OGH 3Ob246/19a

OGH3Ob246/19a26.6.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Roch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Priv-Doz. Dr. Rassi und die Hofrätinnen Mag. Korn, Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei A*, vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte und widerklagende Partei K*, vertreten durch Stenitzer & Stenitzer Rechtsanwälte OG in Leibnitz, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 31. Oktober 2019, GZ 2 R 216/19b‑60, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Feldbach vom 23. Jänner 2019, GZ 4 C 66/17k‑55, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E128895

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die mit der außerordentlichen Revision der beklagten und widerklagenden Partei verbundene Urkundenvorlage wird zurückgewiesen.

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang der Scheidung der Ehe der Streitteile und des Ausspruchs, dass daran die klagende und widerbeklagte Partei ein Verschulden trifft, als unangefochten unberührt bleiben, werden im Übrigen aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung über das behauptete Verschulden der beklagten und widerklagenden Partei bzw über die Gewichtung eines allfälligen beiderseitigen Fehlverhaltens der Ehegatten an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Die Parteien, die etwa 26 Jahre lang ein Paar waren, schlossen am 31. Juli 2003 die Ehe. Der gemeinsame Sohn ist 1997 geboren. Die Beklagte und Widerklägerin (in Hinkunft nur: Beklagte) wohnt derzeit im Haus, das die Ehewohnung darstellte und das beiden Streitteilen je zur Hälfte gehört. Der Kläger und Widerbeklagte (in Hinkunft nur: Kläger) zog am 24. Juli 2017 aus dem Haus aus.

Bis zum Frühsommer des Jahres 2017 „wahrten die Streitteile den Schein einer aufrechten Ehe“ gegenüber Freunden und Familienmitgliedern, sie besuchten auch noch gemeinsam Feiern wie beispielsweise die Geburtstagsfeier einer Freundin Anfang Juli 2017. Der Freundeskreis und nahe Familienangehörige konnten bis Juli/August 2017 keine Eheprobleme der Streitteile wahrnehmen. Bis zur offiziellen Trennung im Juli 2017 erlebten sie auch keine demütigenden oder herabwürdigenden Äußerungen der Beklagten gegenüber dem Kläger. Zu Weihnachten 2016 schenkte der Kläger der Beklagten noch ein wertvolles Schmuckstück. Zum Valentinstag 2017 überreichte er ihr auch einen Blumenstrauß und „es fanden auch noch bis ins Jahr 2017 gemeinsame Urlaube bzw Unternehmungen des Klägers und der Beklagten statt“.

Der Kläger und die Beklagte besuchten im Jahr 2016 die Weihnachtsfeier seiner Unternehmen. Die Beklagte verließ diese Feier schon früher, der Kläger brachte eine Angestellte in ihre Wohnung, da diese stark alkoholisiert war, und kam später nach Hause. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt eine über das Berufliche hinausgehende Beziehung zu dieser jungen Frau pflegte. Im Jahr 2017 unternahm der Kläger mit dieser Angestellten einen Pfingsturlaub nach Zadar und ging mit ihr in der Folge eine nach wie vor aufrechte intime Beziehung ein.

Der Kläger ist Alleingesellschafter und Geschäftsführer einer Glas‑ und Stahlbau‑ sowie einer Pulverbeschichtungs-GmbH. Die Beklagte war als Angestellte in der erstgenannten GmbH beschäftigt. Dieses Dienstverhältnis endete mittlerweile durch Entlassung der Beklagten, die diese in einem Arbeitsrechtsverfahren bekämpfte.

