OGH 10ObS94/20a

OGH10ObS94/20a13.10.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz und Dr. Bernhard Kirchl (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch Dr. Christian J. Winder und Dr. Klemens Stefan Zelger, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65–67, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. Jänner 2018, GZ 23 Rs 37/17 p‑13, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. März 2017, GZ 46 Cgs 158/16f‑8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E129904

 

Spruch:

I. Das mit Beschluss vom 13. September 2018, 10 ObS 30/18m, bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens in Verwaltungssachen unterbrochene Revisionsverfahren wird aufgenommen.

II. Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] I. Mit Beschluss vom 13. 9. 2018, 10 ObS 30/18m, unterbrach der Oberste Gerichtshof das Revisionsverfahren gemäß § 74 Abs 1 ASGG, bis über die Vorfrage der Versicherungspflicht des Klägers in der Kranken‑ und Pensionsversicherung gemäß § 2 Abs 1 Z 4 GSVG als Hauptfrage im Verfahren in Verwaltungssachen entschieden worden ist.

[2] Mit rechtskräftigem Bescheid vom 5. 6. 2019, VSNR *, sprach die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft gemäß § 194 GSVG iVm §§ 409 und 410 ASVG aus, dass der Kläger aufgrund seiner ausgeübten Tätigkeit als Campingplatzbetreiber in * S*, am 24. 1. 2012 der Pflichtversicherung in der Pensions‑ und Krankenversicherung gemäß § 2 Abs 1 Z 1 GSVG unterlag.

[3] Die Sozialversicherungsanstalt (SVA) der gewerblichen Wirtschaft führte begründend aus, dass der Kläger aufgrund eines Bescheids der Bezirkshauptmannschaft I* vom 15. 12. 2008 zum Betrieb eines Campingplatzes gemäß § 4 Abs 4 lit b Tiroler Campingplatzgesetz 2001 berechtigt gewesen sei. Die Berechtigung zur Ausübung dieser selbständigen Erwerbstätigkeit führe gemäß § 2 WKG ipso iure zur Pflichtmitgliedschaft des Klägers in der Wirtschaftskammer, weil die vom Kläger betriebene Unternehmung des „Campingplatzbetreibers“ in der Anlage zu § 2 WKG genannt sei. Der Umstand, dass diese Kammermitgliedschaft des Klägers im Mitgliederkataster der Wirtschaftskammer Tirol nicht erfasst worden sei, spiele keine Rolle.

[4] Das unterbrochene Revisionsverfahren war daher von Amts wegen fortzusetzen.

[5] II. Zum bisherigen Verfahrensgang kann auf die Darstellung im Unterbrechungsbeschluss 10 ObS 30/18m vom 13. 9. 2018 verwiesen werden. Daraus ist als wesentlich zu wiederholen:

[6] Der Kläger wollte am 24. 1. 2012 Schnee vom Dach des Gebäudes B* in S* schaufeln, weil aufgrund vorheriger starker Schneefälle eine Schneewechte vorstand und auf den Eingangsbereich des in diesem Gebäude (auch) befindlichen Cafés abzustürzen drohte. Beim Versuch, die Wechte abzuschaufeln, stürzte der Kläger vom Dach und verletzte sich.

[7] Für die Folgen dieses Arbeitsunfalls bezieht der Kläger aufgrund des rechtskräftigen Bescheids der SVA der Bauern vom 29. 1. 2014 seit 25. 1. 2013 eine Betriebsrente nach § 149d BSVG im Ausmaß von 20 vH der Vollrente.

[8] Der Kläger wohnte zum Unfallszeitpunkt mit seiner Gattin im Gebäude B* in S*. Das in diesem Gebäude befindliche Café war dem vom Kläger betriebenen Campingplatz angeschlossen, der Kläger hatte es jedoch im Unfallszeitpunkt an seinen Sohn verpachtet.

[9] Zum Unfallszeitpunkt und danach bis zum 31. 10. 2012 betrieb der Kläger (auch) einen Campingplatz in S* als selbständig Erwerbstätiger. Die Rezeption bzw Anmeldung für den Campingplatz befindet sich in den Räumlichkeiten des Cafés. Der Campingplatz ist ganzjährig geöffnet und wird auf mehreren als „Sonderfläche Camping“ gewidmeten Grundstücken betrieben. Er besteht aus 20 Stellplätzen, 7 WCs, 13 Duschen, 2 Waschräumen, einem Behinderten‑WC, einem Wasch‑ und Trockenraum sowie einem Erste‑Hilfe‑Raum.

