OGH 5Ob168/21y

OGH5Ob168/21y4.11.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Anton Keuschnigg, Rechtsanwalt in Kitzbühel, gegen die beklagte Partei H* AG, *, vertreten durch Dr. Hannes Paulweber, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 106.243 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 28. Juli 2021, GZ 4 R 123/21a‑38, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00168.21Y.1104.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ein Schadenersatzbegehren des Klägers, das er aus der Verletzung einer zu seinen Gunsten abgeschlossenen Vereinbarung zwischen der Beklagten als Kreditgeberin und einem nicht verfahrensbeteiligten Dritten als Kreditnehmer ableitet. Danach sollte die Beklagte ein vom Kläger zur Besicherung von Kreditforderungen der Beklagten gegenüber dem Dritten verpfändetes Wertpapierdepot freistellen, sobald eine ebenfalls zur Besicherung verpfändete Liegenschaft des Dritten verkauft und die aushaftenden Verbindlichkeiten des Dritten mit dem Erlös abgedeckt wurden. Die Beklagte realisierte das Wertpapierdepot mit einem Einlagestand in Höhe des Klagebetrags allerdings bereits vor Verwertung der Liegenschaft. Ein Zwangsversteigerungsverfahren war da bereits anhängig, zur Versteigerung der Liegenschaft kam es aber nicht. Diese wurde am 27. 4. 2018 freihändig verkauft, wobei die Beklagte der Pfandfreistellung gegen Erhalt einer Zahlung von 2.815.000 EUR zustimmte. Strittig ist im Revisionsverfahren nur die Verjährung des Klageanspruchs.

[2] Das Erstgericht wies das Schadenersatzbegehren des Klägers als verjährt ab.

[3] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die außerordentliche Revision des Klägers zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[5] 1.1. Nach ständiger Rechtsprechung beginnt die Verjährungsfrist dann zu laufen, wenn der Sachverhalt dem Geschädigten soweit bekannt ist, dass er eine Klage mit Aussicht auf Erfolg anstrengen kann, mag er auch den ganzen Umfang des Schadens zu diesem Zeitpunkt noch nicht kennen (RIS‑Justiz RS0034374 [T37, T38, T4]; RS0034524). Er darf jedoch nicht solange zuwarten, bis Gewissheit über den Prozessgewinn besteht. Zweifel an der Erweisbarkeit des bekannten anspruchsbegründenden Sachverhalts schieben den Verjährungsbeginn nicht hinaus. Jeder Kläger muss nämlich damit rechnen, dass sich seine scheinbaren Kenntnisse des Schadens oder des Ersatzpflichtigen als irrig herausstellen, weil Zeugen oder Sachverständige anderes bekunden könnten (RS0034374 [T24]). Bloße Mutmaßungen über den Eintritt des Schadens, die Person des Schädigers, den Ursachenzusammenhang zwischen Schaden und schadensstiftendem Verhalten und jene Umstände, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt (vgl RS0034366 [T19]; RS0034374 [T1, T4]), reichen aber nicht aus (RS0034524 [T6, T69]).

[6] 1.2. Nur wenn Ungewissheit darüber besteht, ob überhaupt ein Schaden entstanden ist und über diese Frage ein Rechtsstreit behängt, kommt es auf die Rechtskraft der Gerichtsentscheidung oder den Ausgang eines Verwaltungsverfahrens an. Diesfalls wird dem Geschädigten in der Regel zugebilligt, den Ausgang dieses Verfahrens abzuwarten, weil er erst dann über ausreichend sichere Informationen für seine Schadenersatzklage verfügt. Das Kriterium der Erkennbarkeit des Schadens ist in einem solchen Fall nur ausnahmsweise, etwa bei einem Wegschauen des Geschädigten oder Ignorieren erdrückender Beweise erfüllt (RS0083144 [T14, T22, T31, T36]; 10 Ob 111/07g).

[7] 1.3. Maßgebend sind die Kenntnisse des Geschädigten vom objektiven Sachverhalt, auf die erforderlichen Rechtskenntnisse oder die richtige rechtliche Qualifikation des – bekannten – Sachverhalts kommt es für den Beginn der Verjährungsfrist nicht an (RS0034524 [T57].

[8] 1.4. Die Beantwortung der Frage, wann eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann, hängt typischerweise von den Umständen des Einzelfalls ab und wirft daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf (10 Ob 111/07g; RS0034524 [T41, T60]; RS0034374 [T47]). Eine erhebliche Rechtsfrage wäre nur dann zu bejahen, wenn den Vorinstanzen eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (10 Ob 111/07g), was hier nicht der Fall ist.

