OGH 18OCg5/20i

OGH18OCg5/20i17.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Dr. Veith und die Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und Mag. Painsi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. C*, vertreten durch Mag. Erwin H. Falkner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A* AG, *, Fürstentum Liechtenstein, vertreten durch die Urbanek Lind Schmidt Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Aufhebung eines Schiedsspruchs (Streitwert 125.074,58 EUR), den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131057

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Klage wird als nicht zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung geeignet zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Zwischen den Parteien des Aufhebungsverfahrens war bei der Internationalen Schiedsinstitution der Wirtschaftskammer Österreich (Vienna International Arbitral Centre, „VIAC“) zu ARB‑5542 ein Schiedsverfahren mit Schiedsort Wien anhängig.

[2] Gegenstand dieses Schiedsverfahrens sind Ansprüche im Zusammenhang mit der zwischen der hier Beklagten (= Schiedsklägerin bzw Schiedswiderbeklagte), der v* S* GmbH (Muttergesellschaft), der v* gmbh (Tochtergesellschaft), Univ.‑Prof. Dr. DI E* und dem Kläger (= Schiedsbeklagter bzw Schiedswiderkläger) abgeschlossenen Rahmenvereinbarung vom 22. 6. 2016. Regelungsgegenstand dieser Rahmenvereinbarung war die Beteiligung der Beklagten an der Muttergesellschaft im Rahmen einer Kapitalerhöhung und die Bereitstellung von Betriebsmitteln für die Muttergesellschaft und die Tochtergesellschaft.

[3] Im Schiedsverfahren machte die Beklagte (als Schiedsklägerin) gegenüber dem Kläger (als dem Schiedsbeklagten) die Verletzung der in Abschnitt VII. der Rahmenvereinbarung abgegebenen Garantien, insbesondere der Bilanzgarantie, durch den Kläger geltend und forderte die in dieser Garantievereinbarung für diese Verletzung bestimmte Höchsthaftungssumme von 600.000 EUR. Der Kläger machte in seiner Schiedswiderklage die Anfechtung der Rahmenvereinbarung sowie einer Folgevereinbarung wegen Irrtums und Täuschung geltend (Schiedsspruch des vom 20. 2. 2020, VIAC ARB‑5542; Anlage zur Aufhebungsklage ON 1).

[4] Der Schiedsspruch des Schiedsgerichts (Einzelschiedsrichter Dr. W*) vom 20. 2. 2020 lautet:

„1. Das Schiedsgericht erklärt sich gemäß Art. 24 Abs 2 Wiener Regeln für die Schiedsklage sowie die Widerklage, soweit diese die Rahmenvereinbarung vom 22. Juni 2016 betrifft, zuständig. Das Schiedsgericht erklärt sich hinsichtlich der Widerklage, soweit diese die zwischen der Schiedsklägerin, dem Schiedsbeklagten und der v* GmbH abgeschlossene Vereinbarung vom 13. Juni 2017 betrifft, unzuständig. Die Widerklage wird insoweit wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen.

2. Der Schiedsbeklagte ist schuldig, der Schiedsklägerin den Betrag von EUR 125.074,58 zuzüglich Zinsen in Höhe von 9,2 % über dem Basiszinssatz gemäß § 456 UGB seit 5. 3. 2018 zu bezahlen, dies alles binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution.

3. Die Schiedswiderklage wird, soweit diese die Rahmenvereinbarung vom 22. Juni 2016 betrifft, abgewiesen.

4. Der Schiedsbeklagte ist schuldig, der Schiedsklägerin als Ersatz für die im Rahmen des Schiedsverfahrens entstandenen Schiedsgerichtskosten einen Betrag von EUR 10.000,00 zu ersetzen, dies binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution.

5. Alle übrigen Anträge und Begehren der Schiedsparteien werden abgewiesen.“

 

[5] DerKläger begehrt die Aufhebung dieses Schiedsspruchs.

Rechtliche Beurteilung

[6] Diese Aufhebungsklage ist schon aufgrund des Klagevorbringens als nicht zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung geeignet zurückzuweisen.

[7] 1. Bei Aufhebungsklagen hat in Analogie zu § 538 ZPO ein Vorprüfungsverfahren stattzufinden (RIS‑Justiz RS0132276). Wenn der Kläger keinen tauglichen Aufhebungsgrund behauptet, ist die Klage ohne Durchführung eines Verbesserungsverfahrens zurückzuweisen (18 OCg 1 /20a).

[8] 2. Der Kläger macht in seiner Aufhebungsklage die Befangenheit des Einzelschiedsrichters und – seiner Auffassung nach (nur) mit dessen Parteilichkeit erklärbare – schwerwiegende Verfahrensverstöße, insbesondere die Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Gebots der fairen Behandlung, sowie willkürliche unrichtige Entscheidungen über die Zuständigkeit, in der Hauptsache und im Kostenpunkt geltend. Die beanstandeten Tatsachen subsumiert der Kläger für sich genommen und/oder in der Zusammenschau mit jeweils anderen Umständen unter einen oder mehrere der Aufhebungsgründe des § 611 Abs 2 Z 1, Z 2, Z 3, Z 4, Z 5 und Z 8 ZPO.

[9] 3. Der Aufhebungsklage liegt kein schlüssiges Vorbringen zugrunde, das einen der geltend gemachten Aufhebungsgründe begründet.

[10] Die Behandlung des Klagevorbringens folgt – aus Gründen der Übersichtlichkeit und zur Vermeidung von Wiederholungen – nicht dem Aufbau der Klage.

[11] 3.1. Zur behauptetenBefangenheit des Einzelschiedsrichters

[12] (a) Der Kläger begründet seine Behauptung der Befangenheit des Einzelschiedsrichters mit dem „beruflichen, wirtschaftlichen, kammerpolitischen, kollegialen und womöglich freundschaftlichen“ Verhältnis des Schiedsrichters zu den beiden im Schiedsverfahren ausgewiesenen Vertretern der Beklagten. Der Schiedsrichter sei Mitglied des internationalen Beirats des VIAC und die beiden Vertreter der Beklagten seien Mitglieder des nationalen Beirats des VIAC. In den Jahren 2018, 2019 und 2020 hätten der Schiedsrichter und einer der beiden Vertreter der Beklagten im Rahmen des Fortbildungsprogramms „Arbitration Rules in Practice“ der Universität Wien vorgetragen. Zudem hätten der Schiedsrichter und dieser Vertreter der Beklagten * 2019 bei der selben Veranstaltung des Schweizerischen Vereins Schiedsgerichtsbarkeit in Erbsachen einen Vortrag gehalten. Diese kollegiale und allenfalls freundschaftliche Nähe zu den Vertretern der Beklagten habe der Schiedsrichter entgegen Art 16 Abs 4 der Wiener Regeln 2018 (Schiedsordnung) nicht offengelegt.

[13] Bei lebensnaher Betrachtung und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Schiedsrichter nach Beendigung des Schiedsverfahrens wieder seinem Beruf als Rechtsanwalt und Vortragender unter Nutzung seiner beruflichen Netzwerke und Verbindungen nachgehen müsse, sei dessen Befangenheit anzunehmen. Die Zweifel an der Unparteilichkeit des Schiedsrichters würden zudem durch – bestimmt bezeichnete, an anderer Stelle als eigenständige Aufhebungsgründe geltend gemachte – Handlungen, Unterlassungen und Entscheidungen des Schiedsrichters im Schiedsverfahren untermauert.

