OGH 1Ob67/21s

OGH1Ob67/21s22.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin G*****, vertreten durch Mag. Paulus Papst, Rechtsanwalt in Graz, gegen den Antragsgegner F*****, vertreten durch Dr. Gert Weiler, Rechtsanwalt in Feldbach, wegen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 9. Februar 2021, GZ 2 R 24/21w‑61, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Feldbach vom 18. Dezember 2020, GZ 4 Fam 101/19f‑51, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00067.21S.0622.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Antragsgegner ist schuldig, der Antragstellerin die mit 2.218,14 EUR (darin 369,69 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Nach mehr als 40-jähriger Dauer wurde die Ehe der Parteien im Jahr 2019 aus dem Alleinverschulden des Mannes geschieden. Die eheliche Gemeinschaft ist nach dem außer Streit gestellten Aufteilungsstichtag seit 25. 10. 2018 aufgehoben. Die Liegenschaft mit der Ehewohnung wurde noch davor (im Jahr 2017) mit Schenkungsvertrag der gemeinsamen (erwachsenen) Tochter übergeben. Diese räumte (nach dem Wortlaut des Schenkungsvertrags „als Gegenleistung“) ihren Eltern „ein höchstpersönliches, lebenslanges und unentgeltliches Wohnungsrecht im Sinne eines Wohnungsgebrauchsrechts im gesamten Wohnhaus“ ein.

[2] Das Zusammenleben der nach wie vor im Haus lebenden Parteien gestaltet sich seit der Scheidung nicht friedlich, vor allem, wenn der Antragsgegner betrunken ist. Der Mann verhält sich generell gegenüber der Frau aggressiv.

[3] Das Erstgericht wies die Ausübung des für beide Parteien eingetragenen Wohnungsgebrauchsrechts der Frau auf deren Lebenszeit alleine zu (Punkt I.), verpflichtete den Mann zur Räumung der Ehewohnung binnen vier Wochen nach Rechtskraft (Punkt II.) und die Frau zur Zahlung eines Ausgleichsbetrags von 30.500 EUR (Punkt III.); die „jeweiligen Mehrbegehren“ wies es ab (Punkt IV.).

[4] Dagegen erhoben beide Streitteile Rekurs. Die Frau verfolgte mit ihrem Rechtsmittel eine Herabsetzung der Ausgleichszahlung auf 29.000 EUR und hielt die zeitliche Beschränkung der „Zuweisung des Wohnungsrechts“ (bloß auf ihre Lebenszeit) für unrichtig, weshalb sie begehrte, den Mann schuldig zu erkennen, „in die Rechteübertragung diesbezüglich einzuwilligen“. Der Mann strebte den Erhalt seines Wohnungsgebrauchsrechts an; in eventu (für den Fall, dass der Antrag der Frau, ihr die Ausübung des Wohnungsgebrauchsrechts alleine zuzuweisen, nicht abgewiesen werde) begehrte er die Erhöhung der Ausgleichszahlung auf 80.902 EUR.

[5] Das Rekursgericht gab den von beiden Parteien erhobenen Rekursen teilweise Folge. Es bestätigte den Beschluss des Erstgerichts hinsichtlich der Räumung, änderte aber den Ausspruch über die „Zuweisung der Ausübung des Wohnungsgebrauchsrechts“ dahin ab, dass es dem Mann das ihm eingeräumte Wohnungsgebrauchsrecht entzog, sodass „die Frau dieses künftig alleine fortführt“, und erkannte ihn schuldig, gegen Nachweis der vollständigen Leistung der Ausgleichszahlung und Übernahme der Kosten der grundbücherlichen Durchführung durch die Frau in die Löschung seines Wohnungsgebrauchsrechts einzuwilligen. Die von der Frau zu leistende Ausgleichszahlung setzte es – weil es von ehelichen Ersparnissen in anderer Höhe als das Erstgericht ausging – mit 37.000 EUR (fällig binnen vier Wochen ab Rechtskraft) fest.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der gegen diese Entscheidung erhobene und von der Frau beantwortete außerordentliche Revisionsrekurs des Mannes ist zur Klarstellung der Rechtslage hinsichtlich der Einbeziehung und des rechtlichen Schicksals eines beiden ehemaligen Ehepartnern eingeräumten Wohnungsgebrauchs-rechts zulässig, aber nicht berechtigt.

[7] 1.1. Der Mann vertritt die Auffassung, ein Wohnungsgebrauchsrecht sei nicht verwertbar, zähle damit nicht zu den ehelichen Ersparnissen und sei aus diesem Grund „nicht der Aufteilung der ehelichen Ersparnisse und des ehelichen Gebrauchsvermögens gemäß §§ 81 ff EheG unterworfen“.

