European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00014.21S.0224.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss zu Punkt 1. wie folgt zu lauten hat:
„Die Beschränkung der Bewegungsfreiheit des Kranken durch Festhalten der Arme im Zuge der Blutabnahme durch Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes am 21. Februar 2018 war unzulässig.“
Im Übrigen werden die Beschlüsse der Vorinstanzen im Umfang der Beschränkung der Bewegungsfreiheit des Kranken durch die Vier‑Punkt‑Fixierung am 21. Februar 2018 von 5:00 Uhr bis 7:45 Uhr (Punkt 2.) aufgehoben. Die Rechtssache wird insofern zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Begründung:
[1] Der Kranke wurde am 21. 2. 2018 um 4:55 Uhr in der psychiatrischen Abteilung der Krankenanstalt ohne Verlangen stationär untergebracht. Noch am selben Tag (7:45 Uhr) wurde seine Unterbringung aufgehoben und er entlassen.
[2] Seiner Aufnahme ging ein Polizeieinsatz voraus, nachdem er telefonisch beim Rettungsdienst‑Notruf angekündigt hatte, sich zu erschießen.
[3] Im Zeitpunkt der „Übergabe“ des Kranken an die Vertreterin des Abteilungsleiters um etwa 4:20 Uhr war der Kranke mit etwa 1 Promille Alkoholgehalt im Blut alkoholisiert. Es bestand ein Erregungszustand bei Alkoholintoxikation sowie eine Störung der Impulskontrolle. Er bagatellisierte die Ereignisse dahin, dass er die Suizidäußerung im Affekt getätigt habe, tatsächlich aber keineswegs Suizidgedanken hege. In weiterer Folge zeigte er sich zunehmend abwehrend, verbal aggressiv und drohend, provokant und abwertend. Einem anwesenden Arzt drohte er: „Wenn ich dich erwische, schneide ich dir den Schädel ab.“ Er zeigte keine Krankheits‑ und Behandlungseinsicht.
[4] Aus mehreren früheren Aufenthalten sowie ambulanten Behandlungen war als Vordiagnose des Kranken eine kombinierte Persönlichkeitsstörung sowie der Verdacht auf problematischen Alkoholkonsum bekannt. Seine Aufnahme erfolgte aufgrund Eigengefährdung, weil die Vertreterin des Abteilungsleiters die Distanzierung des Kranken von den Suizidgedanken als nicht überzeugend, sondern seine Beobachtung bis zum Abklingen der Alkoholisierung für notwendig erachtete.
[5] Nach der Unterbringung verhielt sich der Kranke weiterhin völlig unkooperativ. Um die gebotene Observanz sicherzustellen, ordnete die Vertreterin des Abteilungsleiters seine Beschränkung durch eine Vier‑Punkt‑Fixierung an. Zur Sicherheit des Pflegepersonals wurde der Sicherheitsdienst beigezogen. Der Kranke verweigerte auch die Blutabnahme. Als die Pflegekräfte darauf bestanden, ergab sich eine Rangelei, sodass die Mitglieder des Sicherheitsdienstes eingriffen und die Arme des Kranken festhielten.
[6] Der Kranke befand sich ab 5:00 Uhr in Vier‑Punkt‑Fixierung. Weniger einschränkende Maßnahmen standen nicht zur Verfügung. Insbesondere stand für eine Eins‑zu‑eins‑Betreuung zu dieser Zeit (Nachtdienst) nicht genügend Personal zur Verfügung. Der Rest der Nacht verlief ruhig, sodass die Fixierung um 7:45 Uhr aufgehoben und der Kranke entlassen wurde.
[7] Der Verein beantragte die Überprüfung der Beschränkung der Bewegungsfreiheit des Kranken (Fixierung und Festhalten) gemäß § 33 Abs 3 iVm § 38(a) UbG.