[14] (b) Die Befangenheit von Schiedsrichtern kann unter Umständen auch dann als Besetzungsmangel iSd § 611 Abs 2 Z 4 ZPO zur Aufhebung des Schiedsspruchs führen, wenn die Befangenheit nicht nach § 589 ZPO im Schiedsverfahren geltend gemacht wurde (2 Ob 112/12b ecolex 2013/325, 793 [Zeiler] = GesRZ 2014, 130 [Reiner/Vanovac]; RS0132904). Das betrifft aber nur die nachträglich – nach Fällung des Schiedsspruchs – zur Kenntnis gelangte Befangenheit, weil es in einem solchen Fall für die Partei nicht möglich war, den Schiedsrichter im Schiedsverfahren abzulehnen (18 OCg 1/20a mwN).

[15] Der Kläger brachte in diesem Zusammenhang vor, dass ihm die näheren Gründe der Befangenheit des Schiedsrichters erst im Zuge der Ausarbeitung der Aufhebungsklage mit seinem Verfahrenshilfevertreter bekannt geworden seien. Die daraus abgeleiteten berechtigten Zweifel an der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit seien zudem durch einen bereits im Schiedsverfahren eventualiter gestellten Ablehnungsantrag gedeckt. Ob damit Voraussetzungen für die nachträgliche Geltendmachung tatsächlich gegeben sind, kann hier dahin gestellt bleiben, weil die vom Kläger behaupteten Umstände keine Befangenheit begründen.

[16] (c) Ein Schiedsrichter kann nur abgelehnt werden, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit wecken, oder wenn er die zwischen den Parteien vereinbarten Voraussetzungen nicht erfüllt (§ 588 Abs 2 ZPO; Art 20 Abs 1 Wiener Regeln 2018).

[17] Der Gesetzestext des § 588 ZPO idF des SchiedsRÄG 2006 verweist zwar – anders als die Bestimmung des früheren § 586 ZPO – nicht mehr auf die Bestimmungen über die Befangenheit und die Ausgeschlossenheit von Richtern (§§ 19 f JN). Ungeachtet dessen können die Gründe für die Ablehnung der Richter staatlicher Gerichte – unter spezieller Berücksichtigung der Besonderheiten der Schiedsgerichtsbarkeit – weiterhin als Richtlinien herangezogen werden (18 ONc 1/20x mwN). Nach der Rechtsprechung zur Befangenheit und Ausgeschlossenheit von Richtern (§§ 19 f JN) sollen Ablehnungsregeln den Parteien nicht die Möglichkeit bieten, sich eines ihnen nicht genehmen Richters zu entledigen. Dennoch ist bei der Prüfung der Unbefangenheit eines Richters iSd § 19 JN im Interesse des Ansehens der Justiz ein strenger Maßstab anzulegen. Es genügt, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss, auch wenn der Richter tatsächlich unbefangen sein sollte, oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte. Bei der Beurteilung der Fairness eines Verfahrens ist auch der äußere Anschein von Bedeutung. Daher soll schon der Anschein, der Richter lasse sich bei der Entscheidung von anderen als rein sachlichen Gesichtspunkten leiten, jedenfalls vermieden werden (18 ONc 1/20x mwN).

[18] Dem Ansehen der staatlichen Gerichtsbarkeit, in deren Interesse an die Beurteilung einer allfälligen Befangenheit dieser strenge Maßstab anzulegen ist, ist das Ansehen der Schiedsgerichtsbarkeit gleich zu halten, setzt doch auch die Akzeptanz der Schiedsgerichtsbarkeit nicht nur Fachkompetenz, sondern auch das Vertrauen der Rechtssuchenden in unabhängige, unparteiische und frei von Interessenkollisionen agierende Schiedsrichter voraus. Die zitierte Rechtsprechung zur Prüfung der Unbefangenheit eines Richters iSd § 19 JN verdient daher auch im Fall der Ablehnung eines Schiedsrichters Beachtung (18 ONc 1/20x mwN).

[19] Auch die von der IBA erlassenen Richtlinien zu Interessenkonflikten in Internationalen Schiedsverfahren (IBA‑Guidelines on Conflicts of Interest in International Arbitration; „IBA‑Guidelines“) können – ungeachtet dessen, dass sie keinen normativen Charakter haben und zu ihrer unmittelbaren Wirksamkeit der Vereinbarung durch die Parteien bedürfen – bei der Beurteilung von Befangenheitsgründen als Orientierungshilfe dienen (18 ONc 1/19w mwN; RS0132687). Die IBA‑Guidelines knüpfen den Interessenkonflikt ebenfalls bereits an das Vorliegen von Fakten oder Umständen, die aus der Sicht eines vernünftigen Dritten in Kenntnis der relevanten Fakten Grund zu berechtigten Zweifeln an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des Schiedsrichters geben. Zweifel werden dann als berechtigt erachtet, wenn eine vernünftige und informierte dritte Person auf eine gewisse Wahrscheinlichkeit schließt, dass der Schiedsrichter bei seiner Entscheidungsfindung von anderen Faktoren als dem von den Parteien präsentierten Sachverhalt beeinflusst werden könnte (IBA‑Guidelines I.2.b. und c.; 18 ONc 1/20x mwN).

[20] (d) Der Kläger leitet – aus seiner Sicht berechtigte – Zweifel an der Unparteilichkeit des Schiedsrichters aus dessen Beziehungen zu den zur Vertretung der Beklagten im Schiedsverfahren bevollmächtigten Vertretern ab. Aus den vom Kläger dazu aufgestellten Tatsachenbehauptungen sind solche Zweifel jedoch nicht abzuleiten. Aus Beziehungen des Schiedsrichters zu den Bevollmächtigten einer der Schiedsparteien können sich zwar Umstände ergeben, die berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit von Schiedsrichtern wecken. Zweifel sind aber nicht berechtigt, wenn die Beziehung zu einem Parteienvertreter peripherer Natur ist und nicht über ein sachliches Verhältnis beruflicher Natur hinaus geht (18 ONc 1/19w mwN). Kontakte von Personen, die im Bereich der privaten Schiedsgerichtsbarkeit tätig sind, sind häufiger und durch wirtschaftliche oder berufliche Gegebenheiten bedingt. Sie sind deshalb nicht ohne weiteres ein Ablehnungsgrund. Würde sich jeder prominente Jurist, der sich in Fachkreisen engagiert, über diverse Umwege und Bekanntschaften berechtigten Zweifeln an der Unparteilichkeit aussetzen, wären Schiedsverfahren in der durchaus „vernetzten“ juristischen Szene Österreichs weitgehend ausgeschlossen (18 ONc 1/19w mwN).

