OGH 4Ob22/21w

OGH4Ob22/21w15.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisions- und Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers Mag. R***** K*****, gegen die Beklagten 1. M***** Gesellschaft mbH, *****, 2. R***** F*****, beide vertreten durch Dr. Helmut Fetz und andere Rechtsanwälte in Leoben, wegen Aufhebung einer Novation (Streitwert 10.000 EUR), 8.827,54 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision des Klägers und über den Revisionsrekurs der Beklagten gegen das Teilurteil und den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungs- und Rekursgericht vom 26. November 2020, GZ 3 R 82/20h‑27, womit das Urteil und der Beschluss des Landesgerichts Leoben vom 8. April 2020, GZ 26 Cg 13/19h‑23, hinsichtlich des Urteils bestätigt und der Beschluss abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00022.21W.0315.000

 

Spruch:

1. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

2. Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

 

Begründung:

[1] Der klagende Rechtsanwalt vertrat die Erstbeklagte in einem Verfahren vor dem Handelsgericht, wofür er ihr Honorarnoten legte. Hinsichtlich einer Honorarnote kam es zum Rechtsstreit, im Zuge dessen die Parteien eine Novation vereinbarten, wonach der Zweitbeklagte für den Kläger die Organisation und Beaufsichtigung von dessen Bauprojekt übernehmen sollte. Die Honorarklage des Klägers wurde in der Folge jedoch abgewiesen.

Mit der gegenständlichen Klage ficht der Kläger die Novation wegen Irrtums und List an und begehrt vom Zweitbeklagten den offenen Honorarbetrag samt Zinsen und Kosten in Höhe von 8.827,54 EUR und die Feststellung der Haftung des Zweitbeklagten für sämtliche weiteren Schäden, in eventu begehrt der Kläger vom Zweitbeklagten Schadenersatz wegen der unterbliebenen Leistung aus dem Novationsvertrag in Höhe von 7.450 EUR samt Feststellung (erstes Eventualbegehren) sowie weitere 10.000 EUR an Schadenersatz aufgrund des vorsichtshalber erklärten Rücktritts vom Novationsvertrag (zweites Eventualbegehren).

[2] Das Erstgericht wies das Hauptbegehren ab, weil aus den getroffenen Feststellungen weder eine Täuschung des Klägers durch den Zweitbeklagten ableitbar sei, noch dass dieser den Kläger zu einem Irrtum veranlasst hätte. Die Eventualbegehren wies das Erstgericht zurück, weil es für diese wegen des jeweils unter der Wertgrenze des § 49 Abs 1 JN liegenden Streitwerts sachlich nicht zuständig sei.

[3] Das Berufungs- und Rekursgericht bestätigte die Abweisung des Hauptbegehrens mit Teilurteil und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die Entscheidung auf Zurückweisung der Eventualbegehren änderte es dahin ab, dass es die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit zurückwies und (erkennbar) die Rechtssache insoweit an das Erstgericht zur Entscheidung in der Sache zurückverwies. Den Revisionsrekurs ließ es zu, weil in der Rechtsprechung nicht restlos geklärt sei, inwieweit die Durchbrechung der sachlichen Zuständigkeitsschranken durch § 227 ZPO auch für Eventualbegehren gelte.

[4] Der Kläger beantragt mit seiner außerordentlichen Revision, der Klage stattzugeben. Die Beklagten beantragen mit ihrem – vom Kläger beantworteten – Revisionsrekurs, die Zurückweisungsbeschlüsse des Erstgerichts wiederherzustellen.

[5] Beide Rechtsmittel sind in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen nicht zulässig und folglich zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[6] 1. Zur Revision

[7] 1.1. Der Revisionswerber geht – wie schon vor dem Berufungsgericht – großteils nicht vom festgestellten Sachverhalt aus (vgl RIS‑Justiz RS0043603), zitiert umfänglich aus dem RIS, ohne den Sachverhalt nach Maßgabe juristisch geordneter Gedankenführung unter die damit dargestellte Rechtslage zu subsumieren, nimmt Bezug auf seinen Standpunkt angeblich stützende Beweisergebnisse (vgl 4 Ob 48/20t [4]) und schließt mit einer seitenlangen Kopie seines erstinstanzlichen Vorbringens (vgl RS0043579 [T6, T7]). Sich aus dieser Art der Rechtsmittelausführung ergebende Unklarheiten gehen zu seinen Lasten (vgl 9 Ob 89/14z mwN). Soweit seinen Ausführungen überhaupt gefolgt werden kann, ist zu entgegen:

[8] 1.2. Der Vorwurf, das Erstgericht sei von Dissens zwischen den Parteien ausgegangen, ist nicht nachvollziehbar. Derartige Ausführungen enthält weder das Erst- noch das Berufungsurteil. Der Kläger bekämpft somit eine Rechtsansicht, die der Entscheidung nicht zu Grunde liegt und führt das Rechtsmittel insoweit nicht dem Gesetz entsprechend aus (vgl 4 Ob 238/16b).

