OGH 12Os63/21p

OGH12Os63/21p29.7.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Juli 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Casagrande in der Strafsache gegen Suat Ö***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 17. Februar 2021, GZ 18 Hv 26/20z‑105, und über die Beschwerde des Angeklagten gegen den zugleich ergangenen Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0120OS00063.21P.0729.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen (einen den Teilakt einer tatbestandlichen Handlungseinheit betreffenden und deshalb unbeachtlichen Subsumtionsfreispruch enthaltenden [vgl RIS‑Justiz RS0117261; Lendl , WK‑StPO § 259 Rz 2; allgemein zu Subsumtions- und Qualifikationsfreisprüchen siehe RIS‑Justiz RS0120128]) Urteil wurde der Angeklagte Suat Ö***** – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Relevanz – des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I./1./ bis I./4./ und I./6./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er vorschriftswidrig

I./ in V***** Suchtgift in einer das 25‑Fache der Grenzmenge übersteigenden Menge anderen überlassen, und zwar

1./ zwischen Frühjahr/Sommer 2018 und 2019 Thomas H***** in zahlreichen Einzelverkäufen insgesamt ein Kilogramm Kokain (beinhaltend zumindest 594,1 Gramm reine Kokainbase [39,61‑fache Grenzmenge]),

2./ im Winter 2018 H***** durch den Verkauf von fünf Kilogramm Marihuana (beinhaltend zumindest 200 Gramm THCA [5‑fache Grenzmenge]),

3./ am 4. März 2020 Adem A***** durch den Verkauf von fünf Kilogramm Marihuana (beinhaltend zumindest 490 Gramm THCA [12,25‑fache Grenzmenge]),

4./ am 30. März 2020 A***** durch den Verkauf von vier Kilogramm Marihuana (beinhaltend zumindest 40 Gramm THCA [1-fache Grenzmenge]),

5./ […]

6./ im Zeitraum 2018 bis Frühjahr 2020 A***** durch den wiederholten Verkauf von insgesamt 12 Gramm Kokain (beinhaltend zumindest 7,1 Gramm reine Kokainbase [0,47‑fache Grenzmenge]) sowie verschiedenen unbekannten Drogenabnehmern nicht mehr feststellbare Mengen Marihuana und Kokain.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen die Subsumtion der zu I./1./ bis I./4./ und I./6./ dargestellten Tat nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

[4] Der Verfahrensrüge (Z 4 [nominell auch Z 5 vierter Fall]) zuwider erfolgte die Abweisung des in der Hauptverhandlung vom 17. Februar 2021 gestellten Antrags auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass die Angaben des Zeugen H***** am 2. und 5. Juni 2020 vor der Kriminalpolizei und am 14. Jänner 2021 vor dem erkennenden Gericht unwahr sind und der Angeklagte dem H***** zwar 2.400 Gramm Cannabis, aber kein Kokain verkaufte (ON 104, Beilage ./VI), ohne Verletzung von Verteidigungsrechten.

[5] Die Beurteilung der Wahrheit und Richtigkeit der Aussagen von Zeugen ist ein Akt freier Beweiswürdigung, der ausschließlich dem Gericht zusteht, wobei die Richter sich aufgrund des Beweisverfahrens, des persönlichen Eindrucks von den Zeugen und vom Angeklagten sowie aufgrund ihrer Berufs- und Lebenserfahrung über die Verlässlichkeit der Aussagen schlüssig zu werden haben (RIS‑Justiz RS0097733; Lendl , WK‑StPO § 258 Rz 23). Somit ist die Einholung eines Gutachtens über die Aussagefähigkeit und -tüchtigkeit auf besondere Ausnahmefälle beschränkt. Voraussetzung dafür ist das Fehlen von Fachwissen, das für die Beurteilung der Fähigkeit des Zeugen, Wahrnehmungen zu machen und diese gedächtnistreu wiederzugeben, erforderlich ist (§ 126 Abs 1 StPO; vgl Hinterhofer, WK‑StPO § 126 Rz 12). Das ist bei erheblichen Störungen der Fall, die dem Grad des § 11 StGB nahekommen oder gegen die allgemeine Wahrnehmungs- und Wiedergabefähigkeit oder die (vom Einzelfall unabhängige) Aussageehrlichkeit des Zeugen schlechthin sprechen (RIS‑Justiz RS0097576, RS0120634 [T4]).

