OGH 8Ob2119/96t

OGH8Ob2119/96t30.1.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer, Dr.Rohrer, Dr.Adamovic und Dr.Spenling als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Alfred R*****, vertreten durch Dkfm.DDr.Gerhard Grone, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte und widerklagende Partei Christine R*****, vertreten durch Dr.Helene Klaar, Rechtsanwältin in Wien, wegen Ehescheidung infolge außerordentlicher Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 26. März 1996, GZ 44 R 200/96d-53, mit dem infolge Berufung der klagenden und widerbeklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Mödling vom 30.November 1995, GZ 1 C 93/94x-45, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision der beklagten und widerbeklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die klagende und widerbeklagte Partei ist schuldig, der beklagten und widerklagenden Partei die mit S 7.306,20 (einschließlich S 1.267,20 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen 1973 die Ehe, der zwei Kinder, nämlich ein 1977 geborener Sohn und eine 1980 geborene Tochter entstammen. Seit 1989/90 verschlechterte sich das Verhältnis der Streitteile ständig, insbesondere seit der Kläger sich mit der Klavierlehrerin seiner Kinder anfreundete, schließlich zu ihr im Herbst 1991 ehebrecherische Beziehungen aufnahm und die Beklagte dies erfuhr. Der Kläger kam in dieser Zeit nächtelang nicht nach Hause und fuhr mit seiner Freundin auch auf Urlaub. Im Frühjahr 1993 versprach er der Beklagten zwar, sein Verhältnis zu beenden, hielt sein Versprechen aber nicht. Das Verhältnis wurde zwar in der zweiten Jahreshälfte 1993 beendet, allerdings ging die Trennung von seiner Freundin aus, nachdem diese erfahren hatte, daß die Streitteile noch ehelichen Verkehr hatten.

Der Kläger verhielt sich seit Jahren der Beklagten und seinen beiden halbwüchsigen Kinder gegenüber unduldsam und aufbrausend, beschimpfte sie und begann aus den nichtigsten Anlässen Streit; die Kinder lehnen ihn deshalb ab. Dieses Verhalten setzte er auch nach der Trennung von seiner Freundin fort. Auch in der ersten Jahreshälfte 1994 kam er weiterhin spät nachts nach Hause und begann aus den nichtigsten Anlässen zu schimpfen und streiten; im Frühjahr 1994 kam es auch zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Kläger und der Beklagten. Seit Juli 1994 gibt der Kläger der Beklagten kein Wirtschaftsgeld mehr und beteiligt sich nicht mehr an den sehr hohen Rückzahlungsraten für das gemeinsame Haus. Zu dieser Zeit zog die Beklagte auch aus dem ehelichen Schlafzimmer aus.

Mitte August 1994 brachte der Kläger die Scheidungsklage ein, mit der er die Scheidung aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten begehrte. Ende September 1994 erhob die Beklagte eine Widerklage, in der sie ihrerseits die Scheidung aus dem Verschulden des Klägers begehrt.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Klägers und vertrat in rechtlicher Hinsicht die Ansicht, der Beklagten könnten Eheverfehlungen nicht angelastet werden. Der Kläger habe durch seine ehebrecherische Beziehung und sein fortgesetztes streitsüchtiges und aggressives Verhalten die Zerrüttung der Ehe allein verschuldet. Seit Frühjahr 1994 sei die Ehe der Streitteile unheilbar zerrüttet, weshalb die erst danach gesetzten Eheverfehlungen mangels Kausalität für das Scheitern der Ehe nicht mehr zu berücksichtigen seien; dies gelte insbesondere für die vom Kläger behaupteten Eheverfehlungen, daß die Beklagte ab Juli 1994 Haushaltsleistungen eingestellt habe. Da der Beklagte auch im ersten Halbjahr 1994 durch sein fortgesetztes streitsüchtiges und aggressives Verhalten Eheverfehlungen gesetzt habe, sei die Frist für die Einbringung der Scheidungsklage jedenfalls gewahrt; die bereits beendete ehebrecherische Beziehung des Klägers sei als auslösendes Moment der Ehezerrüttung gemäß § 59 Abs 2 EheG mitzuberücksichtigen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und ließ die Revision an den Obersten Gerichtshof nicht zu. In rechtlicher Hinsicht meinte es, es sei richtig, daß grundsätzlich nur die für die Zerrüttung der Ehe ursächlichen Eheverfehlungen zu berücksichtigen seien, weshalb weitere Eheverfehlungen nach dem Zeitpunkt der unheilbaren Ehezerrüttung mangels Kausalität für das Scheitern der Ehe für den Verschuldensausspruch unbeachtlich seien. Dies gelte aber lediglich für die Verschuldensabwägung und nicht auch für die Wahrung der Klagefrist gemäß § 57 Abs 1 EheG, wonach das Recht auf Scheidung wegen Verschuldens erlösche, wenn ein Ehegatte nicht binnen sechs Monaten ab Kenntnis eines Scheidungsgrundes die Klage erhebe. Deshalb könne dahinstehen, ob die unheilbare Zerrüttung der Ehe bereits mehr als sechs Monate vor Erhebung der Scheidungsklage eingetreten sei.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen Nichtigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es aufzuheben und das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an das Erst- oder Berufungsgericht zurückzuverweisen; hilfsweise beantragt er, die Klage und Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zwar zulässig, aber nicht berechtigt.