[21] Ungeachtet des von der Rechtsprechung angewandten restriktiven Maßstabs vermittelt der hier zu beurteilende behauptete Sachverhalt einem verständigen Dritten im Hinblick auf die Gegebenheiten der Schiedsgerichtsbarkeit in Österreich nicht den Anschein eines solchen Ausmaßes an Vertrautheit, das für gewöhnlich einer unvoreingenommenen Beurteilung der Schiedssache entgegensteht. Die behaupteten Kontakte zwischen dem Schiedsrichter und den Bevollmächtigten der Schiedsklägerin gehen über Kontakte peripherer Natur nicht hinaus. Keine der behaupteten Tätigkeiten und Gelegenheiten, die zu einem Zusammentreffen führen, erscheint hier so intensiv, dass der Eindruck einer engen Zusammenarbeit und persönlichen Beziehung entsteht. Das Verhältnis zwischen dem Schiedsrichter und den Bevollmächtigten ist ungeachtet der mehrfachen Berührungspunkte jeweils ein sachliches Verhältnis beruflicher Natur und im Umfeld der Schiedsgerichtsbarkeit nicht ungewöhnlich. Auch die Grüne Liste der IBA‑Guidelines, eine nicht erschöpfende Aufzählung bestimmter Situationen, in denen – objektiv betrachtet – weder der Anschein eines Interessenkonflikts noch ein tatsächlicher Interessenkonflikt besteht (IBA‑Guidelines II.7) erklärt vergleichbare Umstände für unbedenklich (vgl 4.3.1 bis 4.3.3).

[22] Die auf dieser Grundlage angestellten – auch als solche deklarierten – Vermutungen des Klägers, es bestünden womöglich nicht nur berufliche und kollegiale Kontakte, sondern eine persönliche Freundschaft, der Schiedsrichter und Vertreter der Beklagten hätten daher sicherlich aus Anlass ihrer zeitnahen gemeinsamen Vortragstätigkeiten über das Schiedsverfahren gesprochen und sich allenfalls über die Entscheidungsfindung und die Endfassung des Schiedsspruchs ausgetauscht, sind aus objektiver Sicht rein spekulativ und nicht sachlich nachvollziehbar.

[23] (e) Auch die vom Kläger behaupteten, seiner Ansicht nach nur mit der Befangenheit des Schiedsrichters erklärbaren Mängel des Verfahrens und die Unrichtigkeit des Schiedsspruchs (siehe die Punkte 3.2., 3.3. und 3.5.) geben keinen Anlass zu berechtigten Zweifeln an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des Schiedsrichters.

[24] Eine unsachgemäße Prozessleitung, prozessuale Fehler und/oder unrichtige Sachentscheidungen begründen für sich allein nicht den Anschein der Voreingenommenheit (18 ONc 3/20s mwN; 18 ONc 3/14g). Selbst wenn die vom Kläger thematisierten Anordnungen und (Sach‑)Entscheidungen des Schiedsgerichts tatsächlich als falsch und/oder seine Prozessleitung als unsachgemäß anzusehen wären, würde dieser Umstand für sich genommen noch keine Ablehnung rechtfertigen.

[25] Anderes könnte nur für schwerwiegende Verfahrensverstöße oder eine dauerhafte und wesentliche Bevorzugung bzw Benachteiligung gelten (18 ONc 3/20s mwN; 18 ONc 3/14g). Selbst wenn man von der Richtigkeit der einzelnen im Vorbringen des Klägers erhobenen Vorwürfe ausgeht, lassen sich daraus weder solche schwerwiegenden Verfahrensverstöße noch in einer Gesamtbetrachtung eine dauerhafte und wesentliche Bevorzugung bzw Benachteiligung ableiten (siehe wiederum Punkte 3.2., 3.3. und 3.5.). Bei objektiver Betrachtungsweise entsteht auch in der Gesamtschau der einzelnen, für sich allein nicht zu einer Befangenheit führenden Gründe nicht der Anschein einer Voreingenommenheit des Schiedsrichters (vgl 18 ONc 3/20s).

[26] (f) Zusammengefasst können die behaupteten Umstände die Befangenheit des Schiedsrichters nicht begründen. Der Aufhebungsgrund eines Besetzungsmangels iSd § 611 Abs 2 Z 4 ZPO ist damit nicht schlüssig dargetan.

[27] 3.2. Zu den behaupteten schwerwiegenden Verfahrensverstößen

[28] (a) Der Kläger behauptet schwere Verfahrensmängel und qualifiziert diese – zumindest implizit – als Verletzung des rechtlichen Gehörs, als Verletzung des Gebots der fairen Behandlung und/oder als (sonstigen) Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public iSd § 611 Abs 2 Z 2 und Z 5 ZPO.

[29] (b) Der Kläger wirft dem Schiedsgericht vor, es habe die unberechtigte Weigerung der Beklagten, relevante Unterlagen herauszugeben, sanktionslos geduldet. Die Beklagte hätte entsprechend den Verfahrensleitenden Verfügungen Nummer 3 und 4 wesentliche Dokumente vorlegen müssen, dies aber unter dem Vorwand besonderer Vertraulichkeit zusätzlich zur Einhaltung der beiderseitig vereinbarten IBA‑Guidelines betreffend die Einhaltung von Verschwiegenheit von einer eidesstattlichen Verpflichtung zur Verschwiegenheit abhängig gemacht. Der Kläger habe dies mit dem Hinweis, weder auf die in den IBA‑Guidelines geregelten Ausnahmetatbestände noch auf die fundamentalen Grundrechte nach Art 6 EMRK sowie §§ 117, 4956 StPO verzichten zu können, abgelehnt, dies vor dem Hintergrund, dass zu diesem Zeitpunkt gegen den Kläger ein von der Beklagten angestrengtes (später eingestelltes) Strafverfahren wegen Bilanzfälschung und Betrugs anhängig gewesen sei. Die Beklagte habe die Herausgabe der Unterlagen daraufhin verweigert. Der Schiedsrichter habe dann entgegen der ursprünglichen Anordnung nicht weiter auf die Urkundenvorlage bestanden und die Weigerung auch nicht zum Nachteil der Beklagten gewürdigt. Angesichts dieser Nichtberücksichtigung der Verweigerung der Dokumentenvorlage habe der für diesen Fall gestellte Eventualantrag auf Ablehnung des Schiedsrichters gegriffen. Dennoch habe der Schiedsrichter diesen Antrag im weiteren Verlauf des Schiedsverfahrens nicht weiter behandelt.

[30] Wegen der Verweigerung der Herausgabe dieser Unterlagen habe der Kläger für die Berechtigung seines Rechtsstandpunkts notwendige Beweise nicht erbringen können. Verschärft sei dies durch die Tatsache geworden, dass die Beklagte am letzten Verhandlungstag den Beweisantrag auf Einvernahme eines wesentlichen Zeugen zurückgezogen und der Schiedsrichter auch diesen Umstand ohne jegliche Würdigung zulasten der Beklagten zugelassen habe.

[31] (c) Der Kläger wirft dem Schiedsgericht weiters vor, dass es seinem Schiedsspruch ausschließlich ein im Auftrag und im Interesse der Beklagten erstelltes unrichtiges Privatgutachten zugrunde gelegt habe. Dieses Privatgutachten habe den Zweck verfolgt, die Aufgriffsversuche der Beklagten zu untermauern, und sei Grundlage einer von der Beklagten gegen den Kläger eingebrachten Strafanzeige gewesen. Der Privatgutachter habe in seiner – für den Kläger überraschenden – Falschaussage einen falschen, jedoch glaubwürdigen anderen Eindruck erweckt. Aufgrund der Besonderheit des Beweisverfahrens im Schiedsverfahren habe der Kläger dies in der mündlichen Schiedsverhandlung aber nicht mehr beweisen können. Der Schiedsrichter habe die Einvernahme der Privatsachverständigen außerdem lediglich in Form einer „offenen Diskussion“ geführt. Mit der gewählten Vorgangsweise sei es unmöglich gewesen, konkrete zielgerichtete Aussagen zu erhalten.

