European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132011
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.731,86 EUR (darin 455,31 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin begehrte mit ihrer Mahnklage von der beklagten Gesellschaft 21.826,47 EUR sA. Nach dem Bericht des Zustellers wurde der antragsgemäß erlassene Zahlungsbefehl am 14. Juli 2020 am Sitz der Beklagten zugestellt. Der Zustellnachweis wies nachstehenden Inhalt auf:
[2] Das Erstgericht erklärte den Zahlungsbefehl mangels Einspruchs am 21. August 2020 für vollstreckbar.
[3] Die Beklagte beantragt die Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung und die Zustellung des Zahlungsbefehls. Sie machte zusammengefasst geltend, dass die aus dem Rückschein ersichtliche Unterschrift weder von ihren Geschäftsführern noch von einem sonstigen Mitarbeiter stamme. Von der Existenz des Zahlungsbefehls hätte sie erstmals am 22. September 2020 durch die Zustellung der Exekutionsbewilligung erfahren.
[4] Die Klägerin sprach sich gegen den Antrag aus und brachte vor, dass die am Rückschein ersichtliche Unterschrift einem bestimmten Mitarbeiter der Beklagten, nämlich S* W*, zuzuordnen sei.
[5] Das Erstgericht hob die Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls (nach Vernehmung von S* W* und zweier Mitarbeiter der Post sowie nach Einsicht in Urkunden) nach § 7 Abs 3 EO auf.
[6] Es stellte fest, dass der (faktische) Zustellvorgang vom Briefträger am 14. Juli 2020 durchgeführt wurde. Der Zusteller übergab den Zahlungsbefehl an jene Person, die die Übernahme am Handheld mit der auf dem Rückschein ersichtlichen Unterschrift bestätigte. Von wem konkret die aus der Übernahmebestätigung ersichtliche Unterschrift stammt, steht aber nicht fest. Insbesondere steht nicht fest, ob S* W* am Handheld unterschrieb und den Zahlungsbefehl in Empfang nahm. Er war am Zustelltag die einzige Person, an die für die Beklagte zugestellt hätte werden können.
[7] In rechtlicher Hinsicht hob das Erstgericht hervor, es sei nicht feststellbar, an wen die Zustellung konkret erfolgt sei. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass an eine annahmeberechtigte Person zugestellt worden sei. Damit könne der Vollstreckbarkeitsbestätigung auch keine rechtswirksame Zustellung zugrundegelegt werden, sodass die Bestätigung aufzuheben sei.
[8] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin Folge und wies den Antrag der Beklagten ab.
[9] Es hob hervor, dass offen bleibe, ob die Beurkundung auf der Übernahmebestätigung den tatsächlichen Verhältnissen entsprach oder nicht. Der Gegenbeweis nach § 292 Abs 2 ZPO sei aber nur dann gelungen, wenn der Nachweis erfolgt, dass die Beurkundung nicht den wirklichen Tatsachen oder Vorgängen entsprochen hat. Bei einem „non liquet“ sei der Gegenbeweis nicht erbracht.
[10] Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist. Der Auffassung des Rekursgerichts, dass bei einer non‑liquet‑Situation der Gegenbeweis des § 292 Abs 2 ZPO misslungen sei, stehe eine Rechtssatzkette gegenüber, wonach Zweifel an der Rechtswirksamkeit der Zustellung zu Lasten der Behörde gingen, weshalb eine Klarstellung der Rechtslage durch den Obersten Gerichtshof geboten sei.
[11] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im stattgebenden Sinn.
[12] Die Klägerin beantragt, das Rechtsmittel mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
[13] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, das Rechtsmittel ist auch berechtigt.
[14] 1. Nach § 22 Abs 1 ZustG ist die Zustellung vom Zusteller auf dem Zustellnachweis (Zustellschein) zu beurkunden (RIS‑Justiz RS0006957 [T5]; vgl auch RS0036420).
[15] 2.1 Die vom Zusteller erstellten Zustellausweise sind nach § 292 Abs 1 ZPO öffentliche Urkunden, die, wenn sie (wie hier) die gehörige äußere Form aufweisen, den vollen Beweis dafür erbringen, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist (RS0040473; RS0006957 [T5]; RS0036458).
[16] 2.2 Im Zuge des BRÄG 2006 kam es zu einer völligen Gleichstellung der in der vorgeschriebenen Form elektronisch errichteten öffentlichen Urkunde mit der Papierurkunde, was bedeutet, dass auch die elektronische Urkunde mit der selben Beweiskraft ausgestattet ist wie eine Papierurkunde, wenn die für ihre Errichtung geltenden Vorschriften eingehalten wurden (Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka 5 § 292 ZPO Rz 2).
[17] 2.3 Auch für den hier gegenständlichen „hybriden Rückschein“ gilt die Bestimmung des § 292 ZPO (vgl zB 7 Ob 27/21b).
[18] 3. Der vom Rekursgericht herangezogene § 292 Abs 2 ZPO ermöglicht bei einer öffentlichen Urkunde den „Beweis der Unrichtigkeit“ des bezeugten Vorgangs, der bezeugten Tatsache oder der unrichtigen Beurkundung.