Die behauptete Nichtigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor; der Kläger versucht unter diesem Berufungsgrund lediglich unzulässigerweise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen zu bekämpfen.

Zur Zulässigkeit der Revision bringt der Kläger vor, es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob nach Eintritt der unheilbaren Zerrüttung der Ehe noch ein Scheidungsgrund gesetzt werden könne. Dies sei zu verneinen; eine Scheidungsklage sei verfristet, wenn sie mehr als sechs Monate nach dem Eintritt der unheilbaren Zerrüttung der Ehe eingebracht werde; nach diesem Zeitpunkt gesetzte Eheverfehlungen könnten keinen Scheidungsgrund mehr bilden, weil sie keine Zerrüttungswirkung mehr haben könnten. Die unzutreffende Ansicht des Berufungsgerichtes liefe darauf hinaus, daß die Wendung "mit der Kenntnis des Scheidungsgrundes" in § 57 Abs 1 EheG als "mit der Kenntnis der Eheverfehlung" zu lesen sei. Wegen Verfristung wäre sowohl seine Ehescheidungsklage als auch die Widerklage der Beklagten abzuweisen.

Wenn auch die Entscheidung des Berufungsgerichtes aus dem unten zu 1. angeführten Grund jedenfalls zu bestätigen ist, war die außerordentliche Revision des Klägers anzunehmen, um klarzustellen, daß die von ihm vertretene Rechtsansicht, daß derjenige, der die Zerrüttung der Ehe allein verschuldet hat, sich auf die Verfristung des Scheidungsrechts des anderen Teils berufen kann, verfehlt ist; dies hat der Oberste Gerichtshof bisher nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit ausgesprochen.

1. Vorweg ist - insoweit die Begründung des Erstgerichtes korrigierend - festzuhalten, daß das Scheidungsbegehren der Beklagten schon deshalb gerechtfertigt ist, weil die Ehe der Streitteile zum Zeitpunkt der Einbringung der Widerklage noch nicht sechs Monate unheilbar zerrüttet war und der Kläger in den sechs Monaten vor Klagseinbringung bis zum Eintritt der unheilbaren Zerrüttung noch weitere schwere Eheverfehlungen gesetzt hat.

Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung (EF 69.223, 60.191, 54.394, 43.637 uva) kann in Fällen tiefgreifender, aber noch nicht unheilbarer Zerrüttung der Ehe derjenige, der die Zerrüttung noch nicht als unheilbar empfindet, weshalb er die Eheverfehlungen des anderen Teiles noch als (weiter) ehezerstörend ansieht, eine auf Verschulden des anderen Teiles gestützte Scheidungsklage erheben. Die Frage, ob und wann eine Ehe als objektiv unheilbar zerrüttet anzusehen ist, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung (EvBl 1975/91 uva); hingegen ist es eine irreversible Tatsachenfeststellung, ob ein Ehegatte die Ehe subjektiv als unheilbar zerrüttet ansieht (7 Ob 713/88; 8 Ob 597/92 ua).