[9] 1.3. Ob ein Irrtum vorliegt, ist ebenso eine der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogene Tatfrage (vgl RS0014762), wie der für den Anfechtungsgrund der Arglist erforderliche Vorsatz des Beklagten (RS0014776). Für beides traf den Kläger die Beweislast (RS0098986 [T8]; RS0014792), zu beiden Punkten liegen Negativfeststellungen vor, die ihm zur Last fallen. Indem er – erkennbar durch den Verweis auf RS0113810 – dem Beklagten Erfüllungsbetrug unterstellt, weicht er vom festgestellten Sachverhalt ab. Wenn er diese Feststellungen als unbegründet anficht, übt er in dritter Instanz unzulässige Beweiswürdigungskritik.

[10] 1.4. Für die Feststellungen des Vorprozesses, an dem der Zweitbeklagte als Partei nicht beteiligt war, besteht – entgegen der Revision – keine Bindungswirkung (vgl RS0041342; RS0102102).

[11] 1.5. Mit der zu § 918 ABGB zitierten Rechtsprechung zur Rücktrittserklärung und zur Nachfrist verkennt der Rechtsmittelwerber, dass Gegenstand des Revisionsverfahrens alleine das auf Anfechtung der Novation wegen Arglist gerichtete Hauptbegehren ist. Die Frage eines Rücktritts wegen Verzug betrifft die Eventualbegehren, über die inhaltlich nicht entschieden wurde.

[12] 2. Zum Revisionsrekurs

[13] 2.1.1. Die Beklagten rügen einen Verstoß des Berufungsgerichts gegen § 405 ZPO, weil der Kläger in Wahrheit keinen Rekurs gegen die Zurückweisung der Eventualbegehren erhoben und auch nicht die Aufhebung des Beschlusses des Erstgerichts beantragt habe.

[14] 2.1.2. Entgegen den Ausführungen des Revisionsrekurses wird mit diesem Vorbringen kein Verfahrensmangel, sondern eine Nichtigkeit behauptet. Denn hätte der Kläger den Zurückweisungsbeschluss nicht angefochten, wäre dieser rechtskräftig geworden. Das Berufungsgericht hätte die Rechtsmittelanträge überschritten und in diese (Teil-)Rechtskraft eingegriffen, was Nichtigkeit bewirkte (RS0107779 [T2]).

[15] 2.1.3. Doch ist die Rüge in der Sache unberechtigt. Die unrichtige Benennung eines Rechtsmittels hindert nicht dessen Behandlung in einer dem Gesetz entsprechenden Weise (RS0036258), insbesondere wenn das Begehren deutlich erkennbar ist (RS0036410) und das Rechtsmittel sonst alle Inhaltserfordernisse eines statthaften Rechtsmittels aufweist (RS0036652). Der Antrag zur Abgrenzung des Anfechtungsumfangs bedarf keiner besonderen Formulierung; es genügt, wenn der Zusammenhang der Rechtsmittelschrift verlässlich erkennen lässt, was der Rechtsmittelwerber erreichen will. Rechtsmittelgründe und -antrag stehen in einem logischen Zusammenhang, sodass bei der Beurteilung des Umfangs der Anfechtung auch die Rechtsmittelgründe zu berücksichtigen sind. Ein Vergreifen im Ausdruck bei der Formulierung des Antrags schadet nicht (4 Ob 9/18d [Pkt 1.2]).

2.1.4. Der Kläger hat in Rz 1 seiner „Berufung“ das „Urteil [...] hinsichtlich Abweisungen und Zurückweisung umfassend und zur Gänze angefochten“. Die Behauptung des Revisionsrekurses, es liege keine Anfechtungserklärung vor, ist demnach aktenwidrig. In Rz 15 hat er inhaltlich ausgeführt, weshalb das Erstgericht zur Behandlung der Eventualbegehren sachlich zuständig sei. Wenn das Rechtsmittelgericht dies als ausreichend deutliche Bekämpfung des Zurückweisungsbeschlusses ansah, ist darin keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung zu erkennen.

