OGH 2Ob30/20f

OGH2Ob30/20f28.1.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. ÖBB‑Personenverkehr AG und 2. ÖBB‑Produktion GmbH, beide Wien 10, Am Hauptbahnhof 2, beide vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Dr. Josef‑Michael Danler, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 20.768,43 EUR sA (erstklagende Partei) und 70.308,57 EUR sA (zweitklagende Partei), über die Revision der erstklagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 2. Dezember 2019, GZ 1 R 135/19s‑29, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Landesgerichts Innsbruck vom 7. August 2019, GZ 6 Cg 24/18t‑24, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00030.20F.0128.000

 

Spruch:

1. Die Revision wegen Nichtigkeit wird verworfen.

2. Im Übrigen wird der Revision Folge gegeben.

Das Teilurteil des Berufungsgerichts wird einschließlich der darauf entfallenden Kostenentscheidung aufgehoben. Auch das Zwischenurteil des Erstgerichts wird, soweit es über das Klagebegehren der erstklagenden Partei entschied, aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Am 20. 9. 2013 lud der Geschäftsführer der Versicherungsnehmerin der beklagten Partei (in der Folge: LKW-Lenker) auf dem Bahnhof Telfs‑Pfaffenhofen 18 m lange Straßenbahnschienen von einem auf dem Ladegleis 5b stehenden Waggon auf das daneben abgestellte, von der Versicherungsnehmerin der beklagten Partei gehaltene und bei der beklagten Partei haftpflichtversicherte Sattelzugfahrzeug um. Er legte zwei Anschlagketten einmal um zwei Straßenbahnschienen herum und wollte die Schienen mit dem mittels Fernbedienung gesteuerten LKW-Ladekran auf das Sattelzugfahrzeug schwenken. Dabei stand er auf dem zu entladenden Waggon und hatte die Fernbedienung umgehängt. Während des Entladevorgangs wechselte er seinen Standort und sprach mit einem anderen Fahrer, wodurch er abgelenkt wurde. In weiterer Folge rutschten die beiden Anschlagketten in die Mitte der Straßenbahnschienen, wodurch sich diese verdrehten und in den Gefahrenraum des benachbarten Betriebsgleises 103 ragten. In diesem Moment fuhr der vom erstklagenden Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) betriebene Zug des internationalen Personenverkehrs IC 867 (Personenzug) auf das Betriebsgleis 103 ein und kollidierte mit den Straßenbahnschienen. Die Zuweisung dieses Betriebsgleises für den einfahrenden Personenzug war durch Mitarbeiter des zuständigen Eisenbahninfrastruktur-unternehmens (EIU) erfolgt. Durch den Unfall wurden der rechte Seitenspiegel sowie die Seitenscheibe des Triebfahrzeugs, welches im Eigentum der zweitklagenden Partei stand, sowie der zweite, der dritte und der fünfte Waggon, welche im Eigentum der erstklagenden Partei standen, beschädigt. Der ebenfalls von der zweitklagenden Partei zur Verfügung gestellte Triebfahrzeugführer wurde schwer verletzt. Die Haftung der beklagten Partei als Haftpflichtversicherer des Sattelzugfahrzeugs für die unfallskausalen Forderungen der klagenden Parteien ist im Ausmaß von 50 % unbestritten.

[2] Beim Transport der Schienen zur Umladestelle hatte das operativ tätige Eisenbahnbeförderungsunternehmen Rail Cargo Austria AG als Beförderer fungiert. Dem Frachtvertrag lagen deren Allgemeine Geschäftsbedingungen, nämlich der „Beladetarif“, zugrunde. Die Versicherungsnehmerin der beklagten Partei hatte den Auftrag gehabt, die Straßenbahnschienen vom Bahnhof Telfs‑Pfaffenhofen abzuholen und weiter zu transportieren.

[3] Das Anschlagen der Schienen durch den LKW‑Lenker mittels Anschlagketten war keine geeignete Methode, da durch die zu geringe kraftschlüssige Verbindung zwischen der Anschlagkette und den Schienen ein Zusammenrutschen der beiden Kettenstränge zur Mitte hin nicht verhindert werden konnte. Durch Verwenden von Schienenklemmen, Schienengreifer, Rollklemmen, einer Lasttraverse, oder durch Verwenden von zwei Fahrzeugkränen wäre ein sicheres Anschlagen und Heben der Schienen möglich gewesen.

[4] In den letzten zwei bis drei Jahren vor dem Unfall hatte der LKW‑Lenker auf dem Bahnhof Telfs‑Pfaffenhofen jeweils auf Ladegleis 5b bereits ca 30 Verladevorgänge durchgeführt. Der Versicherungs-nehmerin der beklagten Partei war der Beladetarif der Rail Cargo Austria AG aufgrund ihrer langjährigen Geschäftsbeziehung zu dieser bekannt. In Punkt 4 des Beladetarifs wurde Folgendes geregelt: „Bei Ladearbeiten ist immer damit zu rechnen, dass auf dem Nachbargleis Schienenfahrzeuge vorbeifahren […] Jener Raum des Nachbargleises, der für die Vorbeifahrt der Schienenfahrzeuge erforderlich ist, muss immer freigehalten werden; insbesondere bei der Manipulation längerer Güter ist besonders darauf zu achten, dass diese nicht ins Nachbargleis oder in den Bahnsteigbereich ragen.“

[5] An der Verladestelle im Bereich des zur Umladung zugewiesenen Ladegleises 5b fehlten Sicherheitskennzeichnungen. Das Ladegleis 5b war vom durch den Personenzug genutzten Betriebsgleis 5,60 m entfernt. Die verwirklichte Gefahr eines Unfalls wäre durch Zuweisung eines anderen Gleises für die Umladung der Fracht oder eines anderen Gleises für den Personenzug abzuwenden gewesen. Das (gemeint: einzige) weitere im Bereich dieses Bahnhofs bestehende Ladegleis 7b war aufgrund einer Gleissetzung seit dem Jahr 2009 gesperrt.

