OGH 2Ob96/07t

OGH2Ob96/07t18.10.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wohnungseigentumsgemeinschaft *****, vertreten durch Dr. Mario Noe-Nordberg, Rechtsanwalt in Waidhofen/Thaya, gegen die beklagte Partei Friedrich M*****, vertreten durch Dr. Peter Ozlberger, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 2.287,07 sA und Räumung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Krems/Donau als Berufungsgericht vom 28. März 2007, GZ 1 R 338/06w-17, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Versäumungsurteil des Bezirksgerichtes Waidhofen/Thaya vom 5. September 2006, GZ 8 C 416/06s-4 zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Das Erstgericht erließ am 5. 9. 2006 gegen den Beklagten ein Versäumungsurteil, das ihm durch Hinterlegung zugestellt wurde. Auf dem Rückschein ist das Datum des Zustellversuches und der Beginn der Abholfrist jeweils mit 7. 9. 2006 vermerkt.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht die am 6. 10. 2006 zur Post gegebene Berufung des Beklagten als verspätet zurück. Die Berufungsfrist habe am 5. 10. 2006 geendet. Dagegen richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die meritorische Erledigung der Berufung aufzutragen. Mit dem Rechtsmittel verband er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO jedenfalls zulässig (RIS-Justiz RS0042770, RS0098745); er ist aber nicht berechtigt. Vorauszuschicken ist, dass die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Berufung des Beklagten hier als reine Verfahrensfrage anhand der Aktenlage vorzunehmen ist, sodass im Einklang mit der herrschenden Rechtsprechung trotz der Bedenken Zechners (in Fasching/Konecny² IV/1 § 519 ZPO Rz 75f und § 521a ZPO Rz 14) von der Einseitigkeit des Rekurses auszugehen ist (vgl 2 Ob 201/05f; 2 Ob 31/06g; 2 Ob 148/06p; RIS-Justiz RS0098745).

Der Beklagte behauptet, er habe „wegen Ortsabwesenheit" vom Zustellvorgang nicht rechtzeitig Kenntnis erlangen und die hinterlegte Sendung erst am 22. 9. 2006 beim Postamt beheben können. Nach ständiger Rechtsprechung hätten Rechtsmittel die Vermutung der Rechtzeitigkeit für sich, solange ihre Verspätung nicht eindeutig erwiesen sei. Die Ortsabwesenheit des Beklagten am 7. 9. 2006 sei aktenkundig schon dadurch dokumentiert, dass ihm das Versäumungsurteil an diesem Tag nicht überreicht habe werden können.

§ 17 Abs 3 ZustG müsse verfassungskonform dahin ausgelegt werden, dass eine Sendung, die nicht noch am Tag der Hinterlegung abgeholt werden könne, frühestens am ersten Tag nach dem letzten Zustellversuch als zugestellt gelte.

Diesen Ausführungen kommt keine Berechtigung zu.

Der Rechtssatz, wonach ein Rechtsmittel bis zur sicheren Widerlegung von Zweifeln die Vermutung der Rechtzeitigkeit für sich habe, ist nicht auf Fälle anzuwenden, in denen bereits eine öffentliche Urkunde über den Zustellvorgang existiert (RIS-Justiz RS0006957). Die Zustellung des Versäumungsurteiles an den Beklagten ist durch den aktenkundigen Rückschein dokumentiert. Hiebei handelt es sich um eine öffentliche Urkunde, die gemäß § 292 Abs 1 ZPO vollen Beweis darüber macht, dass die darin beurkundeten Zustellvorgänge eingehalten wurden. Liegt ein solcher Rückschein vor, ist es die Sache dessen, dem gegenüber die Zustellung nicht wirksam sein soll, den iSd § 292 Abs 2 ZPO zulässigen Gegenbeweis der Vorschriftswidrigkeit der Zustellung zu führen (1 Ob 282/03g; 2 Ob 30/06k; RIS-Justiz RS0040471, RS0036420). Dies setzt - etwa im Rahmen zulässiger Neuerungen (3 Ob 202/03g) - konkrete Tatsachenbehauptungen über die beim Zustellvorgang unterlaufenen Fehler voraus (10 ObS 355/00d; 5 Ob 217/01z; 3 Ob 60/04a; RIS-Justiz RS0040507).

Der Beklagte hat weder in der Berufung noch in seinem nunmehrigen Rechtsmittel entsprechende Tatsachenbehauptungen aufgestellt. Die bloße Behauptung seiner „Ortsabwesenheit" bis zum 22. 9. 2006 reicht zur Darlegung der Vorschriftswidrigkeit des Zustellvorganges nicht aus (5 Ob 217/01z; 3 Ob 60/04a). Sie ist daher auch nicht geeignet, in dritter Instanz die amtswegige Prüfung des Zustellvorganges durch Anordnung von Erhebungen auszulösen (3 Ob 60/04a).

Dies gilt selbst unter Berücksichtigung der in seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgestellten (einzigen) Tatsachenbehauptung des Beklagten, er sei am 7. 9. 2006 (einem Donnerstag) in Zwettl gewesen:

Gemäß § 17 Abs 3 ZustG beginnt die Abholfrist mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereit gehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte; in diesem Fall wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte.

Der Oberste Gerichtshof vertrat zur Frage der rechtzeitigen Kenntnis vom Zustellvorgang wiederholt die Rechtsansicht, dass diese jedenfalls gegeben ist, wenn der Empfänger ebenso wie der Großteil der berufstätigen, tagsüber von der Abgabestelle abwesenden Bevölkerung die Möglichkeit hat, eine hinterlegte Sendung an dem der Hinterlegung nächstfolgenden Werktag zu beheben (vgl 5 Ob 513/93; 2 Ob 265/97b). Trifft dies zu, hängt die Wirksamkeit der Zustellung nicht davon ab, ob die Sendung bereits am Tag des (letzten) Zustellversuches oder erst am Tag danach erstmals zur Abholung beim Postamt bereit gelegen ist (Stumvoll in Fasching/Konecny² II/2 Anh § 87 ZPO [§ 17 ZustG] Rz 22). Kehrt daher der Empfänger noch am Hinterlegungstag, der zugleich als erster Abholtag festgelegt worden ist, an die Abgabestelle zurück, liegt keine die Wirksamkeit der Zustellung hinausschiebende „Ortsabwesenheit" vor, selbst wenn die Sendung im Hinblick auf den Dienstschluss des Hinterlegungspostamtes erst am nächsten Werktag behoben werden kann (vgl Gitschthaler in Rechberger, ZPO³ § 87 [§ 17 ZustG] Rz 8 mwN; Stumvoll aaO Rz 23). Da der erkennende Senat die vom Beklagten gegen die Verfassungskonformität dieser Auslegung des § 17 Abs 3 ZustG geäußerten Bedenken nicht teilt, ist auch im vorliegenden Fall von der dargestellten Rechtslage auszugehen. Demnach gilt aber das Versäumungsurteil unabhängig von der Richtigkeit der Behauptung des Beklagten, er sei am Hinterlegungstag in Zwettl gewesen, mit dem ersten Tag der Abholfrist, somit dem 7. 9. 2006 als zugestellt. Die Berufung gegen das Versäumungsurteil wurde daher, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, um einen Tag verspätet eingebracht.

Dem Rekurs des Beklagten ist somit ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO. Über den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten gegen die Versäumung der Berufungsfrist wird (ebenso wie über den noch unerledigten Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Tagsatzung vom 5. 9. 2006) das Erstgericht zu entscheiden haben (vgl 1 Ob 49/07y).

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