OGH 9ObA96/21i

OGH9ObA96/21i17.2.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Mag. Ralph Kilches, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei O* GmbH, *, vertreten durch Prchal Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Entlassungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. Juni 2021, GZ 9 Ra 31/21a‑95, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00096.21I.0217.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Angebliche Verfahrensmängel erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, können in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden (RS0042963). Dieser Grundsatz kann auch nicht mit der Behauptung umgangen werden, das Berufungsverfahren selbst sei – weil das Berufungsgericht der Mängelrüge des Berufungswerbers nicht gefolgt sei – mangelhaft geblieben (RS0042963 [T58]).

[2] Dass das Berufungsgericht sich mit der Mängelrüge nicht befasst hat, ist nicht richtig. Es hat vielmehr zutreffend darauf hingewiesen, dass die Frage ob ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen ist, eine solche der Beweiswürdigung ist (RS0043163 ua).

[3] 2. Soweit sich der Kläger gegen die Würdigung seiner Aussage durch das Berufungsgericht wendet, ist er darauf zu verweisen, dass auch eine mangelhafte und unzureichende Beweiswürdigung im Revisionsverfahren nicht angefochten werden kann (RS0043371).

[4] 3.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt (zuletzt 6 Ob 1/18t mwN) klargestellt, dass aus dem Privatrecht kein Anspruch darauf abgeleitet werden könne, dass jemand den Rechtsweg gar nicht beschreitet oder sonst den Staat zu Hilfe ruft. Damit müsse aber auch ein Begehren scheitern, den Prozessgegner dazu zu verhalten, jenes Vorbringen im arbeitsgerichtlichen Verfahren, das auf die (angebliche) Datenschutzverletzung zurückzuführen sei, zu widerrufen.

[5] 3.2. Soweit die Ausführungen des Klägers daher dahingehend zu verstehen sind, dass die Beklagte Entlassungsgründe, von denen sie durch behauptete Datenschutzverletzungen erfahren hat, im Verfahren nicht geltend machen dürfe, ist ihnen nicht zu folgen. Ein verfahrensrechtlicher Anspruch auf Unterlassung eines bestimmten Vorbringens besteht nicht.

[6] 4.1. Auf die in der Revision aufgeworfene Frage der Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel in einem Gerichtsverfahren muss im vorliegenden Fall nicht eingegangen werden. Der Kläger nennt in der Revision selbst kein in das Verfahren eingeführtes Beweismittel, das die Vorinstanzen aufgrund seiner (angeblichen) rechtswidrigen Erlangung nicht zur Entscheidungsfindung hätte verwenden dürfen. Die von der Beklagten behaupteten entlassungsrelevanten Auslandsaufenthalte des Klägers während seines Krankenstands in Budapest und Berlin wurden von ihm sogar zugestanden und hat das Erstgericht seine auf diese Weise bezogenen Feststellungen auf die Aussage des Klägers gestützt. Zu dem behaupteten Auslandsaufenthalt in den Niederlanden wurde eine den Kläger nicht belastende Negativfeststellung getroffen.

[7] 4.2. Nach der bisherigen Rechsprechung stellt die Verletzung eines allfälligen Beweisverwertungsverbots keinen Nichtigkeitsgrund dar, weshalb eine Geltendmachung in der Revision in der Regel nicht mehr möglich ist (2 Ob 272/97g = ÖJZ 1998/69, 305; G. Kodek, Die Verwertung rechtswidriger Tonbandaufnahmen und Abhörergebnisse im Zivilverfahren – Zugleich ein Beitrag zur Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel (Teil II), ÖJZ 2001, 334 [344]). Das trifft auch auf den vorliegenden Fall zu, da das Berufungsgericht der in der Berufung geltend gemachten Rüge der Verletzung eines Beweisverwertungsverbots nicht gefolgt ist, sondern eine Verfahrensrelevanz unter Hinweis darauf verneint hat, der Kläger habe im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens die von der Beklagten behaupteten entlassungsbegründenden Auslandsaufenthalte während seines Krankenstands in Budapest und Berlin ausdrücklich zugestanden. Das Erstgericht habe daher seine diesbezüglichen Feststellungen auf die eigene Aussage des Klägers stützen können. Selbst wenn aber die Frage der Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel unter den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung (§ 503 Z 4 ZPO) subsumiert würde, wäre für den Kläger nichts gewonnen, da dieser lediglich darauf verweist, auch seine Aussage ändere nichts an der Unverwertbarkeit der Beweisergebnisse. Diese Ausführungen lassen aber jede Auseinandersetzung mit der Begründung des Berufungsgerichts vermissen, weshalb nicht weiter darauf einzugehen ist (RS0043605).