[6] Im Zuge einer diversionellen Erledigung des gegen den LKW‑Lenker eingeleiteten Strafverfahrens wurde an den Triebfahrzeugführer als Privatbeteiligten ein Schadenersatz von 3.000 EUR und an das privatbeteiligte EIU ein Schadenersatz von 500 EUR geleistet. Der vom Triebfahrzeugführer in einem Vorprozess gegen den Lenker und die Halterin des LKW, die S***** GmbH & Co KG sowie die auch hier beklagte Partei erhobenen Klage, wurde ausgehend vom Alleinverschulden des LKW‑Lenkers im Feststellungsbegehren vollinhaltlich und bezüglich der begehrten Zahlung mit einem Teilbetrag von 21.901,94 EUR stattgegeben.

[7] Die erstklagende Partei begehrte den Ersatz der nach einer Teilzahlung verbliebenen 50 % der Reparaturkosten für die beschädigten Waggons in Höhe von 20.768,43 EUR. Die zweitklagende Partei begehrte den Ersatz restlicher Reparaturkosten für das Triebfahrzeug sowie der Lohnfortzahlungskosten für den Triebfahrzeugführer von insgesamt 70.308,57 EUR. Beide klagende Parteien brachten vor, den LKW‑Lenker treffe wegen der Wahl einer ungeeigneten Verlademethode das Alleinverschulden an der Verursachung der Schäden. Die klagenden Parteien seien in den Frachtvorgang betreffend die Eisenbahnschienen nicht eingebunden gewesen. Weder die erst- noch die zweitklagende Partei sei als Betriebsunternehmer iSd § 5 EKHG anzusehen. Die von der beklagten Partei behaupteten Sorgfaltsverstöße lägen überdies nicht vor und seien ihnen nicht gemäß § 19 Abs 2 EKHG zuzurechnen. Eine Solidarhaftung zwischen den klagenden Parteien und dem EIU bestehe schon deshalb nicht, weil das in Österreich in Geltung stehende „CUI‑Abkommen“ als lex specialis dem österreichischen Haftungsrecht und daher auch dem EKHG vorgehe. Eine Solidarhaftung der klagenden Parteien mit dem EIU sei nach diesem Abkommen ausgeschlossen.

[8] Die beklagte Partei wendete ein, beide klagende Parteien seien Betriebsunternehmer iSd § 5 Abs 2 EKHG und hafteten solidarisch mit dem EIU. Sie müssten sich daher bezüglich ihrer Schadenersatzansprüche ein Mitverschulden anrechnen lassen. Es sei gegen folgende Schutz- und Sorgfaltspflichten verstoßen worden:

[9] Das zur Umladung zugewiesene Ladegleis 5b sei von dem durch den Personenzug genutzten Betriebsgleis nur 5,60 m entfernt gewesen. Der „erforderliche Sicherheitsabstand“ sei daher nicht eingehalten worden. Bei den Kranarbeiten sei weder der Mindestabstand von 3 m zum Fahrdraht des daneben liegenden Betriebsgleises bzw zu stromführenden Leitungen noch jener von 2,1 m zum „Gefahrenraum“ eingehalten worden. Dadurch seien der Beladetarif der Rail Cargo Austria AG, die „einschlägigen Arbeitnehmerschutzvorschriften, insbesondere § 8 ASchG“ und „die EisbAV“, sowie die „Merkblätter zum Schutz gegen Gefahren des Bahnbetriebs ÖBB 90.02.00 (ÖBB 40)“ und „Anlage 13 zur DV EI 52“ verletzt worden. Das gewählte Ladegleis sei für die durchzuführenden Arbeiten nicht geeignet gewesen. Im Bereich dieses Ladegleises hätten zum Unfallzeitpunkt überdies Warnschilder gefehlt, die auf das Ladegleis und die damit verbundenen Gefahren, wie Stromgefahr oder Bahnbetrieb auf dem Nachbargleis hinwiesen. Die Mitarbeiter ihrer Versicherungsnehmerin wären vor der Ladetätigkeit auf den Schienenverkehr auf dem Nachbargleis und die diesbezüglichen Gefahrenbereiche hinzuweisen gewesen. Die Einhaltung der konkreten Arbeitnehmerschutz- und Sicherheitsmaßnahmen wären zu kontrollieren und gemäß § 8 ASchG zu koordinieren gewesen. Diese zahlreichen Schutzgesetzverletzungen durch „die ÖBB“ seien kausal für das Zustandekommen des Unfalls gewesen.

