OGH 3Ob194/21g

OGH3Ob194/21g22.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI J* B*, vertreten durch Hochedlinger Luschin Marenzi Kapsch Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei P* GmbH, *, vertreten durch Dorda Rechtsanwälte GmbH in Wien, und deren Nebenintervenientin Kosch & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wiener Neustadt als Insolvenzverwalterin der C* AG, *, wegen 4 Mio EUR sA, hier wegen Nebenintervention, über den Revisionsrekurs der Nebenintervenientin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 28. September 2021, GZ 2 R 78/21m‑45, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 10. Dezember 2020, GZ 67 Cg 59/20f‑25, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0030OB00194.21G.1222.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der die Nebenintervention zulassende Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der Nebenintervenientin die mit 7.990,20 EUR (darin enthalten 1.331,70 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte war in den Jahren 2006 bis 2018 Abschlussprüferin der C* und erteilte für diese Jahre zunächst uneingeschränkte Bestätigungsvermerke. Im Juli 2020 wurde der Bank die Fortführung des Geschäftsbetriebs untersagt. In der Folge wurde über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet und die Nebenintervenientin zur Insolvenzverwalterin bestellt. Im Verfahren zu AZ * des Erstgerichts brachte die Nebenintervenientin wegen der fehlerhaften Bestätigungsvermerke gegen die Beklagte eine Schadenersatzklage in Höhe von 20 Mio EUR ein.

[2] Der Kläger begehrt 4 Mio EUR an Schadenersatz. Im August 2019 habe er der Bank eine Termineinlage von 13 Mio EUR anvertraut und sich dabei auf die von der Beklagten geprüften und mit einem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk versehenen Jahres- und Konzernabschlüsse verlassen. Bei pflichtgemäßem Vorgehen hätte die Beklagte den Bilanzschwindel der Bank bemerkt und dieser die Bestätigungsvermerke versagt. In diesem Fall hätte er der Bank kein Geld anvertraut, sondern dieses anderweitig kapitalerhaltend angelegt.

[3] Die Beklagte entgegnete, dass sie die Bankprüfungen ordnungsgemäß vorgenommen habe.

[4] Nach Streitverkündung durch die Beklagte trat die Insolvenzverwalterin der Bank dem Verfahren auf deren Seite als Nebenintervenientin bei. Gemäß § 69 Abs 5 IO sei ausschließlich der Insolvenzverwalter der geprüften Gesellschaft dazu aktiv klagslegitimiert, Schäden aus Abschlussprüfungen gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Davon abgesehen komme nach § 275 Abs 2 UGB und § 62a BWG ihren Ansprüchen Vorrang gegenüber den Ansprüchen von Drittgläubigern zu. Für die geltend gemachten Ansprüche stehe wegen der Haftungshöchstbeträge nach § 275 Abs 2 UGB und § 62a BWG nur ein begrenzter Haftungsfonds zur Verfügung. Ein Obsiegen des Klägers würde daher zu einer Verkürzung der Ansprüche der Nebenintervenientin führen.

[5] Der Kläger beantragte, die Nebenintervention zurückzuweisen.

[6] Das Erstgericht ließ die Nebenintervention zu. Bei Beurteilung der Frage, ob die Nebenintervention zulässig sei, dürfe kein strenger Maßstab angelegt werden. Da jedenfalls nicht auszuschließen sei, dass der Insolvenzverwalterin der geprüften Gesellschaft ein Vorrang vor sonstigen Drittgläubigern zukomme, sei die Nebenintervention sachgerecht.

[7] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers Folge und wies die Nebenintervention zurück. Warum dem Kläger im Verfahren gegen die nicht insolvente Beklagte nach § 69 Abs 5 IO die Aktivlegitimation fehlen solle, erschließe sich nicht. Nach der Rechtsprechung sei bei mehreren Gläubigern iSd § 275 Abs 2 UGB vom allgemeinen Prioritätsprinzip auszugehen. Das Erreichen der Haftungshöchstgrenze könne demnach nur im Exekutionsverfahren durch Oppositionsklage geklärt werden. Das allgemeine Interesse eines Gläubigers, durch das Vorgehen eines anderen Gläubigers in seiner Befriedigungsmöglichkeit nicht beeinträchtigt zu werden, sei ein rein wirtschaftliches Interesse, das kein ausreichendes Interventionsinteresse begründe. Der ordentliche Revisionsrekurs sei wegen der Einzelfallproblematik nicht zulässig.