[32] Unter Berücksichtigung all dieser Umstände hätte das Schiedsgericht Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der bilanzrechtlichen Ergebnisse dieses Gutachtens in Erwägung ziehen müssen. Die durch die Beklagte angestrengten Bilanzberichtigungen und das Privatgutachten seien von Anfang an strittig gewesen. Warum der Schiedsrichter dennoch keinen objektiven und unabhängigen Sachverständigen für das Schiedsverfahren bestellt, ja nicht einmal vorgeschlagen habe, sei nicht nachvollziehbar.

[33] (d) Der Kläger wirft dem Schiedsgericht vor, es sei im Zusammenhang mit der Bilanzierung des Warenvorrats zu Unrecht davon ausgegangen, der Kläger habe nicht bestritten, dass keine Inventur stattgefunden habe. Der Kläger sei von diesem für den Zuspruch an die Beklagte relevanten Sachverhaltsdetail vielmehr überrascht worden. Der Schiedsrichter habe den Kläger zu diesem, für ihn offenbar rechtlich ausschlaggebenden Thema nicht befragt und seine Anleitungs‑ und Hinweispflicht verletzt. Wegen der dem Schiedsverfahren eigentümlichen Besonderheiten des Beweisverfahrens, konkret der Befristung der Möglichkeit, Beweisanträge zu stellen, und des Kreuzverhörs nur durch den Schiedsgegner, habe der Kläger nicht mehr unter Beweis stellen können, dass und wie eine Inventur stattgefunden habe. Der Kläger habe noch in der mündlichen Verhandlung versucht, zur Inventur und zum Warenvorrat Aussagen zu treffen, und sein Vertreter habe versucht, entsprechende Fragen zu stellen. Der Schiedsrichter habe dem Kläger aber keine Möglichkeit gegeben, die Aussagen zu tätigen und zu Protokoll zu bringen. Der Schiedsrichter habe auch sein in seinem Ermessen stehendes eigenes Fragerecht nicht wahrgenommen und Beweisanbote und Beweise des Klägers zu diesem Beweisthema ignoriert.

[34] (e) Gemäß § 594 Abs 2 erster Satz ZPO sind die Parteien fair zu behandeln. Bei diesem Gebot handelt es sich um eines der bedeutsamsten Verfahrensprinzipien, das während des gesamten Schiedsverfahrens zwingend zu beachten ist. Es umfasst als Teilaspekt die Gleichbehandlung der Parteien und ist Teil des verfahrensrechtlichen ordre public (§ 611 Abs 2 Z 5 ZPO). Die Bezugnahme auf „Fairness“ anstelle auf „Gleichheit“ in § 594 Abs 2 ZPO macht deutlich, dass nicht lediglich auf eine „formale Gleichheit“ abgestellt werden soll. Faire Behandlung bedeutet außerdem nicht, dass beide Parteien tatsächlich im gleichen Maße an dem Verfahren beteiligt waren. Entscheidend ist, dass einer Partei eine faire Möglichkeit zur Teilnahme am Verfahren eröffnet wurde (18 ONc 3/20s mwN).

[35] Gemäß Art 28 Abs 1 Satz 1 der Wiener Regeln 2018 hat das Schiedsgericht das Verfahren unter Beachtung der Wiener Regeln und der Vereinbarungen der Parteien, im Übrigen jedoch nach seinem freien Ermessen durchzuführen. In Übereinstimmung mit § 594 Abs 2 ZPO ordnen in Art 28 Abs 1 der Wiener Regeln 2018 die Sätze 2 und 3 an, dass die Parteien fair zu behandeln sind und ihnen in jedem Stadium des Verfahrens rechtliches Gehör zu gewähren ist. Das Schiedsgericht hat das Verfahren daher im vorgegebenen Rahmen grundsätzlich nach freiem Ermessen zu führen, wobei es aber an den fundamentalen Grundsatz der fairen Behandlung der Parteien gebunden ist (18 ONc 3/20s mwN).

[36] Keiner der vom Kläger erhobenen Vorwürfe im Zusammenhang mit der Stoffsammlung und Beweisaufnahme, nämlich weder die – selbst nach den Klagsangaben – verfahrensregelkonforme Präklusion von Beweisanträgen noch die Würdigung der Weigerung der Beklagten, bestimmte Dokumente vorzulegen, als gerechtfertigt (vgl Schiedsspruch Rz 52 ff), noch die Billigung der Zurückziehung eines Beweisantrags auf Einvernahme eines Zeugen oder das Absehen von der amtswegigen Bestellung eines Sachverständigen verwirklicht jedoch eine Verletzung der Grundsätze eines fairen Verfahrens.

[37] (f) Aus dem diesbezüglichen Klagevorbringen lässt sich auch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 611 Abs 2 Z 2 ZPO ableiten.

[38] Gemäß § 611 Abs 2 Z 2 ZPO ist ein Schiedsspruch dann aufzuheben, wenn eine Partei von der Bestellung eines Schiedsrichters oder vom Schiedsverfahren nicht gehörig in Kenntnis gesetzt wurde oder sie aus einem anderen Grund ihre Angriffs‑ oder Verteidigungsmittel nicht geltend machen konnte. Die Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu § 611 Abs 2 Z 2 ZPO ist insofern restriktiv, als grundsätzlich keine Verletzung des rechtlichen Gehörs anzunehmen ist, wenn das Schiedsgericht Beweisanträge ignoriert oder zurückweist oder sonst den Sachverhalt unvollständig ermittelt hat. Nur im Fall einer willkürlich lücken‑ oder mangelhaften Sachverhaltsermittlung oder Sachverhaltsfeststellung sowie einer lückenhaften Erörterung rechtserheblicher Tatsachen bzw eines willkürlichen Übergehens, Ignorierens oder Zurückweisens von Beweisanträgen könnte ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs vorliegen (18 OCg 1/19z mwN).

[39] Willkür lässt sich aus den Klagebehauptungen zu den vom Kläger beanstandeten prozessualen Entscheidungen des Schiedsgerichts aber nicht ableiten. Der Kläger behauptet zwar das Gegenteil, er begründet dies aber (nur) mit der angeblichen Parteilichkeit des Schiedsrichters. Die Beziehung des Schiedsrichters zu den Bevollmächtigten der Beklagten erweckt allerdings – wie gezeigt – nicht den Anschein der Befangenheit. Soweit der Kläger diese Befangenheit auch aus der angeblichen Willkür der Verfahrensführung ableitet, zieht er einen untauglichen Zirkelschluss.

[40] (g) Aus dem Klagevorbringen zu den behaupteten schwerwiegenden Verfahrensverstößen ist auch kein (sonstiger) Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public nach § 611 Abs 2 Z 5 ZPO abzuleiten.