[10] Der beklagten Partei stünden in diesem Rechtsstreit mit den beiden klagenden Parteien zwei Mitschädiger gegenüber, welche für die Folgen des Unfalls und sohin auch für die Forderungen des Triebfahrzeugführers entsprechend ihrer Mitverschuldensquote von gemeinsam 50 % solidarisch hafteten. Daher werde einer allenfalls zu Recht bestehenden Klagsforderung die Hälfte der von der beklagten Partei aus diesem Unfall bereits geleisteten Zahlungen an den verletzten Triebfahrzeugführer und an das EIU, sohin ein Betrag von 12.700,97 EUR, compensando als Gegenforderung entgegengehalten.

[11] Das Erstgericht sprach im zweiten Rechtsgang mit Zwischenurteil aus, dass die jeweiligen Zahlungsbegehren dem Grunde nach zu Recht bestehen, jedoch die eingewendete Gegenforderung dem Grunde nach nicht zu Recht bestehe. Es ging davon aus, dass der „erforderliche Sicherheitsabstand“ zwischen dem zur Umladung zugewiesenen Ladegleis 5b und dem vom Personenzug genutzten Betriebsgleis nicht eingehalten worden sei. Zudem hätten die Mitarbeiter der Versicherungsnehmerin der beklagten Partei auf die Gefahren hingewiesen werden müssen und es hätte auch die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften, insbesondere die nach der Eisenbahn-ArbeitnehmerInnenschutzverordnung (EisbAV) einzuhaltenden Abstände, kontrolliert werden müssen. Das Erstgericht verneinte jedoch die Betriebsunternehmer-eigenschaft einer der klagenden Parteien und daher auch eine Solidarhaftung mit dem EIU. Bezüglich der eingehaltenen Geschwindigkeit des Personenzuges und der Zuweisung des Betriebsgleises 103 hätten sich keine Gefahren verwirklicht, welche unfallkausal gewesen seien. Vielmehr sei der Unfall einzig auf die Verwendung eines ungeeigneten „Anschlagsmittels“ und damit auf eine objektiv sorgfaltswidrig durchgeführte Ladetätigkeit der Versicherungsnehmerin der beklagten Partei zurückzuführen. Ein Fehlverhalten der klagenden Parteien liege nicht vor. Weder die eingesetzten Mitarbeiter des EIU noch jene der Rail Cargo Austria AG hätten eine mit dem Betrieb des Personenzuges, dh mit der Personenbeförderung zusammenhängende Aufgabe mit Willen der klagenden Parteien wahrgenommen. Die von der beklagten Partei erhobenen Mitverschuldensvorwürfe seien den klagenden Parteien daher nicht nach § 19 Abs 2 EKHG zurechenbar. Demnach komme es weder zu einer Kürzung der Schadenersatzansprüche der klagenden Parteien noch sei die compensando geltend gemachte Gegenforderung der beklagten Partei berechtigt.

[12] Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Zwischenurteil hinsichtlich der zweitklagenden Partei, wies jedoch das Klagebegehren der erstklagenden Partei mit Teilurteil ab und sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

[13] Zusammengefasst vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, die CUI kämen im Verhältnis zwischen Beförderer und Betreiber einerseits und der Versicherungsnehmerin der beklagten Partei als Dritte andererseits nicht zur Anwendung. Bei dem Unfall habe sich die Gefahr der schienengebundenen Fortbewegung der Eisenbahn verwirklicht. Nur die erstklagende Partei hafte aber als (Mit‑)Betriebsunternehmerin iSd § 5 EKHG mit dem EIU solidarisch und habe für das Verschulden ihrer Betriebsgehilfen gemäß § 19 Abs 2 EKHG einzustehen. Sie müsse sich auch bei der Verfolgung eigener Ansprüche ein Fehlverhalten des EIU zurechnen lassen. Das Erstgericht habe festgestellt, dass das zugewiesene Ladegleis 5b vom durch den Personenzug genutzten Betriebsgleis nur 5,60 m entfernt gewesen sei. Der „erforderliche Sicherheitsabstand“ sei daher nicht eingehalten worden. Werde bei der Zuweisung von Gleisen einerseits für einen Entladevorgang und andererseits für die Durchfahrt eines Personenzuges der „erforderliche Sicherheitsabstand“ nicht eingehalten, so werde damit gegen ein Schutzgesetz nach den eisenbahnrechtlichen Vorschriften verstoßen, welches gerade Unfälle wie den vorliegenden verhindern solle. Ein Verschulden der für den Bahnhofsbereich (die Gleiszuweisung) verantwortlichen Mitarbeiter des EIU sei somit erwiesen, die erstklagende Partei müsse sich 50 % Mitverschulden anrechnen lassen.

[14] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision über Antrag der erstklagenden Partei hinsichtlich des Teilurteils nachträglich zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung der Bestimmung des Art 1 § 2 lit b CUI nicht bestehe.

[15] Gegen das Teilurteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der erstklagenden Partei mit dem Antrag, das Zwischenurteil des Erstgerichts auch insoweit wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[16] Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