„Die Beklagte zeigte ab etwa Dezember 2015 eine Wesensveränderung gegenüber dem Kläger. So war sie aggressiv, verbal und griffig (gemeint: verbal angriffig), hörte nicht zu und der Kläger konnte mit ihr weitgehend nicht mehr reden.“ In diesem Zusammenhang kam es zu vermehrten Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten. Diese Auseinandersetzungen fanden sowohl zu Hause als auch im Unternehmen statt. Da der Kläger beruflichen Stress als Auslöser dieses Verhaltens vermutete, bot er der Beklagten an, mit dem Arbeiten aufzuhören. Auf Druck der Beklagten überschrieb der Kläger ihr auch die Hälfte des Eigentums am Haus; dennoch verbesserte sich das Verhalten der Beklagten in der Folge nicht, sondern es verschlechterte sich. Während aufrechter Ehe kam es zwischen dem Kläger und der Beklagten in den Firmenräumlichkeiten des Klägers mehrfach zu lautstarken Streitigkeiten wegen Betrieblichem, was auch mehrere Mitarbeiter des Klägers mitbekamen. Im Zuge dieser Streitigkeiten wurden auch Schimpfwörter verwendet. „Schimpfwörter bzw. lautstarkes Streiten ging meist von der Beklagten aus“, sie bezeichnete ihn beispielsweise als „Dodel“ oder „Trottel“. Die Beklagte beschimpfte den Kläger auch vor dem Erstgericht als „Lügner“ oder „dieser Satan“.

Der Kläger kann zwar unter Stress auch gelegentlich lauter werden, beruhigt sich jedoch auch schnell wieder und neigt nicht zu cholerischen Anfällen. Die Beklagte zeigte – auch gegenüber Mitarbeitern des Klägers – ein streitbares und aufbrausendes Verhalten, was sich teilweise in lautem Geschrei und übertriebenem Maßregeln äußerte. Zwei Mitarbeiter kündigten sogar wegen dieses Verhaltens der Beklagten; eine Mitarbeiterin arbeitet seit April 2018 wieder im Unternehmen des Klägers; sie und andere Zeugen konnten eine Verbesserung des Betriebsklimas in Folge der Entlassung der Beklagten bemerken.

Seit dem Auszug des Klägers unternahm die Beklagte zahlreiche Versuche, die Ehe zu retten und den Kläger zurückzugewinnen. Sie schickte ihm seit seinem Auszug zahlreiche SMS-Nachrichten und E‑Mails, und versuchte oft, den Kläger telefonisch zu erreichen. Teilweise waren diese Kontaktaufnahmen auf die Wiederaufnahme der Ehe gerichtet und hatten freundlichen bzw neutralen Inhalt, allerdings beinhalteten sie auch einige Beschimpfungen wie „affengeiler Dodel“, „armseliger Schwächling“ und Verunglimpfungen wie „[der Kläger] ist ein Verbrecher“ sowie Drohungen wie „ich werde dich härtest bekämpfen“ oder „…, werde ich dich mit einer Anzeigenflut (Bilanzfälschung etc.) überschütten!!“. Des Weiteren drohte die Beklagte dem Kläger auch damit, ihre Streitigkeiten einer breiteren Anzahl an Personen seines sozialen Umfelds zu offenbaren und diese über die allfälligen Eheverfehlungen des Klägers zu informieren.

Am 22. Juli 2017 nahm die Beklagte aus dem Tresor der Ehewohnung Bargeld und Sparbücher im Gesamtwert von ca 280.000 EUR eigenmächtig an sich. Der Kläger behauptete zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Sommer 2017 auf einem Parkplatz in einer für andere dort anwesende Personen wahrnehmbaren Lautstärke gegenüber einer Person lautstark, dass die Beklagte ihm Geld gestohlen hätte.

Nachdem der Kläger am 5. Dezember 2017 die Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft endgültig abgelehnt hatte, erstattete die Beklagte noch am selben Tag Strafanzeige wegen gefährlicher Drohung und Körperverletzung gegen den Kläger. In dem daraufhin geführten Strafverfahren wurde der Kläger am 17. Juli 2018 von den erhobenen Vorwürfen (gefährliche Drohungen am 22. Juli 2017, 4. August 2017, 23. August 2017, den Wochen danach und am 5. Dezember 2017 sowie vorsätzliche Körperverletzung am 22. Juli 2017) freigesprochen. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger die Beklagte im Jahr 2017 mehrfach bedroht oder sie am 22. Juli 2017 am Körper verletzt hätte.

„Die jeweiligen Eheverfehlungen wurden vom anderen Teil als ehezerrüttend empfunden“ und führten zur endgültigen Zerrüttung am 5. Dezember 2017.

Mit E-Mails vom 6. Dezember 2017 und 11. Dezember 2017 bewarb sich die Beklagte in anderen Unternehmen. In ihren Bewerbungsschreiben bezeichnete sie den Kläger als Legastheniker und breitete vor den potentiellen neuen Arbeitgebern die Ehekrise, den Auszug des Klägers und dessen Beziehung zu einer 19‑jährigen Angestellten aus.