[6] Aus welchen Gründen aber eine derartige Ausnahmekonstellation trotz psychiatrischer Befunde über ein stabiles Zustandsbild wenige Tage vor und nach den in Rede stehenden Vernehmungen (ON 99 S 3 und S 23 ff) vorliege, machte der Beweisantrag, der allgemein auf die Krankengeschichte sowie auf die erdichteten Angaben des Angeklagten über seine Lebensgeschichte, den Sprung in ein Sicherheitsnetz der Justizanstalt, einen weiteren Vorfall, bei dem sich der Angeklagte psychisch auffällig verhalten habe, und eine aus Sicht des Beschwerdeführers wirre Antwort auf die Frage nach dem Preis von CBD‑Hanf hinwies, nicht klar (vgl RIS‑Justiz RS0097576). Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die beantragte Einholung einer ausdrücklichen Zustimmung des H***** zur psychiatrischen Untersuchung.

[7] Die zur Antragsfundierung nachgetragenen Beschwerdeausführungen sind schon deshalb unbeachtlich, weil die Berechtigung eines Antrags stets auf den Antragszeitpunkt bezogen zu prüfen ist (RIS‑Justiz RS0099117).

[8] Ebenso verfiel der Antrag auf neuerliche Vernehmung des Zeugen H***** zum Beweis dafür, dass ihm der Angeklagte kein Kokain verkauft habe, zu Recht der Abweisung, weil der Beweisantrag nicht darlegt, aufgrund welcher Umstände ein geändertes Aussageverhalten zu erwarten gewesen wäre (RIS‑Justiz RS0098117 [T1, T3]).

[9] Es stellt zwar die habituelle Falschbezichtigungs ‑ tendenz eines Zeugen eine die Beweisführung zur Erschütterung seiner Glaubwürdigkeit voraussetzende erhebliche Tatsache dar (vgl RIS‑Justiz RS0120109), aus dem Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen Bekir T***** (ON 87 S 20) ergab sich aber nicht, inwiefern dieses (behauptete) Ergebnis zu erwarten gewesen sei, weil bloß dargelegt wurde, dass H***** einen mit dem Verfahrensgegenstand nicht im Zusammenhang stehenden Vorfall anders darstellte als der beantragte Zeuge.

[10] Selbiges gilt für die begehrte Vernehmung des Zeugen Sefki An***** (ON 87 S 20), weil die Schilderungen des H***** und dieses Zeugen einen weiteren Vorfall betreffend letztlich sogar übereinstimmten (ON 104, Beilage ./III).

[11] Entgegen der weiteren Verfahrensrüge wurden auch durch die Abweisung des Antrags auf Vernehmung der Sängerin ***** B***** (ON 104, Beilage ./VI) als Zeugin keine Verteidigungsrechte verletzt, weil das Erstgericht erkennbar als erwiesen annahm, dass der Zeuge H***** nicht Vater der Genannten ist (US 13; § 55 Abs 2 Z 3 StPO).

[12] Nicht zu beanstanden ist ferner die von der Verfahrensrüge kritisierte Abweisung des beim letzten Termin der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Vernehmung des bis dahin gänzlich unbekannten Jasmin S***** als Zeugen zum Beweis dafür, dass H***** dem Genannten, bei dem es sich nach dem Antragsvorbringen um seinen ehemaligen (im Antragszeitpunkt in einer anderen Justizanstalt inhaftierten) Mitinsassen handle, gegenüber erklärt habe, den Angeklagten zu Unrecht zu belasten (ON 104, Beilage ./VI). Da das Stattfinden eines solchen Gesprächs (offenbar) in Abwesenheit des Angeklagten mit einer im gesamten Verfahren nicht vorgekommenen Person lediglich behauptet wurde, ohne darzustellen, worauf sich dieses Vorbringen gründet, ergab sich aus diesem Antrag ebenfalls nicht, weshalb die begehrte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten ließ (vgl RIS‑Justiz RS0099189).