[17] Die Revision ist zulässig, weil das Mitverschulden der erstklagenden Partei entgegen der Meinung des Berufungsgerichts noch nicht abschließend beurteilt werden kann. Sie ist daher im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[18] Die Revisionswerberin macht geltend, das Berufungsgericht habe gegen die Bindungswirkung des Urteils im Vorprozess verstoßen, weshalb die angefochtene Entscheidung nichtig sei. Das Berufungsverfahren sei überdies in mehrfacher Hinsicht mangelhaft geblieben, es lägen (näher ausgeführte) Verstöße gegen den Verhandlungs- und den Unmittelbarkeitsgrundsatz sowie gegen das Überraschungsverbot vor. Die erstklagende Partei hafte nicht als Betriebsunternehmerin iSd § 5 EKHG, weil sich keine der Fortbewegung des Personenzugs zuzurechnende Betriebsgefahr verwirklicht habe. Nach dem anzuwendenden Art 8 CUI, welcher der Bestimmung des § 5 Abs 2 EKHG vorgehe, hafte die erstklagende Partei nicht solidarisch mit dem EIU, weil sie den Unfall nicht habe vermeiden können. Ein unfallkausaler Verstoß gegen vom Berufungsgericht nicht näher genannte „eisenbahnrechtliche Schutzvorschriften“ durch die erstklagende Partei oder das EIU liege nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

[19] Hiezu wurde erwogen:

[20] 1. Kein Verstoß gegen die Bindungswirkung des Vorprozesses:

[21] Bei der Bindungswirkung handelt es sich nach herrschender Rechtsprechung um einen Aspekt der materiellen Rechtskraft (RS0102102 [T4]). Eine Bindungswirkung der Vorentscheidung ist nur dann anzunehmen, wenn sowohl die Identität der Parteien als auch des rechtserzeugenden Sachverhalts (verbunden mit notwendig gleicher rechtlicher Qualifikation) gegeben sind (RS0041572 [T2]). Die klagenden Parteien waren am Vorprozess nicht beteiligt. Schon deshalb kommt eine Bindung an das der dortigen Entscheidung zugrunde liegende Alleinverschulden des LKW-Lenkers nicht in Betracht.

[22] 2. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[23] 3. Die erstklagende Partei und das EIU sind (Mit-)Betriebsunternehmer der Eisenbahn iSd § 5 Abs 2 EKHG:

[24] 3.1 Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des Fachsenats haften EIU und EVU jedenfalls dann, wenn sich eine im

Zusammenwirken dieser Unternehmen begründete

Betriebsgefahr verwirklicht hat, als „mehrere Betriebsunternehmer“ iSd § 5 Abs 2 EKHG solidarisch. Nur wenn die Gefahr ausnahmsweise nicht auf einem

Zusammenwirken von EIU und EVU beruhte, haftet allein jenes Unternehmen, dessen Betrieb die Gefahr (allein) zuzurechnen ist (2 Ob 47/19d; 2 Ob 238/17i; 2 Ob 69/17m; 2 Ob 18/16k; RS0132602 [T1]). Unfälle, die sich bei der schienengebundenen Fortbewegung einer Eisenbahn ereignen, sind im Regelfall sowohl dem EIU als auch dem EVU zuzurechnen und begründen daher deren Solidarhaftung (2 Ob 238/17i; 2 Ob 69/17m mwN).

[25] Im konkreten Fall war der Unfall Folge des Befahrens der Infrastruktur des EIU durch einen Zug der erstklagenden Partei. Es verwirklichte sich daher die Gefahr der schienengebundenen (EIU) Fortbewegung (EVU) der Eisenbahn (vgl auch https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz&GZ=2Ob69/17m&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True&ResultFunctionToken=7b8986e5-0ae6-4075-8c5c-21affcf49967&Dokumentnummer=JJT_20170516_OGH0002_0020OB00069_17M0000_000 ). An der Anwendbarkeit des EKHG auch auf die hier erstklagende Partei besteht daher nach der zitierten Rechtsprechung kein Zweifel. Die erstklagende Partei und das EIU sind im konkreten Fall Mitbetriebsunternehmer iSd § 5 EKHG.

[26] 3.2 In einem solchen Fall stehen EIU und EVU dem Geschädigten als Einheit gegenüber; sie können sich ihm gegenüber nicht darauf berufen, dass eines von ihnen den strittigen Schaden im Innenverhältnis überwiegend oder sogar allein tragen müsste (2 Ob 238/17i; 2 Ob 69/17m mwN). Ein Fehlverhalten einer Person, die beim Betrieb des EIU oder EVU tätig war, ist dann auch dem jeweils anderen Unternehmen zuzurechnen. Diese wechselseitige Zurechnung gilt auch für die (erweiterte) Verschuldenshaftung nach § 19 Abs 2 EKHG (2 Ob 238/17i; 2 Ob 69/17m). Eine bei isolierter Betrachtung mögliche Haftungsbefreiung nach § 9 EKHG scheitert daher, wenn in der Sphäre eines Mitbetriebsunternehmers ein (insofern relevanter) Mangel vorliegt. Denn auch hier darf die Aufspaltung des Eisenbahnbetriebs nicht zu einer Schlechterstellung von geschädigten Dritten führen. Wem die Person tatsächlich zuzurechnen ist, hat wiederum (nur) Bedeutung für den Regress zwischen EIU und EVU (2 Ob 238/17i).

[27] 3.3 Das EVU und das EIU müssten als Mitbetriebsunternehmer gegebenenfalls auch den Regressanspruch eines dritten Unfallbeteiligten (§ 11 Abs 1 EKHG) ohne Rücksicht darauf befriedigen, in welchem Verhältnis sie intern zu diesem Regress beizutragen haben (2 Ob 69/17m; RS0017426 [T3]). Denn für einen Dritten ist regelmäßig nicht erkennbar, welchem von mehreren Betriebsunternehmern oder Haltern der Schaden letztlich zuzurechnen ist. EIU und EVU stehen daher auch einem regressberechtigten Dritten als Einheit gegenüber. Aufgrund dieser Erwägungen muss sich aber auch ein EVU bei Verfolgung eigener Ansprüche ein Mitverschulden oder eine Betriebsgefahr auf Seiten des EIU anrechnen lassen. Bei der Abwägung nach § 11 Abs 1 Satz 2 EKHG im Verhältnis zwischen einem EVU und dem haftpflichtigen Lenker/Halter eines Kraftfahrzeugs fällt daher ein in der Sphäre des EIU vorliegendes Verschulden oder eine dort verwirklichte Betriebsgefahr (auch) dem EVU anspruchsmindernd zur Last (2 Ob 69/17m; vgl RS0131438).