Mit Beschluss des Erstgerichts vom 2. Jänner 2018 wurde dem Kläger die Rückkehr ins Wohnhaus bis zur rechtskräftigen Erledigung des Scheidungsverfahrens gemäß § 382c EO rechtskräftig untersagt.

Mit seiner auf § 49 EheG gestützten Klage vom 20. Dezember 2017 begehrte der Kläger die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten. Er brachte dazu im Wesentlichen vor, die Ehe sei nur bis 2007 harmonisch gewesen. Vor allem ab 2016 habe bei der Beklagten eine Wesensänderung stattgefunden; sie habe sich ihm gegenüber zunehmend aggressiv und fordernd und mehr und mehr lieb- und interesselos verhalten, habe aufgrund von Kleinigkeiten Streit vom Zaun gebrochen und sei auch nicht davor zurückgeschreckt, ihn im Unternehmen vor den Mitarbeitern als „Arschloch“ oder „Idiot“ zu beschimpfen. Mehrfache Bitten des Klägers, ihr Verhalten zu ändern, ansonsten sei eine Scheidung unausweichlich, habe sie nicht ernst genommen und mit Auslachen und der Drohung, sie würde ihn ruinieren, wenn er sie verlasse, quittiert. Sie habe stets an seinem Verhalten genörgelt und ihn eines besseren belehrt sowie auch vor Freunden kritisiert. Er habe sich von der Beklagten herabgewürdigt gefühlt, da sie ihm stets das Gefühl gegeben habe, nichts richtig zu machen, weshalb für ihn die Ehe Anfang 2017 unheilbar zerrüttet gewesen sei. Am 24. Juli 2017 habe der Kläger festgestellt, dass die Beklagte Sparbücher und Bargeld im Wert von rund 200.000 EUR an seinem Vermögen aus dem gemeinsamen Tresor entnommen habe. Hierauf angesprochen habe sie gemeint, das Geld gehöre ihr und er solle ausziehen (später habe sie sich in einem anhängigen Zivilprozess geweigert, die Sparbücher herauszugeben). Daraufhin habe er seine Sachen gepackt und sei aus der Ehewohnung ausgezogen, weil ihm die Beklagte ein weiteres Zusammenleben unmöglich gemacht habe. Danach habe die Beklagte den Kläger mit unzähligen E-Mails und SMS bombardiert und ihm darin teils Vorhaltungen gemacht, ihn wüst beschimpft und auch mit Anzeigen und unzähligen Prozessen bzw Rufschädigungen bei Mitarbeitern, Kunden, Verwandten und Nachbarn bedroht. Schließlich habe sie ihn Anfang Dezember 2017 bewusst wahrheitswidrig und nur aus Feindseligkeit wegen gefährlicher Drohungen und vorsätzlicher Körperverletzung und wegen Waffenbesitz angezeigt. Auch im anhängigen Ehescheidungsverfahren habe die Beklagte den Kläger beschimpft. Die Vorwürfe der Beklagten seien unzutreffend.

Schließlich warf der Kläger der Beklagten noch vor, sie habe sich widerrechtlich vom Smartphone des Klägers nicht für sie bestimmte Fotos beschafft und sie leide an einem Kontrollwahn, ehezerstörender Eifersucht und mangelnder Selbstreflexion.

