht hingewiesen hat (RS0037300). Vielmehr ist der Klägerin Gelegenheit zu geben, ihr bisher unschlüssiges Deckungsbegehren zu verdeutlichen und zu präzisieren.

[18] 1.6. Sollte sich, wovon erkennbar das Berufungsgericht – ohne entsprechendes Vorbringen der Klägerin – ausging, im fortgesetzten Verfahren ergeben, dass die Klägerin Deckung für die Geltendmachung eines deliktischen Schadenersatzanspruchs in Höhe der 30%igen Wertminderung des gekauften Wagens aus dem Erwerb einer mangelhaften Sache aufgrund einer Täuschungshandlung durch die Herstellerin begehrt, ist Folgendes zu beachten:

[19] 2.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insbes T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]). Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert (RS0107031).

[20] 2.2. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikoabgrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämien ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166 [T10]; RS0080068).

[21] 3.1. Die positive Deckungsumschreibung in Art 17.2.1 ARB (Schadenersatz‑Rechtsschutz) umfasst die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen, [...], soweit diese aus der bestimmungsgemäßen Verwendung des versicherten Fahrzeugs entstehen.

[22] Den Begriff „bestimmungsgemäße Verwendung des Fahrzeugs“ versteht der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer dahin, dass zwar nicht nur Schäden anlässlich der Fortbewegung des Fahrzeugs umfasst sind, sondern alle Schäden, die zeitlich, räumlich oder funktional in einem adäquat kausalen Zusammenhang mit der Verwendung des Fahrzeugs als Transport‑ und Fortbewegungsmittel stehen (vgl Kronsteiner, Die Rechtsschutzversicherung2, 38; Garo/Kath/Kronsteiner, Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung ARB 2015, Pkt 2.1; Riedler, Keine Rechtsschutzdeckung bei Direktklagen gegenüber KFZ‑Herstellern im Abgasskandal?, VbR 2022/5). Die bloße Haltung eines Fahrzeugs als Statussymbol betrachtet hingegen – entgegen der Ansicht der Klägerin – auch der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer nicht als bestimmungsgemäße Verwendung des Fahrzeugs.

[23] 3.2. Ansprüche, die gegen den Hersteller aus dem behaupteten Einbau einer abgasmanipulierten Software in ein Fahrzeug geltend gemacht werden sollen, sind bereits von der positiven Deckungsumschreibung des Art 17.2.1 ARB nicht umfasst, da diese Ansprüche aus keiner bestimmungsgemäßen Verwendung des Fahrzeugs resultieren (vgl Riedler aaO).

[24] 4.1. Nach Art 17.2.4 (Fahrzeug‑Vertrags-Rechtsschutz) umfasst der Versicherungsschutz – wenn vereinbart – auch die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen, die versicherte Fahrzeuge und Anhänger einschließlich Ersatzteile und Zubehör betreffen. Als Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen gilt auch die Geltendmachung oder Abwehr von Schadenersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragspartnern oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen.

[25] 4.2. Nicht strittig ist, dass der vom Berufungsgericht unterstellte Ersatzanspruch – mangels Fehlens eines Vertragsverhältnisses zum Hersteller – weder die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus einem schuldrechtlichen Vertrag, noch die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragspartnern entstehen, darstellen kann.

[26] 4.3.1. Die Klägerin meint jedoch, dass die Möglichkeit der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen, mangels entsprechender Einschränkung in der Bedingung, auch die Geltendmachung von Vermögensschäden gegen Dritte erfasst.

[27] 4.3.2. Dieses Auslegungsergebnis wird nicht geteilt. Mögliche Geschäftspartner treten schon mit der Kontaktaufnahme in ein beiderseitiges vorvertragliches Schuldverhältnis, das die Beteiligten insbesondere verpflichtet, einander über die Beschaffenheit der in Aussicht genommenen Leistungsgegenstände aufzuklären und Umstände mitzuteilen, die einem gültigen Vertragsabschluss entgegenstehen. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen macht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1295 ABGB schadenersatzpflichtig (RS0014885). Das vorvertragliche Schuldverhältnis besteht unabhängig davon, ob es später zu einem Vertragsabschluss kommt. Es handelt sich, wenn der in Aussicht genommene Vertrag nicht zustande kommt oder als nicht zustande gekommen gilt, um ein Schuldverhältnis ohne Hauptleistungspflicht, das vor allem in Aufklärungs‑ und Sorgfaltspflichten besteht (RS0049409).