[9] 2.1. Das Argument, eine erfolgversprechende Klageeinbringung wäre erst Anfang Juni 2017 möglich gewesen, als der Revisionswerber die schriftliche Vereinbarung vom 11. 12. 2012 erhalten hatte, geht nach der nicht korrekturbedürftigen Auffassung der Vorinstanzen ins Leere. Nach den den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen wusste er nämlich bereits vor dem 2. 12. 2015, dass zwischen der Beklagten und dem Hauptschuldner die Freistellung des Wertpapierdepots für den Fall vereinbart worden war, dass die verpfändete Liegenschaft verkauft und der Erlös zur Abdeckung der aushaftenden Verbindlichkeiten verwendet würde. Dass ihm die Untermauerung dieses Sachverhalts erst durch Vorlage der dies bekundenden schriftlichen Vereinbarung möglich gewesen wäre, ist nicht nachvollziehbar. Er hätte jedenfalls die ihm bekannten Mitarbeiter der Beklagten und den Geschäftsführer der Hauptschuldnerin als Zeugen führen können. Davon auszugehen, er habe nicht solange zuwarten dürfen, bis sein Prozessrisiko auf ein Minimum reduziert worden wäre, entspricht den dargestellten Kriterien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung.

[10] 2.2. Dies gilt auch für das Argument, die rechtliche Beurteilung der Vereinbarung als (echten) Vertrag zu seinen Gunsten sei ihm erst nach Vorlage der schriftlichen Vereinbarung möglich gewesen. Auf die richtige rechtliche Qualifikation des bekannten objektiven Sachverhalts kommt es für den Beginn der Verjährungsfrist nicht an.

[11] 3.1. Auch die Auffassung der Vorinstanzen, bereits die Kenntnis des Klägers von der – vereinbarungswidrigen – Realisierung seines Wertpapierdepots sei als Kenntnis des erlittenen Schadens zu werten, ist nicht korrekturbedürftig. Der Kläger macht der Sache nach einen vertraglichen Schadenersatzanspruch im Sinn der §§ 920 f ABGB geltend, weil die Beklagte die ihm gegenüber als begünstigtem Dritten übernommene Verpflichtung verletzt hat, das Wertpapierdepot erst nach Verwertung der Pfandliegenschaft zu realisieren. Mit der Verwertung des Depots hat der Kläger sein „Eigentum“ daran bzw seine Rechtszuständigkeit an den dort verwahrten Wertpapieren oder verbrieften Forderungen verloren. Mit der Kenntnis von der Realisierung des Depots musste für den Kläger daher klar sein, dass die Beklagte die von ihr übernommene Verpflichtung nicht mehr erfüllen werde können.

[12] 3.2. Nach der Rechtsprechung (RS0018454; RS0018463) kann auch ein Schadenersatzanspruch nach § 921 ABGB abstrakt oder konkret berechnet werden, es handelt sich dabei um eine bloße Frage der Schadensbemessung (6 Ob 145/08d mwN; RS0018448). Bei Nichteinhaltung einer vertraglichen Verpflichtung liegt der Schaden bereits darin, dass der Geschädigte den vertraglichen Leistungsanspruch verliert, der Verlust des Leistungsanspruchs bewirkt daher bereits den Schadenseintritt (vgl 6 Ob 145/08d). Dazu kommt hier, dass der Verlust des Anspruchs auf Unterlassung der Verwertung des verpfändeten Wertpapierdepots zur Folge hatte, dass der Kläger sein „Eigentumsrecht“ daran tatsächlich verlor. Dass er aufgrund der Verpfändung des Depots darüber nicht verfügungsberechtigt war, änderte nichts daran, dass er nach wie vor Inhaber dieses Depots bzw der darin verwahrten Wertpapiere war, sodass er sein Vollrecht mit Abdeckung der besicherten Verbindlichkeiten wieder unbeschränkt hätte ausüben können.

[13] 3.3. Nach dem weiten Schadensbegriff des ABGB ist jeder rechtliche Nachteil ein Schaden, somit jeder Zustand, an dem ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht (RS0022537). Demgemäß ist es ein Vermögensnachteil, wenn anstelle eines Bargeldbetrags eine gleich hohe Geldforderung getreten ist, es sei denn, der Schuldner wäre bereit und imstande seine Verbindlichkeit unverzüglich abzutragen (6 Ob 145/08d mwN). Auch nach der ständigen Rechtsprechung zur Haftung für fehlerhafte Anlageberatung tritt der (reale) Schaden des Anlegers bereits durch den Erwerb nicht gewünschter Vermögenswerte ein (RS0129706). Hingegen ist für das Vorliegen eines „realen Schadens“ eine in Geld messbare Vermögenseinbuße nicht unbedingt erforderlich, es reicht aus, dass die Zusammensetzung des Vermögens des Geschädigten nach dem schadensbegründenden Ereignis nicht seinem Willen entspricht (6 Ob 145/08d mwN). Ein solcher Fall liegt hier vor:

[14] 3.4. Nach der Verwertung des Depots hatte der Kläger seine Rechte an den dort verwahrten Wertpapieren verloren. Vergleichbar zu der zu Anlageberaterhaftungsfällen entwickelten Rechtsprechung (vgl RS0129706) wäre es dem Kläger offengestanden, von der Bank nach § 1323 ABGB Naturalrestitution, somit die Rückstellung der Wertpapiere des Depots zu begehren. Selbst für den Fall, dass der Bank die Erfüllung dieser Rückstellungspflicht (nachträglich) unmöglich geworden sein sollte, wäre bei objektiv-abstrakter Berechnung des real eingetretenen Schadens nach der Rechtsprechung (RS0018595) grundsätzlich der Zeitpunkt der Vertragsauflösung maßgebend. Objektiv‑abstrakt berechneter Schaden, also der gemeine Wert zum Schädigungszeitpunkt wäre nämlich selbst dann, wenn Interesseersatz begehrt werden könnte, als Minimum des zuzuerkennenden Betrags zuzusprechen (RS0030075) und der Geschädigte hat es nicht in der Hand durch die Wahl der Schadensbemessung den Beginn der Verjährungsfrist zu beeinflussen (6 Ob 145/08d).