[41] Gemäß § 611 Abs 2 Z 5 ZPO ist ein Schiedsspruch dann aufzuheben, wenn das Schiedsverfahren in einer Weise durchgeführt wurde, die Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) widerspricht. Dieser Aufhebungstatbestand erfasst nur Verfahrensfehler, die so krass sind, dass sie von der Rechtsordnung nicht mehr hingenommen werden dürfen. Der Aufhebungstatbestand des § 611 Abs 2 Z 5 ZPO ist daher grundsätzlich restriktiv auszulegen (18 OCg 6/18h). Dieser Aufhebungsgrund ist nur dann erfüllt, wenn gegen tragende Grundsätze eines geordneten Verfahrens verstoßen wurde. Einen Anhaltspunkt für eine solche Verletzung von Grundwertungen des Verfahrensrechts bilden nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs die Nichtigkeitsgründe des Zivilprozessrechts. Nur ein Mangel des Schiedsverfahrens, der diesen Gründen gleichkommt, kann zur Aufhebung führen (18 OCg 1/20a, 18 OCg 9/19a, je mwN; kritisch zur Bezugnahme auf die Nichtigkeitsgründe in staatlichen Gerichtsverfahren Auernig, Neue Wege bei der Beurteilung von Gehörsverstößen in Schiedsverfahren, JBl 2018, 221 [222 ff]).

[42] Selbst die Nichtaufnahme eines beantragten Beweises erfüllt den Tatbestand des § 611 Abs 2 Z 5 ZPO im Regelfall nicht (18 OCg 2/16t; 18 OCg 5/19p). Umso weniger verstoßen die Nichteinvernahme eines Zeugen, auf den die beweisführende Partei verzichtet hat oder das Absehen von der Bestellung eines Sachverständigen oder die Präklusion von Beweisen gegen Grundwertungen des Verfahrensrechts. Gleiches gilt für das Absehen von derAnordnungeiner Urkundenvorlage. Grundwertungen des Verfahrensrechts wären auch in den geschilderten Fällen nur bei einer willkürlichen Vorgangsweise des Schiedsgerichts verletzt (18 OCg 9/19a). Willkür lässt sich aus den Klagebehauptungen aber – wie gezeigt – nicht ableiten.

[43] Die gerügten Verfahrensentscheidungen des Schiedsgerichts begründen keinen Verstoß gegen § 611 Abs 2 Z 5 ZPO. Der Kläger vermag nicht schlüssig zu erklären, weshalb die beanstandeten Verfahrensentscheidungen zur gerügten Überschreitung der Grenzen des Rechtsschutzbegehrens iSd § 611 Abs 2 Z 3 ZPO geführt haben sollen. Ein Zusammenhang mit den dafür relevanten Fragen des Streitgegenstands wird nicht aufgezeigt.

[44] 3.3. Zur behaupteten Verletzung des Rechts auf Erläuterung und Berichtigung des Schiedsspruchs

[45] (a) Der Kläger behauptet, das Schiedsgericht habe auch im Zusammenhang mit seinem Recht auf Erläuterung und Berichtigung des (widersprüchlichen) Schiedsspruchs nach Art 39 Wiener Regeln 2018 und § 610 ZPO die Grundsätze eines fairen Verfahrens verletzt, ihm die Möglichkeit der Geltendmachung von Angriffs- und Verteidigungsmittel genommen und das Schiedsverfahren in einer Weise durchgeführt, die den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) widerspreche.

[46] (b) Der Kläger wirft dem Schiedsgericht vor, dass es das Schiedsverfahren trotz des Ablebens des Rechtsvertreters des Klägers am 16. 2. 2020 fortgeführt habe. Das Schiedsgericht habe trotz Kenntnis dieses Umstands zunächst eine gegenüber dem Kläger rechtsunwirksame postalische und elektronische Zustellung an den verstorbenen Rechtsanwalt vorgenommen; der Kläger habe den Schiedsspruch daher erst einen Monat später rechtskonform erhalten. Das Schiedsgericht habe dem – nach seinen Behauptungen – unvertretenen Kläger trotz Pandemie und gesetzlicher Schutzmaßnahmen keine Verlängerung der Frist zur Einbringung eines Antrags auf Erläuterung und Berichtigung des Schiedsspruchs nach Art 39 Wiener Regeln, § 610 ZPO gewährt. Der Kläger habe daher am 14. 4. 2020 einen solchen Antrag selbst verfasst. Der Schiedsrichter habe dem Kläger daraufhin aber Kosten nach Art 39 Abs 2 Wiener Regeln 2018 vorgeschrieben. In Reaktion auf entsprechende Anträge des Klägers habe der Schiedsrichter die Möglichkeit eines Nachlasses oder einer Stundung der vorgeschriebenen Kosten sowie der Gewährung von Verfahrenshilfe verneint. Der Schiedsrichter habe sich daraufhin geweigert, den widersprüchlichen Schiedsspruch zu erläutern oder zu berichtigen, solange kein Kostenvorschuss erlegt werde. Die Erläuterung oder Berichtigung eines Schiedsspruchs von der Leistung eines Kostenvorschusses abhängig zu machen,sei unzulässig und widerspreche einem fairen Verfahren. Der Schiedsrichter habe sich über sämtliche Hilfegesuche und Anträge des Klägers hinweggesetzt und in diesem heiklen Verfahrensstadium seine Anleitungs- und Manuduktionspflichten gegenüber dem unvertretenen Kläger verletzt.

[47] Durch die Fortsetzung des Verfahrens nach dem Tod seines Vertreters, die verspätete Zustellung des Schiedsspruchs an den Kläger, das Unterlassen einer verstärkten Anleitung, die Verweigerung der Verlängerung der Fristen nach Art 39 Wiener Regeln 2018 bzw § 610 Abs 1 ZPO sei der Kläger in seinem verfassungsgesetzlich geschützten Recht auf Gleichheit nach Art 2 StGG verletzt worden. In der Kostenvorschreibung für die Erläuterung und Berichtigung und in der Nichtgewährung von Verfahrenshilfe, auch nicht in Form eines Nachlasses oder einer Stundung des geforderten Vorschussbetrags, liege zudem eine Verletzung des verfassungsgesetzlich geschützten Rechts auf Eigentum nach Art 5 StGG. Mangels „Reparatur“ des Schiedsspruchs durch Berichtigung habe die Schiedsklägerin zwischenzeitig entsprechende Exekutionsverfahren angestrengt.

[48] (c) Die Vorwürfe des Klägers scheitern schon daran, dass das behauptete Vorgehen des Schiedsrichters regelkonform ist.

[49] Gemäß § 39 Abs 1 Wiener Regeln 2018 iVm § 610 Abs 1 ZPO kann jede Partei innerhalb von 30 Tagen ab Zustellung des Schiedsspruchs beim Sekretariat des VIAC die Berichtigung, Erläuterung oder Ergänzung des Schiedsspruchs beantragen. Gemäß § 13 Wiener Regeln 2018 können sich die Parteien (auch) dabei durch Personen ihrer Wahl vertreten oder beraten lassen.Anwaltspflicht besteht nicht.

[50] Die gesetzlichen Regelungen des § 1 des 1. COVID‑19‑JuBG über die Unterbrechung und Hemmung von Fristen sind auf Schiedsverfahren nach den §§ 577 ff ZPO nicht anzuwenden (Fremuth-Wolff, Auswirkungen der COVID‑19‑Krise auf VIAC‑Schiedsverfahren, ecolex 2020, 372; ebenso Garber/Neumayr, Zivilverfahren in der Krise: COVID‑19 und die Auswirkungen auf zivilgerichtliche Verfahren, in Resch, Corona‑HB1.02 Kap 13 [Stand 30. 9. 2020, rdb.at] Rz 19 Fn 46). Die Fristen in Schiedsverfahren wurden demnach weder automatisch gehemmt noch unterbrochen. Nach Art 12 Abs 8 letzter Satz Wiener Regeln 2018 können Fristen aber aus berücksichtigungswürdigen Gründen verlängert werden.