[28] 3.4 Zutreffend hat daher das Berufungsgericht bei der Beurteilung des Mitverschuldens die erstklagende Partei und das EIU als eine der beklagten Partei gegenüberstehende Einheit betrachtet und das behauptete, in der Sphäre des EIU vorliegende Verschulden geprüft.

[29] 4. Auch die CUI stehen diesem Zwischenergebnis nicht entgegen:

[30] 4.1 Die Einheitlichen Rechtsvorschriften über die Nutzung der Infrastruktur im internationalen

Eisenbahnverkehr (CUI; Anhang E zum Übereinkommen über den internationalen 

Eisenbahnverkehr [COTIF]) erfassen nach deren Art 1 § 1 Verträge über die Nutzung einer

Eisenbahninfrastruktur zum Zwecke der Durchführung internationaler

Eisenbahnbeförderungen. Gemäß Art 1 § 2 lit b CUI gelten die Bestimmungen des CUI jedoch nicht für andere Rechtsverhältnisse, wie insbesondere die Haftung zwischen Beförderer oder Betreiber einerseits und Dritten andererseits.

[31] 4.2 Für die Zwecke der CUI ist gemäß Art 3 CUI „Betreiber“ derjenige, der eine Eisenbahninfrastruktur bereitstellt und der Verpflichtungen nach den Gesetzen und Vorschriften hat, die in dem Staat gelten, in dem die Infrastruktur liegt (lit b); „Beförderer“ ist derjenige, der Personen oder Güter im internationalen Verkehr nach den Einheitlichen Rechtsvorschriften CIV oder Einheitlichen Rechtsvorschriften CIM auf der Schiene befördert und der nach den Gesetzen und Vorschriften betreffend die Erteilung und Anerkennung von Betriebsgenehmigungen, die in dem Staat gelten, in dem die Person diese Tätigkeit ausübt, eine Betriebsgenehmigung erhalten hat (lit c); „Hilfspersonen“ sind Bedienstete oder andere Personen, deren sich der Betreiber oder der Beförderer zur Erfüllung des Vertrags bedienen, soweit diese Bediensteten und andere Personen in Ausübung ihrer Verrichtungen handeln; „Dritter“ ist jeder andere als der Betreiber, der Beförderer und ihre Hilfspersonen (lit e).

[32] 4.3 Sowohl die beklagte Partei als auch deren Versicherungsnehmerin und der LKW‑Lenker sind somit Dritte iSd Art 3 lit e CUI. Die Bestimmungen der CUI gelten daher nach ihrem eindeutigen Wortlaut nicht für das Rechtsverhältnis, insbesondere die Haftung, zwischen der erstklagenden Partei als Beförderer oder dem EIU als Betreiber und den Genannten. Die CUI sind daher im vorliegenden Fall nicht anwendbar, wie schon das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat.

[33] 4.4 Dagegen bringt die Revisionswerberin in ihrem Rechtsmittel auch keine Argumente vor. Ob die Regelungen der CUI in ihrem Anwendungsbereich die Bestimmungen des EKHG verdrängen, kann daher dahinstehen.

[34] 5. Ob der erstklagenden Partei ein Mitverschulden anzulasten ist, kann noch nicht beurteilt werden:

[35] 5.1 Das Verschulden des LKW‑Lenkers ist nicht mehr strittig. Zu prüfen ist, ob die erstklagende Partei ein Mitverschulden trifft. Ein Mitverschulden iSd § 1304 ABGB setzt weder ein Verschulden im technischen Sinn noch Rechtswidrigkeit voraus. Es genügt Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern (RS0022681; RS0032045). Das Mitverschulden kann aber auch aus der Verletzung eines Schutzgesetzes resultieren. In diesem Fall ist das Mitverschulden bei der Schadenersatzpflicht des Schädigers nur zu berücksichtigen, wenn die vom Geschädigten übertretene Norm den Zweck hatte, Letzteren vor dem eingetretenen Schaden zu schützen. Es ist daher danach zu fragen, ob die übertretene Norm ein Schadensereignis wie das eingetretene verhindern wollte, ob also ein „Mitverschuldenszusammenhang“ besteht (2 Ob 167/17y; 1 Ob 154/12x; RS0132048). Um dies herauszufinden, ist das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren. Dazu ist der Normzweck zu erfragen, der sich aus der wertenden Beurteilung des Sinnes der Vorschrift ergibt. Es genügt, dass die Verhinderung des Schadens bloß mitbezweckt ist, die Norm muss aber die Verhinderung eines Schadens wie des später eingetretenen intendiert haben (2 Ob 185/17w; 2 Ob 135/13m mwN; RS0008775). Wie weit der Normzweck reicht, ist Ergebnis der Auslegung im Einzelfall.