Die Beklagte bestritt die ihr zur Last gelegten Eheverfehlungen und begehrte mit ihrer Widerklage vom 23. Jänner 2018 ebenfalls, die Ehe aus dem Alleinverschulden des Klägers nach § 49 EheG zu scheiden. Von Scheidung sei nie die Rede gewesen, die Ehe sei bis weit ins Jahr 2017 harmonisch verlaufen und keineswegs zerrüttet gewesen, was sich auch aus zahlreichen gemeinsamen Aktivitäten bis Juli 2017 und regelmäßigem Geschlechtsverkehr bis August 2017 ergebe. Vor Pfingsten 2017 habe der Kläger plötzlich erklärt, alleine in Zadar einen Kurzurlaub vom 2. bis 5. Juni 2017 verbringen zu wollen, was die Beklagte auf eine nötige Auszeit zurückgeführt habe. Nach seiner Rückkehr habe er auch dem gemeinsamen Sohn eröffnet, dass er ausziehen werde, er wolle und liebe die Klägerin nicht mehr. Für die Beklagte sei alles zusammengebrochen, sie habe ihn angefleht zu bleiben. Als sie bemerkt habe, dass es zum Auszug kommen werde, sei sie völlig überfordert und in großer existentieller Sorge gewesen. In ihrem Bestreben nach Absicherung habe sie rund die Hälfte der gemeinsamen Ersparnisse aus dem Tresor der Ehewohnung in Sicherheit gebracht; aus Angst vor dem Kläger habe sie auch dessen Waffen entsorgt und Messer im Haushalt versteckt. Tatsächlich habe er sie am 22. Juli 2017 mit dem Umbringen bedroht und sei am 24. Juli 2017 ohne Aufforderung dazu ausgezogen, wobei er sie mit haltlosen Vorwürfen überschüttet habe. Die Beklagte habe dadurch einen psychischen Zusammenbruch erlitten und sei für zwei Tage stationär in eine Nervenklinik aufgenommen worden; in den folgenden zwei Monaten habe sie durch die Kränkung stark abgenommen und sich mit Selbstmordgedanken getragen. Der Kläger habe sich nie nach ihrem Befinden erkundigt, sondern sie trotz ihres Krankenstands aufgefordert, dringende Arbeiten im Unternehmen zu erledigen. Am 4. August 2017 habe der Kläger sie neuerlich mit dem Umbringen bedroht. Hinweise auf ein Verhältnis des Klägers mit einer jungen Mitarbeiterin habe die Beklagte abgetan, weil er während des Betriebsurlaubs ab 5. August 2017 beinahe jeden Tag zur Ehewohnung gekommen sei, dort Zeit mit der Beklagten und dem Sohn verbracht habe und es dabei auch zweimal zum Geschlechtsverkehr der Streitteile gekommen sei. Mitte August 2017 habe die Beklagte aber feststellen müssen, dass der Kläger eine ehewidrige Beziehung zu einer 19-jährigen Mitarbeiterin seines Unternehmens schon seit langem vor seinem Auszug unterhalte, die nach wie vor aufrecht sei und seit Herbst 2017 öffentlich gelebt werde. Dieses außereheliche Verhältnis habe bei der Beklagten eine tiefe Kränkung und Ängste in wirtschaftlicher Hinsicht betreffend das weitere Fortkommen auch ihres Sohnes, der im Unternehmen mitarbeite und mit der Freundin des Vaters zusammenarbeiten müsse, ausgelöst. Ihr Sohn habe die Absicht zu erkennen gegeben, sich das Leben zu nehmen. Deshalb habe sie versucht, den Kläger durch eine Vielzahl von Nachrichten umzustimmen, der jedoch jedes Gespräch verweigert habe. Aufgrund ihrer massiven psychischen Beeinträchtigung durch die Trennungssituation könne ihr diese Kommunikation nicht so angelastet werden, als ob sie völlig dispositionsfähig gewesen wäre. Am 23. August 2017 habe er sie wieder bedroht. Im November 2017 habe er die Ehewohnung durchstöbert und ua Schischuhe der Beklagten für seine Freundin mitgenommen, um mit dieser einen Schiurlaub zu verbringen.

Das Verhalten des Klägers habe die Beklagte psychisch ruiniert, sie befinde sich seit ihrem Klinikaufenthalt dauerhaft in Behandlung und sei dauernd arbeitsunfähig. Am 5. Dezember 2017 habe sie den Kläger um ihres Sohnes Willen aufgesucht; dabei habe der Kläger die Beklagte ua damit bedroht, dass er sie fertig machen und aus dem Haus treiben würde. In ihrer Angst habe sie durch Erstattung einer polizeilichen Anzeige noch am selben Tag reagiert, worauf sie der Kläger wider besseres Wissen am 13. Dezember 2017 entlassen und am 18. Dezember 2017 wegen Verleumdung angezeigt habe. Er habe auch wahrheitswidrig gegenüber Dritten erzählt, die Beklagte habe die Schlösser zur Ehewohnung getauscht und Geld gestohlen.

