OGH 1Ob20/12s

OGH1Ob20/12s26.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** G*****, geboren am *****, vertreten durch Mag. Patricia Tassotti, Rechtsanwältin in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei H***** K***** G*****, geboren am *****, vertreten durch Dr. Hans‑Dieter Sereinig, Rechtsanwalt in Ferlach, wegen Ehescheidung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 11. August 2011, GZ 4 R 269/11t‑47, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Ferlach vom 20. April 2011, GZ 1 C 812/08z‑41, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Die Streitteile schlossen am 23. 3. 1996 die Ehe. Am 24. 7. 2006 brachte die Klägerin eine Ehescheidungsklage ein, die sie am 8. 8. 2006 ohne Verzicht auf den Anspruch zurückzog. Der letzte gewöhnliche Aufenthalt der Streitteile war im Sprengel des Erstgerichts.

Am 2. 11. 2008 zog die Klägerin aus der gemeinsamen Wohnung aus und nahm in Salzburg abgesondert Wohnung. Die letzten 14 Tage vor ihrem Auszug hatte sich das Verhalten der Klägerin verändert; sie war nicht mehr ansprechbar und kochte auch nicht mehr. Die Klägerin hatte bereits bei ihrem Auszug nicht mehr vor, zum Beklagten zurückzukehren. Dem Beklagten teilte sie zwei bis drei Wochen nach ihrem Auszug mit, dass sie nicht mehr zurückkehren und die Scheidung einreichen werde.

Mit Beschluss (richtig) vom 21. 1. 2009, 1 C 813/08x‑6, stellte das Erstgericht über Antrag der Klägerin fest, dass ihre gesonderte Wohnungnahme rechtmäßig „war und ist“. In der Begründung wurde festgehalten, dass sich der Beklagte nicht gegen die gesonderte Wohnungnahme ausgesprochen hatte.

Seit ihrem Auszug, zahlt der Beklagte der Klägerin keinen Unterhalt.

Die Klägerin begehrt die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten. Dieser habe ihr durch sein regelmäßiges, über Jahre andauerndes, Anschreien, Beschimpfen und/oder tagelanges Schweigen schweres seelisches Leid zugefügt, sie ständig unter Druck gesetzt und an sie übertriebene finanzielle Forderungen gestellt. Wegen des Verhaltens des Beklagten habe sie sich in ärztliche Behandlung begeben müssen. Der Umstand, dass er seit ihrem Auszug keinen Unterhalt leiste, begründe eine schwere Eheverfehlung.

Der Beklagte bestritt die Zerrüttung der Ehe und wendete ein, die Klägerin habe ihn grundlos verlassen, wodurch sie ihren Unterhaltsanspruch verwirkt habe. Diese treffe jedenfalls ein Mitverschulden an der Zerrüttung der Ehe. Die Entscheidung über die gesonderte Wohnungnahme im Verfahren 1 C 813/08x des Bezirksgerichts Ferlach stehe der Geltendmachung dieses Umstands als schwere Eheverfehlung nicht entgegen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Eine auf § 49 EheG gestützte Scheidungsklage setze das Vorliegen einer oder mehrerer schwerer Eheverfehlungen, sowie eine tiefe und unheilbare Zerrüttung der Ehe voraus. Die Klägerin habe die von ihr behaupteten Eheverfehlungen des Beklagten nicht beweisen können.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und schied die Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten. Die Rechtmäßigkeit der gesonderten Wohnungnahme der Klägerin stehe für das Scheidungsverfahren bindend fest, weswegen die Klägerin ihren Unterhaltsanspruch nicht verwirkt habe. Damit stehe auch eine schwere Eheverfehlung des Beklagten, nämlich die Verletzung seiner Unterhaltspflicht fest. Dieser Eheverfehlung komme auch Zerrüttungswirkung zu, weil die Klägerin dem Beklagten ihren Entschluss, nicht mehr zurückzukehren, erst zwei bis drei Wochen nach dem Auszug mitgeteilt habe. Demgegenüber sei der einzige vom Beklagten der Klägerin im Rahmen des Mitschuldantrags als Eheverfehlung vorgeworfene Scheidungsgrund, ihn grundlos und heimlich verlassen zu haben, nicht berechtigt.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen; in eventu das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und diesem die neuerliche Entscheidung aufzutragen.

Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil dem Berufungsgericht eine auch im Einzelfall zu korrigierende Fehlbeurteilung unterlaufen ist; sie ist im Sinne des Eventualbegehrens auch berechtigt.

1. Voranzustellen ist, dass das Berufungsgericht im ersten Satz seines Spruchs zunächst zwar festhält, dass der Berufung der Klägerin nicht Folge gegeben werde, der weitere Teil des Spruchs in Übereinstimmung mit den Entscheidungsgründen aber keinen Zweifel darüber aufkommen lässt, dass das Ersturteil in Stattgebung der Berufung der Klägerin abgeändert werden sollte. Da sich der Entscheidungswille des Berufungsgerichts bereits eindeutig aus der Entscheidung selbst ergibt, das Berufungsurteil aus den nachfolgenden Gründen aufzuheben und die Rechtssache in die zweite Instanz zurückzuverweisen ist, erübrigt sich die sonst erforderliche (vgl dazu RIS‑Justiz RS0041833) Zurückstellung der Akten an das Berufungsgericht zur Berichtigung seines Spruchs.