[8] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Nebenintervenientin, der auf eine Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts abzielt.

[9] Mit seiner – vom Obersten Gerichtshof freigestellten – Revisionsrekursbeantwortung beantragt der Kläger, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch berechtigt.

[11] 1. Die Nebenintervenientin wiederholt im Rechtsmittel ihren Standpunkt, dass – mit Rücksicht auf § 275 Abs 2 UGB und § 62a BWG – die geprüfte Gesellschaft aus dem begrenzten Haftungsfonds vorrangig vor sonstigen Drittgläubigern zu befriedigen sei. Diese Ansicht ergebe sich nicht nur aus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, sondern sei auch die weit überwiegende Literaturmeinung. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass sie die Schadenersatzansprüche gegen die Beklagte für die Insolvenzgläubiger geltend mache. Ihr Obsiegen würde die weitere Verfügbarkeit der Haftungshöchstsummen nach § 275 Abs 2 UGB und § 62a BWG für alle Insolvenzgläubiger – und damit auch für den Kläger – im Insolvenzverfahren sicherstellen. Dies sei eindeutig als rechtliches Interesse zu qualifizieren. Dass neben dem rechtlichen Interesse auch ein wirtschaftliches Interesse für die Nebenintervention bestehe, sei nicht schädlich.

[12] Diese Argumentation ist in Bezug auf die Nebenintervention schlüssig.

[13] 2. Das Rekursgericht hat die Grundsätze für die Zulässigkeit der Nebenintervention zutreffend dargelegt. Demnach hat der Nebenintervenient ein rechtliches Interesse dann, wenn die Entscheidung unmittelbar oder mittelbar auf seine privatrechtlichen oder öffentlich‑rechtlichen Verhältnisse rechtlich günstig oder ungünstig einwirkt. Das rechtliche Interesse muss ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse hinausgeht (RS0035724). Im Allgemeinen ist ein rechtliches Interesse dann gegeben, wenn die Rechtslage des Dritten durch das Obsiegen der Hauptpartei verbessert oder durch deren Unterliegen verschlechtert wird (RS0035724 [T3]). Bei der Beurteilung, ob die Nebenintervention zulässig ist, ist kein strenger Maßstab anzulegen. Es genügt, dass der Rechtsstreit die Rechtssphäre des Nebenintervenienten berührt (RS0035638).

[14] 3.1 § 275 Abs 2 UGB normiert für den Abschlussprüfer einer prüfpflichtigen Gesellschaft eine besondere Haftungsbestimmung. Verletzt er vorsätzlich oder fahrlässig seine Pflicht zur gewissenhaften und unparteiischen Prüfung, so ist er der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Für fahrlässige Prüffehler enthält § 275 Abs 2 UGB gestaffelte Haftungshöchstsummen, die sich an der Größe der geprüften Gesellschaft orientieren. Bei Fahrlässigkeit ist die Haftung des Abschlussprüfers somit betragsmäßig begrenzt. Diese Regelung gilt über § 62a BWG auch für den Bankprüfer, wobei diese Norm abweichende Haftungshöchstsummen vorsieht, die nach der Höhe der Bilanzsumme der jeweiligen Bank gestaffelt sind.

[15] 3.2 Nach der Rechtsprechung wirkt § 275 Abs 2 UGB über die Verantwortlichkeit des Abschlussprüfers als Schutzgesetz nur zugunsten jener Gesellschaft, die ihn bestellt hat. Darüber hinaus entfaltet der Vertrag zwischen dem Abschlussprüfer und der geprüften Gesellschaft aber auch Schutzwirkungen zugunsten Dritter, die den Kreis der potentiellen Gläubiger der Gesellschaft umfassen. Stellt ein Abschlussprüfer schuldhaft einen unrichtigen Bestätigungsvermerk aus, so kann er daher auch Dritten, die im Vertrauen auf die Verlässlichkeit dieses Vermerks disponiert haben und dadurch einen Schaden erleiden, ersatzpflichtig werden (RS0116076; RS0116077; RS0129123; 3 Ob 230/12p).