[15] 3.5. Die auf diesen Rechtsprechungsgrundsätzen basierende Auffassung der Vorinstanzen, der reale Schaden des Klägers sei mit der Realisierung seines Wertpapierdepots – unabhängig von späteren Entwicklungen – eingetreten, ist nicht zu beanstanden. Dass das Depot allenfalls auch bei rechtmäßigem Verhalten der Beklagten, also bei vorheriger Verwertung der verpfändeten Liegenschaft, ebenfalls verwertet und der Erlös – zumindest teilweise – zur Schuldenabdeckung verwendet hätte werden können, betrifft nicht die Frage des Eintritts des Schadens an sich, sondern die eines allfälligen rechtmäßigen Alternativverhaltens.

[16] 3.6. Grundsätzlich kann der Umstand, dass ein Schaden mehr oder weniger wahrscheinlich auch ohne die schadensbringende Handlung eingetreten wäre, die Schadenersatzpflicht des Schädigers nicht aufheben (RS0022629). Steht allerdings fest, dass der gleiche Erfolg auch ohne das (reale) Schadensereignis zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetreten wäre, wäre dies zu berücksichtigen (RS0022609 [T8]). Der Schädiger kann einwenden, dass die Folgen der realen schädigenden Handlung ident seien mit denen anderer hypothetischer Ursachen, die Behauptungs‑ und Beweislast dafür trägt der Schädiger (RS0022647). Auch der maßgebende Zeitpunkt müsste mit einiger Sicherheit bestimmt werden können (RS0022653 [T2]). Gelingt dem Schädiger dieser Beweis, ist seine Ersatzpflicht auf den sogenannten Verfrühungs‑ oder Verschlimmerungsschaden eingeschränkt (RS0022609 [T7]; 6 Ob 234/17f mwN). Der rechtswidrig handelnde Täter wird somit nur dann von der Haftung freigestellt, wenn er denselben Nachteil auch durch rechtmäßiges Verhalten herbeigeführt hätte (RS0111706).

[17] 3.7. Hier löste die vorzeitige Verwertung des Wertpapierdepots einen realen Schaden im Vermögen des Klägers aus, wobei an der Ursächlichkeit des Verhaltens der Beklagten nicht zu zweifeln ist. Ihr wäre es in einem vom Kläger eingeleiteten Schadenersatzprozess daher oblegen, zu behaupten und nachzuweisen, dass derselbe Schaden im Vermögen des Klägers auch bei rechtmäßigem Verhalten ihrerseits eingetreten wäre. Sämtliche Zweifel daran hätten die Beklagte belastet. Selbst bei Erfolg dieses Einwands wäre dem Kläger der Verfrühungsschaden zugestanden, mag auch seine Höhe noch nicht bezifferbar gewesen sein. Ein Primärschaden des Klägers war nach der im Einzelfall nicht korrekturbedürftigen Auffassung der Vorinstanzen bereits mit der unzulässigen Verwertung seines Wertpapierdepots entstanden. Dem Kläger wäre die Einbringung einer Feststellungsklage daher offengestanden.

[18] 3.8. Ein Fall, in dem dem Kläger als Geschädigten zuzubilligen wäre, wegen Ungewissheit darüber, ob überhaupt ein Schaden entstanden ist, einen darüber behängenden Rechtsstreit abzuwarten, liegt hier nicht vor. Anders als in den von der Judikatur behandelten Fällen, wo sich dies erst durch einen Rechtsstreit herausstellte, war der Schadenersatzanspruch des Klägers wegen Verlusts seines Depots nicht Gegenstand eines Verfahrens: Das Zwangsversteigerungsverfahren betraf – abgesehen davon, dass die verpfändete Liegenschaft letztlich freihändig verkauft wurde – nicht diese Frage. Es kann daher keine Rede davon sein, dass der Kläger zur Einbringung der Feststellungsklage bereits genötigt gewesen wäre, obwohl ihm möglicherweise mangels Schadens kein Ersatzanspruch in Zukunft entstehen hätte können. Der Ersatzanspruch des Klägers war mit der vertragswidrigen Verwertung seines Depots entstanden. Eine Abweichung von dem in ständiger Rechtsprechung (6 Ob 153/15s) anerkannten Grundsatz, dass die kurze Verjährungsfrist von Ersatzansprüchen nicht vor dem tatsächlichen Eintritt des Schadens zu laufen beginnt, liegt nicht vor.

[19] 4. Damit war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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