Der Kläger sei aufbrausend, während sich die Beklagte in diesen Situationen zurückhalte und höchstens drei Mal Schimpfworte gebraucht habe, wenn sie davor angeschrien worden sei. Die Beklagte sei nicht eifersüchtig gewesen.

Das Erstgericht verband die beiden Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung und schied die Ehe der Streitteile aus gleichteiligem Verschulden (und wies die jeweiligen Mehrbegehren ab).

Zum Zeitpunkt der Zerrüttung hätten beide Parteien angegeben, dass bis zum 5. Dezember 2017 eine Versöhnung möglich gewesen wäre, sodass dieser Zeitpunkt als Zerrüttungszeitpunkt festzustellen gewesen sei. Die Beklagte habe durch ihre wiederholten Beschimpfungen des Klägers ua in Anwesenheit von Mitarbeitern und das Ausbreiten der Eheverfehlungen, um ihn schlecht zu machen, ihre Pflicht zur ordentlichen Begegnung verletzt; auch das eigenmächtige Ansichnehmen der Ersparnisse sei eine Verletzung der Treuepflichten und auch ihre Drohungen dem Kläger gegenüber, die sie am 5. Dezember 2017 in die Tat umgesetzt habe, stellten Eheverfehlungen dar. Dem Kläger sei die außereheliche Beziehung vorzuwerfen, deren Anschein schon durch den gemeinsamen Pfingsturlaub entstanden sei. Ein alleiniges Verschulden einer Partei liege nicht vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten, die das Urteil des Erstgerichts nur insofern bekämpfte, als die Scheidung nicht aus dem Alleinverschulden des Klägers ausgesprochen wurde, nicht Folge.

Dem Kläger sei seine außereheliche Beziehung und der Auszug aus der Ehewohnung anzulasten. Die Äußerungen der Beklagten über den Kläger im Verfahren und vor Mitarbeitern sowie in den SMS-Nachrichten und E-Mails seien aber als Beschimpfungen zu werten; auch deren Drohungen, ua die Eheverfehlungen des Klägers einer größeren Anzahl seines sozialen Umfelds zugänglich zu machen, was letztlich erfolgt sei, und der Inhalt der Bewerbungsschreiben seien ebenfalls schwere Eheverfehlungen. Schließlich habe sie das Bargeld und die Sparbücher eigenmächtig weggenommen, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein. Eine Abwägung des Gesamtverhaltens ergebe hier ein gleichteiliges Verschulden der Parteien.

In ihrer außerordentlichen Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung beantragt die Beklagte die Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, dass das alleinige Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe festgestellt werde; hilfsweise wird die Aufhebung in Bezug auf den Verschuldensausspruch begehrt. Die Beklagte macht sekundäre Feststellungsmängel und eine unzutreffende Bemessung ihres Verschuldensanteils an der Zerrüttung geltend. Mit dem Rechtsmittel verbunden ist eine Vorlage von vier Urkunden „zur Darlegung der Gründe und der Zulässigkeit der Revision“.

Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinn ihres Aufhebungsantrags berechtigt, weil nach den bisher getroffenen Feststellungen eine abschließende Beurteilung des (allenfalls) beiderseitigen Verschuldens der Eheleute noch nicht vorgenommen werden kann. Die im Rahmen der außerordentlichen Revision erfolgte Vorlage von Urkunden verstößt allerdings gegen das Neuerungsverbot des § 504 Abs 2 ZPO und ist deshalb zurückzuweisen.

1. Im Eheverfahren kann der Scheidungsausspruch in Rechtskraft erwachsen, ohne dass bereits rechtskräftig über das Verschulden entschieden ist. Bei einer Ehescheidung aus Verschulden ist allerdings die Annahme irgendeines Verschuldens des Beklagten präjudiziell für den Scheidungsausspruch. Im Fall von Klage und Widerklage trifft die Präjudizialität des Verschuldens eines der Streitteile begrifflich nur dann zu, wenn noch kein Verschulden eines der Streitteile wenigstens teilweise rechtskräftig festgestellt ist (RS0056846). Das ist hier der Fall, weil die vom Erstgericht aufgrund von Klage und Widerklage ausgesprochene Scheidung aus beiderseitigem Verschulden nur von der Beklagten bekämpft wurde, die dabei jedes eigene Verschulden in Abrede stellt. Ein (wenn auch noch nicht näher quantifiziertes) Verschulden des Klägers ist somit bereits rechtskräftig festgestellt. Den Gegenstand des weiteren Verfahrens bildet deshalb nur das behauptete Verschulden der Beklagten bzw die Gewichtung eines allfälligen beiderseitigen Fehlverhaltens der Ehegatten.

