OGH 8Ob43/15d

OGH8Ob43/15d30.7.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Prof. Dr.

 Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn, sowie die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei A***** S*****, vertreten durch den Sachwalter Mag. Leopold Zechner, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, gegen die beklagte und widerklagende Partei K***** S*****, vertreten durch Mag. Bernhard Stimitzer, Rechtsanwalt in Bad Goisern, wegen Ehescheidung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom 25. Februar 2015, GZ 2 R 23/15d‑22, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Liezen vom 28. Oktober 2014, GZ 18 C 241/14v‑14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0080OB00043.15D.0730.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang der Scheidung der Ehe der Streitteile und des Ausspruchs, dass daran die beklagte und widerklagende Partei ein Verschulden trifft, als unangefochten unberührt bleiben, werden im Übrigen aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung über das behauptete Verschulden der klagenden und widerbeklagten Partei bzw über die Gewichtung eines allfälligen beiderseitigen Fehlverhaltens der Ehegatten an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Die Streitteile haben am 24. 1. 1998 geheiratet, der Ehe entstammt eine am 5. 3. 1998 geborene Tochter.

Im Jahr 2007 erkrankte die Klägerin und Widerbeklagte (in der Folge: Klägerin), sie wurde manisch‑depressiv. Der Beklagte und Widerkläger (in der Folge: Beklagter) unterstützte die Klägerin bei der Bewältigung der Krankheit. Er blieb zu Hause und führte den Haushalt. Der Beklagte vernachlässigte seine selbständige Tätigkeit, aus der er allerdings wenig verdiente, weshalb die Streitteile von der Pension und der Ausgleichszulage der Klägerin leben mussten. Infolge der geringen Einkünfte der Streitteile und der Sorgepflicht für die Tochter wuchsen die durch einen Hauskauf entstandenen Kreditverbindlichkeiten von 155.000 EUR, sodass sich für die Streitteile finanzielle Probleme entwickelten.

Der Beklagte blieb bis 2012 bei der Klägerin, wobei sich deren Gesundheitszustand nach einer anfänglich schlechteren Phase besserte. Im Jahr 2012, als es der Klägerin wieder schlechter ging, sagte ihr der Beklagte, dass er wieder arbeiten werde.

Von G***** zog der Beklagte schließlich in eine Wohnung in L*****, wo er Arbeit fand. Er versuchte in weiterer Folge die Klägerin zu überreden, ebenfalls nach L***** zu ziehen. Diese wollte jedoch in B***** bleiben und war mit dem Auszug des Beklagten nicht einverstanden.

Die Klägerin lebt nunmehr, nach dem Auszug des Beklagten, mit einem anderen Mann zusammen.

Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Der Beklagte habe ihre schwere Krankheit zum Anlass genommen, sich von ihr zu entfernen und sei unbegründet aus der Ehewohnung ausgezogen. Darüber hinaus sei die Ehe an finanziellen Problemen gescheitert. Die Ehe sei infolge des Alleinverschuldens des Beklagten zumindest seit dem 30. 7. 2012 unheilbar zerrüttet.

Der Beklagte begehrte mit seiner Widerklage die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden der Klägerin. Es treffe zu, dass die Ehe unheilbar zerrüttet sei. Infolge der schweren Erkrankung der Klägerin habe der Beklagte seine berufliche Tätigkeit aufgegeben, um die Klägerin zu pflegen. Da sich in weiterer Folge zeigte, dass das geringe Familieneinkommen nicht genügte, um das gemeinsame Leben zu finanzieren, habe der Beklagte eine Arbeitsstelle gesucht, die er nur in L***** gefunden habe. Er sei daher gezwungen gewesen, auch wochentags auswärts zu nächtigen und sei keineswegs unbegründet aus der ehelichen Wohnung ausgezogen. Im Jahr 2012 habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin verschlechtert, sie sei monatelang stationär in einem Krankenhaus aufgenommen worden. Die Klägerin habe dem Beklagten mitgeteilt, dass sie das in ihrem Eigentum stehende Haus, in dem die Streitteile gemeinsam gewohnt hatten, verkaufen werde, sodass der Beklagte dorthin nicht mehr zurückkehren könne. Die Klägerin habe die Liegenschaft verkauft und sich einem anderen Mann zugewendet, den sie im Krankenhaus kennengelernt habe und mit dem sie in aufrechter Lebensgemeinschaft lebe.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden der Streitteile. Im Umfang des Ausspruchs über die Ehescheidung sowie darüber, dass den Beklagten daran ein Verschulden trifft, erwuchs seine Entscheidung unangefochten in Rechtskraft.