[10] Mit Bescheid vom 29. 11. 2016 lehnte die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt die Anerkennung des Unfalls des Klägers vom 24. 1. 2012 als Arbeitsunfall ab, weil gemäß § 28 ASVG nicht sie, sondern die SVA der Bauern sachlich zuständig sei. Es sei Aufgabe der SVA der Bauern, die bei der Beklagten bestehende Höherversicherung bei der Bildung der Bemessungsgrundlage gemäß § 148f BSVG zu berücksichtigen.

[11] Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die am 24. 1. 2012 erlittenen Berstungsbrüche des ersten und dritten Lendenwirbels Folge eines Arbeitsunfalls seien, sowie die Zuerkennung einer Versehrtenrente. Für den Betrieb des Campingplatzes sei dem Kläger die Bewilligung erteilt worden. Das Abschaufeln des Schnees vom Dach des Gebäudes habe ua auch der Sicherheit der Gäste des Campingplatzes gedient, dessen Rezeption sich im Gebäude befunden habe.

[12] Die Beklagte wandte dagegen ein, dass der Kläger zum Unfallszeitpunkt keine unselbständige oder selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, die einen Unfallversicherungsschutz nach dem ASVG begründe. Die sachlich zuständige SVA der Bauern habe das Vorliegen eines Arbeitsunfalls des Klägers anerkannt. Die vom Kläger bei der Beklagten abgeschlossene Höherversicherung umfasse nicht den Campingbetrieb und schaffe keinen Unfallversicherungsschutz.

[13] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger habe weder eine Erklärung gemäß § 2 Abs 1 Z 4 GSVG abgegeben noch von der Möglichkeit des opting‑in gemäß § 3 Abs 1 Z 2 GSVG Gebrauch gemacht. Er habe als Betreiber eines Campingplatzes nicht die für 2012 geltende Versicherungsgrenze überschritten und sei daher nicht als neuer Selbständiger gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit a zweiter Gedankenstrich ASVG in der Unfallversicherung teilversichert gewesen.

[14] Das Berufungsgericht gab der vom Kläger gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Die Zuerkennung einer Betriebsrente durch die SVA der Bauern hindere nicht die eigenständige Prüfung und Bejahung der Passivlegitimation der Beklagten gemäß § 28 Z 2 ASVG. Da das steuerliche Ergebnis für den Betrieb des Campingplatzes für das Jahr 2012 aber einen Verlust aufweise, sei der Kläger nicht gemäß § 2 Abs 1 Z 4 GSVG in der Krankenversicherung und Pensionsversicherung nach dem GSVG pflichtversichert und daher nicht in der Unfallversicherung nach dem ASVG teilversichert. Das Berufungsgericht ließ die Revision mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zu.

[15] Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, mit der dieser die Stattgebung des Klagebegehrens anstrebt.

[16] In der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung beantragte die Beklagte die Zurück‑, hilfsweise die Abweisung der Revision.

[17] Die außerordentliche Revision ist zulässig, sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[18] Der Kläger macht in seinem Rechtsmittel zusammengefasst geltend, dass er als Betreiber eines Campingplatzes infolge der von ihm tatsächlich erzielten Einnahmen als selbständiger Unternehmer der Pflichtversicherung nach dem GSVG unterliege.

[19] Dem hält die Beklagte in der Revisionsbeantwortung entgegen, dass der Kläger zum Unfallszeitpunkt nicht als selbständig Erwerbstätiger nach dem GSVG versichert gewesen sei. Vielmehr habe er eine Landwirtschaft betrieben und erhalte für die Folgen des Unfalls vom 24. 1. 2012 von der SVA der Bauern seit 25. 1. 2013 eine Betriebsrente in Höhe von 20 vH. In der österreichischen Rechtsordnung sei nicht vorgesehen, dass für ein‑ und denselben Arbeitsunfall eine Entschädigungspflicht durch zwei Versicherungsträger bestehe. Selbst wenn der Kläger daher im Unfallszeitpunkt als „neuer Selbständiger“ tätig gewesen wäre, fehle es an einer gesetzlichen Grundlage für eine weitere Entschädigung des Arbeitsunfalls vom 24. 1. 2012 durch die Beklagte.