2. Nach § 49 EheG kann die Ehe wegen eines schweren schuldhaften Fehlverhaltens des anderen Ehepartners geschieden werden, wenn diese Eheverfehlung zu einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe geführt hat. Die Eheverfehlungen müssen für die unheilbare Zerrüttung der Ehe kausal gewesen sein (RS0056921 [T3]), also subjektiv als ehezerstörend empfunden werden (RS0056366; 1 Ob 20/12s mwN); dabei genügt es, dass sie dazu beigetragen haben (8 Ob 43/15d; 8 Ob 157/18y mwN).

3. Beiderseitige Eheverfehlungen müssen in ihrem Zusammenhang gesehen werden. Es kommt daher nicht nur auf den Grad der Verwerflichkeit der einzelnen Ehewidrigkeiten an, sondern auch darauf, wie weit sie einander bedingen und welchen ursächlichen Anteil sie am Scheitern der Ehe haben (RS0057223; RS0056751; RS0057464). Maßgeblich ist vor allem, wer den ersten Anlass zur Zerrüttung der Ehe gegeben hat und wodurch sie in erster Linie zu einer unheilbaren wurde (RS0057361). Es ist das Gesamtverhalten der Ehegatten, soweit darin eine Eheverfehlung erblickt wird, zu beurteilen. Es sind nicht einzelne Eheverfehlungen zahlenmäßig gegenüberzustellen (RS0056171; RS0057303; RS0057158). Eheverfehlungen nach unheilbarer Zerrüttung spielen mangels Kausalität für das Scheitern der Ehe grundsätzlich keine entscheidende Rolle (RS0056921; RS0056939; RS0057338). Eine noch tiefere Zerrüttung durch behauptete spätere Verfehlungen kommt damit schon abstrakt nicht mehr in Frage (8 Ob 37/14w).

4. Die schlüssig begründete Annahme des Erstgerichts, die unheilbare Ehezerrüttung sei am 5. Dezember 2017 eingetreten, wird im Revisionsverfahren von keiner Seite bezweifelt und ist daher nicht mehr zu hinterfragen; der Kläger legt sie sogar seinen Ausführungen zugrunde. Eheverfehlungen der Parteien nach diesem Zeitpunkt konnten daher keine entscheidende Bedeutung für die Zerrüttung der Ehe mehr zukommen.

Schon deshalb kommt es auf den Inhalt der von der Beklagten danach versendeten Bewerbungsschreiben und auf ihr Verhalten im Scheidungsprozess bei der Verschuldensprüfung ebenso wenig an, wie auf das danach liegende Vorgehen des Klägers gegen die Beklagte in arbeits- und strafrechtlicher Hinsicht.

5. Entscheidende Bedeutung kommt vielmehr dem Verhalten beider Streitteile davor, und zwar beginnend ab Dezember 2015 zu, als es zur Wesensänderung der Beklagten gekommen sein soll (worauf auch der Kläger in der Revisionsbeantwortung abstellt). Die knappen Feststellungen des Erstgerichts dazu decken allerdings das eingangs dargestellte, auf das Wesentliche konzentrierte Vorbringen der Parteien nicht ausreichend ab, weshalb sie keine taugliche Grundlage für die Beurteilung der Verschuldensfrage darstellen.

5.1. Das liegt zum einen daran, dass der Sachverhalt nur sehr unpräzise festgestellt wurde. So ist dem Ersturteil zB nicht klar zu entnehmen, wie häufig es im privaten Bereich und im Unternehmen zu (lautstarken) Auseinandersetzungen zwischen den Streitteilen kam, und ob „Schimpfwörter bzw lautstarkes Streiten“ nicht ohnehin auch (wenn auch seltener) vom Kläger ausgingen (arg: „… ging meist von der Beklagten aus. ...“). Unklar bleibt auch, wann es zur Schenkung der Haushälfte kam (vgl Beilage ./25: Schenkungsvertrag vom 28. Mai 2014).