[8] Das Erstgericht erklärte die Beschränkung der Bewegungsfreiheit des Kranken am 21. 2. 2018 durch (1.) das Festhalten der Arme im Zuge der Blutabnahme durch Mitglieder des Sicherheitsdienstes und (2.) die Vier‑Punkt‑Fixierung von 5:00 Uhr bis 7:45 Uhr für zulässig. Beim Kranken habe eine psychiatrische Symptomatik in Form eines Erregungszustands bei Alkoholintoxikation mit Störung der Impulskontrolle bestanden. Nach dem Informationsstand bei Aufnahme (Suizidankündigung mit konkreter Vorgehensweise – mit Schusswaffe), der aktuellen psychopathologischen Symptomatik und dem Wissen aus früheren Aufnahmen sei die Vertreterin des Abteilungsleiters zu Recht von einer ernstlichen und erheblichen Gefahr für Leben und Gesundheit des Kranken ausgegangen. Aufgrund seiner bedrohlichen Äußerungen sei es nachvollziehbar, dass zur Sicherheit des Ärzte‑ und Pflegeteams Mitarbeiter der „Security“ hinzugeholt worden seien. Wenn diese dann, als sich der Kranke aktiv gegen die Blutabnahme zur Wehr gesetzt habe, seine Arme festgehalten hätten, habe dies die Blutabnahme erleichtert, aber zugleich dem Schutz des Personals gegen Schläge gedient. Dabei habe es sich um eine zielführende, nicht exzessive Maßnahme zur Ermöglichung der ärztlichen Behandlung gehandelt. Einzige denkbare Alternative wäre der Verzicht auf die Blutabnahme gewesen. Das Festhalten der Arme des Kranken durch Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes sei eine zulässige Beschränkung gewesen.
[9] Eine Eins‑zu‑eins‑Betreuung als Alternative zur angeordneten Vier‑Punkt‑Fixierung sei während des Nachtdienstes aus personellen Gründen nicht möglich gewesen, „wäre aber wohl auch nicht hilfreich gewesen, weil damit dem Patienten ein Ziel für fortgesetzte Kommunikation zur Verfügung gestanden wäre, was der erforderlichen Beruhigung entgegengewirkt hätte“. Die Fixierung sei zudem nach nicht ganz drei Stunden wieder gelöst worden. Insgesamt sei daher die zur Gefahrenabwehr erforderliche, therapeutisch angezeigte, alternativlose und angemessene Beschränkung des Patienten durch Fixierung zulässig.
[10] Das Rekursgericht bestätigte den Beschluss. Zur Frage des Festhaltens der Arme des Kranken durch Mitglieder des Sicherheitsdienstes führte es rechtlich aus, die Erwägungen des Obersten Gerichtshofs zu 7 Ob 119/14x, wonach Mitarbeiter eines von der Krankenanstalt beauftragten Sicherheitsdienstes mangels gesetzlicher Grundlage keine Pflegemaßnahmen wie das Festhalten eines Kranken setzen dürften, seien „nicht ohne weiteres“ auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. Der Sachverhalt stelle sich insofern anders dar, weil es sich bei der Blutabnahme um eine Tätigkeit handle, die gemäß § 2 Abs 2 Z 4 ÄrzteG dem Arzt vorbehalten sei. Nach § 49 Abs 2 Satz 2 ÄrzteG könne sich der Arzt zur Mithilfe jedoch Hilfspersonen bedienen, wenn diese nach seinen genauen Anordnungen und unter seiner ständigen Aufsicht handelten. „Insofern unterscheiden sich die gesetzlichen Möglichkeiten“ von der Delegation pflegerischer Tätigkeiten an Laien nach dem Gesundheits- und Krankenpflegegesetz. Damit lägen die Voraussetzungen für die Beiziehung von Hilfspersonen, die nicht zwingend medizinisches Personal sein müssten, zur Durchführung der unbestritten erforderlichen Blutabnahme am Kranken vor. Da die Beiziehung von Mitarbeitern eines Sicherheitsdienstes von § 49 Abs 2 ÄrzteG gedeckt sei, müsse nicht näher geprüft werden, ob eine Notfallsituation vorgelegen habe.