[20] Dazu wurde erwogen:

[21] Zur Teilversicherung des Klägers in der Unfallversicherung im Unfallszeitpunkt:

[22] Nach den Ergebnissen des Verwaltungsverfahrens war der Kläger zum Unfallszeitpunkt zwar nicht als „neuer“ Selbständiger gemäß § 2 Abs 1 Z 4 GSVG nach dem GSVG kranken‑ und pensionsversichert. Sehr wohl war er aber als Mitglied einer Kammer der gewerblichen Wirtschaft gemäß § 2 Abs 1 Z 1 GSVG kranken‑ und pensionsversichert. Damit bestand im Unfallszeitpunkt eine Teilversicherung des Klägers in der Unfallversicherung nach § 8 Abs 1 Z 3 erster Gedankenstrich ASVG. Für den Beginn der Teilversicherung in der Unfallversicherung (§ 10 Abs 2 ASVG) kommt es in diesem Fall auf den – nach den Ergebnissen des Verwaltungsverfahrens bereits ipso iure eingetretenen (§ 2 WKG) – Beginn der Kammermitgliedschaft an (VwGH 2004/08/0180). Hingegen bedarf es keiner weiteren Auseinandersetzung mit den in den Rechtsmittelschriften enthaltenen Ausführungen zur Frage einer Pflichtversicherung des Klägers gemäß § 2 Abs 1 Z 4 GSVG.

[23] Zur Parteistellung und zur sachlichen Zuständigkeit der beklagten Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) im sozialgerichtlichen Verfahren :

[24] Zur Rechtslage bis zum Inkrafttreten des SV‑OG, BGBl I 2018/100:

[25] Im Unterbrechungsbeschluss vom 13. 9. 2018, 10 ObS 30/18m, bejahte der Oberste Gerichtshof die sachliche Zuständigkeit auch der AUVA zur Durchführung der Unfallversicherung im konkreten Fall. Begründet wurde dies zusammengefasst damit, dass der Kläger zwar Ansprüche aus demselben Sachverhalt – dem Unfall vom 24. 1. 2012 – ableitet, diese aber auf unterschiedliche materielle Anspruchsgrundlagen gestützt werden. Gegenüber der AUVA begehrt der Kläger nicht eine Betriebsrente, sondern macht einen Anspruch auf Versehrtenrente geltend. Diesen Anspruch stützt er nicht auf die das bäuerliche Unfallversicherungsrecht seit der 22. Novelle zum BSVG regelnden Bestimmungen des BSVG, sondern auf jene des ASVG in Verbindung mit dem GSVG. Seit der Entscheidung 10 ObS 235/90 (SSV‑NF 4/100) entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass ein Anspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung (nur) gegen denjenigen Versicherungsträger geltend gemacht werden kann, dem in § 28 ASVG für diesen Anspruch die Durchführung der Unfallversicherung übertragen ist (RS0083755 mwH). Dies war zum Unfallszeitpunkt und bis zum Inkrafttreten des SV‑OG hier die beklagte AUVA.

[26] Die AUVA erließ auch den angefochtenen Bescheid vom 29. 11. 2016, sodass ihr gemäß § 66 ASGG auch Parteistellung im sozialgerichtlichen Verfahren zukam.

[27] Die Beklagte zeigte jedoch mit Schriftsatz vom 7. 10. 2019 an, dass ab 1. 1. 2020 nicht mehr sie, sondern die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) für das Leistungsstreitverfahren der Selbständigen zuständig sei. Der Rechtsübergang betreffe auch das sozialgerichtliche Verfahren, sodass per 1. 1. 2020 ein Parteienwechsel auf Seiten der Beklagten stattfinde. Beklagte sei ab diesem Zeitpunkt die SVS als Rechtsnachfolgerin der AUVA.