[36] Auch eine „interne“ Betriebs- oder Sicherheitsvorschrift kann als Schutznorm iSd § 1311 ABGB zu qualifizieren sein, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage beruht oder zumindest behördlich genehmigt war (2 Ob 167/17y; vgl RS0027415 [T19]; RS0027539). Zwar hat auch die objektive Übertretung des Schutzgesetzes der Geschädigte – im gegebenen Zusammenhang die beklagte Partei – zu beweisen (vgl RS0112234). Bei Verletzung eines Schutzgesetzes ist jedoch kein strenger Beweis des Kausalzusammenhangs erforderlich. Zwar kommt es zu keiner Umkehr der Beweislast, allerdings spricht in der Regel der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der von der Norm zu verhindernde Schaden durch das verbotene Verhalten verursacht wurde (2 Ob 181/16f2 Ob 1/15hRS0027517). Es obliegt dann dem Schädiger, die Kausalität der Pflichtwidrigkeit durch Außerkraftsetzung des ihn belastenden Anscheinsbeweises ernsthaft zweifelhaft zu machen (2 Ob 95/19p; RS0022599).

[37] Handelt es sich bei den Betriebs- oder Sicherheitsvorschriften nicht um

Schutznormen iSd § 1311 ABGB, so beruhen sie in der Regel bloß auf arbeitsvertraglicher Grundlage. Kam die klagende Partei wegen Verstoßes dagegen selbst zu Schaden und bestand insoweit auch ein „Mitverschuldenszusammenhang“ (siehe oben), konnte auch dies im Verhältnis zum Schädiger, hier dem LKW-Fahrer, eine „Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten“ begründen. Deren Mitursächlichkeit für den eingetretenen Schaden hätte der ein Mitverschulden Behauptende, hier also die beklagte Partei, zu

beweisen (vgl 2 Ob 167/17y).

[38] 5.2 Zu den behaupteten Mindestabständen:

[39] 5.2.1 Das Berufungsgericht hat der erstklagenden Partei vorgeworfen, bei der Zuweisung der für den Entladevorgang und die Durchfahrt des Personenzuges benützten Gleise sei der „erforderliche Sicherheitsabstand“ nicht eingehalten und damit gegen ein „Schutzgesetz nach den eisenbahnrechtlichen Vorschriften“ verstoßen worden. Welches Schutzgesetz verletzt worden sei, legt es allerdings nicht dar, sondern verweist lediglich pauschal auf Schutzbestimmungen der EisbAV. Die beklagte Partei hat den Mitverschuldenseinwand darauf gestützt, dass bei den Kranarbeiten weder der Mindestabstand zum Fahrdraht des danebenliegenden Betriebsgleises bzw zu stromführenden Leitungen noch jener von 2,1 m zum Gefahrenraum eingehalten worden seien. Dadurch seien der Beladetarif der Rail Cargo Austria AG, die „einschlägigen Arbeitnehmerschutzvorschriften, insbesondere § 8 ASchG“ und „die EisbAV“, sowie die „Merkblätter zum Schutz gegen Gefahren des Bahnbetriebs ÖBB 90.02.00 (ÖBB 40)“ und „Anlage 13 zur DV EI 52“ verletzt worden. Nähere Ausführungen, gegen welche konkrete Bestimmungen verstoßen worden sei, machte die beklagte Partei nicht; auch legte sie die genannten „Merkblätter“ und die „Anlage 13“ nicht vor.

[40] 5.2.2 Vorgeschriebene Mindestabstände zum Fahrdraht oder zu stromführenden Leitungen dienen der Vermeidung der davon ausgehenden Gefahren durch den elektrischen Strom (vgl zu Bahnstromanlagen etwa Punkt 6. des Beladetarifs der Rail Cargo Austria AG, enthalten in den Beilagen ./B und ./2, dessen Inhalt unstrittig ist), die sich im vorliegenden Fall aber nicht verwirklicht haben. Welcher Abstand insoweit eingehalten wurde und ob diesbezüglich ein Schutzgesetz oder eine sonstige Betriebsvorschrift verletzt wurde, kann daher mangels Relevanz dahinstehen.

[41] 5.2.3 Nach den Feststellungen wäre bei fachgerechter Verwendung des Krans durch den Lenker des LKW ein sicheres Heben der Schienen möglich gewesen. Mit einer solchen Verwendung durften die beim Bahnbetrieb tätigen Personen rechnen. Im gegebenen Zusammenhang ist somit entscheidend, ob durch die Wahl der Gleise (also von vornherein) ein einzuhaltender Mindestabstand zwischen dem vorbeifahrenden Personenzug und dem zu entladenden Waggon nicht gewährleistet war oder die Einhaltung eines vorgeschriebenen Mindestabstands zum vorbeifahrenden Personenzug während fachgerecht durchgeführter Entladearbeiten nicht zu erwarten war. In diesen Fällen wäre dem Personenzug ein anderes Gleis zuzuweisen gewesen, was nach den Feststellungen den Unfall verhindert hätte.

[42] Das verwendete Ladegleis war vom Betriebsgleis des Personenzugs 5,60 m entfernt, wobei – wie sich aus dem Text unter der diesbezüglichen Abbildung ergibt – damit der Gleismittenabstand gemeint war. Welcher Seitenabstand zwischen dem vorbeifahrenden Personenzug und dem zu entladenden Waggon eingehalten wurde und welcher bei einer Betrachtung ex ante als „erforderlicher Sicherheitsabstand“ geboten gewesen wäre, wurde nicht festgestellt.