[11] Zur Zulässigkeit der Vier‑Punkt‑Fixierung habe das Erstgericht – disloziert in der rechtlichen Beurteilung – festgestellt, durch die Fixierung sei bewirkt worden, dass der Patient mangels anderer Möglichkeiten zur Ruhe gekommen sei, was beim psychomotorisch unruhigen Betroffenen therapeutisch angezeigt gewesen sei. Der Kranke habe sich von 5:00 Uhr bis 7:45 Uhr in Vier‑Punkt‑Fixierung befunden. Die Fixierung habe nach nicht einmal drei Stunden infolge des Absinkens des Alkoholspiegels mangels weiterer Gefährdung beendet werden können. Die Maßnahme sei – auch in zeitlicher Hinsicht – verhältnismäßig und angemessen gewesen.
[12] Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof zur Frage der Beiziehung von Personen des Sicherheitsdienstes aufgrund der Anordnung einer Ärztin zur Ermöglichung der ärztlichen Behandlung in Form einer Blutabnahme noch nicht geäußert habe.
[13] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Vereins mit dem Antrag, das Festhalten der Arme des Kranken im Zuge der Blutabnahme durch Mitglieder des Sicherheitsdienstes und die Vier‑Punkt‑Fixierung von 5:00 Uhr bis 7:45 Uhr, jeweils am 21. 2. 2018, für unzulässig zu erklären.
[14] Der Abteilungsleiter beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[15] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist auch berechtigt.
[16] 1. Auf Antrag des Kranken oder seines Vertreters hat das Gericht nachträglich über die Zulässigkeit der Beschränkung der Bewegungsfreiheit nach § 33 UbG auch zu entscheiden, wenn diese bereits beendet ist (§ 38a Abs 1 UbG).
[17] Beschränkungen des Kranken in seiner Bewegungsfreiheit sind nach Art, Umfang und Dauer nur insoweit zulässig, als sie im Einzelfall zur Abwehr einer Gefahr im Sinn des § 3 Z 1 UbG sowie zur ärztlichen Behandlung oder Betreuung unerlässlich sind und zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen (§ 33 Abs 1 UbG). Beschränkungen der Bewegungsfreiheit auf einen Raum oder innerhalb eines Raumes sind vom behandelnden Arzt jeweils besonders anzuordnen, in der Krankengeschichte unter Angabe des Grundes zu beurkunden und unverzüglich dem Vertreter des Kranken mitzuteilen. Auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters hat das Gericht über die Zulässigkeit einer solchen Beschränkung unverzüglich zu entscheiden (§ 33 Abs 3 UbG).
[18] Festhalten der Arme des Kranken im Zuge der Blutabnahme durch Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes:
[19] 2. Im Revisionsrekurs macht der Verein geltend, das Festhalten durch die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes zur Ermöglichung der ärztlichen Blutabnahme gegen seinen Willen sei eine unzulässige Freiheitsbeschränkung gewesen. Da es sich beim Festhalten um keine ärztliche Tätigkeit nach § 2 Abs 2 ÄrzteG 1998, sondern um eine Tätigkeit der Pflege handle, hätte diese Pflegehandlung nur von den nach dem GuKG dazu befugten Personen durchgeführt und nicht an die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes delegiert werden dürfen.
[20] Dem hält der Abteilungsleiter entgegen, das Festhalten des Kranken sei von einer Ärztin angeordnet worden und gemeinsam mit den Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes durchgeführt worden. Der Sicherheitsdienst sei im Zusammenhang mit der von der Ärztin durchzuführenden Blutabnahme tätig geworden und daher als Hilfsperson im Sinn des § 49 Abs 2 ÄrzteG 1998 beigezogen worden. Eine Delegation der ärztlichen Tätigkeit des Festhaltens an die Pflege sei gerade nicht erfolgt. Da auch Drohungen und eine Rangelei stattgefunden hätten, sei der Sicherheitsdienst auch zulässigerweise im Rahmen der Notwehr eingeschritten.
[21] Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
[22] 3.1. Die Ausübung des ärztlichen Berufs umfasst nach § 2 Abs 2 ÄrzteG 1998 unter anderem die Untersuchung des Patienten auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen von körperlichen und psychischen Krankheiten oder Störungen (Z 1), die Beurteilung derartiger Zustände bei Verwendung medizinisch‑diagnostischer Hilfsmittel (Z 2) und die Behandlung solcher Zustände (Z 3). Nach § 2 Abs 2 Z 4 ÄrzteG 1998 gehört auch die Vornahme operativer Eingriffe einschließlich der Entnahme oder Infusion von Blut zu den ärztlichen Tätigkeiten.
