OGH 10Ob5/22s

OGH10Ob5/22s24.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. R*, vertreten durch Dr. Hanno Hofmann, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. DI C* und 2. M*, beide: *, beide vertreten durch Dr. Gabriele Krenn, Rechtsanwältin in Graz, wegen Unterlassung (Streitwert: 5.000 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 16. Dezember 2021, GZ 3 R 84/21a‑35, mit dem die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Graz‑Ost vom 20. Jänner 2021, GZ 206 C 650/20i‑31, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0100OB00005.22S.0524.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Berufungsgerichts wird aufgehoben und dem Berufungsgericht aufgetragen, über die Berufung der Klägerin unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund zu entscheiden.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin begehrt von den Beklagten, jedwede Einwirkung (Immission) von störendem Schall (Lärmschwingungen) durch die von den Beklagten auf ihrem Grundstück errichtete Poolanlage zu unterlassen, soweit dadurch das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschritten und die ortsübliche Nutzung des Grundstücks der Klägerin und dem darauf befindlichen Haus wesentlich beeinträchtigt wird.

[2] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf unter anderem folgende, von der Klägerin in der Berufung angefochtenen Feststellungen: „Zusammenfassend ergab sich, dass die auslösenden Effekte, die die Klägerin spürt, wie 'Schalldruck und Dröhnen' und das 'Brummen' aus der Umgebung, nicht aber von der Poolanlage der Beklagten herrühren. Die Untersuchungen bei eingeschalteter Poolpumpe bei den oa Betriebszuständen und bei ausgeschalteter Poolpumpe in den betroffenen Räumen, die untersucht wurden, ergaben keine Unterschiede über den untersuchten Frequenzbereich von 6,3 Hz bis 20 kHz; der widmungsgemäß erlaubte Wert von 40 dB wurde immer unterschritten. Es konnten auch keine Resonanzen, die von der Poolanlage auf die Liegenschaft bzw das Wohnhaus der Klägerin wirken, festgestellt werden.“ Rechtlich verneinte das Erstgericht den von der Klägerin geltend gemachten Unterlassungsanspruch, weil auf ihre Liegenschaft keine Schallimmissionen einwirken, die von der Poolanlage der Beklagten ausgehen und das gewöhnliche Maß bzw die Ortsüblichkeit überstiegen.

[3] Das Berufungsgericht wies die Berufung der Klägerin zurück, weil sie nicht gesetzmäßig ausgeführt sei. Das Erstgericht habe seine Beweiswürdigung insbesondere mit dem Sachverständigengutachten begründet. Dem halte die Berufungswerberin lediglich die Aussage der Klägerin und einige im Prozess vorgelegte Urkunden entgegen. Sie führe jedoch nicht aus, aus welchen Gründen die angefochtenen Feststellungen, die den Kernaussagen des gerichtlichen Sachverständigen entsprechen, aufgrund einer unrichtigen Beweiswürdigung getroffen worden seien. In der Rechtsrüge vermisse die Berufungswerberin Feststellungen darüber, „ob und in welchem Ausmaß die von der Klägerin behaupteten Immissionen durch die Poolpumpe der Beklagten auf die Liegenschaft der Klägerin einwirken“. Sie mache damit aber keinen Feststellungsmangel geltend, sondern bekämpfe auch damit die wiedergegebenen zentralen Feststellungen. Dies gelte auch für die Ausführungen, das Erstgericht habe es verabsäumt, sich mit den von der Klägerin vorgelegten Urkunden und mit der Aussage der Klägerin auseinanderzusetzen. Die Berufungswerberin fordere weiters die Feststellung, „dass es durch den Betrieb der Poolpumpe zu ‚tieffrequenten Geräuschimmissionen auf der Liegenschaft der Klägerin komme‘“. Diese Feststellung widerspreche jedoch dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt. Weder die Beweis‑ noch die Rechtsrüge seien daher gesetzmäßig ausgeführt.

[4] Gegen diesen Beschluss richtet sich der gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässige und von den Beklagten beantwortete Rekurs der Klägerin, mit dem sie die Stattgebung ihrer Klage anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

[5] Der Rekurs ist berechtigt:

[6] 1. Der Grund für die gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO ohne weitere Einschränkung eröffnete Anfechtbarkeit eines Beschlusses, mit dem das Berufungsgericht – funktionell gleichsam als erste Instanz (RIS‑Justiz RS0102655) – die Berufung aus formellen Gründen zurückweist, liegt darin, dass die Verweigerung der Entscheidung über ein Rechtsschutzbegehren umfassend überprüfbar sein soll (Musger in Fasching/Konecny IV/13 § 519 ZPO Rz 1; Neumayr in Höllwerth/Ziehensack, ZPO § 519 ZPO Rz 3 mwH).

[7] 2.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Berufung, die nur aus unzulässigen Rechtsmittelgründen – etwa einer gemäß § 501 Abs 1 ZPO unzulässigen Beweisrüge (8 Ob 117/21w) – erhoben wird, einer gesetzlich unzulässigen Berufung gleichzustellen und zurückzuweisen (ausführlich 1 Ob 640/92; RS0041861).

[8] 2.2 Darüber hinaus besteht eine Rechtsprechungslinie, nach der auch eine Berufung, die nur unzulässige Inhalte aufweist, wie eine gesetzlich unzulässige Berufung zu behandeln und zurückzuweisen ist (1 Ob 26/18g; 2 Ob 174/12w; 4 Ob 178/14a; 10 ObS 150/09w; RS0041863 [T1]). Erfasst sind davon insbesondere auch Fälle, in denen der Berufungswerber zwar einen zulässigen Rechtsmittelgrund behauptet, diesen jedoch nicht „gesetzmäßig“ ausführt.