[8] 1.2. Dem Revisionsrekurswerber ist darin Recht zu geben, dass unkörperliche Sachen (also Rechte) nur dann eheliche Ersparnisse sind, wenn sie einer Verwertung zugänglich sind (RIS‑Justiz RS0057517). Damit mag zwar ein Wohnungsgebrauchsrecht mangels Verwertbarkeit (RS0011828) nicht als eheliche Ersparnis anzusehen sein; die Ehewohnung ist aber zweifelsohne schon kraft der in § 81 Abs 2 EheG enthaltenen Legaldefinition immer eheliches Gebrauchsvermögen (RS0057275). Der Begriff des ehelichen Gebrauchsvermögens im Sinne dieser Bestimmung setzt kein Eigentumsrecht voraus, sondern nur das Bestehen dinglicher oder obligatorischer Rechte an unbeweglichen Sachen (RS0113632). So wird (wegen der Lückenhaftigkeit des Ehegesetzes) etwa auch das Anwartschaftsrecht auf Einräumung von Wohnungseigentum an der Ehewohnung als eheliches Gebrauchsvermögen angesehen (RS0057738; zum Wohnrecht siehe nur 6 Ob 33/04b).

[9] Dass es sich bei dem in Rede stehenden Wohnungsgebrauchsrecht um das während der Ehe erworbene Nutzungsrecht an der Ehewohnung handelt, ist nicht strittig. Dieses Recht unterliegt daher grundsätzlich als eheliches Gebrauchsvermögen der Aufteilung.

[10] 2. Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts führt der Mann zusätzlich ins Treffen, dass es wegen der in § 87 Abs 1 EheG gewählten Formulierung („kann das Gericht … die Übertragung … anordnen“) im Rahmen der nachehelichen Aufteilung nur zu einer Übertragung des dinglichen Rechts kommen könnte; beim Wohnungsgebrauchsrecht stünde dem aber dessen Höchstpersönlichkeit (§ 507 ABGB) entgegen. Die Möglichkeit einer (vom Rekursgericht angeordneten) Entziehung des für den Antragsgegner intabulierten Wohnungsgebrauchsrechts sei dem Wortlaut dieser Gesetzesstelle dagegen nicht zu entnehmen, die Entscheidung des Rekursgerichts daher zu korrigieren (und damit auch das Wohnungsgebrauchsrecht des Mannes aufrechtzuerhalten).

[11] 3.1. Das Wohnungsgebrauchsrecht wird – anders als das Fruchtgenussrecht – als „höchstpersönliches“ Recht angesehen (1 Ob 216/98s mwN; RS0011828). Während das Fruchtgenussrecht dem Berechtigten – abgesehen davon, dass die Substanz der Sache zu bewahren ist – ohne Einschränkung vollen Genuss der Sache gewährt und dementsprechend auch die Gebrauchsüberlassung an Dritte (also die Verwertung des Rechts) ermöglicht (vgl RS0011826 [T1, T2]), umfasst das Wohnungsgebrauchsrecht (nur) das Recht, die Wohnung zum persönlichen Gebrauch zu nutzen (RS0011821; RS0011826 [T3, T8]). Es kann nicht auf andere Personen übertragen und seine Ausübung nicht anderen überlassen werden (§§ 507 und 521 Satz 1 ABGB; 1 Ob 216/98s mwN; zuletzt 2 Ob 102/18s; RS0011828; Holzner, Praxisfragen dinglicher Kreditsicherheiten – Eine Rechtsprechungsanalyse, ÖBA 2004, 944 [947];zum Aufteilungsrecht: Palten, Die Regelung der Rechtsverhältnisse an der Ehewohnung und an anderen Wohnungen nach dem neuen Scheidungsfolgenrecht, ÖJZ 1979, 375 [Pkt 6.1.1.4.]; Guggenberger, Die Ehewohnung in der nachehelichen Vermögensaufteilung [2019] 137; die – von der Revisionsrekursgegnerin ins Treffen geführten, in ihrem knappen Verweis auf Vorjudikatur möglicherweise missverständlichen – Entscheidungen zu 1 Ob 148/17x und 1 Ob 25/18k betrafen nicht die Übertragung eines die Liegenschaft eines Dritten belastenden Wohnungsgebrauchsrechts, sondern die Beseitigung bzw die Begründung eines Wohnungsgebrauchsrechts eines ehemaligen Ehepartners an der Ehewohnung des anderen).

[12] 3.2. Die Auslegung des Mannes, ein beiden Streitteilen eingeräumtes Wohnungsgebrauchsrecht könne (weil es sich um ein höchstpersönliches Rechts handle) weder von einem auf den anderen übertragen, noch einem Teil entzogen werden (weil die von ihm als „abschließend“ verstandene Regelung des § 87 Abs 1 EheG nur die Übertragung vorsehe), führte dazu, dass bei einem solchen Recht gerade das Hauptanliegen der nachehelichen Aufteilung verhindert würde.

[13] Das nacheheliche Aufteilungsverfahren bezweckt, unter möglichst weitgehender Trennung der Lebensbereiche der geschiedenen Ehegatten (vgl § 84 EheG), jedem der geschiedenen Ehegatten einen angemessenen Teil an den in Betracht kommenden Vermögenswerten zukommen zu lassen (RS0057903). Die Auflösung des gemeinsamen Wohnens in der Ehewohnung als Kernbereich des Privatlebens steht dabei naturgemäß im Zentrum, was sich durch etliche Sonderregelungen für diesen Teil des Gebrauchsvermögens ausdrückt (§§ 82, 87, 88, 97 EheG).

