OGH 7Ob129/22d

OGH7Ob129/22d24.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J* R*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. Mai 2022, GZ 60 R 9/22m‑25, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 26. November 2021, GZ 19 C 280/21x‑18, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00129.22D.0824.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 624 EUR (darin enthalten 104 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Zwischen dem Kläger und dem beklagten Versicherer besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz‑Versicherung, ARB 2009 – Fassung 1/2009 (kurz: ARB 2009), zugrunde liegen.

Diese lauten auszugsweise:

Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

[…]

3. In den übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens (Artikel 17 Pkt. 2.1, Artikel 18 Pkt. 2.1, Artikel 19 Pkt. 2.1), sowie für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen wegen reiner Vermögensschäden (Art. 23.2.1 und Art. 24.2.1.1) – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. [...]

[...]

Artikel 7

Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?

[...]

2. Vom Versicherungsschutz sind ferner ausgeschlossen,

[...]

2.4  die Geltendmachung von Forderungen, die an den Versicherungsnehmer abgetreten wurden, und die Abwehr von Haftungen aus Verbindlichkeiten anderer Personen, die der Versicherungsnehmer übernommen hat, wenn die Abtretung oder Haftungsübernahme erfolgte, nachdem der Versicherungsfall eingetreten ist, oder nachdem vom Versicherungsnehmer, Gegner oder einem Dritten eine den Versicherungsfall auslösende Rechtshandlung oder Willenserklärung vorgenommen wurde.

[...]

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen? [...]

[…]

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis,

[…]

2.2 dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d.h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

2.3 dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.

[…]

Artikel 19

Schadenersatz- und Straf-Rechtsschutz für den Privat-, Berufs- und Betriebsbereich

[…]

2. Was ist versichert?

Der Versicherungsschutz umfasst

2.1  Schadenersatz-Rechtsschutz

für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen eines erlittenen Personen-, Sach- oder Vermögensschadens;

[…]

3. Was ist nicht versichert?

3.1 Zur Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Rechtsschutz-Bausteinen umfasst der Versicherungsschutz nicht

3.1.1 Fälle, welche beim Versicherungsnehmer und den mitversicherten Personen in ihrer Eigenschaft als Eigentümer, Halter, Zulassungsbesitzer, Leasingnehmer oder Lenker von Motorfahrzeugen zu Lande, zu Wasser und in der Luft sowie Anhängern eintreten (versicherbar in Artikel 17 und 18);

[...]

3.1.3 die Geltendmachung von Ansprüchen aus schuldrechtlichen Verträgen sowie die Geltendmachung von Ansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung vertraglicher Pflichten entstehen und über das Erfüllungsinteresse hinausgehen, oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen (versicherbar in Artikel 23);

[...]“

[2] Da die Beklagte in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

Rechtliche Beurteilung

[3] 1.1. Unbestritten ist für den Eintritt des Versicherungsfalls Art 2.3. ARB 2009 maßgeblich. Der Verstoß ist im Fall des serienmäßigen Einbaus eines nicht rechtskonformen Bauteils in eine Sache der Zeitpunkt des Kaufs der mangelhaften Sache durch den Versicherungsnehmer (RS0114001 [T9]). Der Versicherungsfall ist daher der Erwerb des Fahrzeugs, weil sich erst damit die vom Rechtsschutzversicherer in Bezug auf den Versicherungsnehmer konkret übernommene Gefahr zu verwirklichen beginnt (7 Ob 32/18h).

[4] 1.2. Im vorliegenden Fall hat der Versicherungsnehmer während des versicherten Zeitraums einen gebrauchten PKW erworben, der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, und begehrt Deckung für gegen die Fahrzeugherstellerin geltend zu machende Ansprüche. Nach Art 7.2.4 ARB 2009 ist die Deckung ausgeschlossen, wenn eine Forderung geltend gemacht wird, die an den Versicherungsnehmer abgetreten wurde, nachdem der Versicherungsfall eingetreten ist oder nachdem vom Versicherungsnehmer, Gegner oder einem Dritten eine den Versicherungsfall auslösende Rechtshandlung oder Willenserklärung vorgenommen wurde. Die für den Deckungsausschluss erforderliche zeitliche Voraussetzung einer Abtretung nach Eintritt des Versicherungsfalls bzw der diesen auslösenden Rechtshandlung oder Willenserklärung, hiermit somit nach Erwerb des Fahrzeugs, ist nicht erfüllt und wird von der Beklagten auch nicht behauptet (7 Ob 133/21s). Durch die dem Abschluss des Kaufs vorangehenden Willenserklärungen entweder des Klägers (Versicherungsnehmers), das Fahrzeug um einen bestimmten Preis zu kaufen, oder des Gebrauchtwagenverkäufers (Dritten), das Fahrzeug zu einem bestimmten Preis zu verkaufen, ist – entgegen der nicht näher begründeten Ansicht der Beklagten – der Versicherungsfall nicht ausgelöst worden.