[9] 2.3 In diesem Zusammenhang ist überdies die ständige Rechtsprechung zu beachten, wonach die nicht gesetzmäßige Ausführung eines Rechtsmittels bzw von Rechtsmittelgründen nicht zur Einleitung eines (weiteren) Verbesserungsverfahrens führen kann (RS0036173 [T3; T16]; G. Kodek in Fasching/Konecny II/23 §§ 84, 85 ZPO Rz 183 mwH).

[10] 3.1 Um die Beweisrüge gesetzmäßig auszuführen, muss der Berufungswerber nach ständiger Rechtsprechung angeben, welche konkrete Feststellung bekämpft wird, infolge welcher unrichtigen Beweiswürdigung sie getroffen wurde, welche Feststellung begehrt wird und aufgrund welcher Beweisergebnisse und Erwägungen diese begehrte Feststellung zu treffen gewesen wäre (RS0041835; A. Kodek in Rechberger, ZPO5 § 471 Rz 15 mwN). Der Verweis auf einzelne für den Berufungswerber günstige Beweisergebnisse reicht nicht aus; erforderlich ist vielmehr eine Auseinandersetzung mit sämtlichen Beweisergebnissen. Dabei ist darzustellen, warum das Erstgericht bei richtiger Beweiswürdigung gerade die begehrte Feststellung (und nicht etwa aufgrund anderer vorliegender Beweismittel andere Feststellungen) hätte treffen müssen (6 Ob 177/21d mwH).

[11] 3.2 Diese Rechtsprechung darf allerdings nicht „formelhaft“ angewendet werden. Die Prüfung, ob eine Beweisrüge gesetzmäßig ausgeführt ist, hat immer auf der Grundlage des Gesetzes zu erfolgen. Die Berufungsgründe sind im Gesetz nicht erschöpfend aufgezählt: Berufungsgrund kann – abgesehen von den Fällen des § 501 Abs 1 ZPO – jeder Entscheidungs‑ und Verfahrensfehler sein, der nicht durch das Gesetz ausdrücklich – oder aus dem Gesamtzusammenhang ersichtlich – ausgeschlossen ist (Fasching, LB² Rz 1751). Gemäß § 467 Z 3 ZPO hat der Berufungswerber die Berufungsgründe bestimmt, wenn auch kurz zu bezeichnen. Nach § 467 Z 4 ZPO hat die Berufungsschrift das tatsächliche Vorbringen und die Beweismittel, durch welche die Wahrheit der Berufungsgründe erwiesen werden kann, zu enthalten. Bei der Beurteilung, ob die Beweisrüge gesetzmäßig ausgeführt ist, ist kein allzu kleinlicher Maßstab anzulegen (6 Ob 274/04v; 7 Ob 253/10x).

[12] 4.1 Diesen gesetzlichen Anforderungen genügt die Beweisrüge der Klägerin in der Berufung, was sie im Rekurs im Ergebnis zu Recht geltend macht:

[13] 4.2 Im Wesen der freien Beweiswürdigung liegt, dass sich das Gericht begründet für eine von mehreren möglichen Sachverhaltsvarianten entscheidet. Daher genügt es in einer Beweisrüge nicht, lediglich darauf zu verweisen, dass andere Tatsachen aufgrund anderer Beweisergebnisse festgestellt hätten werden können. Das Erstgericht hat sich in seiner Beweiswürdigung vor allem auf Befund und Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen gestützt und darauf beruhend ausgeführt, dass die von der Klägerin verspürten Effekte nicht von der Poolanlage der Beklagten, sondern aus der Umgebung stammen.

[14] 4.3 Die Klägerin hat in ihrer Berufung nicht nur auf jene Beweisergebnisse hingewiesen, die zu den von ihr gewünschten anderen als vom Erstgericht getroffenen Feststellungen geführt hätten. Sie greift in ihrer Beweisrüge – worauf sie auch im Rekurs hinweist – auch das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen an, wenn sie (in Pkt 3.1.6) ausführt, dass der Sachverständige die Frage, ob die Poolpumpe von der Metall‑Einhausung entkoppelt wurde, nicht beantworten konnte. Sie macht geltend, dass sich aus zwei von ihr genannten Diagrammen des Gutachtens des Sachverständigen ergebe, dass der Schalldruckpegel im Arbeitsraum im Obergeschoß des Wohnhauses der Klägerin bei eingeschalteter Poolpumpe zwischen 16 und 25 Hz wesentlich höher sei als bei ausgeschalteter Poolpumpe. Damit hat die Klägerin entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts ausreichend erkennbar dargelegt, aus welchen Gründen das Erstgericht nicht der Darstellung des Sachverständigen folgen hätte dürfen.

[15] 5. Da die Beweisrüge in der Berufung der Klägerin den gesetzlichen Anforderungen entspricht, liegt keine Berufung vor, die nur unzulässige Inhalte aufweist. Dem Rekurs ist bereits aus diesem Grund Folge zu geben. Einer Auseinandersetzung mit der weiteren Frage, ob die Rechtsrüge in der Berufung der Klägerin gesetzmäßig ausgeführt war, bedarf es nicht. Das Berufungsgericht wird im fortzusetzenden Berufungsverfahren über die Berufung der Klägerin zu entscheiden haben.

[16] Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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