[28] Zu den organisatorischen Änderungen des SV‑OG:

[29] Nach den §§ 24 und 28 ASVG idF des SV‑OG sind Träger der Unfallversicherung die AUVA (§ 24 Abs 1 Z 1 ASVG) und die SVS (§ 24 Abs 1 Z 2 ASVG, § 3 SVSG), dies jeweils im Rahmen ihrer in § 28 ASVG bezeichneten sachlichen Zuständigkeit. Die §§ 24 und 28 ASVG idF des SV‑OG gelten ab 1. 1. 2020 (§ 718 Abs 1 Z 3 ASVG).

[30] Auch § 28 ASVG idF des SV‑OG regelt die grundsätzliche Zuständigkeit der AUVA für die Durchführung der Unfallversicherung. Nur in den in § 28 Z 2 ASVG geregelten Fällen kommt diese Zuständigkeit der SVS zu. Darunter ist als wesentlich die Zuständigkeit der SVS zur Durchführung der Unfallversicherung für die nach § 8 Abs 1 Z 3 lit a ASVG pflichtversicherten selbständig Erwerbstätigen hervorzuheben. Zu dieser Gruppe gehört der Kläger, dies zwar nicht als „neuer“ Selbständiger gemäß § 2 Abs 1 Z 4 GSVG (§ 8 Abs 1 Z 3 lit a zweiter Gedankenstrich ASVG), jedoch als Mitglied einer Wirtschaftskammer gemäß § 2 Abs 1 Z 1 GSVG (§ 8 Abs 1 Z 3 lit a erster Gedankenstrich ASVG).

[31] Diese Zuständigkeit kommt der SVS allerdings gemäß der Übergangsbestimmung des § 53 Abs 5 SVSG – zu der noch näher Stellung zu nehmen sein wird – erst ab 1. 1. 2020 zu. Bis dahin kam sie, wie bereits ausgeführt, der beklagten AUVA zu.

[32] Zu den Übergangsbestimmungen des SVSG:

[33] Auch das SVSG trat im Wesentlichen mit dem 1. 1. 2020 in Kraft (§ 53 Abs 1 SVSG). Änderungen des zwingenden Rechts sind, sofern nicht die Übergangsbestimmungen etwas anderes bestimmen, vom Rechtsmittelgericht von Amts wegen seiner Entscheidung zugrundezulegen, auch wenn der zu beurteilende Sachverhalt bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht wurde (RS0106868; RS0031419). Regelungen zu am 1. 1. 2020 noch nicht abgeschlossenen Verfahren enthalten lediglich die Übergangsbestimmungen in § 53 Abs 5 Satz 1 und Abs 6 SVSG.

[34] § 53 Abs 5 Satz 1 SVSG lautet: „Die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen ist ab 1. Jänner 2020 für das Melde‑, Versicherungs‑ und Beitragsrecht sowie das Leistungsrecht der in der Unfallversicherung nach § 8 Abs. 1 Z 3, sofern die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen nach § 28 Z 2 ASVG sachlich zuständig ist, § 19 Abs. 1 Z 1 und 2 sowie § 20 Abs. 1 ASVG versicherten selbstständig Erwerbstätigen zuständig und übernimmt ab diesem Zeitpunkt den einschlägigen Rentenstock von der bislang zuständigen Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt.“ § 250 GSVG, der die Verpflichtung der SVA der gewerblichen Wirtschaft regelte, die Unfallversicherungsbeiträge der selbständig Erwerbstätigen einzuheben und an die AUVA abzuführen, wurde mit Ablauf des 31. 12. 2019 aufgehoben (§ 373 Abs 2 GSVG). Die Einbringung der Beiträge aus der Unfallversicherung erfolgt durch die SVS (die jedoch gemäß der unveränderten Anordnung in § 35 Abs 1 GSVG als Vertreterin der AUVA tätig wird, „soweit“ sie Beiträge für diese einhebt. Die AUVA wird nach dem Umlageverfahren finanziert (Tomandl, Sozialrecht7 Rz 304; Pacic, Eine Skizze des Beitragsrechts mit Fokus auf falsche Einordnungen von Vertragsverhältnissen in der Sozialversicherung, JMG 2017, 23 [24]; vgl auch 75/ME 26. GP  33). Die Anordnung der Übernahme des Rentenstocks in § 53 Abs 5 SVSG bedeutet daher die Anordnung der „Rückzahlung“ der von der SVA der gewerblichen Wirtschaft eingehobenen, an die AUVA abgelieferten und noch vorhandenen Unfallversicherungsbeiträge.