[5] 1.3. Die von der Revision ins Treffen geführte Entscheidung 1 Ob 269/06z betraf keinen Versicherungsvertrag; für die Frage der Erfüllung des Deckungsausschlusses nach Art 7.2.4 ARB 2009 ist daraus nichts abzuleiten (7 Ob 133/21s).

[6] 2.1. Die Revisionswerberin geht ebenso wie das Berufungsgericht davon aus, dass die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche nicht aus der Verwendung seines Fahrzeugs resultieren und somit nicht von der positiven Deckungsumschreibung in Art 17.2.1 ARB 2009 (Schadenersatz‑Rechtsschutz) erfasst sind und die Deckungspflicht auch nicht aus Art 17.2.4 ARB 2009 (Fahrzeug‑Vertrags‑Rechtsschutz) folgt (dazu 7 Ob 91/22s [inhaltsähnliche ARB 2008]).

[7] 2.2. Die positive Deckungsumschreibung des Allgemeinen Schadenersatz‑Rechtsschutzes in Art 19.2.1 ARB 2009 umfasst die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen eines erlittenen Personen‑, Sach‑ oder Vermögensschadens. Dass der vom Kläger verfolgte Anspruch als deliktischer Schadenersatzanspruch auf gesetzlicher Grundlage grundsätzlich unter Art 19.2.1 ARB 2009 fällt, wird von der Beklagten nicht bezweifelt.

[8] 2.3. Sie hält dem aber Art 19.3.1.1 und Art 19.3.1.3 ARB 2009 entgegen. Bei diesen Bestimmungen handelt es sich um Deckungsabgrenzungsausschlüsse (vgl 7 Ob 91/22s). Diese Deckungsabgrenzungsausschlüsse haben (im Gegensatz zu den Risikoausschlüssen im engeren Sinn) nur die Aufgabe, bestimmte Risiken aus einem Baustein auszugliedern, um sie einem anderen zuzuordnen. Auf diese (eingeschränkte) Funktion weisen sowohl der jeweilige Einleitungssatz („Zur Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Rechtsschutz‑Bausteinen umfasst der Versicherungsschutz nicht ...“), als auch der Querverweis am Ende des jeweiligen Ausschlusses („versicherbar in … “) deutlich hin. Der jeweilige Deckungsabgrenzungsausschluss greift daher auch nur dann, wenn das betroffene Risiko nach der positiven Deckungsumschreibung des anderen Bausteins, dem die Deckung durch Querverweis zugewiesen wurde, grundsätzlich versicherbar ist. Unbeachtlich ist dagegen, ob der betreffende Rechtsschutz‑Baustein auch tatsächlich versichert ist oder nicht (7 Ob 91/22s mwN).

[9] Da das betroffene Risiko weder von der positiven Deckungsumschreibung des Schadenersatz‑Fahrzeug-Rechtsschutzes nach Art 17.2.1 ARB 2009 noch von jener des Fahrzeug‑Vertrags‑Rechtsschutzes nach Art 17.2.4 ARB 2009 und – von der Revisionswerberin zugestanden – auch nicht vom Allgemeinen Vertrags‑Rechtsschutz (Art 23 ARB 2009) umfasst und dort daher auch nicht versicherbar ist, kommt der Deckungsabgrenzungsausschluss nach Art 19.3.1.1 und Art 19.3.1.3 ARB 2009 hier nicht zum Tragen (vgl 7 Ob 91/22s). Die Deckungspflicht der Beklagten ist in diesem Fall grundsätzlich nach Art 19.2.1 ARB 2009 zu bejahen, wovon das Berufungsgericht ausging.

[10] 3.1. In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0117144 [T3]).

[11] 3.2. Der Kläger begehrt Rechtsschutzdeckung für die Geltendmachung eines auf § 1295 Abs 2 ABGB sowie § 874 ABGB gestützten Anspruchs auf Ersatz des Minderwerts (30 % des Kaufpreises) gegen die Herstellerin wegen des Kaufs eines Fahrzeugs, dessen Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden sei. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass dieses Vorbringen nicht unschlüssig sei, eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs bestehe und dass der von der Beklagten erhobene Einwand, der Kläger hätte das Fahrzeug auch in Kenntnis der Softwaremanipulation nicht um einen geringeren Preis erworben, als Tatfrage im Haftpflichtprozess zu beurteilen und daher für die Deckungspflicht unbeachtlich sei, ist nicht korrekturbedürftig. Die von der Revision zitierte Entscheidung 1 Ob 198/20d spricht für die Rechtsansicht der Vorinstanzen, begründet der Oberste Gerichtshof doch dort die Zurückweisung der Revision mit dem Hinweis auf die vom Erstgericht getroffene (Negativ‑)Feststellung, wonach nicht festgestellt werden konnte, ob die Klägerin das Fahrzeug in Kenntnis der Manipulation überhaupt oder allenfalls um einen geringeren Preis erworben hätte (so auch 7 Ob 61/22d).

[12] 4. Die Revision ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

[13] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO. Der Kläger hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen.

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