[23] Der Begriff der „Heilbehandlung“ nach dem UbG umfasst ebenfalls nicht nur unmittelbar therapeutische, sondern auch diagnostische und physikalische Maßnahmen, wie etwa eine Blutabnahme (7 Ob 168/15d mwN = RS0130547).
[24] 3.2. Nach § 49 Abs 2 ÄrzteG 1998 hat die Ärztin/der Arzt ihren/seinen Beruf persönlich und unmittelbar, erforderlichenfalls in Zusammenarbeit mit anderen Ärztinnen/Ärzten und Vertreterinnen/Vertretern einer anderen Wissenschaft oder eines anderen Berufs, auszuüben. Zur Mithilfe kann sie/er sich jedoch Hilfspersonen bedienen, wenn diese nach ihren/seinen genauen Anordnungen und unter ihrer/seiner ständigen Aufsicht handeln.
[25] Zur Mithilfe nach § 49 Abs 2 Satz 2 ÄrzteG 1998 kann sich der Arzt jeder Person – somit auch eines Laien ( Wallner in GmundKomm § 49 ÄrzteG 1998 Rz 31) – bedienen, wenn diese nur nach seinen genauen Anordnungen unter seiner ständigen Aufsicht handelt. Wie sich bereits aus dem Begriff „Hilfsperson“ ergibt, dürfen diese nur zu untergeordneten Unterstützungstätigkeiten herangezogen werden. In Frage kommen daher einfache Hilfsdienste wie etwa die Unterstützung des Arztes beim Anlegen von Verbänden, die Zureichung von Instrumenten (1 Ob 142/14k) oder die Bedienung medizinischer Apparate ( Wallner aaO § 49 ÄrzteG 1998 Rz 32).
[26] 3.3. Der Arzt kann im Einzelfall an Angehörige anderer Gesundheitsberufe oder in Ausbildung zu einem Gesundheitsberuf stehende Personen ärztliche Tätigkeiten übertragen („Anordnungsverantwortung“ des Arztes, „Durchführungsverantwortung“ des Angehörigen des anderen Gesundheitsberufs), sofern diese vom Tätigkeitsbereich des entsprechenden Gesundheitsberufs umfasst sind. Er trägt die ärztliche Verantwortung für die Anordnung. Die ärztliche Aufsicht entfällt, sofern die Regelungen der entsprechenden Gesundheitsberufe bei der Durchführung übertragener ärztlicher Tätigkeiten keine ärztliche Aufsicht vorsehen (§ 49 Abs 3 ÄrzteG 1998; Aigner in Aigner/Kletečka/Kletečka‑Pulker/Memmer , Handbuch Medizinrecht Kap III.1.3.3.8).
[27] Die Delegierung in Bezug auf Angehörige des gehobenen Dienstes der Gesundheits‑ und Krankenpflege ist nach § 15 Gesundheits‑ und Krankenpflegegesetzes (GuKG) und hinsichtlich Angehörigen der Pflegeassistenz und Pflegefachaufsicht gemäß §§ 83 bzw 83a GuKG zulässig (7 Ob 80/19v).
[28] Die Gesundheits‑ und Krankenpflegeberufe dürfen nur nach Maßgabe des GuKG ausgeübt werden (§ 3 Abs 1 leg cit). Die Pflegeberufe nach dem GuKG dienen vorrangig der Unterstützung der ärztlichen Tätigkeit und damit der Pflege von Personen, die medizinischer Hilfe bedürfen (RS0115067 [T1]).
[29] 3.4. In der Entscheidung zu 7 Ob 119/14x (= SZ 2014/83 = iFamZ 2014/226, 305 [zustimmend Ganner ] = RdM 2015/64, 71 [grundsätzlich zustimmend Kopetzki ]) sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass das dem Anlegen einer Vier‑Punkt‑Fixierung vorangehende Festhalten des Kranken im Rahmen der Unterbringung bereits zur psychiatrischen Gesundheits‑ und Krankenpflege gehört und damit dem Pflegepersonal nach den Regelungen des GuKG vorbehalten ist (RS0129748). Mangels gesetzlicher Grundlage darf ein Mitarbeiter eines von der Krankenanstalt beauftragten Sicherheitsdienstes keine Pflegemaßnahmen wie das Festhalten eines Kranken setzen (RS0129749).