[35] § 53 Abs 6 SVSG lautet: „Zum 1. Jänner 2020 noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Verfahren aus Anlass eines vermeintlichen Arbeitsunfalles oder einer vermeintlichen Berufskrankheit eines zum Zeitpunkt des mutmaßlichen Eintritts des Versicherungsfalles in der Unfallversicherung pflichtversicherten selbstständig Erwerbstätigen fallen mit 1. Jänner 2020 ausnahmslos in die Zuständigkeit der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen.“ Mit dieser Bestimmung wird eine gesetzliche Zuständigkeit der SVS angeordnet, bestimmte, dort genannte anhängige Verfahren weiterzuführen.

[36] Die Bestimmung des § 53 Abs 6 SVSG ist zweifach eingeschränkt: Sie bezieht sich erstens schon nach dem Wortlaut nicht auf sämtliche laufende Verfahren, sondern erfasst nur solche Verfahren, in denen der Eintritt des Versicherungsfalls des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit streitig ist (arg: „vermeintlich“). Nicht von § 53 Abs 6 SVSG sind daher beispielsweise Verfahren erfasst, in denen nur noch die Höhe einer Leistung oder deren zeitliches Ausmaß strittig sind. Zweitens enthält § 53 Abs 6 SVSG nur eine Zuständigkeitsregelung für das Verwaltungsverfahren in Leistungssachen vor dem Unfallversicherungsträger, nicht aber – anders als etwa § 48c Abs 4 BPGG oder § 42 Abs 2 HEG – umfasst diese Regelung auch das sozialgerichtliche Verfahren nach dem ASGG. Das ASGG wurde – sieht man von der durch § 720 ASVG bewirkten Änderung der Bezeichnung „Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger“ in „Dachverband der österreichischen Sozialversicherungsträger“ in § 93 Abs 2 ASGG ab – vom SV‑OG nicht berührt.

[37] Keine Parteienidentität zwischen der AUVA und der SVS:

[38] Auch nach dem – im Wesentlichen mit 1. 1. 2020 erfolgten – Inkrafttreten des SV‑OG handelt es sich bei der AUVA und der SVS um zwei voneinander verschiedene Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 32 Abs 1 ASVG, § 4 SVSG). Daran ändert der Wechsel der sachlichen Zuständigkeit für die Durchführung der Unfallversicherung der gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit a ASVG pflichtversicherten selbständig Erwerbstätigen mit 1. 1. 2020 von der AUVA zur SVS nichts.

[39] Keine Gesamtrechtsnachfolge von der AUVA auf die SVS:

[40] Das SV‑OG enthält an mehreren Stellen die ausdrückliche Anordnung einer Gesamtrechtsnachfolge. Solche Fälle der gesetzlich angeordneten Gesamtrechtsnachfolge regeln etwa § 538t Abs 2 ASVG (ausdrücklich zu dieser Bestimmung: 75/ME 26. GP  18), § 168a Abs 2 B‑KUVG, § 1 Abs 2 des Bundesgesetzes zur Überführung der Versicherungsanstalt des österreichischen Notariats in eine Versorgungsanstalt des österreichischen Notariats, BGBl I 2018/100, und insbesondere auch § 47 Abs 2 SVSG (Gesamtrechtsnachfolge von der SVA der gewerblichen Wirtschaft und der SVA der Bauern auf die SVS). In allen diesen Fällen normiert der Gesetzgeber, dass „alle Rechte und Verbindlichkeiten“ von einem bestimmten Versicherungsträger auf einen anderen „übergehen“. Eine solche – insbesondere § 47 Abs 2 SVSG – vergleichbare Bestimmung fehlt jedoch im Verhältnis zwischen der AUVA zur SVS. Dies steht allerdings im Einklang mit den dargestellten Übergangsbestimmungen, wonach nicht einmal jedes Verwaltungsverfahren in Leistungssachen der Unfallversicherung von der AUVA auf die SVS übergeht und (lediglich) der Rentenstock übertragen wird. Wie ausgeführt sieht § 35 Abs 1 GSVG weiterhin vor, dass der Versicherungsträger – jetzt die SVS – Beiträge zur Unfallversicherung, soweit er sie für die AUVA einhebt, als deren Vertreter einhebt. Auch aus dieser Bestimmung – will man das Unterbleiben ihrer Streichung mit dem SV‑OG nicht wie Taudes (in Sonntag, GSVG9 § 35 GSVG Rz 5) als bloßes Redaktionsversehen deuten – ergibt sich daher, dass der Gesetzgeber in Einzelfällen des Übergangsrechts ein Verbleiben der sachlichen Zuständigkeit zur Durchführung der Unfallversicherung bei der AUVA bedacht hat.

