OGH 7Ob27/21b

OGH7Ob27/21b24.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Mag. Dr. R***** H*****, vertreten durch Koch Jilek Rechtsanwälte‑Partnerschaft in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei F***** AG, *****, vertreten durch Dorda Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 4.898,84 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. November 2020, GZ 1 R 211/20f‑24, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 4. Juni 2020, GZ 7 C 634/18p‑18, als nichtig aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00027.21B.0224.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR (darin enthalten 69,80 EUR an USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Das Erstgericht wies das auf Zahlung von 4.898,84 EUR sA gerichtete Klagebegehren ab.

[2] Das Berufungsgericht hob – aus Anlass der Berufung des Klägers – das Urteil des Erstgerichts und das ihm vorangegangene Verfahren ab Einspruchserhebung als nichtig auf und wies die Berufung (wohl gemeint den Einspruch) zurück. Der vom Erstgericht am 29. 11. 2018 antragsgemäß erlassene Zahlungsbefehl sei der Beklagten am 3. 12. 2018 zugestellt worden. Der dagegen am 2. 1. 2019 beim Erstgericht elektronisch eingebrachte Einspruch sei verspätet.

[3] Gegen diesen Beschluss wendet sich der Rekurs der Beklagten mit einem Aufhebungsantrag.

[4] Der Kläger begehrt, den Rekurs zurückzuweisen; hilfsweise ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[5] Der Rekurs ist zulässig (RS0106977), er ist aber nicht berechtigt.

[6] 1. Die Zustellung des Zahlungsbefehls vom 29. 11. 2018 ist durch aktenkundigen Zustellschein am 3. 12. 2018 dokumentiert. Die Beklagte erhob am 2. 1. 2019 – und somit außerhalb der vierwöchigen Frist (§ 248 Abs 2 ZPO iVm § 126 Abs 2 ZPO) – Einspruch.

[7] 2. Die Beklagte releviert in ihrem Rekurs, dass ihr der bedingte Zahlungsbefehl entgegen der Beurkundung im Zustellnachweis tatsächlich erst am 4. 12. 2018 zugestellt worden sei. Seine Zustellung hätte durch eine Vertretungskraft – wie sich aus dem bereits „vorgedruckten“ Übergabedatum ergebe – offenbar bereits am 3. 12. 2018 erfolgen sollen. Tatsächlich sei die Zustellung erst durch den regelmäßig betrauten Zusteller am 4. 12. 2018 vorgenommen worden.

[8] 3.1 Unter Zustellung versteht man ein gesetzlich geregeltes Verfahren, das aus zwei gerichtlich zu unterscheidenden Akten besteht. Das sind einerseits die Zustellverfügung und andererseits der eigentliche Zustellvorgang, der die Zustellverfügung ausführt. Die Zustellung ist ein an eine gesetzliche Form geknüpfter hoheitlicher Vorgang, durch den dem als Empfänger des Schriftstücks bezeichneten Adressaten Gelegenheit geboten wird, von einem im Auftrag des Gerichts an ihn gerichteten Schriftsatz Kenntnis zu nehmen; sie hat also das Ziel, dem jeweiligen Adressaten das Schriftstück zukommen zu lassen. An den rechtmäßigen oder im Fall des § 7 ZustG tatsächlichen Vollzug der Zustellung knüpfen sich die Rechtswirkungen behördlicher, schriftlich ausgefertigter Erledigungen (6 Ob 93/09h mwN).

[9] 3.2 Nach § 22 Abs 1 ZustG ist die Zustellung vom Zusteller auf dem Zustellnachweis (Zustellschein) zu beurkunden (RS0006957 [T5]; vgl auch RS0036420). Die vom Zusteller erstellten Zustellausweise sind öffentliche Urkunden, die, wenn sie wie hier die gehörige äußere Form aufweisen – den Beweis dafür erbringen, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist (RS0040473; RS0006957 [T5]; RS0036458). Der Zustellnachweis begründet daher auch den vollen Beweis des darin angeführten Tages der Zustellung.