[16] 3.3 Es besteht somit eine sondergesetzliche Haftung des Abschlussprüfers gegenüber der geprüften Gesellschaft sowie eine Dritthaftung (hier) gegenüber Anlegern, die aus dem Vertrag zwischen der Gesellschaft und dem Abschlussprüfer mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (bzw aus objektiv‑rechtlichen Sorgfaltspflichten zugunsten Dritter; vgl RS0106433) abgeleitet wird.

[17] Im Haftungsfall können derartige Ansprüche miteinander konkurrieren. Bei einem begrenzten Haftungsfonds wie im Anlassfall führt dies dazu, dass die Forderung des zweiten Gläubigers geschmälert wird, wenn der Haftungsfonds nicht für sämtliche Forderungen ausreicht. Damit stellt sich die Frage nach der Priorität der Befriedigung.

[18] 4.1 Der Oberste Gerichtshof hat sich in den Entscheidungen zu 8 Ob 94/16f (RS0131576 = RWZ 2017/59, 286 [Wender] = ÖBA 2018/2475, 504 [Warto]; vgl dazu auch Karner/Perner/Spitzer, Forum für Zivilrecht in Traunkirchen, ÖJZ 2018/91, 686 [694]; Völkl, Abwicklung von Dritthaftungsansprüchen gegen Abschlussprüfer, RdW 2018, 80) und zu 9 Ob 70/16h mit der Frage auseinandergesetzt, wie Schadenersatzansprüche mehrerer geschädigter Drittgläubiger zu behandeln sind, wenn sie die Haftungshöchstsumme des § 275 Abs 2 UGB übersteigen. Das Höchstgericht gelangte dabei zum Ergebnis, dass in einem solchen Fall – in Ermangelung einer ausdrücklichen oder analogiefähigen Anordnung einer quotenmäßigen Befriedigung – eine Aufteilung nach dem allgemeinen Prioritätsprinzip zu erfolgen hat. Das Verhältnis von Ersatzansprüchen der geprüften Gesellschaft einerseits zu solchen von Drittgläubigern andererseits wurde in diesen Entscheidungen nicht geprüft. Der Oberste Gerichtshof hielt aber fest, dass die in Rede stehende Bestimmung primär als Haftungsnorm gegenüber der geprüften Gesellschaft konzipiert ist.

[19] 4.2 Zu dieser sich hier stellenden Frage der Aufteilung der Haftungshöchstsummen nach § 275 Abs 2 UGB und § 62a BWG zwischen geprüfter Gesellschaft und geschädigten Dritten wird in der Literatur weit überwiegend die Meinung vertreten, dass der geprüften Gesellschaft bei der Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Abschlussprüfer der Vorrang zukomme (siehe dazu Knobl in Laurer/M. Schütz/Kammel/Ratka, BWG4 § 62a Rz 15; Dellinger/Told in Dellinger, BWG § 62a Rz 34; Gelter in Bertl/Mandl, Handbuch zum RLG § 275 UGB Rz 139). Begründet wird dies vor allem mit der Zweckbestimmung des § 275 Abs 2 UGB, wonach der Abschlussprüfer primär im Auftrag und zum Schutz der geprüften Gesellschaft tätig werde (Artmann, Die Haftung des Abschlussprüfers für Schäden Dritter, JBl 2000, 623 [633]; dieselbe, Neues zur Haftung des Abschlussprüfers, RdW 2007, 323 [324]; Vavrovsky, Zur Haftung des Bankprüfers, ÖBA 2001, 577 [586]; Baumgartner/H. Torggler/U. Torggler, Zur Haftungsbegrenzung bei der Dritthaftung des Abschlussprüfers, in FS Koppensteiner [2016] 33; Gelter in Bertl/Mandl, Handbuch zum RLG § 275 UGB Rz 139). Der durch die Rechtsfortbildung des Obersten Gerichtshofs entwickelte zusätzliche Schutz Dritter könne zu keiner Aushöhlung des Haftungsanspruchs der prüfpflichtigen Gesellschaft führen; vielmehr sei eine gewisse Bevorzugung der Gesellschaft und verbundener Unternehmen gesetzlich indiziert (Karollus, Die Haftungshöchstgrenze bei der Dritthaftung des Abschlussprüfers de lege lata und de lege ferenda, RdW 2006, 389 [396]; Gelter in Bertl/Mandl, Handbuch zum RLG § 275 UGB Rz 139; Dellinger/Told in Zib/Dellinger, UGB § 275 Rz 71). Die Einbeziehung Dritter in den Schutzzweck eines Vertrags könne nicht dazu führen, dass der eigentliche Vertragspartner seine Rechte aus dem Prüfvertrag nicht oder nur mehr eingeschränkt geltend machen könne (Jenny/Stipanitz, Konsequenzen der Haftungsbeschränkung nach § 275 Abs 2 UGB bzw § 62a BWG, ÖBA 2021, 677 [680]). Alles andere als ein Vorrang der Gesellschaft führe zu einer Ungleichbehandlung und hätte – bezogen auf Gesellschafter – die Umgehung der insolvenzrechtlichen Nachrangigkeit zu Lasten der Konkursgläubiger zur Folge (Völkl in Straube/Ratka/Rauter, UGB II/RLG3 § 275 Rz 93/10).