[41] Zur Berichtigung der Parteibezeichnung im sozialgerichtlichen Verfahren:

[42] Gemäß § 235 Abs 5 ZPO (hier iVm § 2 Abs 1 ASGG) ist es weder eine Änderung der Klage noch eine Änderung der Partei, wenn die Parteibezeichnung auf diejenige Person richtig gestellt wird, von der oder gegen die nach dem Inhalt der Klage in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise das Klagebegehren erhoben worden ist. Eine solche Berichtigung ist in jeder Lage des Verfahrens vorzunehmen.

[43] Durch ein Vorgehen nach § 235 Abs 5 ZPO darf jedoch keine Parteiänderung im eigentlichen Sinn eintreten (RS0039808). Da es sich bei der AUVA und der SVS wie ausgeführt um verschiedene Körperschaften öffentlichen Rechts handelt, käme eine Berichtigung der Parteibezeichnung auch auf ein anderes Rechtssubjekt nur im Fall einer gesetzlich angeordneten Gesamtrechtsnachfolge in Frage (RS0113856), die jedoch hier, wie ebenfalls bereits ausgeführt, fehlt.

[44] Ergebnis: Die AUVA bleibt auch nach Inkrafttreten des SV‑OG zur Durchführung der Unfallversicherung im konkreten Fall des Klägers sachlich zuständig und gemäß § 66 ASGG beklagte Partei in diesem Verfahren (so im Ergebnis bereits 10 ObS 17/20b).

[45] Infolge der Ergebnisse des Verwaltungsverfahrens über die Vorfrage der Versicherungspflicht des Klägers im Unfallszeitpunkt erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig:

[46] Zur Frage des Vorliegens eines Arbeitsunfalls:

[47] Für den Versicherungsschutz bei selbständig Erwerbstätigen ist entscheidend, ob ein Arbeitsunfall im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit einem Verhalten steht, das sich als Ausübung der die Versicherung begründenden Erwerbstätigkeit darstellt (10 ObS 108/08t SSV‑NF 22/59; 10 ObS 178/12t SSV‑NF 27/6; RS0084368). Dies ist nach ständiger Rechtsprechung nach subjektiven und objektiven Kriterien zu prüfen. Die Tätigkeit muss vom Versicherten mit der Intention gesetzt worden sein, seiner versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Darüber hinaus muss sie auch objektiv (aus der Sicht eines Außenstehenden) noch als Ausübung oder Ausfluss dieser Erwerbstätigkeit angesehen werden können. Für Verrichtungen, die sowohl privaten wie auch betrieblichen Interessen dienen – sogenannte gemischte Tätigkeiten – besteht Versicherungsschutz, wenn die Verrichtung im Einzelfall dazu bestimmt war, auch betrieblichen Interessen wesentlich zu dienen (RS0084271 [T6]). Die subjektive Meinung, dass eine bestimmte Tätigkeit dem betrieblichen Interesse dienlich ist, muss im Einzelfall in den objektiven Verhältnissen eine ausreichende Stütze finden (10 ObS 17/20b; RS0084388).

[48] Bei Selbständigen richtet sich die Frage, was zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit gehört, in erster Linie nach berufsrechtlichen Bestimmungen (R. Müller in SV‑Komm [222. Lfg] § 175 ASVG Rz 96). Gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit a erster Gedankenstrich ASVG wird der Unfallversicherungsschutz der in der Unfallversicherung teilversicherten selbständig Erwerbstätigen durch die Mitgliedschaft zu einer Kammer der gewerblichen Wirtschaft erworben. Die Kammermitgliedschaft begründet allerdings nicht generell für alle gewerblichen Tätigkeiten einen Unfallversicherungsschutz. Er erstreckt sich vielmehr nur auf Tätigkeiten, die in einem inneren Zusammenhang mit dem Gewerbebetrieb stehen, der die Grundlage der Kammermitgliedschaft bildet (9 ObS 8, 9/87 SSV‑NF 1/14, 10 ObS 110/18a SSV‑NF 33/14; RS0083633).