[51] Nach Art 39 Abs 2 Wiener Regeln 2018 kann im Falle einer Berichtigung, Erläuterung oder Ergänzung des Schiedsspruchs die Generalsekretärin des VIAC – nicht das Schiedsgericht – einen Kostenvorschuss zur Deckung zusätzlicher Auslagen und Honorare des Schiedsgerichts und weiterer Verwaltungskosten festsetzen. Es handelt sich um eine Kann‑Bestimmung, sodass es im Ermessen der Generalsekretärin liegt, ob und in welcher Höhe sie einen weiteren Kostenvorschuss für das Honorar und die Auslagen des Schiedsgerichts sowie für die Verwaltungskosten des VIAC einhebt oder nicht. Das Schiedsgericht hat einen derartigen Antrag grundsätzlich so lange nicht zu behandeln, als der Kostenvorschuss noch nicht bezahlt ist (Art 39 Abs 2 iVm Art 42 Abs 5 Wiener Regeln 2018; Schifferl/Wong in VIAC Handbuch Schiedsordnung Art 39 Rz 14).

[52] Der Kläger hat zwar offenbar einen von ihm selbst verfassten Antrag fristgerecht eingebracht, den ihm danach vorgeschriebenen Kostenvorschuss aber nicht erlegt. Das Schiedsgericht hatte den Antrag des Klägers daher nicht zu behandeln; es hat dem Kläger daher die Möglichkeit eines Erläuterungs- und/oder Berichtigungsantrags nicht rechtswidrig genommen.

[53] (d) Abgesehen davon hätten Verfahrensfehler im Zusammenhang mit dem Erläuterungs- und/oder Berichtigungsantrag nach den Klagebehauptungen keine Auswirkungen auf die Rechtsposition des Klägers in diesem Aufhebungsverfahren. Der Erläuterungsantrag nach § 610 Abs 1 Z 2 ZPO ist zwar Voraussetzung dafür, um einen Begründungsmangel des Schiedsspruchs als Verstoß gegen den formellen ordre public (§ 611 Abs 2 Z 5 ZPO) geltend zu machen. Der Kläger ist mit diesem Aufhebungsgrund nämlich präkludiert, wenn er keinen ihm möglichen Erläuterungsantrag gestellt hat. War daher ein solcher Antrag möglich, so kann ein Begründungsmangel nur dann mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden, wenn der Antrag gestellt wurde, ohne dass dies zur Behebung des Mangels geführt hätte (18 OCg1/19z). Im vorliegenden Fall stellt sich diese Frage einer allfälligen Präklusion der Geltendmachung eines allfälligen Begründungsmangels allerdings nicht. Mangels ausreichender Konkretisierung lässt sich aus den Klagebehauptungen ein Begründungsmangel iSd Rechtsprechung zu § 611 Abs 2 Z 5 ZPO (vgl 18 OCg 11/19w) nicht ableiten.

[54] 3.4. Zum angeblichen Fehlen einer gültigen Schiedsvereinbarung

[55] (a) Der Kläger macht das Fehlen einer gültigen Schiedsvereinbarung iSd § 611 Abs 2 Z 1 ZPO geltend. Die in der Rahmenvereinbarung vom 22. 6. 2016 getroffene Schiedsvereinbarung erfülle die Formerfordernissedes § 583 ZPO nicht. Für die Beklagte habe diese Rahmenvereinbarung ein in Österreich nicht zugelassener Rechtsanwalt als fremder Dritter unterfertigt. Zu diesem Zeitpunkt habe dieser nicht über die erforderliche Spezialvollmacht nach § 1008 ABGB verfügt. Der Schiedsrichter habe die dem Bevollmächtigten erteilte Vollmacht vom 20. 6. 2016, für die Beklagte „die im Zusammenhang mit [ihrem] Eintritt als Gesellschafterin der Gesellschaft zu errichtende Rahmenvereinbarung zwischen [ihr], der Gesellschaft, der v* gmbh mit dem Sitz in Wien sowie den Herren Univ.‑Prof. DI Dr. E* und Mag. C*, zu unterfertigen“, rechtlich unrichtig beurteilt. Mit seiner Rechtsansicht, diese weitgehende Handlungsvollmacht habe den Bevollmächtigten auch zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung berechtigt, setze er sich über das Formerfordernis einer Spezialvollmacht für Vereinbarungen von Schiedsgerichtsklauseln hinweg. Auch die Schlussfolgerung des Schiedsrichters, eine allenfalls zunächst unwirksame Schiedsvereinbarung sei durch die Vorlage einer „Sanierungsvollmacht (Genehmigungserklärung der Schiedsklägerin/Widerbeklagten vom 9. 4. 2018, Beilage K‑54)“ saniert, könne nicht nachvollzogen werden. Das Formerfordernis einer schriftlichen Spezialvollmacht müsse beim Abschluss der Schiedsvereinbarung vorliegen oder bis zum Einbringen der Schiedsklage (hier am 13. 4. 2018) saniert werden. Die Beklagte habe die von ihr als „Sanierungsvollmacht“ bezeichnete Spezialvollmacht aber erst im Laufe des Schiedsverfahrens erstmals vorgelegt, wobei diese Urkunde dem Kläger aber bis heute nicht bekannt sei.Es liege daherder Verdacht einer „rückwirkenden“ Dokumentation nahe. Auf das Formerfordernis der Schriftform könne sich auch der Kläger berufen, dies trotz Erhebung einer Widerklage, zu der der Kläger zur prozessualen Gegenwehr gezwungen gewesen sei. Er habe die Unzuständigkeit des Schiedsgerichts nicht nur in der ersten Klageantwort und in sämtlichen weiteren Schriftstücken gerügt, sondern auch in der Schiedswiderklage ausdrücklich vorgebracht, dass er den Einwand der Unzuständigkeit aufrecht halte.

[56] (b) Gemäß § 611 Abs 2 Z 1 ZPO ist ein Schiedsspruch (ua) aufzuheben, wenn eine gültige Schiedsvereinbarung fehlt. Der Fall des Nichtvorhandenseins einer Schiedsvereinbarung umfasst dabei sowohl die schlichte Nichtexistenz als auch die bloß scheinbare Existenz. Auch wenn also dem äußeren Anschein nach eine Schiedsvereinbarung vorliegt, diese aber ungültig ist, weil sie zB unwirksam oder formungültig ist, ist ebenso wie bei völligem Fehlen eines Hinweises auf eine Schiedsvereinbarung eine Aufhebungsklage möglich (18 OCg 6/18h; Hausmaninger in Fasching/Konecny, ZPO3 § 611 Rz 88 mwN).

[57] (c) Der Kläger bestreitet nicht die Unterfertigung des Rahmenvertrags samt Schiedsklausel, sondern dassder Bevollmächtigte, der die Urkunde für die Beklagte unterfertigt hat, dazu befugt war.