[8] Damit erübrigt sich aber auch das vom Kläger zur Frage der Verwertbarkeit von rechtswidrig erlangten Beweismitteln angeregte Vorabentscheidungsersuchen.

[9] 5. Essentielles Tatbestandsmerkmal jeder gerechtfertigten Entlassung ist, dass dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers wegen des Entlassungsgrundes so unzumutbar geworden ist, dass eine sofortige Abhilfe erforderlich wird (RS0029009). Sollte der Arbeitgeber durch die Art und Weise, wie er sich vom Entlassungsgrund Kenntnis verschafft, berechtigte Interessen des Arbeitnehmers verletzt haben, könnten aus dieser Rechtsverletzung allenfalls Ersatzansprüche des Arbeitnehmers resultieren, in der Regel wird dies jedoch keinen Einfluss auf die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung haben. Warum dies im vorliegenden Fall anders beurteilt werden sollte, lässt sich der Revision nicht entnehmen. Die deutsche Rechtsprechung ist aufgrund der andersartigen Rechtslage nicht übertragbar.

[10] 6. Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine gerechtfertigte vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses kann immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (RS0106298). Ob der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit verwirklicht ist, stellt daher regelmäßig – von Fällen unvertretbarer Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0029547 [T28]). Eine solche liegt hier nicht vor.

[11] 7. Unter den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit im Sinne des § 27 Z 1 letzter Fall AngG fällt jede Handlung oder Unterlassung eines Angestellten, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und auf ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den Angestellten des dienstlichen Vertrauens seines Arbeitgebers unwürdig erscheinen lässt (RS0029547 [T17]). Entscheidend ist das Vorliegen einer Vertrauensverwirkung (RS0029797). Die Begehungshandlung muss pflichtwidrig und schuldhaft sein. Schädigungsabsicht oder Eintritt eines Schadens sind nicht erforderlich (RS0029531).

[12] 8.1. Erscheint ein Arbeitnehmer trotz bestehender Arbeitsfähigkeit grundlos nicht zur Arbeit, stellt dies eine Dienstpflichtverletzung dar. Das Fernbleiben eines Arbeitnehmers vom Dienst ist aber dann entschuldigt, wenn er – objektiv betrachtet – arbeitsunfähig war, also infolge einer Erkrankung nicht oder doch nur mit der Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig war, seiner bisher ausgeübten – oder sonst einer nach dem Arbeitsvertrag zu verrichtenden – Arbeitstätigkeit nachzukommen. Weiters ist das Fernbleiben vom Dienst dann entschuldigt, wenn der Arbeitnehmer von einem zur Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit berufenen Arzt in Krankenstand genommen wurde, obwohl objektiv dazu keine Veranlassung gegeben war, er aber auf die Richtigkeit der ausgestellten ärztlichen Bescheinigung vertrauen durfte. Dem Arbeitnehmer muss in dieser Situation in aller Regel (aber nicht ausnahmslos) der gute Glaube zugebilligt werden, sich für arbeitsunfähig zu halten, wenn der Arzt zur Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit gelangt (RS0028875). Bei diesen Regeln handelt es sich aber um Erfahrungssätze, die dem Arbeitgeber nicht das Recht nehmen, den Beweis anzutreten, dass der Arbeitnehmer trotz Vorlage einer entsprechenden Krankenstandsbescheinigung arbeitsfähig war und davon auch Kenntnis hatte oder nach den Umständen des Falles offenbar haben müsste.