[43] 5.2.4 Der behauptete Mindestabstand zum Gefahrenraum des vom Personenzug befahrenen Betriebsgleises ist weder im Beladetarif der Rail Cargo Austria AG noch in § 8 ASchG geregelt. § 2 EisbAV enthält lediglich eine Legaldefinition eines Gefahrenraums von Gleisen, ohne dessen konkrete Abmessungen oder Abstände zu nennen, die davon einzuhalten wären. Der in § 6 Abs 1 EisbAV vorgeschriebene seitliche Sicherheitsabstand zwischen bewegten Schienenfahrzeugen und Teilen der Umgebung beträgt lediglich 0,5 m. Aus diesen Vorschriften lässt sich daher die behauptete Unterschreitung eines Mindestabstands nicht ableiten, sodass die Prüfung eines Mitverschuldenszusammenhangs insoweit dahinstehen kann.

[44] Bei den von der beklagten Partei genannten weiteren Vorschriften handelt es sich offenbar um interne Betriebsvorschriften. Zu deren Wortlaut wurde jedoch weder Vorbringen erstattet noch wurden Urkunden vorgelegt, aus denen dieser ersichtlich wäre, und es wurden auch keine Feststellungen dazu getroffen. Ob diesen Vorschriften die Qualität von Schutznormen zukommt, und ob bei einem Verstoß ein entsprechender Mitverschuldenszusammenhang besteht, kann somit noch nicht beurteilt werden.

[45] 5.2.5 Schließlich fehlen trotz einschlägigen Vorbringen der beklagten Partei Feststellungen zu der Frage, ob die konkrete Ladetätigkeit den dafür zuständigen beim Bahnbetrieb tätigen Mitarbeitern des EIU überhaupt bekannt war oder bekannt sein musste. Wenn dies nicht zutraf, käme eine schuldhafte Vernachlässigung allfälliger Schutznormen bei der Zuweisung des Betriebsgleises für den Personenzug von vornherein nicht in Betracht.

[46] 5.3 Zur Beschilderung:

[47] Die beklagte Partei hat den Mitverschuldenseinwand weiters darauf gestützt, dass im Bereich des Ladegleises 5b zum Unfallzeitpunkt Warnschilder gefehlt hätten oder verdeckt gewesen seien, die auf das Ladegleis und die damit verbundenen Gefahren, wie Stromgefahr oder Bahnbetrieb auf dem Nachbargleis hinwiesen.

[48] Die beklagte Partei bezieht sich mit ihrer Behauptung wohl auf die im Gutachten des im Strafverfahren beigezogenen Sachverständigen abgebildeten Warnschilder, die offenbar aus dem Beladetarif der Rail Cargo Austria AG stammen und lediglich auf die „Stromgefahr“ hinweisen (vgl dazu Punkt 6.5 des Beladetarifs zu Bahnstromanlagen). Gefahren durch Bahnstromanlagen haben sich im vorliegenden Fall aber nicht verwirklicht (vgl oben Punkt 4.2.2). Ob diesbezüglich ein Schutzgesetz oder eine sonstige Betriebsvorschrift verletzt wurde, kann somit mangels Relevanz dahinstehen.

[49] Welche sonstigen Warnschilder aufgrund welcher internen Betriebsvorschriften ihrer Ansicht nach erforderlich gewesen wären, hat die beklagte Partei weder vorgebracht noch liegen Feststellungen dazu vor. Ob eine Verpflichtung zum Anbringen von Warnschildern, die auf den Bahnbetrieb auf dem Nachbargleis hinweisen sollten, verletzt wurde, ob ihr ein Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB zugrunde lag und ob ein entsprechender Mitverschuldenszusammenhang besteht, kann daher noch nicht beurteilt werden. Die nicht näher präzisierte „Feststellung“ des Erstgerichts, an der Verladestelle hätten Sicherheitskennzeichnungen gefehlt, ist dafür nicht ausreichend.

[50] 5.4 Auf eine Verletzung von Arbeitnehmer-schutzvorschriften kann die beklagte Partei einen Verstoß gegen Belehrungs- oder Kontrollpflichten nicht erfolgreich stützen:

[51] 5.4.1 Die beklagte Partei wirft der erstklagenden Partei auch vor, dass die Mitarbeiter ihrer Versicherungsnehmerin vor der Ladetätigkeit nicht auf den Schienenverkehr auf dem Nachbargleis und die diesbezüglichen Gefahrenbereiche hingewiesen worden seien. Die Einhaltung der konkreten Arbeitsschutz- und Sicherheitsmaßnahmen wären zu kontrollieren und gemäß § 8 ASchG zu koordinieren gewesen.