Feststellungen, zu welchem Zeitpunkt einer der Ehegatten die Ehe subjektiv als unheilbar zerrüttet ansah, wurden nicht getroffen. Das Erstgericht ging lediglich in der rechtlichen Beurteilung davon aus, daß die Ehe der Streitteile seit Frühjahr 1994 objektiv als unheilbar zerrüttet anzusehen sei; das Berufungsgericht meinte diese Frage wegen seiner rechtlichen Beurteilung offen lassen zu können.

Der Oberste Gerichtshof kann die Rechtsansicht des Erstgerichts über den Zeitpunkt des Eintritts der unheilbaren Zerrüttung der Ehe nicht teilen. Die Ehe der Streitteile waren zwar im Frühjahr 1994 durch das vorhergehende Verhalten des Klägers (jahrelange ehebrecherische Beziehungen und sein unleidliches Verhalten) bereits tiefgreifend gestört, aber noch nicht unheilbar zerrüttet; zu diesem Zeitpunkt wurden keine besonderen Vorkommnisse festgestellt, die den Schluß auf die gerade zu diesem Zeitpunkt eingetretene endgültige und unheilbare Zerrüttung rechtfertigten. Die Ereignisse eskalierten vielmehr erst im Sommer 1994: Ab Juli 1994 gab der Kläger der Beklagten kein Wirtschaftsgeld mehr und beteiligte sich nicht mehr an der Abzahlung der Raten für das gemeinsame Haus. Zu diesem Zeitpunkt zog die Beklagte auch aus dem ehelichen Schlafzimmer aus. Anfang August 1994 brachte der Kläger die Scheidungsklage ein, worauf die Klägerin offensichtlich auch ihrerseits endgültig den Ehewillen verlor und im September 1994 eine Widerklage erhob. Die Erhebung einer Scheidungsklage läßt in aller Regel den Schluß zu, daß der Kläger zu diesem Zeitpunkt subjektiv die Ehe als unheilbar zerrüttet ansieht (4 Ob 1621/95). Diese aufgezeigten Tatsachen führen zur rechtlichen Schlußfolgerung, daß die unheilbare Zerrüttung der Ehe erst im Sommer 1994 eintrat. Objektive Anhaltspunkte dafür, daß einer der Streitteile bereits früher endgültig seinen Ehewillen verloren hatte, liegen nicht vor. Der Kläger versuchte stets sein Verhältnis zu seiner Freundin zu verharmlosen und machte keinerlei Anstalten, sich von seiner Gattin zu trennen. Er kam bis zum Sommer 1994 auch seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber seiner Familie nach. Auch die Beklagte nahm das jahrelange Verhältnis ihres Gatten und sein liebloses Verhalten hin, ohne es zum Anlaß konkreter Schritte zu machen; sie brachte keine Scheidungsklage ein und zog nicht einmal aus dem ehelichen Schlafzimmer aus.

Die im September 1994 erhobene Widerklage der Klägerin ist daher jedenfalls nicht gemäß § 57 Abs 1 EheG verfristet, weil der Kläger in den letzten sechs Monaten vor Erhebung der Ehescheidungswiderklage zu einem Zeitpunkt, in dem die Ehe noch nicht unheilbar zerrüttet war, weitere schwere Eheverfehlungen gesetzt hat. Dies hat gemäß § 59 Abs 2 EheG zur Folge, daß auch verfristete Eheverfehlungen, insbesondere sein langjähriges Verhältnis zu seiner Freundin, zur Unterstützung der Klage herangezogen werden können (EvBl 1962/93; 6 Ob 506/84 ua zuletzt 8 Ob 1587/92). Da der Kläger in der Revision nicht mehr bekämpft, daß die festgestellten Tatsachen den Ausspruch seines Alleinverschuldens rechtfertigen, ist das Berufungsurteil schon aus diesem Grund zu bestätigten.