[13] 8.2. Aus dem Arbeitsvertrag besteht für den Arbeitnehmer die Verpflichtung, sich im Fall einer Krankheit und einer dadurch ausgelösten Arbeitsunfähigkeit so zu verhalten, dass die Arbeitsfähigkeit möglichst bald wiederhergestellt wird (RS0060869). Schon die Eignung des Verhaltens, den Krankheitsverlauf negativ zu beeinflussen oder den Heilungsprozess zu verzögern, kann den Entlassungsgrund verwirklichen (RS0029337). Wesentlich ist, dass das objektiv sorgfaltswidrige Verhalten dem Arbeitnehmer auch subjektiv vorwerfbar ist. Ein Dienstnehmer darf ärztlichen Anordnungen jedenfalls nicht schwerwiegend bzw betont und im erheblichen Maß zuwiderhandeln und die nach der allgemeinen Lebenserfahrung allgemein üblichen Verhaltensweisen im Krankenstand nicht betont und offenkundig verletzen.

[14] 9. Nach den Feststellungen war die Reise des Klägers während des Krankenstands nach Budapest, um dort einen Auftritt als DJ zu absolvieren, dem Heilungsverlauf abträglich und war dies dem Kläger auch bewusst. Insoweit ist der vorliegende Fall mit den in der Revision zitierten Fällen, in denen der Arbeitnehmer davon ausging, dass die im Krankenstand vorgenommene Tätigkeit seinem Gesundheitszustand nicht schädlich sei, nicht vergleichbar. Der Kläger hat wissentlich ein Verhalten gesetzt, das objektiv geeignet war den Krankenstand zu verlängern.

[15] Weiters flog der Kläger 14 Tage später, noch immer in Krankenstand, zu einem weiteren Auftritt als DJ und zum Besuch von Freunden nach Berlin. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits arbeitsfähig und fühlte sich auch subjektiv fähig wieder zu arbeiten. Ihm war bewusst, dass er den Krankenstand selbst beenden konnte. Er tat dies jedoch nicht, weil er das Gefühl hatte, während des Dienstverhältnisses die Interessen der Firma über die eigenen gestellt zu haben und unfair behandelt worden zu sein.

[16] Wenn das Berufungsgericht die Rechtsauffassung vertritt, dass diese Verhaltensweisen den Entlassungstatbestand der Vertrauensunwürdigkeit erfüllen, hält sich das im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessenspielraums.

[17] 10.1. Soweit der Kläger in der Revision darauf verweist, dass es sich bei seinen Kniebeschwerden um eine chronische Erkrankung handelt, ist daraus für ihn nichts zu gewinnen. Nach den Feststellungen wusste er, dass sein Verhalten der Genesung und der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit abträglich ist. Von einem „Belastungstest“ kann daher keine Rede sein.

[18] 10.2. Der Kläger kann im Hinblick auf die zweite Reise auch nicht für sich in Anspruch nehmen, auf die Krankschreibung vertraut zu haben, da ihm seine Arbeitsfähigkeit bewusst war, er also gerade nicht davon ausgegangen ist, noch krank zu sein. Er hatte daher keinen Grund bis zu einem weiteren Untersuchungstermin in Krankenstand zu bleiben.

[19] 10.3. Für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung spielt es auch keine Rolle, welche Zeitspanne im Einzelfall bis zur ordnungsgemäßen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Zeitablauf oder Kündigung noch verstreichen müsste oder ob der Arbeitnehmer in Zukunft noch Gelegenheit hätte, die dienstlichen Interessen neuerlich zu verletzen (RS0029797; RS0029013).

[20] 10.4. Die Ausführungen des Klägers zum Vorliegen einer Behinderung iSd des BEinstG stellen eine unzulässige Neuerung dar, darauf ist daher nicht weiter einzugehen. Anzumerken ist jedoch, dass der Kläger nicht wegen einer Behinderung oder seines Krankenstands entlassen wurde, sondern weil er sich während seines Krankenstands auf eine der Genesung abträgliche Weise verhalten hat.

[21] 11. Da der Entschädigungsbetrag nach § 408 ZPO immer nur der siegreichen Partei – neben dem Hauptanspruch und Kostenanspruch – zuerkannt werden kann (RS0041171), ist auf die Ausführungen des Klägers zu einem solchen Anspruch nicht weiter einzugehen.

[22] 12. Insgesamt gelingt es dem Kläger daher nicht das Vorliegen einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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