European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00059.22T.0830.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 939,24 EUR (darin 156,54 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin war aufgrund der „Dienstvereinbarung“ vom 30. 5. 2017 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten von 1. 6. 2017 bis 28. 2. 2018 als Turnusärztin in der Basisausbildung beschäftigt. Mit „Dienstvereinbarung/Verwendungsänderung“ vom 25. 1. 2018 wurde dieses Dienstverhältnis zur Verwendung der Klägerin als Turnusärztin für Allgemeinmedizin von 1. 3. 2018 bis 31. 5. 2020 verlängert.
[2] Das Dienstverhältnis der Klägerin unterliegt den Bestimmungen der Dienstordnung B für die Ärztinnen und Ärzte bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.B), die in der damals anzuwendenden Fassung folgende Regelungen enthielt:
„§ 38 (…) (5) In Gehaltsgruppe B IV sind Ärzte, die nach den Bestimmungen der Ärzteausbildungsordnung in Ausbildung zum Facharzt stehen, einzureihen, sofern nicht Abs 6a anzuwenden ist.
(6) In Gehaltsgruppe B V sind Ärzte, die nach den Bestimmungen der Ärzteausbildungsordnung in Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin stehen, einzureihen, sofern nicht Abs 6a anzuwenden ist.
(6a) In Gehaltsgruppe B IVa sind Ärzte, die im Gesundheitsverbund der Wiener Gebietskrankenkasse nach den Bestimmungen der Ärzteausbildungsordnung in Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin oder in Ausbildung zum Facharzt stehen, einzureihen.
§ 238 Auf Ärzte, die zuletzt vor dem 1. März 2018 in den Dienst der Wiener Gebietskrankenkasse eingetreten sind, ist § 38 Abs 6a nicht anzuwenden. Auf diese
Ärzte sind auch nach dem 28. Februar 2018 § 38 Abs 5 bzw 6 anzuwenden.“
[3] Die Klägerin begehrt 12.825,73 EUR brutto sA, weil sie seit 1. 3. 2018 in die Gehaltsgruppe V, nicht aber in die Gehaltsgruppe IVa eingestuft worden war. Die Beklagte hätte die Übergangsbestimmung des § 238 DO.B nicht anwenden dürfen, weil sonst später eingestellte Ärzte mehr verdienen würden als dienstältere und dadurch besser qualifizierte Ärzte. Mangels sachlicher Rechtfertigung verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte verletze dies und führe zu einer sittenwidrigen Benachteiligung von Ärzten, die vor dem 1. 3. 2018 eingestellt wurden. Im Übrigen sei § 238 DO.B dahin auszulegen, dass es auf den Eintritt der Klägerin in das Dienstverhältnis als Turnusärztin für Allgemeinmedizin ankomme, weshalb sie jedenfalls Anspruch auf Einstufung in die Gehaltsgruppe IVa gehabt habe.
[4] Die Beklagte wendete ein, dass die Klägerin am 1. 3. 2018 bereits in einem aufrechten Dienstverhältnis zur Rechtsvorgängerin der Beklagten gestanden und deshalb in der Gehaltsgruppe V gewesen sei. Der Gleichheitssatz verbiete nicht, politische Zielvorstellungen durch Einführung einer Stichtagsregelung umzusetzen, auch wenn damit im Einzelfall Härten verbunden sind.
[5] Das Erstgericht wies die Klage ab. Da die Klägerin sich seit 1. 6. 2017 in einem durchgehenden Dienstverhältnis befunden habe, sei sie nach den eindeutigen Vorgaben des § 238 DO.B in die Gehaltsgruppe V einzureihen gewesen. Stichtagsregelungen, mit denen abhängig vom Zeitpunkt des Diensteintritts unterschiedliche Entlohnungsregelungen gelten, seien grundsätzlich zulässig und für sich genommen nicht unsachlich.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, wobei es sich der Rechtsansicht des Erstgerichts anschloss. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung des § 238 DO.B fehle.
[7] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass der Klage stattgegeben werde, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[8] Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
[9] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[10] 1. Die DO.B ist ein Kollektivvertrag (RIS‑Justiz RS0054394 [T3, T8]). Der normative Teil eines Kollektivvertrags ist gemäß §§ 6 und 7 ABGB nach seinem objektiven Inhalt auszulegen (RS0008807; RS0008782; RS0010088). In erster Linie ist bei der Auslegung eines Kollektivvertrags deshalb der Wortsinn zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RS0010089).