[14] Dass gerade vor dem Hintergrund des Zwecks der Regelung über den Wortlaut hinausgegangen werden kann, hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen (6 Ob 586/80; RS0057652). Die §§ 86 ff EheG umschreiben nach herrschender Ansicht den Gestaltungsspielraum des Richters (bloß) beispielhaft (Gitschthaler in Schwimann/Kodek,ABGB5§§ 86, 87 EheG Rz 6 mwN; Koch KBB6 § 86 EheG Rz 1).

[15] Der vom Mann angestrebte unveränderte Beibehalt (auch) seines Wohnungsgebrauchsrechts führte zur unzumutbaren Situation des gemeinsamen Weiterwohnens in einer Wohnung, also zur Aufrechterhaltung gerade des intimsten Lebensbereichs (zur Trennung in Bezug auf die Ehewohnung vgl etwa RS0057569). Zwar kann ausnahmsweise ein gewisser Kontakt auch für die Zukunft in Kauf genommen werden, wenn ohne ihn dem Billigkeitsgebot nicht entsprochen werden könnte (1 Ob 211/18p; Gitschthaler, Aufteilungsrecht² Rz 445), die (gleichzeitige) Nutzung der selben Wohnung läuft aber der Intention des Aufteilungsrechts klar zuwider. Gerade im vorliegenden Fall liegen solche Billigkeitsmomente nicht vor, wird dem Mann der Wegfall der Wohnmöglichkeit doch durch eine entsprechende Ausgleichszahlung abgegolten. Da dem Trennungsgrundsatz besonderes Gewicht zukommt, wenn zwischen den ehemaligen Ehepartnern tiefgreifende persönliche Differenzen bestehen (RS0057569), erfordert das eingangs dargestellte inakzeptable Verhalten des Mannes hier eine „bestmögliche“ Trennung.

[16] Dem Sinn und Zweck der Regelungen über das nacheheliche Aufteilungsverfahren, die Auflösung des gemeinsamen Wohnens herbeizuführen, kann bei einem Wohnungsgebrauchsrecht, das vom Dritten (meist einem engen Verwandten) beiden Ehepartnern eingeräumt wurde, leicht und ohne Eingriff in die Rechte des Dritten in der vom Rekursgericht angeordneten Weise entsprochen werden.

[17] Zutreffend hat daher das Rekursgericht im vorliegenden Fall die geforderte Trennung dadurch herbeigeführt, dass es – dem Sinn der Bestimmung des § 87 Abs 1 Satz 1 EheG folgend – dem Mann sein Wohnungsgebrauchsrecht – gegen Leistung einer Ausgleichszahlung – entzog (so auch Guggenberger, Die Ehewohnung in der nachehelichen Vermögensaufteilung [2019] 130, 137). Die Frau kann dann das ihr von der Tochter eingeräumte Recht an der Nutzung der Ehewohnung in Hinkunft allein ausüben. Damit wird der Mann nicht anders behandelt, als wenn er etwa bei Miteigentum oder gemeinsamen Wohnungseigentum seinen Anteil verlöre und dafür einen angemessenen Ausgleich erhielte.

[18] 4. Dass die Frau in ihrem Rekurs (anders als noch in ihrem Aufteilungsantrag, in dem sie die Löschung des zugunsten des Mannes intabulierten Wohnungsgebrauchsrechts begehrt hatte) zuletzt die „Übertragung“ des Wohnungsgebrauchsrechts des Mannes gefordert hatte, macht die Entscheidung des Rekursgerichts – anders als der Revisionsrekurswerber meint – nicht fehlerhaft. Im gesamten Verfahren (auch im Rekursverfahren) hatte sie ihr Bestreben, über das Aufteilungsverfahren zu erreichen, dass sie in Hinkunft allein in der Ehewohnung wohnen kann, deutlich gemacht. Wenn das Rekursgericht daher im Aufteilungsverfahren, in dem das Gericht ohnehin nicht an konkrete Anträge oder Aufteilungsvorschläge der Parteien gebunden ist (vgl RS0109615; siehe auch RS0057875 [insbesondere T9, T11]), dem Spruch eine dem Ziel des gestellten Rekursbegehrens entsprechende Fassung gab (vgl RS0041254; RS0039357 zum in dieser Hinsicht wesentlich „strengeren“ Zivilprozess), liegt darin kein Verstoß gegen § 55 Abs 2 AußStrG.

[19] 5. Die dem Mann für den Entzug seines Wohnungsgebrauchsrechts zu leistende Ausgleichszahlung wurde unter Beiziehung eines Sachverständigen und Berücksichtigung, dass auch der Frau ein Wohnungsgebrauchsrecht an der Ehewohnung zusteht, ermittelt und auf Basis seiner Lebenserwartung bemessen. Warum sie – um 43.902 EUR – zu erhöhen sein sollte, legt er nicht dar.

[20] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 AußStrG.

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