[49] Diese Grundsätze müssen auch im vorliegenden Fall Anwendung finden, in dem die Kammermitgliedschaft des Klägers nicht auf einer Gewerbeberechtigung, sondern auf der Ausübung einer in der Anlage zu § 2 WKG genannten Unternehmung, nämlich des Betreibens eines Campingplatzes, beruhte (§ 2 Abs 1 und 2 WKG).

[50] Aus den bisher getroffenen Feststellungen ergibt sich lediglich, dass der Kläger beim Versuch, eine Schneewechte vom Dach seines Wohnhauses abzuschaufeln, abstürzte und sich dabei verletzte. Es steht auch fest, dass diese Schneewechte drohte, auf den Eingangsbereich des in diesem Haus befindlichen Cafés („Camping‑Stüberl“) abzustürzen, das der Kläger zum Unfallszeitpunkt jedoch an seinen Sohn verpachtet hatte. Schließlich steht fest, dass sich die Rezeption bzw Anmeldung für den – ganzjährig geöffneten – Campingplatz in den Räumlichkeiten des Cafés befindet.

[51] Um den erforderlichen örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang des Unfalls des Klägers mit seiner selbständigen Erwerbstätigkeit als Campingplatzbetreiber beurteilen zu können, bedarf es nach den dargestellten Grundsätzen ergänzender Feststellungen, aus denen sich ergibt, ob das Schneeschaufeln des Klägers – auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich auch um das private Wohnhaus des Klägers handelte – im dargestellten subjektiven und objektiven Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Campingplatzbetreiber stand und als Ausübung oder Ausfluss dieser Erwerbstätigkeit angesehen werden kann.

[52] Zur Minderung der Erwerbsfähigkeit:

[53] Sollte sich danach das Vorliegen eines geschützten Arbeitsunfalls ergeben, werden in weiterer Folge Feststellungen über die durch diesen Unfall verursachten Gesundheitsschäden – behauptet werden Berstungsschäden des ersten und dritten Lendenwirbels – und die dadurch bewirkte Minderung der Erwerbsfähigkeit zu treffen sein.

[54] An dieser Stelle ist festzuhalten, dass das vom Kläger erhobene Klagebegehren in seinem Punkt 1, „Der Unfall des Klägers vom 24. 1. 2012 wird als Arbeitsunfall festgestellt“, nicht § 65 Abs 2 ASGG (RS0084069) und damit nicht der mit dieser Bestimmung im engen Zusammenhang stehenden Bestimmung des § 82 Abs 5 ASGG entspricht. Nach diesen Bestimmungen ist das (Eventual‑)Klagebegehren – wie in Punkt 2 des Klagebegehrens ohnehin formuliert – auf Feststellung zu richten, dass eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls ist.

[55] Zum Einwand der Beklagten, die österreichische Rechtsordnung sehe nicht vor, dass ein‑ und derselbe Arbeitsunfall von zwei Versicherungsträgern entschädigt werde:

[56] Dem Einwand kommt schon deshalb keine Berechtigung zu, weil der Kläger zwar aufgrund des Bescheids der SVA der Bauern vom 29. 1. 2014 eine Betriebsrente (§ 149d BSVG) bezieht, im nunmehrigen Verfahren aber – wie ausgeführt – eine Versehrtenrente von der Beklagten begehrt. Abgesehen davon, dass nach den bisherigen Verfahrensergebnissen noch nicht einmal feststeht, ob der vom Kläger geltend gemachte Anspruch dem Grunde nach zu Recht besteht, wurde im angefochtenen – den Anspruch des Klägers abweisenden – Bescheid gar keine Entscheidung über die Bemessungsgrundlage der vom Kläger begehrten Leistung getroffen, sodass deren betragliche Höhe nicht Verfahrensgegenstand ist.

[57] Der Revision war daher im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags Folge zu geben.

[58] Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 2 ZPO.

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