[19] 3.1 Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung wird der Beweis des Gegenteils verlangt. Bei einem solchen Beweis des Gegenteils muss der Richter – im Sinne einer Beweislastumkehr (vgl Ziehensack in Höllwerth/Ziehensack § 292 ZPO Rz 6) – überzeugt werden, dass die vermutete Tatsache bzw der vermutete Rechtszustand nicht besteht (allgemein dazu vgl Rechberger/Simotta, ZPR9 Rz 825).
[20] 3.2 Davon zu unterscheiden ist der sogenannte Gegenbeweis, bei dem es bereits ausreicht, dass eine Vermutungsbasis erschüttert wird, womit beim Richter Zweifel an der Überzeugungskraft der vorhandenen Beweismittel erweckt werden, ohne dass er vom Gegenteil überzeugt sein müsste (Rechberger/Simotta, ZPR9 Rz 824). So kann etwa ein Anscheinsbeweis bereits durch einen Gegenbeweis entkräftet werden, ohne dass der Gegner des Beweisführers aber das Gegenteil beweisen müsste (RS0040272); hier kommt es zu keiner Beweislastumkehr.
[21] 4. Die Rechtsprechung spricht bei einem Zustellnachweis im Zusammenhang mit § 292 Abs 2 ZPO in aller Regel (nur) von der Notwendigkeit des „Gegenbeweises“ (RS0040471). Daran ist für die hier zu prüfende Problematik insoweit anzuküpfen, als der Wortlaut des § 292 Abs 2 ZPO jedenfalls im Zustellwesen aus folgenden Erwägungen einschränkend als Gegenbeweis (und nicht als Beweis des Gegenteils) zu interpretieren ist:
[22] 4.1 Das Gericht hat im Rahmen der amtswegigen Überwachung des Zustellwesens (§ 87 Abs 1 ZPO) die gesetzmäßige Zustellung selbständig zu überprüfen (RS0111270). Infolge dieser Amtswegigkeit der Zustellung sind allfällige Unrichtigkeiten in der Beurkundung von Amts wegen zu erheben und zu beachten (RS0036440). Aus dem Gebot der amtswegigen Überprüfung ist auch abzuleiten, dass zB das strenge Neuerungsverbot (§ 482 ZPO) bei der Prüfung eines Zustellvorgangs nicht gilt (RS0108589). Bei erkennbaren Zustellfehlern durch die Zustellorgane ist durch das Gericht eine neue Zustellung zu veranlassen, ohne dass es eines Antrags bedürfte (Stumvoll in Fasching/Konecny 3 § 87 ZustG Rz 4). Weichen bei der gebotenen Prüfung des Zustellvorgangs Beweisergebnisse voneinander ab und kann der Sachverhalt auch nicht im Wege der Beweiswürdigung geklärt werden, ist im Zweifel keine wirksame Zustellung anzunehmen (Stumvoll in Fasching/Konecny 3 § 22 ZustG Rz 8; Gitschthaler in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 87 [§ 22 ZustG] Rz 5/1). In der Rechtsprechung wird daher folgerichtig vertreten, dass verbleibende Zweifel an der Rechtswirksamkeit einer Zustellung „zu Lasten der Behörde“ gehen (5 Ob 261/05a; 6 Ob 286/06m; 7 Ob 5/06w; 6 Ob 93/09h; RS0040471 [T4]; für die vergleichbare Frage der Rechtzeitigkeit eines Rechtsmittels: RS0006965).
[23] 4.2 Damit schlägt die Amtswegigkeit des Zustellwesens bei der Auslegung des § 292 Abs 2 ZPO durch, was auch Ausfluss des öffentlich‑rechtlichen Charakters der Zustellnormen ist (7 Ob 5/06w). Diejenige Partei, die sich darauf beruft, dass an sie – ungeachtet eines vom Zusteller erstellten Zustellausweises – keine wirksame Zustellung erfolgt ist, muss demnach nicht beweisen, dass das Zustellorgan die Zustellung falsch beurkundet hat. Diese Partei trifft damit keine Beweislast(‑umkehr). Es reicht vielmehr aus, dass letztlich Zweifel an der Wirksamkeit der Zustellung verbleiben (vgl 5 Ob 261/05a [„Umstände …, die geeignet sind, das Gegenteil zu beweisen oder zumindest berechtigte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zustellvorgangs aufkommen zu lassen“]).
[24] 5. Wegen der im Anlassfall getroffenen Negativfeststellung bestehen nach wie vor noch Zweifel an der Wirksamkeit der Zustellung an die Beklagte. Es steht demnach nicht gesichert fest, dass S* W* (oder ein anderer Arbeitnehmer der Beklagten) den Zahlungsbefehl erhalten hat. Im Sinne der referierten Rechtsprechung ist daher (im Zweifel) von der Unwirksamkeit der Zustellung auszugehen, sodass die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen war.
[25] 6. Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Das Verfahren über die Erteilung der Vollstreckbarkeitsbestätigung ist ein Zwischenstreit iSd § 48 ZPO. Die beklagte Partei hat daher Anspruch auf Ersatz ihrer Verfahrenskosten (10 Ob 69/15t). Die Rekursbeantwortung war nach TP 3B RATG zu entlohnen. Eine Pauschalgebühr fällt für das Revisionsrekursverfahren nicht an.
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