[30] 3.5. Der Kranke wurde durch das Festhalten anlässlich der Blutabnahme in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Zwar handelt es sich bei einer Blutabnahme um eine ärztliche Tätigkeit, jedoch regelt § 49 Abs 2 Satz 2 ÄrzteG 1998 nicht den Fall der Beiziehung einer Hilfsperson bei einer unter Zwang durchgeführten Blutabnahme. Bei der Blutabnahme, die der Kranke verweigerte, und die darauf unter Zwang durchgeführt wurde, handelt es sich jedenfalls um eine freiheitsbeschränkende Maßnahme, die zum Bereich der „Pflege“ (konkret: der psychiatrischen Gesundheits‑ und Krankenpflege im Sinn des § 19 GuKG) gehört und folglich den nach dem GuKG hierfür befugten Personen vorbehalten ist. Die vom (privaten) Sicherheitsdienst vorgenommenen „körpernahen“ Tätigkeiten des Festhaltens der Arme des Kranken, damit die Blutabnahme durchgeführt werden kann, sind pflegerische Tätigkeiten und dürfen grundsätzlich nicht durch Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes ausgeführt werden. Das Festhalten diente gerade dazu, die ärztliche Blutabnahme zu ermöglichen. Da diese Tätigkeit der Pflege vorbehalten ist, hätte sie weder von der anordnenden Ärztin noch vom Pflegepersonal an die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes delegiert werden dürfen. Ebenso wie das Festhalten eines Kranken durch Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes zur Anbringung einer Vier‑Punkt‑Fixierung durch das Pflegepersonal mangels Qualifikation und gesetzlicher Grundlage nicht zulässig ist (7 Ob 119/14x), gilt das auch für das Festhalten eines Kranken durch das Sicherheitspersonal zur Blutabnahme durch eine Ärztin. Den Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes fehlt die notwendige Qualifikation zum Schutz des untergebrachten Kranken, mag auch die angeordnete Blutabnahme von der Ärztin überwacht worden sein.
[31] 3.6. Ein Jedermann, also auch hinsichtlich des Einschreitens der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes zustehender Rechtfertigungsgrund, wie Notwehr, Nothilfe oder rechtfertigender Notstand (vgl 7 Ob 119/14x; Kopetzki in RdM 2015/64, 74 f; Schmied , Unzulässige Delegation von pflegerischen Tätigkeiten an Sicherheitsdienst, ÖZPR 2015/30, 50 f), der das Überschreiten des berufsrechtlichen Tätigkeitsvorbehalts rechtfertigen könnte, wurde weder behauptet noch wurde dieser festgestellt. Die Vornahme einer Fixierung zum Zweck der Durchführung einer Zwangsbehandlung, also eine Behandlung gegen den Willen des Kranken (wie hier der Blutabnahme), wird wohl regelmäßig zu einer verbalen und/oder körperlichen Abwehrhandlung des Kranken führen. Dies ist auch verständlich, erlebt der Kranke diese Fixierung doch als Eingriff in sein Recht auf Selbstbestimmung und als ungerechtfertigte körperliche Gewalt, gegen die er sich (aus seiner Sicht) wehren muss. Mit Abwehrreaktionen muss geschultes Personal im Akutbereich einer psychiatrischen Abteilung daher rechnen. Würde man eine körperliche Abwehrhandlung eines Patienten im geschlossenen Bereich einer psychiatrischen Abteilung generell als Notwehrsituation ansehen, könnte damit in solchen Situationen nahezu schrankenlos die Heranziehung von medizinischen Laien gerechtfertigt werden. Eine Missachtung von berufsrechtlichen Tätigkeitsvorbehalten darf aber in vorhersehbaren Gefahrensituationen nicht zulässig sein (so zutreffend LG Innsbruck 54 R 109/15y = iFamZ 2016/152 [ Ganner ]; ähnlich Kopetzki in RdM 2015/64, 75). Der durch die ärztlich angeordnete Blutabnahme, die der Kranke verweigerte, entstandene Konflikt, der zu einer Rangelei führte, bildet daher keinen Rechtfertigungsgrund für das Einschreiten der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes.
