OGH 8Ob34/20p

OGH8Ob34/20p28.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin T*, vertreten durch HFSR Rechtsanwälte in Wels, gegen den Antragsgegner P*, vertreten durch Dr. Bernhard Aschauer, Dr. Alexandra Schmolmüller, Rechtsanwälte in Linz, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 29. März 2020, GZ 21 R 47/20s‑42, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Gmunden vom 28. Jänner 2020, GZ 6 FAM 55/18v‑36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E129750

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung ist dem Erstgericht vorbehalten.

 

Begründung:

Die Antragstellerin ist die eheliche Tochter des Antragsgegners und seit 2016 Studentin.

Das Erstgericht verpflichtete den Antragsgegner – unter Abweisung eines Unterhaltsmehrbegehrens insbesondere für den Zeitraum 1. 9. 2016 bis 31. 3. 2018 – zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags von 380 EUR für den Zeitraum 1. 4. 2018 bis 31. 12. 2018 (Gesamtrückstand 1.836 EUR), von 580 EUR für den Zeitraum 1. 1. 2019 bis 31. 1. 2020 (Gesamtrückstand 5.252 EUR) sowie von 580 EUR ab 1. 2. 2020 bis auf Weiteres.

Mit dem angefochtenen Beschluss bestätigte das Rekursgerichtdiese Entscheidung. Grundsätzlich werde in der Rechtsprechung ein Abzug der Wohnversorgung in Höhe etwa eines Viertels des Unterhaltsanspruchs als angemessen angesehen, um eine Überdeckung im Bereich der Wohnversorgung zu vermeiden. Ferialeinkünfte, die die Antragstellerin vor April 2018 (also vor dem vom Erstgericht angenommenen Beginn ihres Geldunterhaltsanspruchs) erzielt habe, hätten außer Betracht zu bleiben. Ebenso wenig komme eine Anrechnung von Eigeneinkommen für den Zeitraum ab 1. 1. 2019 in Betracht, zumal die Antragstellerin in diesem Jahr keine Einkünfte erzielt habe. Überdies sei der Familienbonus Plus nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen; eine Anrechnung von Transferleistungen finde nicht mehr statt. Familienbonus Plus und Unterhaltsabsetzbetrag blieben damit unterhaltsrechtlich neutral.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil zu den Auswirkungen des Familienbonus Plus bei volljährigen Unterhaltsberechtigten noch keine höchstgerichtliche Judikatur vorliege.

Dagegen, soweit dem Unterhaltspflichtigen damit die Zahlung eines Unterhaltsrückstands von 1.836 EUR für die Zeit vom 1. 4. 2018 bis 31. 12. 2018, eines Unterhaltsrückstands von 4.640 EUR für die Zeit vom 1. 1. 2019 bis 31. 8. 2019 sowie eines über 350 EUR hinausgehenden monatlichen Unterhaltsbeitrags ab 1. 9. 2019 auferlegt wurde, richtet sich der von der Antragstellerin beantwortete Revisionsrekurs des Antragsgegners.

1. Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen. Dies gilt auch für den Anwendungsbereich des § 62 Abs 1 AußStrG (RIS‑Justiz RS0112769; RS0112921). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt somit weg, wenn die bedeutsame Rechtsfrage durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits vorher geklärt wurde.

Rechtliche Beurteilung

2.1 Der Oberste Gerichtshof stellte in der einen vergleichbaren Sachverhalt betreffenden Entscheidung 9 Ob 59/19w vom 25. 6. 2020mit ausführlicher Begründung klar, dass für die Lösung der Frage, ob der Familienbonus Plus bei der Unterhaltsbemessung volljähriger Kinder zu berücksichtigen sei, an die Leitentscheidung 4 Ob 150/19s angeknüpft werden müsse. Das Kernargument dieser Entscheidungsbegründung, wonach der Steuergesetzgeber mit der Einführung des Familienbonus Plus pauschal und typisierend den Vorgaben des VfGH an eine steuerliche Entlastung des Kindesunterhalts Rechnung tragen wollte, könne auch für die Beantwortung der Frage, welche Auswirkungen die Einführung des Familienbonus Plus auf die Bemessung des Unterhalts für volljährige Kinder hat, fruchtbar gemacht werden, weil die primär aus den Gesetzesmaterialien (RV 190 BlgNR 26. GP  1) abgeleitete Intention des Gesetzgebers nicht zwischen minderjährigen und volljährigen Kindern differenziert. Die Gesetzesmaterialien führten zur unterschiedlichen Höhe des Familienbonus Plus bloß aus, dass Familien bis zum 18. Lebensjahr in der Regel mit Kosten für die erste Ausbildung ihrer Kinder konfrontiert seien, weshalb eine substantielle Steuerentlastung für Kinder bis 18 Jahre erfolgen solle, dass aber darüber hinaus auch noch jene Eltern entlastet werden sollten, die ihren Kindern eine weiterführende Ausbildung ermöglichen. Anhaltspunkte dafür, dass sich die – in der genannten Entscheidung hervorgehobene – gesetzgeberische Intention des „ressortzuständigen“ (Steuer‑)Gesetzgebers, die vom VfGH geforderte steuerliche Entlastung von Unterhaltsleistungen nunmehr durch den Familienbonus Plus sowie den Unterhaltsabsetzbetrag unmittelbar selbst vorzunehmen, nur auf den Unterhalt Minderjähriger beziehen soll, könnten dem nicht entnommen werden. Zusammengefasst sei also davon auszugehen, dass der Steuergesetzgeber mit der Einführung des Familienbonus Plus die steuerliche Berücksichtigung der Unterhaltslast zur Gänze in das Steuerrecht verlagern wollte. Diese gesetzgeberische Intention sei auch hinsichtlich der volljährigen Unterhaltsberechtigten zu akzeptieren. Bei der Bemessung deren Unterhalts sei der Familienbonus Plus daher ebenfalls nicht zu berücksichtigen (RS0133181).