[16] 2.2. Auch in der Sache liegt eine solche nicht vor:

[17] 2.2.1. Nach § 227 Abs 1 ZPO können mehrere Ansprüche des Klägers gegen denselben Beklagten, auch wenn sie nicht zusammenzurechnen sind (§ 55 JN), in derselben Klage geltend gemacht werden, wenn für sämtliche Ansprüche das Prozessgericht zuständig (Z 1) und dieselbe Art des Verfahrens zulässig ist (Z 2). Nach § 227 Abs 2 ZPO können jedoch Ansprüche, die den im § 49 Abs 1 Z 1 JN bezeichneten Betrag nicht übersteigen, mit solchen Ansprüchen verbunden werden, die ihn übersteigen. Von § 227 Abs 2 ZPO wird damit das Verbindungshindernis der sachlichen Unzuständigkeit des Gerichtshofs für Ansprüche, die wegen Unterschreitung der Wertgrenze vor das Bezirksgericht gehören, aufgehoben. Die sonstigen Zuständigkeitserfordernisse für die Häufung von Ansprüchen gemäß § 227 Abs 1 ZPO bleiben durch die Ausnahmebestimmung des § 227 Abs 2 erster Satz ZPO unberührt (RS0037689).

[18] 2.2.2. § 227 Abs 2 erster Satz ZPO ist somit eine auf die Unzuständigkeit des Gerichtshofs wegen Unterschreitung der Wertgrenze beschränkte Ausnahme vom Grundsatz des § 227 Abs 1 Z 1 ZPO, wonach – außer im Fall der Zusammenrechnung nach § 55 JN – eine Klagenhäufung die sachliche Zuständigkeit des Gerichts für alle Ansprüche voraussetzt. Bereits daraus ergibt sich die Richtigkeit der Rechtsansicht des Rekursgerichts. Denn die grundsätzliche Zulässigkeit eines Eventualbegehrens folgt aus § 227 ZPO (RS0037782). Es handelt sich bei einem Eventualbegehren um einen Fall der nach § 227 ZPO zu beurteilenden Klagenhäufung mit dem im Wesentlichen einzigen Unterschied, dass ein Klageanspruch erstrangig und ein anderer Klageanspruch nur für den Fall der Erfolglosigkeit des erstrangigen Anspruchs gestellt wird (RS0074353). Seine Zulässigkeit im Einzelfall ist daher nach gesicherter Rechtsprechung ebenfalls nach den Regeln des § 227 (Abs 1) ZPO zu beurteilen (RS0037470 [T4]; 7 Ob 46/15p [Pkt 6 mwN]). Da es sich wie dargelegt bei § 227 Abs 2 ZPO aber nur um eine partielle Ausnahme von § 227 Abs 1 Z 1 ZPO handelt, gilt diese auch für Eventualbegehren.

[19] 2.2.3. Dieses Ergebnis, das im Grunde auch von den Revisionsrekurswerbern nicht bestritten wird (vgl RS0102059), ergibt sich derart offenkundig aus der bestehenden Rechtsprechung und der gesetzlichen Systematik, dass trotz Fehlens höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu den hier gegebenen Sachverhaltselementen keine erhebliche Rechtsfrage vorliegt (vgl RS0042656 [T48]).

2.3.1. Im Übrigen behaupten die Revisionsrekurswerber, es liege gar keine objektive Eventualklagehäufung, sondern ein Fall der Klagen- bzw Erfüllungskonkurrenz vor, weil die Klagegründe einander ausschlössen, aber auf dasselbe rechtliche Ziel gerichtet seien. § 227 ZPO komme daher schon deswegen nicht zur Anwendung.

[20] 2.3.2. Dem ist allerdings nicht zu folgen. Abgesehen davon, dass der Begriff der Klagenkonkurrenz im Gesetz nicht vorkommt und einer einheitlichen Definition in der Literatur entbehrt, wird von der Rechtsprechung auch die Zulässigkeit der in der Sache angesprochenen Konstellation nach § 227 ZPO beurteilt (4 Ob 154/12v [2.1.; 3.1. ff]). Es ist gesichert, dass das Hauptbegehren und das Eventualbegehren auf Sachverhaltsdarstellungen gestützt werden können, die einander ausschließen (RS0037782; RS0074353; vgl auch 2 Ob 1/16k [I.1]).

[21] 3. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 3 ZPO.

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