2. Ungeachtet der grundsätzlichen Berechtigung der Revision des Beklagten ist kurz festzuhalten, dass sein Einwand der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht auf tragfähigen Argumenten beruht (§ 510 Abs 3 ZPO).

3.1 Die Klägerin begehrt die Scheidung aus dem Alleinverschulden des Beklagten und machte dazu unter anderem eine Verletzung der Unterhaltspflicht als schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG geltend. Der Beklagte bestritt eine tiefgreifende Zerrüttung der Ehe und wendete (hilfsweise) ein Mitverschulden der Klägerin ein, das er ausschließlich aus ihrem Auszug aus der Ehewohnung ableitete.

3.2 Nach § 49 EheG kann die Ehe wegen eines schweren schuldhaften Fehlverhaltens des anderen Ehepartners geschieden werden, wenn diese Eheverfehlung zu einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe geführt hat. Eine unheilbare Ehezerrüttung ist dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (RIS‑Justiz RS0056832 [T1]). Dafür müssen die gesetzten Verfehlungen objektiv schwer sein und subjektiv als ehezerstörend empfunden werden (zu allem Aichhorn in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe‑ und Partnerschaftsrecht, § 49 EheG Rz 3 mwN). Während die Frage, ob und seit wann eine Ehe objektiv zerrüttet ist, eine auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen nach objektivem Maßstab zu beurteilende Rechtsfrage ist (RIS‑Justiz RS0043423 [T10]), zählt die Frage, ob ein Ehegatte die Ehe subjektiv als unheilbar zerrüttet ansieht, zum Tatsachenbereich (RIS‑Justiz RS0043432 [T4]; Koch, in KBB³ § 49 EheG Rz 4). Die Ehe ist daher unheilbar zerrüttet, wenn die Gemeinschaft der Ehepartner objektiv beendet und dieser Umstand einem von ihnen subjektiv bewusst ist. Es genügt, dass der klagende Partner die eheliche Gesinnung verloren hat (Aichhorn aaO Rz 7 mwN).

4. Ehegatten sind einander zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders zum gemeinsamen Wohnen verpflichtet (§ 90 Abs 1 ABGB). Eine gesonderte Wohnungnahme kann aber nicht nur vereinbart werden (siehe dazu Beck in Gitschthaler/Höllwerth aaO § 92 ABGB Rz 6 mwN), sondern aus wichtigen persönlichen Gründen unter den Voraussetzungen des § 92 Abs 2 ABGB sogar gegen den Willen des andern Teils gerechtfertigt sein. Im Verfahren 1 C 813/08x des Erstgerichts wurde nun mit Beschluss vom 21. 1. 2008 festgestellt, dass die gesonderte Wohnungnahme der Klägerin ‑ rechtskräftig infolge der in diesem Verfahren ergangenen Entscheidung 7 Ob 132/09a des Obersten Gerichtshofs ‑ aus persönlichen Gründen der Klägerin rechtmäßig erfolgte. Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, hat diese zwischen den Parteien ergangene Entscheidung für das Ehescheidungsverfahren bindende Wirkung (RIS‑Justiz RS0009505 [T2]; RS0009496 [T1]; Schwimann/Ferrari in Schwimann/Kodek, ABGB4 I § 92 Rz 13; Beck aaO Rz 27). Die Bindungswirkung bewirkt, dass der Klägerin ihr Auszug nicht als Eheverfehlung angelastet werden kann (vgl 1 Ob 219/08z).

5. Ist der unterhaltsberechtigte Gatte gerechtfertigt aus der Ehewohnung ausgezogen, vermindern selbst die Aufwendungen des Unterhaltspflichtigen für die Ehewohnung den Unterhaltsanspruch nicht (Schwimann/Ferrari aaO § 94 Rz 65; Beck aaO § 92 ABGB Rz 23; 8 Ob 24/09a, je mwN). Die Unterhaltspflicht bleibt in einem solchen Fall daher ungeschmälert bestehen. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers steht dennoch die gesonderte Wohnungnahme der Klägerin seiner Unterhaltspflicht nicht entgegen.