[13] Schließlich erfolgte die Abweisung des Antrags auf Vernehmung der Zeugen Akser To*****, Erdogan K*****, Kemir E*****, Yusuf G***** und Ali Ko***** zum Beweis, dass der Angeklagte kein Kokain an H***** verkauft habe (ON 104, Beilage ./VI), ebenfalls zu Recht, weil nicht dargelegt wurde, inwiefern die als

Zeugen beantragten Personen (unmittelbare und lückenlose) Wahrnehmungen zu den Kontakten des Angeklagten mit H***** gemacht haben sollten. Da somit offen blieb, weshalb die beantragten Vernehmungen ergeben könnten, dass im relevanten Zeitraum ein Kokainbezug des H***** vom Angeklagten auszuschließen sei, lief das Begehren auf eine Erkundungsbeweisführung hinaus (RIS‑Justiz RS0118444).

[14] Der weiters durch die Vernehmung dieser Zeugen unter Beweis zu stellende Erwerb von Marihuana und Kokain durch den Angeklagten bei H***** zum Zwecke des Eigenkonsums und die Tätigkeit des H***** als Kokainlieferanten betrifft unter dem Gesichtspunkt des Schuldspruchs I./1./ bis I./4./ und I./6./ keine erhebliche Tatsache.

[15] Entgegen dem Einwand von Unvollständigkeit (

Z 5 zweiter Fall) haben sich die Tatrichter mit den von der Beschwerde als psychisch auffällig bezeichneten und (aus Sicht des Nichtigkeitswerbers) gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen H***** (vgl RIS‑Justiz RS0119422) sprechenden Aussageinhalten und mit seiner psychischen Verfassung im Zeitpunkt der Vernehmungen sowie mit der vom Zeugen Haci M***** behaupteten Ankündigung des H*****, den Angeklagten „fertig zu machen“, auseinandergesetzt (US 12 f). Dass sie daraus andere als die vom Beschwerdeführer gewünschten Schlüsse zogen, stellt den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund nicht her (RIS‑Justiz RS0099455).

[16] Entgegen der weiteren Kritik unvollständiger Begründung der Feststellung, wonach der Angeklagte dem Zeugen H***** ein Kilogramm Kokain und – anstatt der vom Angeklagten behaupteten 2,4 Kilogramm – fünf Kilogramm Marihuana überließ (US 6), war das Erstgericht zur gesonderten Erörterung einer einzelnen Passage der Aussage des Suchtgiftlieferanten Ilir Ki*****, wonach der Angeklagte nur mit Blumen gehandelt und der Zeuge mit Kokain „nichts gemacht“ habe (ON 43 S 161), nicht verhalten, weil diese der in Rede stehenden Urteilskonstatierung nicht entgegensteht (RIS‑Justiz RS0098646). Selbiges gilt für die Aussage der Zeugin Jelena Mi*****, im fraglichen Zeitraum Mitarbeiterin des Angeklagten, wonach dieser kein Suchtgift verkauft habe, sie könne das nicht glauben (ON 43 S 463). Denn wie sich aus der Gesamtheit der (im Übrigen hinsichtlich der zitierten Vernehmungsinhalte im Widerspruch zur teilweise geständigen Verantwortung des Angeklagten stehenden) Aussagen beider Zeugen (von der Beschwerde vernachlässigt) ergibt, verfügen sie nicht über lückenlose Wahrnehmungen zu den Kontakten des Angeklagten mit H*****.

[17] Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) auf das Vorbringen der Mängelrüge verweist, missachtet sie den

wesensmäßigen Unterschied der Nichtigkeitsgründe und das daraus folgende Gebot zu deren gesonderter Ausführung (RIS‑Justiz RS0115902).

[18] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die (implizierte) Beschwerde des Angeklagten folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

[19] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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