2. Klarzustellen ist aber auch, daß die vom Kläger vertretene Rechtsansicht, nach Eintritt der von ihm allein verschuldeten unheilbaren Zerrüttung der Ehe begangenen weiteren schweren Eheverfehlungen seinerseits könnten die Scheidung der Beklagten gemäß § 49 EheG nicht mehr rechtfertigen, verfehlt ist. Zwar scheint die E. vom 25.5.1994, 3 Ob 507/94, EF 75.532 und 75.557, die Ansicht des Klägers auf den ersten Blick zu decken, weil dort - allerdings ausgehend von einem völlig anderen Sachverhalt (beide Teile hatten bereits seit Jahren jeden Ehewillen verloren, rafften sich aber nicht zur Scheidung auf, sondern lebten lieb- und interesselos nebeneinander her) - unter Zitierung von Vorentscheidungen undifferenziert ausgeführt wird, daß Eheverfehlungen, die erst nach der unheilbaren Zerrüttung der Ehe begangen wurden, die Scheidung gemäß § 49 EheG nicht rechtfertigen könnten, weil die Eheverfehlungen für die Zerrüttung der Ehe kausal gewesen sein müßten. In diesen Vorentscheidungen ging es aber um die Frage, ob die nach eingetretener Zerrüttung gesetzten Eheverfehlungen bei der Verschuldensabwägung noch mitzuberücksichtigen seien. Dieser Judikatur lagen stets Sachverhalte zugrunde, in denen der an der Zerrüttung schuldlose Teil nach eingetretener Zerrüttung seinerseits ein an sich ehewidriges Verhalten gesetzt hat, welches nicht mehr als bloße Reaktionshandlung beurteilt werden konnte, zB die verlassene Frau nahm sich nach Jahren einen Freund. In diesen Fällen bekennt sich der Oberste Gerichtshof nunmehr seit vielen Jahren zu Recht dazu, daß dem an der unheilbaren Zerrüttung der Ehe schuldlosen Teil aus einem nachfolgenden, an sich ehewidrigen Verhalten kein oder jedenfalls nur ein so geringer Vorwurf zu machen ist, so daß dies weder die Scheidung der Ehe aus seinem Verschulden noch einen Mitverschuldensausspruch rechtfertigt (EF 54.464 f uva, zB 8 Ob 657/90; 8 Ob 539, 540/90). Jedoch fallen Eheverfehlungen eines Ehepartners nur dann nicht ins Gewicht, wenn die Ehe durch die vorangegangenen Eheverfehlungen des anderen Teiles unheilbar zerrüttet worden ist (7 Ob 507/89).

Die unheilbare Zerrüttung der Ehe gibt aber dem an der Zerrüttung schuldigen Teil keinen Freibrief, danach folgenlos weitere, womöglich noch schwerere Eheverfehlungen setzen zu können, die sich der schuldlose Teil solange gefallen lassen müßte, bis er nach 3-jähriger Trennung eine Scheidung nach § 55 EheG iVm einem Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG begehren könnte. Eine Berufung auf die Verwirkung des Scheidungsrechts nach § 49 EheG wegen unheilbarer Zerrüttung der Ehe, die man selbst allein verschuldet hat, muß als unzulässig abgelehnt werden. Der schuldlose Teil, der seinerseits noch nicht gänzlich die Hoffnung auf eine Wiederherstellung der Ehe verloren hat und an dieser noch festhalten möchte, darf nicht gezwungen werden, "vorschnell" - nur weil man objektiv betrachtet die Ehe vielleicht als bereits unheilbar zerrüttet beurteilen könnte - die Scheidungsklage einzubringen, um sich das Recht auf eine Scheidung aus Verschulden zu wahren; es wäre unbillig, den schuldlosen Teil, der den "rechtzeitigen Zeitpunkt" zur Scheidung verpaßt hat, in der Ehe trotz fortgesetzter schwerer Eheverfehlungen des anderen Teiles festzuhalten, bis er eine Scheidung nach § 55 EheG begehren kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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