6. Grundsätzlich begründet eine gravierende und länger dauernde Verletzung der Unterhaltspflicht gegenüber dem Ehepartner eine schwere Eheverfehlung im Sinn des § 49 EheG (Aichhorn aaO Rz 21; Weitzenböck in Schwimann/Kodek, ABGB4 I § 49 EheG Rz 20; Stabentheiner in Rummel, ABGB³ § 49 EheG Rz 12 je mwN). Bis zur Auflösung der Ehe besteht der Unterhaltsanspruch nach § 94 ABGB. Unter Lebenden ist die Rechtskraft der Entscheidung über die Auflösung der Ehe entscheidend (Hinteregger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³, § 94 Rz 6; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth aaO § 94 ABGB Rz 18 f, je mwN). Die Klägerin verfügt nach den Feststellungen über eine eigene Pension. Jene des Beklagten ist nach dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt mehr als doppelt so hoch wie die der Beklagten. Über den Unterhaltsanspruch der Klägerin ist zwischen den Streitteilen ein Unterhaltsverfahren anhängig. Hier ist nun wesentlich, dass die dem Beklagten vom Berufungsgericht angelastete Verletzung der Unterhaltspflicht gegenüber der Klägerin erst nach deren Auszug wirksam geworden ist.

7.1 Die Eheverfehlung muss, um ein Scheidungsbegehren zu rechtfertigen, Zerrüttungswirkung auf die Ehe haben (Stabentheiner in Rummel, ABGB³ § 49 EheG Rz 17 mwN). Eheverfehlungen nach Zerrüttung der Ehe können nur dann noch von Bedeutung sein, wenn die Ehe zwar tiefgreifend, aber noch nicht unheilbar zerrüttet ist und der verletzte Ehegatte bei verständiger Würdigung die weitere Eheverfehlung noch als zerrüttend empfinden durfte (2 Ob 230/10b = iFamZ 2011, 216 mwN; RIS‑Justiz RS0056887 [T3, T5], RS0057338 [T7]). Eheverfehlungen nach dem völligen Erlöschen der ehelichen Gesinnung sind nicht mehr zu berücksichtigen, wenn eine Vertiefung der Zerrüttung unmöglich ist (3 Ob 146/03x; 3 Ob 27/11h; vgl auch 2 Ob 230/10b). Jedenfalls kann dem an der unheilbaren Zerrüttung der Ehe schuldlosen Teil aus einem nachfolgenden, an sich ehewidrigen Verhalten kein oder nur ein so geringer Vorwurf gemacht werden, dass eine Scheidung der Ehe aus seinem Verschulden oder ein Mitverschuldensausspruch nicht gerechtfertigt ist (8 Ob 2119/96t = SZ 70/19 mwN). Diese Grundsätze haben auch hier Geltung.

7.2 Unstrittig ist, dass der Beklagte der Klägerin seit deren Auszug am 2. 11. 2008 keinen Unterhalt leistet. Das Berufungsgericht hat diesem Umstand die Wirkung einer das Alleinverschulden des Beklagten begründenden Eheverfehlung beigemessen und geht damit erkennbar davon aus, dass zum Zeitpunkt des Auszugs der Klägerin noch keine, jedenfalls aber keine unheilbare Zerrüttung der Ehe vorlag und diese erst durch die dem Beklagten angelastete Verfehlung bewirkt worden wäre. Eindeutige Feststellungen der Tatsacheninstanzen, die eine abschließende Beurteilung dieser Frage zuließen, fehlen jedoch. Das Berufungsgericht lässt in seiner Beurteilung nämlich unberücksichtigt, dass die Klägerin nach den Feststellungen des Erstgerichts bereits anlässlich ihres Auszugs aus der gemeinsamen Wohnung einer Freundin gegenüber angab, sie werde nicht mehr (nach Kärnten) zurückkehren. Eine solche Willensbekundung legt nahe, dass aus ihrer subjektiven Sicht die eheliche Gemeinschaft bereits zu diesem Zeitpunkt weggefallen und damit eine unheilbare Zerrüttung der Ehe für die Klägerin schon gegeben war. Ihre gesonderte Wohnungnahme war nach den Ergebnissen des Vorverfahrens aus persönlichen Gründen der Klägerin gerechtfertigt und war gerade nicht durch ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten veranlasst. Davor liegende Eheverfehlungen seinerseits konnten nach dem allerdings von der Klägerin mit ihrer in diesem Punkt unerledigt gebliebenen Berufung bekämpften Sachverhalt nicht festgestellt werden. Bei Zutreffen der Annahme, dass die eheliche Gemeinschaft beim Auszug der Klägerin aus deren subjektiver Sicht bereits unheilbar zerrüttet war, könnte der nachfolgenden Unterhaltsverletzung entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts allein wegen des Umstands, dass die Klägerin ihren Entschluss, nicht mehr zurückzukehren und die Scheidung einzureichen, dem Beklagten erst zwei bis drei Wochen später mitteilte, keinesfalls mehr eine sein Alleinverschulden begründende Zerrüttungswirkung beigemessen werden.

8. Die Sache erweist sich damit als noch nicht entscheidungsreif. Sollte sich im weiteren Verfahren zeigen, dass die Unterhaltsverletzung des Beklagten für eine Zerrüttung der Ehe nicht kausal war, wäre der allein darauf gestützte Ausspruch der Scheidung aus dessen Alleinverschulden verfehlt, was nach bisheriger Sachlage zur Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils führen müsste. In diesem Fall hätte sich das Berufungsgericht auch mit der Tatsachenrüge der Berufung der Klägerin auseinanderzusetzen.

9. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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