Über den oben bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus traf das Erstgericht folgende Feststellungen:

Als [der Beklagte] im August 2012 von der Klägerin mit dem Tod bedroht wurde, zog er mit der gemeinsamen Tochter aus. Die Morddrohungen, die die Klägerin gegenüber dem Beklagten aussprach, sind auf die psychische Erkrankung der Klägerin zurückzuführen .“

Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass der Beklagte ohne Zustimmung der Klägerin ausgezogen sei, als sich der Zustand der Klägerin im Jahr 2012 wiederum verschlechtert habe. Stelle man dem die psychische Erkrankung der Klägerin und die Morddrohungen gegenüber, die auch zum Auszug des Beklagten geführt hätten, könne nur von einem gleichteiligen Verschulden der Streitteile an der Zerrüttung der Ehe ausgegangen werden. Dass die Klägerin nach Zerrüttung der Ehe eine neue Lebensgemeinschaft eingegangen sei, sei hingegen für die Verschuldensabwägung nicht von Bedeutung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin, die das Urteil des Erstgerichts lediglich insofern bekämpfte, als die Scheidung nicht aus dem Alleinverschulden des Beklagten ausgesprochen wurde, nicht Folge. Das Berufungsgericht übernahm den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt mit Ausnahme der oben kursiv wiedergegebenen Feststellungen über von der Klägerin ausgesprochene Morddrohungen, wegen derer der Beklagte ausgezogen sei, weil der Beklagte keine dahingehenden Tatsachenbehauptungen aufgestellt habe. Der Klägerin könnten daher weder ihre psychische Erkrankung, noch angebliche Morddrohungen vorgeworfen werden. Im Ergebnis sei das Erstgericht jedoch zutreffend von einem gleichteiligen Verschulden der Streitteile ausgegangen: Die Klägerin habe sich nämlich anlässlich ihres Krankenhausaufenthalts einem anderen Mann zugewendet und sei mit diesem eine Lebensgemeinschaft eingegangen. Dieses Verhalten sei als Eheverfehlung zu werten, dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Beklagte versucht habe, sie dazu zu überreden, ebenfalls nach L***** zu übersiedeln.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, mit der sie den Ausspruch anstrebt, dass den Beklagten das Alleinverschulden an der Ehescheidung treffe.

Der Beklagte machte von der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Möglichkeit der Beantwortung der Revision keinen Gebrauch.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden kann, ob auch die Klägerin ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft und wie ‑ bejahendenfalls ‑ das Verschulden beider Ehegatten zu gewichten ist.

1.1  Vor allem fehlt es an Feststellungen, die es erlauben würden, den Zeitpunkt der unheilbaren Zerrüttung der Ehe der Streitteile zu ermitteln.