[28] 4.3.3. Inwieweit ein – wie vom Berufungsgericht zugrunde gelegter – Ersatzanspruch gegen die Herstellerin aus deren Verletzung vorvertraglicher Pflichten hergeleitet werden soll, ist nicht zu erkennen.

[29] 4.4. Eine Deckungspflicht für einen solchen Ersatzanspruch folgt damit auch nicht aus Art 17.2.4 ARB.

[30] 5.1. Die positive Deckungsumschreibung des allgemeinen Schadenersatz-Rechtsschutzes in Art 19.2.1 ARB umfasst die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen eines erlittenen Personen‑, Sach‑ oder Vermögensschadens. Dass ein – wie vom Berufungsgericht unterstellter – Anspruch als deliktischer Schadenersatzanspruch auf gesetzlicher Grundlage grundsätzlich unter Art 19.2.1 ARB fällt, wird von der Beklagten nicht bezweifelt.

[31] 5.2. Sie hält dem aber Art 19.3.1.1 ARB entgegen. Nach dieser Bestimmung umfasst der Versicherungsschutz nicht Fälle, welche beim Versicherungsnehmer und den mitversicherten Personen in ihrer Eigenschaft als Eigentümer, Halter, Zulassungsbesitzer, Leasingnehmer oder Lenker von Motorfahrzeugen zu Lande, zu Wasser und in der Luft sowie Anhängern eintreten (versicherbar gemäß Art 17 und 18).

[32] 5.3.1. Die in den Besonderen Bestimmungen beschriebenen Risiken (Rechtsschutz‑Bausteine) werden in Form von Rechtsschutz‑Kombinationen angeboten. Eine Voraussetzung für die problemfreie Nutzung dieses flexiblen Systems zur Produktgestaltung ist eine klare Abgrenzung der Deckung zwischen den einzelnen Rechtsschutz‑Bausteinen. Diese Abgrenzung der Deckung geschieht primär im Wege der positiven Deckungsumschreibung. Dort, wo das zur Vermeidung ungewollter Deckungsüberschneidungen oder Unschärfen notwendig ist, erfolgt sie zusätzlich durch die sogenannten Deckungsabgrenzungsausschlüsse. Diese Deckungsabgrenzungsausschlüsse haben (im Gegensatz zu den Risikoausschlüssen im engeren Sinn) nur die Aufgabe, bestimmte Risiken aus einem Baustein auszugliedern, um sie einem anderen zuzuordnen. Auf diese (eingeschränkte) Funktion weisen sowohl der jeweilige Einleitungssatz („zur Abgrenzung von anderen Rechtsschutzbausteinen umfasst der Versicherungsschutz hier nicht ...“), als auch der Querverweis am Ende des jeweiligen Ausschlusses („nur nach Maßgabe des Artikels ... versicherbar“) deutlich hin. Der jeweilige Deckungsabgrenzungsausschluss greift daher auch nur dann, wenn das betroffene Risiko nach der positiven Deckungsbeschreibung des anderen Bausteins, dem die Deckung durch Querverweis zugewiesen wurde, grundsätzlich versicherbar ist. Unbeachtlich ist dagegen, ob der zutreffende Rechtsschutz‑Baustein auch tatsächlich versichert ist oder nicht (Kronsteiner aaO, 32 f).

[33] 5.3.2. Bei Art 19.3.1.1 ARB handelt es sich um einen derartigen Deckungsabgrenzungsausschluss (vgl Kronsteiner aaO, 33 ff).