[20] 5.1 Wie bereits erwähnt, ist bei der Beurteilung, ob die Nebenintervention zulässig ist, kein strenger Maßstab anzulegen. Es genügt, dass der Rechtsstreit die Rechtssphäre des Nebenintervenienten berührt (RS0035638). Der Nebenintervenient muss sein rechtliches Interesse nur plausibel darlegen können; eine detaillierte Vorwegprüfung seiner Ansprüche hat im Streit um die Zulässigkeit der Nebenintervention nicht zu erfolgen (vgl RS0035638 [T8]; RS0035724 [T9]; RS0106173 [T5 und T7]; 4 Ob 196/20g).

[21] 5.2 § 275 Abs 2 UGB iVm § 62a BWG ist – wie bereits angesprochen – primär als Haftungsnorm gegenüber der geprüften Gesellschaft konzipiert (8 Ob 94/16f). Die weit überwiegende Literaturmeinung leitet daraus und aus dem primären Zweck der Abschlussprüfung, die Gesellschaft zu schützen, einen Anspruch der geprüften Gesellschaft auf vorrangige Befriedigung ihrer gegen den pflichtwidrig handelnden Abschlussprüfer bestehenden Forderungen vor Drittgläubigern ab. Ohne dass diese Frage im Verfahren über den Beitritt der Nebenintervenientin abschließend geklärt werden muss, stünde ihr bei deren Bejahung aufgrund der gesetzlich normierten Haftungsbeschränkung ein größerer Haftungsfonds zur Verfügung, weshalb die Frage des Ranges jedenfalls ein rechtliches Interesse der Masse am Obsiegen der Beklagten im Prozess gegen den klagenden Anleger begründet. Die Nebenintervenientin hat damit ihr rechtliches Interesse plausibel und für die Zulassung der Nebenintervention ausreichend dargelegt. Jedenfalls bis zur endgültigen Klärung der Vorrangfrage kann die geprüfte Gesellschaft bzw deren Insolvenzverwalterin dem von einem Drittgläubiger angestrengten Prozess als Nebenintervenientin beitreten (vgl Gelter in Bertl/Mandl, Handbuch zum RLG § 275 UGB Rz 139; Jenny/Stipanitz, Konsequenzen der Haftungsbeschränkung nach § 275 Abs 2 UGB bzw § 62a BWG, ÖBA 2021, 677 [682]).

[22] 6. Damit hält die Entscheidung des Rekursgerichts der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht stand. Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und die – die Nebenintervention zulassende – Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

[23] Die Entscheidung über die Kosten im Zwischenstreit über die Nebenintervention beruht auf §§ 41 und 50 ZPO.

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