[58] DieBeklagte hat ihren Sitz in Liechtenstein. Der Kläger legt seiner Argumentation – im Einklang mit der überwiegenden Lehre und der bisherigen Rechtsprechung (vgl 18 OCg 6/18h; 18 OCg 1/15v; Hausmaninger in Fasching/Konecny 3 § 583 ZPO Rz 91; Koller, Abschluss von Schiedsvereinbarungen durch rechtsgeschäftliche Vertreter – Problemfelder de lege lata, ecolex 2011, 878 [879 f]) – die Anwendbarkeit österreichischen Rechts zugrunde. Danach können Schiedsvereinbarungen iSd § 583 Abs 1 ZPO auch durch rechtsgeschäftlich zur Vertretung bevollmächtigte Personen geschlossen werden, zum wirksamen Abschluss einer Schiedsvereinbarung benötigen sie jedoch eine schriftliche Spezialvollmacht nach § 1008 ABGB (6 Ob 195/17w; 7 Ob 64/06x).

[59] Ist eine Schiedsvereinbarung wegen eines Formmangels der Vollmacht (für den Vollmachtgeber) nicht existent, kann sie nachträglich (nur) schriftlich und ausdrücklich genehmigt werden. Auch dafür ist grundsätzlich die Form des § 1008 ABGB einzuhalten. Die anwaltliche Prozessvollmacht ersetzt allerdings die Spezialvollmacht gemäß § 1008 ABGB (Hausmaninger in Fasching/Konecny 3 IV/2 § 581 ZPO Rz 197, § 583 ZPO Rz 17). Nach der noch zu § 577 Abs 3 ZPO idF vor dem SchiedsRÄG 2006 entwickelten Rechtsprechung ist daher in der Einbringung der Schiedsklage durch einen dazu iSd § 31 Abs 1 ZPO bevollmächtigten Rechtsanwalt eine nachträgliche Genehmigung des Abschlusses einer Schiedsvereinbarung, bei der die Formvorschrift verletzt wurde (Vertretungsmangel), zu erblicken. Eine wegen Verletzung der Formvorschriften unwirksame Schiedsvereinbarung heilt, wenn die Partei, bei der der Formmangel vorliegt, durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt selbst entsprechend der Schiedsvereinbarung eine Schiedsklage einbringt (7 Ob 368/98p; RS0120876; RS0017284 [T8]; vgl Nueber in Höllwerth/Ziehensack, ZPO‑Praxiskommentar § 583 ZPO Rz 19). Ein Teil der Lehre leitet diese Heilung eines Formmangels der Schiedsvereinbarung (und damit gegebenenfalls auch der Vollmacht) durch Erheben der Schiedsklage durch den Kläger nunmehr unmittelbar aus der Bestimmung des § 583 Abs 3 ZPO idF des SchiedsRÄG 2006 ab (vgl Lovrek/Musger in Czernich/Deixler‑Hübner/Schauer, Handbuch Schiedsrecht [2018] Rz 16.32 mwN).

[60] Selbst wenn man mit dem Kläger davon ausginge, dass die festgestellte, dem Bevollmächtigten der Beklagten vor Unterfertigung der Rahmenvereinbarung erteilte Handlungsvollmacht den Anforderungen einer Spezialvollmacht nicht entspricht, wäre daher für den Prozessstandpunkt des Klägers nichts gewonnen. Nach dem Klagsvorbringen und dem der Klage angeschlossenen Schiedsspruch ist davon auszugehen, dass die Beklagte im Schiedsverfahren durch eine mit Prozessvollmacht ausgestattete Rechtsanwältin vertreten wurde. Der von der Rechtsanwältin eingebrachten Schiedsklage legte die Beklagte die vom Bevollmächtigten in ihrem Namen abgeschlossene Rahmenvereinbarung samt Schiedsklausel zugrunde (siehe Seite 12 der Aufhebungsklage), sodass iSd § 1016 ABGB von einer schriftlichen Genehmigung der vom Bevollmächtigten allenfalls nur mit ungenügender Handlungsvollmacht geschlossenen Vereinbarung auszugehen ist.

[61] (d) Das Fehlen einer gültigen Schiedsvereinbarung iSd § 611 Abs 2 Z 1 ZPO lässt sich daher aus den Klagebehauptungen jedenfalls nicht ableiten.

[62] Fragen im Zusammenhang mit der – vom Kläger bestrittenen – Vorlage einer ausdrücklichen Sanierungsvollmacht können dahingestellt bleiben.

[63] 3.5. Zur angeblichen Unrichtigkeit des Schiedsspruchs in der Hauptsache und im Kostenpunkt

[64] (a) Der Kläger behauptet, das Schiedsgericht habe mit seinem unrichtigen und widersprüchlichen Schiedsspruch die Grenzen des Rechtsschutzbegehrens der Schiedsklägerin überschritten und Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung verletzt.

[65] (b) Der Kläger macht geltend, das Schiedsgericht habe eine Haftung des Klägers aus der von ihm übernommenen Bilanzgarantie zu Recht insoweit verneint, als die festgestellte (angebliche) Falschbilanzierung für die Investitionsentscheidung der Beklagten zufolge der Kenntnis des wahren Sachverhalts nicht wertbestimmend gewesen sei. Obwohl das auch für die Bilanzierung des „Warenvorrats“ gelte, habe das Schiedsgericht der Beklagten hingegen wegen eines angeblich falschen Lagerstandwerts in der Enkelgesellschaft (nicht bei der Beklagten selbst) Schadenersatz zugesprochen. Darin liege ein Widerspruch, den der Kläger in seinem Antrag nach Art 39 Wiener Regeln 2018, § 610 ZPO zu erörtern ersucht habe.

[66] Der Zuspruch an die Beklagte basiere zudem auf der falschen Annahme, dass keine Inventur stattgefunden habe und kein Warenlager existierte. Diese Annahme sei nicht nur Ergebnis einer willkürlichen und parteilichen Beweiswürdigung, sondernauch nicht schlüssig. Der Umstand, dass es keine Inventur gegeben habe, bedeute nicht, dass kein Vermögen existiert habe. Das Schiedsgericht habeaußerdem festgestellt, dass die Position des Warenvorrats in der Enkelgesellschaft „nicht richtig und unvollständig“ gewesen sei. „Unvollständig“ impliziere, dass zumindest Teile richtig, werthaltig oder verwendbar gewesen seien. Das Schiedsgericht treffe keine Feststellungen, welche und wie viele Teile dies seien. Das Schiedsgericht ziehe schlichtweg den gesamten Wert des Warenlagers der Enkelgesellschaft als Bemessungsgrundlage für die Haftungssumme heran.

[67] Ein vermeintlich unrichtig bilanziertes Warenlager könne zu keinem Schaden für die Beklagte geführt haben. Zum einen könnte, wenn in der Enkelgesellschaft der Beklagten „keine“ Inventur stattgefunden und das Warenlager daher so nicht bestanden habe, ein Schaden nur in der Enkelgesellschaft eingetreten sein, nicht bei der Beklagten. Das Schiedsgericht habe dem Kläger daher den (angeblichen) Schaden einer Gesellschaft, die nicht Partei des Schiedsverfahrens gewesen sei, zum Ersatz an die Beklagte auferlegt. Damit habe der Schiedsspruch über einen Anspruch entschieden, der nicht den Parteien des Schiedsverfahrens zustehe, sondern wenn überhaupt der Enkelgesellschaft der Beklagten.