[34] 5.3.3. Da das betroffene Risiko weder von der – hier interessierenden – positiven Deckungsumschreibung des Schadenersatzfahrzeug-Rechtsschutzes nach Art 17.2.1 ARB noch von jener des Fahrzeug-Vertrags-Rechtsschutzes nach Art 17.2.4 ARB umfasst und dort daher auch nicht versicherbar ist, kommt der Deckungsabgrenzungsausschluss des Art 19.3.1.1 ARB hier nicht zum Tragen.

[35] 5.4. Die Deckungspflicht der Beklagten ist in diesem Fall grundsätzlich nach Art 19.2.1 ARB zu bejahen.

[36] 6.1. Der Versicherungsnehmer hat dem Versicherer zunächst den Eintritt des Versicherungsfalls anzuzeigen (§ 33 VersVG) und dann über Aufforderung des Versicherers weitere Auskünfte und/oder Belege zur Prüfung seiner Leistungspflicht im Sinn des § 34 VersVG zu geben. Das ist die Obliegenheit des Versicherungsnehmers (RS0080203). Der Versicherer kann diejenigen Auskünfte verlangen, die er für notwendig hält, sofern sie für Grund und Umfang seiner Leistung von Bedeutung sein können (RS0080185).

[37] 6.2.1. In diesem Sinn ist Art 8.1.1 ARB auszulegen. Nach ständiger Rechtsprechung zu vergleichbaren Rechtsschutzversicherungsbedingungen hat der Versicherungsnehmer auf seine Kosten seinen Rechtsschutzversicherer vollständig und wahrheitsgemäß über sämtliche Umstände des Versicherungsfalls zu unterrichten, weil es sich dabei um eine auf die Bedürfnisse der Rechtsschutzversicherung zugeschnittene Ausformung der allgemeinen Auskunftsobliegenheit des § 34 Abs 1 VersVG handelt (RS0105784). Die Auskünfte und Belege des Versicherungsnehmers sollen den Versicherer in die Lage versetzen, sachgemäße Entscheidungen über die Abwicklung des Versicherungsfalls zu treffen und insbesondere Art und Umfang seiner Leistung möglichst genau und frühzeitig überprüfen zu können. Es genügt, dass die begehrte Auskunft abstrakt zur Aufklärung des Schadensfalls geeignet ist (7 Ob 210/14d; RS0080205, RS0080833, RS0080203).

[38] 6.2.2. Offensichtlicher Zweck der Auskunfts‑ und Belegobliegenheit, dem auch Art 8.1.1 ARB dient, ist es, Informationsdefizite des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer auszugleichen. Naturgemäß ist der Versicherungsnehmer über die ihn betreffenden Lebenssachverhalte umfassender informiert als der Versicherer. Er soll daher dem Versicherer alle ihm bekannten Informationen erteilen und ihm zur Verfügung stehende Unterlagen ausfolgen (7 Ob 210/14d mwN).

[39] 6.3.1. Die Beweislast dafür, dass der Versicherungsnehmer eine Aufklärungs‑ und/oder Belegobliegenheit verletzt hat, trifft den Versicherer (RS0081313, RS0043510, RS0043728).

[40] 6.3.2. Dieser Beweis ist der Beklagten nicht gelungen: Die Schadensmeldung und Deckungsanfrage der Klägerin vom 18. 1. 2021 lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 16. 3. 2021 bereits unter Hinweis darauf ab, dass Ansprüche auf Ersatz der Wertminderung aufgrund der Auslieferung eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gegen einen Dritten grundsätzlich nicht von der Deckungspflicht erfasst seien. Vor dem Hintergrund dieser Ansicht, wurde von der Beklagten eine weitere Prüfung abgelehnt und die von ihr nunmehr vermissten Detailinformationen über den Kenntnisstand der Klägerin betreffend den Dieselskandal, die gefahrene Kilometerleistung und die Gründe für die Geltendmachung einer 30%igen Wertminderung gar nicht abverlangt.

[41] 7. Eine Prüfung der Erfolgsaussichten kann nicht vorgenommen werden, weil – wie ausgeführt – derzeit noch offen ist, welches konkrete Begehren die Klägerin im zu deckenden Verfahren erheben und welches Vorbringen sie zur Darlegung ihres Anspruchs erstatten wird.

[42] 8. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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