[10] 3.3 Selbst bei unbedenklichem Zustellnachweis steht dem Empfänger nach herrschender Auffassung der „Gegenbeweis“ nach § 292 ZPO offen (RS0006957 [T7]; RS0040473; RS0036420). Dazu bedarf es konkreter Darlegungen, das Schriftstück nicht erhalten zu haben und eines entsprechenden Bescheinigungsanbots. Werden Zustellmängel behauptet, die – wie im vorliegenden Fall – nicht offenkundig sind, müssen sie glaubhaft gemacht werden werden (RS0040471 [T2]; 6 Ob 93/09h; 10 ObS 17/14v).

[11] 4.1 Die Beklagte argumentiert, das Berufungsgericht habe das Verfahren aufgrund der vermeintlichen Zustellung am 3. 12. 2018 für nichtig erklärt, ohne ihr – trotz Nennung des Zustelldatums im Einspruch mit 4. 12. 2018 – die Möglichkeit zu geben, zum Zustellvorgang Stellung zu nehmen, wodurch ihr rechtliches Gehör verletzt worden und das Verfahren mangelhaft geblieben sei. Dies trifft nicht zu:

[12] 4.2 Mit der bloßen Nennung eines – vom im Zustellnachweis beurkundeten Zustelldatum – abweichenden Zustellzeitpunkts wird mangels Anführung konkreter Gründe kein Gegenbeweis im oben genannten Sinn angetreten. Schon aus diesem Grund war das Berufungsgericht auch nicht gehalten, die Beklagte vor Beschlussfassung zu hören.

[13] 4.3 Tatsächlich ist die Beklagte erst in ihrem Rekurs den Gegenbeweis im Sinn des § 292 Abs 1 ZPO angetreten, indem sie konkrete Gründe für die Unrichtigkeit des im Zustellnachweis angeführten Zustelldatums behauptet hat. Ihrem Vorbringen steht auch das Neuerungsverbot nicht entgegen (RS0006957 [T3, T8]; 2 Ob 96/07t mwN). Damit wird auch Art 6 EMRK ausreichend Rechnung getragen, wird doch das rechtliche Gehör im Nachhinein durch Erhebung eines Rechtsmittels im Rechtsmittelverfahren gewahrt.

[14] 5. Der behauptete Zustellmangel ist nach den oben dargelegten Grundsätzen aber nicht erwiesen: Als Bescheinigungsmittel ist dem Rekurs die eidesstättige Erklärung der Mitarbeiterin der Beklagten beigelegt, die den bedingten Zahlungsbefehl übernommen hat. Sie sei – aufgrund des von ihr mit 4. 12. 2018 angebrachten Posteingangsstempel – der Überzeugung, dass der Vertreter des Zustellers den Zahlungsbefehl am 3. 12. 2018 hätte zustellen sollen, dies aber nicht getan habe und die Zustellung daher erst am 4. 12. 2018 durch den regelmäßigen Zusteller erfolgt sei. Da dieses Ergebnis aber mittlerweile über zwei Jahre zurückliege, könne sie nicht ausschließen, dass ihr der Zahlungsbefehl doch am 3. 12. 2018 zugestellt worden sei.

[15] Diese Ausführungen reichen zur Darlegung der Vorschriftswidrigkeit des Zustellvorgangs nicht aus, zumal die Mitarbeiterin der Beklagten selbst zugesteht, dass das beurkundete Zustelldatum doch richtig sein kann. Auch das von der Beklagten herangezogene „vorgedruckte“ Zustelldatum ändert an dieser Beurteilung nichts, handelt es sich doch um einen hybriden – und damit digitalen – Zustellnachweis.

[16] 6. Bleibt somit der Akteninhalt maßgeblich, ist – mit dem Berufungsgericht – laut öffentlich beurkundeten Zustellschein von einer wirksamen Zustellung des bedingten Zahlungsbefehls am 3. 12. 2018 auszugehen. Dem Rekurs war daher nicht Folge zu geben.

[17] 7. Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 41, 50 ZPO.

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