5.4.2 Es wurde bereits dargelegt, dass bei fachgerechter Verwendung des Krans durch den Lenker des LKW ein sicheres Heben der Schienen möglich gewesen wäre und die beim Bahnbetrieb tätigen Personen mit einer solchen Verwendung auch rechnen durften. Nach den Feststellungen war dem LKW-Lenker überdies die Örtlichkeit durch zahlreiche bisherige Verladevorgänge auf dem gegenständlichen Ladegleis bekannt, ebenso der Beladetarif der Rail Cargo Austria AG, in welchem auf jederzeit möglichen Schienenverkehr auf dem Nachbargleis hingewiesen wurde. Die Vernachlässigung der gebotenen Sorgfalt begründete das Verschulden des LKW-Lenkers. Das ändert zwar nichts daran, dass der erstklagenden Partei aus der ihr zuzurechnenden Nichteinhaltung von Schutzgesetzen oder sonstigen internen Betriebsvorschriften ein Mitverschulden anzulasten sein könnte. Im Zusammenhang mit Arbeitnehmerschutzvorschriften trifft dies aber aus den folgenden Gründen nicht zu:

[52] 5.4.3 Das ASchG und die auf seiner Grundlage erlassene EisbAV dienen dem Schutz der Arbeitnehmer (§ 1 Abs 1 und § 3 Abs 1 ASchG). Adressat der öffentlich-rechtlichen Arbeitnehmerschutzvorschriften ist grundsätzlich der Arbeitgeber. Sie geben die Rahmenbedingungen und die Mindestanforderungen für die zu treffenden Schutzmaßnahmen vor und dienen in erster Linie dem Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sittlichkeit im Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung (2 Ob 211/12m mwN; vgl RS0084412). Das Vermögen des Arbeitgebers ist vom Schutzzweck dieser Vorschriften somit nicht umfasst. Auf eine Verletzung von solchen Arbeitnehmerschutzvorschriften kann die beklagte Partei ihren Mitverschuldenseinwand daher schon mangels Mitverschuldenszusammenhangs nicht erfolgreich stützen.

[53] 5.4.4 Das Bestehen konkreter interner Betriebsvorschriften, die eine Unterweisung der Mitarbeiter der Versicherungsnehmerin der beklagten Partei und deren Kontrolle durch der erstklagenden Partei zuzurechnende Personen vorsehen, hat die beklagte Partei weder behauptet noch bewiesen.

[54] 5.5 Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist jedoch eine abschließende Beurteilung, ob die erstklagende Partei ein Mitverschulden zu verantworten hat und wie dieses zu gewichten ist, noch nicht möglich. Schon deshalb, aber auch, um die Parteien mit der dargelegten Rechtsansicht nicht zu überraschen (§ 182a ZPO), bedarf es einer Ergänzung des Verfahrens erster Instanz. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren die Rechtslage mit den Parteien zu erörtern und ihnen auch Gelegenheit zu ergänzendem Vorbringen dazu zu geben haben. Auf dieser Grundlage wird es nach allfälligen weiteren Beweisaufnahmen Feststellungen zu treffen haben, insbesondere

- zum Inhalt der „Merkblätter zum Schutz gegen Gefahren des Bahnbetriebs ÖBB 90.02.00 (ÖBB 40)“ und der „Anlage 13 zur DV EI 52“ und ob diese auf gesetzlicher Grundlage beruhen oder zumindest behördlich genehmigt waren;

- zum tatsächlichen und zum (ex ante) „erforderlichen“ Sicherheitsabstand zwischen dem vorbeifahrenden Personenzug und dem zu entladenden Waggon, zum Gefahrenraum des Betriebsgleises sowie auch dazu, ob die Ladetätigkeit der Versicherungsnehmerin der beklagten Partei den dafür zuständigen beim Bahnbetrieb tätigen Personen bekannt war oder bekannt sein musste;

- zur Existenz und gegebenenfalls zum Inhalt konkreter interner Betriebsvorschriften über die Anbringung von Warnschildern, die auf den Bahnbetrieb auf dem Nachbargleis hinweisen sollten, sowie dazu, ob diese auf gesetzlicher Grundlage beruhten oder zumindest behördlich genehmigt waren und ob diese Warnschilder ordnungsgemäß angebracht waren;

- zur Existenz und gegebenenfalls zum Inhalt konkreter interner Betriebsvorschriften, die eine Unterweisung der Mitarbeiter der Versicherungsnehmerin der beklagten Partei und deren Kontrolle durch der erstklagenden Partei zuzurechnende Personen vorsahen und ob diese auf gesetzlicher Grundlage beruhten oder zumindest behördlich genehmigt waren;

- zur Kausalität einer allfälligen Verletzung von Schutzgesetzen oder (bloßer) Betriebsvorschriften für den eingetretenen Schaden (dazu Punkt 5.1).

[55] 6. Gegenforderungen:

[56] 6.1 Ob und in welcher Höhe die von der beklagten Partei aufrechnungsweise eingewendeten Gegenforderungen zu Recht bestehen, ist im derzeitigen Verfahrensstadium noch nicht zu prüfen.

6.2 Zutreffend hat überdies bereits das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass das Erstgericht lediglich ein Zwischenurteil über den Grund des Anspruchs gefällt hat. Über eine aufrechnungsweise eingewendete Gegenforderung kann in einem solchen Fall noch nicht – auch nicht mit Zwischenurteil – entschieden werden, weil gemäß § 393 Abs 1 ZPO nur über den Grund des mit Klage geltend gemachten Anspruchs zu entscheiden ist (3 Ob 145/10k; 2 Ob 78/90; RS0040757). Die Entscheidung über die eingewendete Gegenforderung betrifft hingegen die Anspruchshöhe (7 Ob 153/14x; 2 Ob 112/10z; RS0102003 [T15]).

[57] 7. Ergebnis:

[58] Das Teilurteil des Berufungsgerichts ist daher ebenso aufzuheben wie das Zwischenurteil des Erstgerichts, soweit es damit über die Ansprüche der erstklagenden Partei entschieden hat.

[59] Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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