[11] 2. Nach § 238 DO.B ist § 38 Abs 6a DO.B nicht auf Ärzte anzuwenden, die zuletzt vor dem 1. 3. 2018 in den Dienst der Wiener Gebietskrankenkasse „eingetreten“ sind. Dass das bestehende befristete Dienstverhältnis der Klägerin für die Zeit von 1. 3. 2018 bis 31. 5. 2020 verlängert wurde, bedeutet nach herkömmlichem Begriffsverständnis keinen neuerlichen Diensteintritt, zumal sich die Klägerin bereits seit 1. 6. 2017 in einem aufrechten Dienstverhältnis zur Rechtsvorgängerin der Beklagten befunden hat. Dass § 238 DO.B darauf abstellt, wann der Arzt „zuletzt“ in den Dienst der Wiener Gebietskrankenkasse eingetreten ist, nimmt auf Fälle Bezug, in denen ein Dienstverhältnis unterbrochen wurde, was aber im Fall der Klägerin nicht zutrifft. Die Einstufung der Klägerin in die Gehaltsgruppe V entspricht damit den Vorgaben der DO.B.
[12] 3. Der Klägerin ist dahin zuzustimmen, dass die Kollektivvertragsparteien bei der Gestaltung des Kollektivvertrags an den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz gebunden sind (RS0018063; RS0038552; RS0038765). Es handelt sich dabei um eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte, die sich in der Konkretisierung der Generalklauseln des Zivilrechts manifestiert (RS0018063 [T4]; RS0038552). Der normative Teil eines Kollektivvertrags ist deshalb am verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz und an der Sittenklausel des § 879 ABGB zu messen (RS0008871; RS0038552).
[13] 4. Bei der Prüfung, ob eine Kollektivvertragsbestimmung gegen den Gleichheitssatz verstößt, ist zu berücksichtigen, dass den Kollektivvertragsparteien ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum sowohl hinsichtlich der angestrebten Ziele als auch der zur Zielerreichung eingesetzten Mittel zusteht (RS0038552 [T25]; RS0053889). Nicht jede subjektiv als ungerecht empfundene Regelung verletzt den Gleichheitssatz (RS0053889 [T12]). Ob eine Regelung in Einzelfällen zu Härten führen kann, ist bei Prüfung der Gleichheitswidrigkeit ohne Belang (RS0053889 [T3, T5]).
[14] 5. Der Gleichheitsgrundsatz verbietet den Kollektivvertragsparteien nur, Differenzierungen zu schaffen, die sachlich nicht begründet sind, nicht aber, von einem einmalig gewählten Ordnungsprinzip abzugehen und Sachverhalte ab einem bestimmten Zeitpunkt nach anderen Grundsätzen zu behandeln, wenn innerhalb der Fallgruppen vor bzw nach der Änderung das Gebot der Sachlichkeit verletzende Unterschiede nicht bestehen (RS0053889 [T19]). Eine zeitliche Differenzierung durch eine Stichtagsregelung verstößt daher grundsätzlich nicht gegen das Gleichheitsgebot (RS0053393; RS0117654). Es liegt nämlich im Wesen einer Änderung materiell‑rechtlicher Bestimmungen, dass Rechtsfälle je nach dem für maßgeblich erklärten zeitlichen Sachverhaltselement unterschiedlich nach der alten oder neuen Rechtslage behandelt werden (RS0117654). Der Oberste Gerichtshof hat bereits darauf hingewiesen, dass dies auch dann gilt, wenn mit einem neuen Entlohnungsschema Vergünstigungen eingeführt werden, die nur den später eingetretenen Dienstnehmern zugute kommen (8 ObA 103/20t; ebenso BAG 6 AZR 59/19 BB 2020, 1215).
[15] 6. Die Parteien des Kollektivvertrags durften deshalb aufgrund des ihnen zur Verfügung stehenden Gestaltungsspielraums bei der Neuregelung des Entlohnungssystems der DO.B die Begünstigungen der Gehaltsgruppe IVa jenen Turnusärzten vorbehalten, die nach dem 28. 2. 2018 in den Dienst der Wiener Gebietskrankenkasse eingetreten sind. Dementsprechend hat die Klägerin keinen Anspruch so gestellt zu werden wie jene Ärzte, die erst später in den Dienst der Beklagten eingetreten sind.
[16] 7. Der Revision der Klägerin war daher nicht Folge zu geben.
[17] 8. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 2 Abs 1 ASGG, §§ 41 und 50 ZPO.
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