2.2 In Anbetracht dieser Entscheidung vermag derRevisionsrekurswerber mit dem Argument, bei über 18 Jahre alten Kindern sei die Familienbeihilfe im Sinne der alten Rechtsprechung weiterhin anzurechnen, keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.

3.1 Er kritisiert überdies, dass die Vorinstanzen das im Zeitraum September bis Dezember 2016, August bis Oktober 2017 und Juli bis August 2018 erzielte Eigeneinkommen der Antragstellerin (von insgesamt 9.555,12 EUR) nicht bei der Unterhaltsbemessung bis einschließlich 31. 8. 2019 berücksichtigt haben. Ferialtätigkeiten würden im Voraus im Hinblick auf das Studium bzw zumindest das nächste Studienjahr erbracht und müssten daher auf das Studium (hier ausgehend vom Durchschnitt der letzten drei Jahre mit einem Betrag von monatlich 265,41 EUR vom September 2016 bis August 2019) oder aber wenigstens auf das folgende Studienjahr (hier ausgehend vom Einkommen im Juli und August 2018 von insgesamt 2.795,70 EUR mit einem Betrag von monatlich 233 EUR vom September 2018 bis August 2019) angerechnet werden.

3.2 Die Vorinstanzen haben das von der Antragstellerin in den Jahren 2016 und 2017 aus Ferialpraktika erzielte Eigeneinkommen bei der Ausmittlung ihres (erst) ab 1. 4. 2018 zuerkannten Geldunterhaltsanspruchs gegen den Antragsgegner schon mangels Kongruenz nachvollziehbar außer Betracht gelassen. Die Vorgangsweise, (nur) das im Juli und August 2018 verdiente Eigeneinkommen der Antragstellerin für das Kalenderjahr 2018 bzw den vom 1. 4. 2018 bis 31. 12. 2018 zugesprochenen Geldunterhaltsanspruch zu berücksichtigen, begegnet insofern keinen Bedenken, als der Revisionsrekurswerber dadurch jedenfalls nicht benachteiligt ist: Nach der Rechtsprechung ist kurzfristiges Ferialeinkommen eines Unterhaltsberechtigten (etwa – wie hier – für die Dauer zweier Monate während des Studiums: 7 Ob 139/12k) bei der Unterhaltsbemessung im Allgemeinen überhaupt nicht als Eigeneinkommen zu berücksichtigen (RS0117200). Da es die Vorinstanzen jedoch für das Jahr 2018 als unterhaltsmindernd veranschlagthaben, verbietet sich die vom Antragsgegner im Ergebnis gewünschte Anrechnung auch noch für den Zeitraum 1. 1. 2019 bis 31. 8. 2019.

4.1 Letztlich moniert der Revisionsrekurs, dass die Vorinstanzen die Zurverfügungstellung der Wohnung (durch beide Elternteile) nur mit einem Viertel des ermittelten Geldunterhaltsanspruchs und nicht mit 33 % (ds 256 EUR monatlich) berücksichtigt haben.

4.2 Hat der Unterhaltsberechtigte nicht für die Kosten der Wohnversorgung aufzukommen, weil diese vom Geldunterhaltspflichtigen geleistet wird, so bedarf er regelmäßig nicht mehr des gesamten festgesetzten Geldunterhalts, um seinen vollständigen Unterhalt zu decken (RS0047254). Der Naturalunterhalt ist grundsätzlich nur im angemessenen Umfang anzurechnen; dem Unterhaltsberechtigten hat stets ein in Geld zu leistender Unterhalt zuzukommen, weil er von der Wohnung allein nicht leben kann (RS0123487 [T4, T6]). Nach der Rechtsprechung ist regelmäßig dann, wenn sich der Geldunterhalt (rechnerisch) aufgrund der Wohnversorgung um mehr als ein Viertel mindern würde (durch Ansatz des in concreto halbierten fiktiven Mietwerts; RS0123486), zu überprüfen, ob der Restunterhalt noch zur angemessenen Deckung der Restbedürfnisse ausreicht (RS0123484 [T4]). Wo diese Angemessenheitsgrenze liegt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0123484 [T1]; RS0123487 [T5]). Auf die dem Unterhaltspflichtigen tatsächlich erwachsenden Kosten kommt es nicht an (1 Ob 16/18m mwN).

4.3 Die Entscheidung der Vorinstanzen hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung. Eine korrekturbedürftige Überschreitung des den Gerichten zukommenden Beurteilungsspielraums zeigt der Antragsgegner weder mit dem Hinweis auf das (überwiegend vor dem 1. 4. 2018 lukrierte, im Übrigen aber ohnehin beim Unterhaltsanspruch berücksichtigte) Ferialeinkommen der Antragstellerin, noch die von ihm bezahlten Betriebskosten „nebst den Betriebskosten für die Ehewohnung … und ungeachtet der Darlehensrückzahlungen“ noch den Familienbeihilfenbezug und den Unterhaltsanspruch der Antragstellerin (auch) gegen die Mutter ab 1. 7. 2019 auf, zumal beide Eltern gemeinsam nicht in der Lage sind, den doppelten Regelbedarf zu decken.

5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

6. Der Kostenvorbehalt beruht auf der Entscheidung des Erstgerichts (§ 78 Abs 1 AußStrG).

Stichworte