[32] 3.7. Mangels gesetzlicher Grundlage durften die Mitarbeiter des privaten Sicherheitsdienstes keine Pflegemaßnahme wie das Festhalten des Kranken bei der Blutabnahme setzen. Die Maßnahme nach § 33 UbG, deren Beurteilung allein Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist, war daher unzulässig.
[33] Vier‑Punkt‑Fixierung:
[34] 4. Für die Beschränkung der Bewegungsfreiheit gelten die Prinzipien der Unerlässlichkeit und der Verhältnismäßigkeit, sie darf also zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen. Es gilt der Grundsatz des geringst möglichen Eingriffs (RS0105729). Die Gefährdung muss eine „ernstliche“ sein (§ 3 Z 1 UbG), darunter ist eine hohe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verstehen, darüber hinaus hat die Schädigung direkt aus der Krankheit zu drohen. Eine bloß vage Möglichkeit einer Selbstschädigung oder Fremdschädigung ist nicht ausreichend (RS0075921). Die Gefährdung muss sich nicht bereits realisiert haben, sondern es reicht aus, wenn nach der Lebenserfahrung krankheitsbedingte Verhaltensweisen zur Gefährdung von Leben und Gesundheit führen (RS0075921 [T3]). Bei besonders schwerwiegenden Folgen genügt bereits eine geringere Wahrscheinlichkeit, um die Zulässigkeit der weitergehenden Beschränkung der Bewegungsfreiheit zu bejahen (RS0075921 [T7]).
[35] Bewegungsbeschränkungen zur Sicherstellung eines störungsfreien Anstaltsbetriebs oder aus Bequemlichkeit bzw Überlastung des Anstaltspersonals sind unzulässig (1 Ob 287/98g mwN). Eine möglichst vollständige Gewährleistung von Grundrechten darf nach dem Auftrag des Gesetzgebers nicht an fehlenden Anordnungen oder mangelhaften sachlichen und personellen Aufwendungen der entsprechenden Träger scheitern (RS0102782 [T1, T3]).
[36] 5. Mangels ausreichender Feststellungen kann derzeit nicht beurteilt werden, ob die Vier‑Punkt‑Fixierung zulässig war oder nicht. Obwohl der Verein unter Bezugnahme auf die Dokumentation in der Krankengeschichte vorbrachte, dass die Vier‑Punkt‑Fixierung durch den Sicherheitsdienst vorgenommen wurde, stellte das Erstgericht nur die Tatsache der Fixierung fest, ohne klarzulegen, wer diese vorgenommen hat. Dass zur Nachtzeit nicht genügend Personal zur Verfügung steht, darf – wie zu Punkt 4. dargelegt – nicht dazu führen, dass die Bewegungsfreiheit des Kranken eingeschränkt wird. Bei der Behauptung in der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts, eine Eins‑zu‑eins‑Betreuung wäre „wohl auch nicht hilfreich gewesen“, weil damit dem Kranken ein Ziel für fortgesetzte Kommunikation zur Verfügung gestanden wäre, was der erforderlichen Beruhigung entgegengewirkt hätte, handelt es sich um keine dislozierte Feststellung, fehlt dieser doch jegliche Beweis‑ und Sachverhaltsgrundlage. Das Erstgericht führt dazu – ein Sachverständigengutachten wurde nicht eingeholt – auch kein Beweismittel an. Das Erstgericht scheint von der Möglichkeit der Anwendung gelinderer Mittel der rechtlichen Beurteilung auszugehen (elektronische Überwachung), doch bedarf es auch dazu einer entsprechenden, klaren Tatsachengrundlage.
[37] Da somit Feststellungen fehlen, um die Voraussetzungen der Beschränkung der Bewegungsfreiheit durch die Vier‑Punkt‑Fixierung gemäß § 33 Abs 3 UbG beurteilen zu können, sind die Beschlüsse der Vorinstanzen in diesem Punkt aufzuheben und dem Erstgericht ist die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
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