[68] Mangels eines Schadens bei der Beklagten liege der für die Inanspruchnahme der vom Kläger übernommenen Garantie erforderliche Eintritt eines Garantiefalls nicht vor. Das Schiedsgericht erkenne zwar, dass eine undeutliche Äußerung iSd § 915 ABGB der Beklagten zuzurechnen wäre, verneine aber zu Unrecht dessen Anwendung in Bezug auf die Haftungsübernahme durch eine verschuldensunabhängige Bilanzgarantie in der Rahmenvereinbarung, weil kein solcher Zweifel bestehe.

[69] Würde man der Meinung des Schiedsrichters folgen, dass in der Enkelgesellschaft der Beklagten keine Inventur stattgefunden und das Warenlager daher so nicht bestanden habe, und wäre daraus ein Schaden und damit Garantiefall bei der Beklagten als der „Großmuttergesellschaft“ eingetreten, mangle es an der Kausalität. Der Beklagten seien alle Umstände für einen Einstieg in die Tochtergesellschaft der Beklagten bekannt gewesen. Die vermeintliche Nichtinventur oder ein vermeintlich geringerwertiges Warenlager der Enkelgesellschaft seien daher ebenso wenig wertbestimmender „Kaufgegenstand“ zur Kapitalerhöhung der Tochtergesellschaft wie die anderen vermeintlich falsch bilanzierten Positionen. Würde man – irrigerweise – eine Kausalität dafür annehmen, dass die Beklagte zu einem anderen Preis oder nicht „eingestiegen“ wäre und den Garantiefall deshalb bejahen, so würde sich die Frage der Schadenshöhe stellen. Es müsste der Beteiligungsansatz herangezogen und hiervon ein anteiliger Wert einer Preisminderung angesetzt werden und nicht der anteilige Wert eines „Nicht‑Inventarwerts“. Das von der Beklagten erst nach der Kapitalerhöhung zugeführte nicht rückzahlbare Eigenkapitaldarlehen sei gänzlich unberücksichtigt zu lassen.

[70] Insoweit der Schiedsspruch eine Garantiehaftung des Klägers trotz Fehlens eines Schadens der Beklagten und eines von der Garantiehaftung des Klägers erfassten Tatbestands sowieohne jegliche Kausalität bejahe, überschreite er die Grenzen der Rechtsschutzbegehren der Parteien.

[71] (c) Nach § 611 Abs 2 Z 3 ZPO ist ein Schiedsspruch (ua) aufzuheben, wenn er das Rechtsschutzbegehren der Parteien überschreitet. Ob das Schiedsgericht seine durch die Rechtsschutzanträge abgesteckten Befugnisse überschreitet, ist eine Frage des Streitgegenstands des Schiedsverfahrens, der sich nach dem Inhalt der Schiedsklage und allfälligen späteren Parteiendispositionen darüber bestimmt. Die Beurteilung richtet sich nach den zu § 405 ZPO entwickelten Grundsätzen (18 OCg 1/19z mwN).

[72] Daher wäre das Überschreiten des Rechtsschutzbegehrens (nur) anzunehmen, wenn das Schiedsgericht der Beklagten mehr oder etwas anderes zugesprochen hätte als diese beantragt hat. Dies verkennt der Kläger, wenn er die Überschreitung des Rechtsschutzbegehrens aus der (angeblichen) Unrichtigkeit des festgestellten Sachverhalts und seiner rechtlichen Beurteilung ableitet. Bei den von ihm diskutierten Fragen handelt es sich um solche der materiellen Berechtigung des geltend gemachten Anspruchs, nicht um solche des Streitgegenstands.

[73] (d) Im Zusammenhang mit diesen Ausführungen zur angeblichen Widersprüchlichkeit und Unrichtigkeit des Schiedsspruchs nimmt der Kläger auch auf den materiellen ordre public iSd § 611 Abs 2 Z 8 ZPO Bezug. Der Zuspruch vonSchadenersatz ohne Vorliegen der materiell‑rechtlichen Voraussetzungen sei willkürlich. Auch die Kostenentscheidung des Schiedsgerichts stelle einen willkürlichen Eingriff in das verfassungsgesetzlich geschützte Recht auf Eigentum nach Art 5 StGG dar. Trotz des Obsiegens des Klägers im Verhältnis 80:20 habe das Schiedsgericht entgegen allen Usancen des österreichischen Zivilprozessrechts eine Kostenersatzpflicht von 10.000 EUR zu Lasten des Klägers festgesetzt.

[74] (e) Gemäß § 611 Abs 2 Z 8 ZPO ist ein Schiedsspruch dann aufzuheben, wenn dieser Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) widerspricht. Unter den Grundwertungen der Rechtsordnung werden vor allem die Grundsätze der Bundesverfassung, die Grundsätze der EMRK, des Strafrechts, des Privatrechts, des Prozessrechts und des öffentlichen Rechts verstanden. Bei den Grundwertungen handelt es sich um unverzichtbare Wertvorstellungen, die das österreichische Recht prägen. Schutzobjekt sind nicht die subjektiven Rechtspositionen der Verfahrensparteien, sondern die inländische Rechtsordnung, die vor dem Eindringen mit ihr vollkommen unvereinbarer Rechtsgedanken und vor der unerträglichen Verletzung tragender Grundwertungen geschützt werden soll. Maßgebend ist dabei das Ergebnis des Schiedsspruchs und nicht seine Begründung. Dieser Aufhebungsgrund bietet also keine Handhabe für die Prüfung der Frage, ob und wie weit das Schiedsgericht die im Schiedsverfahren aufgeworfenen Tatfragen und Rechtsfragen richtig gelöst hat. Die Prüfung, ob eine Ordre‑public‑Widrigkeit vorliegt, darf also nicht zu einer (Gesamt‑)Überprüfung des Schiedsspruchs in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht führen (Unzulässigkeit einer révision au fond). Fehlentscheidungen des Schiedsgerichts müssen deshalb grundsätzlich hingenommen werden. Nur im Falle willkürlicher Rechtsanwendung durch das Schiedsgericht wird eine Ausnahme für allenfalls möglich gehalten (18 OCg 12/19t; 18 OCg 1/19z).

[75] Die Argumentation des Klägers ist ein solcher unzulässiger Versuch, eine Überprüfung der Richtigkeit der Entscheidung des Schiedsgerichts zu bewirken. Dass das Ergebnis des Schiedsspruchs Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung, insbesondere den Grundsätzen des Schadenersatzrechts, widerspricht, vermag er nicht aufzuzeigen. Der Kläger behauptet zwar Willkür, die er wiederum (nur) mit der angeblichen Parteilichkeit des Schiedsrichters begründet. Die Beziehung des Schiedsrichters zu den Bevollmächtigten der Beklagten erweckt allerdings– wie gezeigt – nicht den Anschein der Befangenheit.

[76] (f) Die Aufhebungsgründe der Überschreitung der Rechtsschutzbegehren der Parteien nach § 611 Abs 2 Z 3 ZPO und des Verstoßes gegen den materiellen ordre public nach (§ 611 Abs 2 Z 8 ZPO) liegen daher – selbst ausgehend von der Richtigkeit der Tatsachenbehauptungen des Klägers – nicht vor.

[77] 4. Im Ergebnisgelingt es dem Kläger daher nicht, das Vorliegen eines Aufhebungsgrundes schlüssig zu behaupten. Die Unschlüssigkeit des Vorbringens zu einem bestimmten Aufhebungsgrund ist kein Fall für eine Verbesserung. Die Klage ist deshalb in analoger Anwendung von § 538 ZPO zurückzuweisen (18 OCg 1 /20a mwN).

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