1.2  Ein schweres Fehlverhalten iSd § 49 EheG ist nämlich nur dann ein Scheidungsgrund, wenn es kausal war für die unheilbare Zerrüttung der Ehe, wobei es reicht, wenn die Eheverfehlung dazu nur beigetragen hat ( Koch in KBB 4 § 49 EheG Rz 3). Unheilbar ist eine Ehe zerrüttet, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (RIS‑Justiz RS0056832). Eheverfehlungen sind daher beachtlich, solange eine Ehe noch nicht unheilbar zerrüttet ist, weil auch eine schon zerrüttete Ehe weiter zerrüttet werden kann (RIS‑Justiz RS0056887 [T5]). Hingegen fehlt es am erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Eheverfehlung und der Zerrüttung im Allgemeinen dann, wenn die Ehe so tief zerrüttet ist, dass eine weitere Zerrüttung nicht mehr eintreten konnte (RIS‑Justiz RS0056939; RS0056921). Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung spielt auch ein Ehebruch, der erst nach Eintritt der unheilbaren Zerrüttung der Ehe begangen wurde, bei der Verschuldensabwägung und insbesondere bei der Frage der Zuweisung eines überwiegenden Verschuldens keine entscheidende Rolle (RIS‑Justiz RS0056900).

1.3 Die Beurteilung, ob das Eingehen der neuen Lebensgemeinschaft einen Verschuldensvorwurf an die Klägerin rechtfertigt, hängt daher vom Zeitpunkt ab, in dem die unheilbare Zerrüttung der Ehe eingetreten ist. Dieser lässt sich anhand der bisherigen Feststellungen jedoch nicht beurteilen. Das Erstgericht geht zwar in seiner rechtlichen Beurteilung erkennbar davon aus, dass die Ehe der Streitteile bereits unheilbar zerrüttet gewesen sei, als die Klägerin eine neue Lebensgemeinschaft einging, hat aber keine Feststellungen getroffen, die eine Überprüfung dieser Wertung erlauben würden. Hingegen unterstellt das Berufungsgericht offenbar, dass eine unheilbare Zerrüttung der Ehe zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetreten sei, wenn es der Klägerin das Eingehen einer neuen Lebensgemeinschaft nach dem Auszug des Beklagten als Eheverfehlung anlastet.

Im fortgesetzten Verfahren werden daher Feststellungen zu treffen sein, die die Beurteilung erlauben, wann die unheilbare Zerrüttung der Ehe der Streitteile eingetreten ist und ob die Klägerin vor oder nach diesem Zeitpunkt ihre neue Lebensgemeinschaft eingegangen ist.

1.4 Sollte sich im fortzusetzenden Verfahren ein Verschulden der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe herausstellen, kann auch die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die erstgerichtlichen Feststellungen über Morddrohungen der Klägerin gegen den Beklagten unbeachtlich seien, nicht geteilt werden. Es trifft zwar zu, dass der Beklagte die auf die psychische Erkrankung der Klägerin zurückzuführenden Morddrohungen nicht als Eheverfehlung der Klägerin geltend gemacht hat. Dieses Verhalten der Klägerin kann jedoch für die Beurteilung des nach den Feststellungen des Erstgerichts dieser Drohung folgenden Auszugs des Beklagten aus der Ehewohnung und damit für die Gewichtung eines allfälligen beiderseitigen Fehlverhaltens der Ehegatten durchaus eine Rolle spielen.

2. Im fortzusetzenden Verfahren wird das Erstgericht daher wesentlich umfassendere Feststellungen über die letzte Phase der Ehe der Streitteile zu treffen und damit die Tatsachengrundlage zu schaffen haben, die die Beurteilung der Ursachen der unheilbaren Zerrüttung der Ehe der Streitteile und des Zeitpunkts, in dem diese eintrat, ermöglicht. Das von der Klägerin dazu erstattete Vorbringen, wonach die unheilbare Zerrüttung der Ehe spätestens am 30. 7. 2012 eingetreten sei, wurde weder näher ausgeführt noch mit den Parteien erörtert. Insbesondere werden Feststellungen zu treffen sein, wann genau der Beklagte aus der ehelichen Wohnung wegzog (die Feststellung, dass dies im August 2012 erfolgte, hat das Berufungsgericht nicht übernommen), wann er versuchte, die Klägerin dazu zu überreden, noch zu ihm zu ziehen, und zu welchem Zeitpunkt (nach dem Auszug des Beklagten) die Klägerin eine neue Lebensgemeinschaft einging.

Der Revision war daher im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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