5.2. Zum anderen liegt die Ursache darin, dass das Vorbringen unbeachtet blieb.

Das betrifft zB die Behauptungen des Klägers zum stets nörgelnden, belehrenden und kritisierenden Verhalten der Beklagten (vgl RS0055998), zur Aufforderung zur Änderung samt Androhung der Scheidung und der Reaktion der Beklagten darauf; ebenso seine zuletzt erhobenen Vorwürfe.

Auch die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe Dritten gegenüber wahrheitswidrig behauptet, sie habe die Schlösser zur Ehewohnung ausgetauscht, blieb unerwähnt.

Ungeachtet vorliegender detaillierter Behauptungen zur Zerrüttungskausalität des jeweils vorgeworfenen Verhaltens der Streitteile enthält das Ersturteil auch keine konkreten Annahmen dazu; die bloß allgemeine Konstatierung, die jeweiligen Eheverfehlungen seinen vom anderen Teil als ehezerrüttend empfunden worden, vermag solche nicht zu ersetzen, weil sie keine Beurteilung der konkreten Auswirkungen auf den anderen Ehegatten ermöglichen und damit auch nicht, in welchem Umfang jede Verfehlung zur unheilbaren Zerrüttung beigetragen hat.

Da die Beklagte in ihrem Vorbringen sowohl das Verbringen der Sparbücher (vgl 8 Ob 176/98k = RS0110694) als auch den Inhalt ihrer SMS-Nachrichten und E-Mails an den Kläger (vgl 5 Ob 70/18p) als bloße Reaktion auf das ehewidrige Verhalten des Klägers darstellt, hätte es auch dazu entsprechender Feststellungen zu den Umständen, Ursachen und Beweggründen bedurft. Diese müssen auch das zeitliche Verhältnis zwischen ihrem Erkennen des fortgesetzten Ehebruchs des Klägers und ihren einzelnen schriftlichen Verunglimpfungen und Ankündigungen ihres Vorgehens gegen den Kläger erkennen lassen (vgl RS0057136; RS0057033 [T3]; RS0056726).

Das Ersturteil gibt auch keine Auskunft darüber, was konkret den Kläger zum Auszug veranlasste (vgl RS0056267 [T1, T2]) und ob ihn die Beklagte dazu aufforderte.

Für die Gewichtung des Ehebruchs des Klägers (vgl dazu 7 Ob 21/19k) bedarf es auch der Kenntnis der Dauer des Hintergehens der Beklagten.

5.3. Angesichts der Notwendigkeit der Aufhebung ist schließlich anzumerken, dass einzelne Feststellungen zueinander in einem gewissen Spannungsverhältnis stehen. Das betrifft insbesondere die Feststellung zur Wesensänderung der Beklagten gegenüber dem Kläger ab etwa Dezember 2015 in Zusammenschau mit der weiteren Feststellung, dass die Freunde und Verwandten des Paares ungeachtet zahlreicher Kontakte bis zum Sommer 2017 nichts von den Eheproblemen der beiden bemerkten.

6. Im fortzusetzenden Verfahren wird das Erstgericht daher wesentlich umfassendere, möglichst präzise und chronologisch geordnete Feststellungen über die angesprochene Phase der Ehe der Streitteile von etwa zwei Jahren im Rahmen des Vorbringens der Parteien zu treffen und damit die Tatsachengrundlage zu schaffen haben, die die Beurteilung der Ursachen der unheilbaren Zerrüttung der Ehe der Streitteile und des Verschuldens daran im Sinn der dargestellten Rechtslage ermöglicht.

7. Mangels gesicherter Tatsachengrundlage genügen folgende weitere rechtliche Überlegungen:

Das „streitbare und aufbrausende“ Verhalten der Beklagten als Mitarbeiterin eines Unternehmens des Klägers gegenüber anderen Mitarbeitern dieses Unternehmens stellt mangels ausreichenden Bezugs zur Ehe keine Eheverfehlung dar.

Die Negativfeststellung des Erstgerichts zu den von der Beklagten behaupteten Bedrohungen und zur Körperverletzung durch den Kläger bedeutet, dass ihm der Nachweis, dass die Anzeige nur aus feindlicher Einstellung oder Rachegefühl gemacht wurde (vgl RS0056898; RS0056902; RS0056912), nicht gelungen ist.

8. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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