OGH 1Ob219/08z

OGH1Ob219/08z28.1.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragstellerin Michaela B*****, vertreten durch Mag. Dr. Helga Wagner, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Antragsgegner Peter B*****, vertreten durch Mag. Dr. Martin Deuretsbacher, Rechtsanwalt in Wien, wegen gesonderter Wohnungnahme, infolge Revisionsrekurses der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 31. Juli 2008, GZ 44 R 358/08k-13, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 9. Juni 2008, GZ 80 C 45/07w-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird dahin Folge gegeben, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Antragsgegner ist schuldig, der Antragstellerin die mit 817,34 EUR (darin 136,22 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Streitteile, aus deren Beziehung eine im Jahr 1989 geborene Tochter stammt, haben im Jahr 1992 geheiratet. Nachdem der Ehemann in den Jahren 1995 bis 2005 in Tschechien gearbeitet hatte, zog er Anfang 2006 in die Ehewohnung ein. Die ursprünglich hohen Erwartungen der Eheleute an das gemeinsame Zusammenleben erfüllten sich nicht, weil sie mit der neuen Situation nicht wie erhofft zurecht kamen. Die Ehefrau war plötzlich mit der Tatsache konfrontiert, dass sie, die immer berufstätig war, nun auf einmal nur Hausfrau sein und sich nach den Wünschen ihres Mannes richten sollte, was dieser auch häufig und mit Nachdruck von ihr verlangte. Der Ehemann wiederum fühlte sich als Fremdkörper im Familienverband, in welchem alles über lange Zeit bereits eingespielt war. Von Anfang an gab es kein gemeinsames Schlafzimmer und auch keinen Geschlechtsverkehr zwischen den Ehegatten. Der Ehemann bestand darauf, dass seine Frau den Haushalt führe, etwa auch die Wäsche bügle, und beschwerte sich des Öfteren auch lautstark, wenn etwas im Haushalt nicht zu seiner Zufriedenheit erledigt war. Es kam auch zu Differenzen, wer in die Wohnung eingeladen werden dürfe. Der Ehemann sprach sich manchmal dagegen aus, dass die gemeinsame Tochter Freunde in der Wohnung empfängt, weil er sich dadurch in seiner Intimsphäre gestört fühlte. Es kam immer häufiger zu Streitereien. Als die Ehefrau einmal an einer Migräneattacke litt, warf ihr der Ehemann vor, die Wäsche nicht aufgehängt zu haben, ohne auf ihren Zustand Rücksicht zu nehmen. Durch die Streitereien und Spannungen verstärkten sich die Migräneanfälle, an welchen die Ehefrau schon lange Zeit litt. Sie musste auch eine Schmerztherapie in Anspruch nehmen. Ihre Neurologin und Psychologin riet ihr, aufgrund der massiven familiären Probleme und einer zunehmend depressiven Verstimmung eine getrennte Wohnung zu nehmen. Sie zog daraufhin aus der Ehewohnung aus und übersiedelte gegen den Willen des Ehemanns in eine andere Wohnung.

Die Antragstellerin beantragte nun, die getrennte Wohnungnahme „zu bewilligen", weil der Antragsgegner seine Zustimmung nicht erteile und ihr Verhalten sonst allenfalls als böswilliges Verlassen ausgelegt werden könnte. Die derzeitige Wohnsituation mit dem Antragsgegner sei unerträglich und vor allem aus ärztlicher Sicht sei eine zumindest vorübergehende Trennung für ihren Gesundheitszustand indiziert. Wenn der Antragsgegner in die Wohnung komme, seien alle ängstlich und beklemmt. Wenn etwas nicht so sei, wie er wolle, brülle er einfach los und beschimpfe die Antragsgegnerin. Sie habe zunehmend Migräneattacken bekommen, die vom Antragsgegner ignoriert würden. Wenn es ihm schlecht gehe, brülle er sie an. Er terrorisiere die ganze Familie. Die Antragstellerin befinde sich in ständiger ärztlicher Behandlung. Ihre Ärztin empfehle dringend, wegen der depressiven Verstimmung zumindest eine häusliche Trennung auf Zeit vorzunehmen.

Der Antragsgegner sprach sich gegen eine getrennte Wohnungnahme aus. Die Antragstellerin habe sich ihm gegenüber zunehmend lieb- und interesselos verhalten. Sie habe sich von ihm völlig distanziert und wolle, gleichsam neben ihm, ein eigenes Leben führen. Wenn ihr dies nicht gelinge, reagiere sie darauf äußerst empfindlich. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe seien unwahr. Er habe keine Gründe gesetzt, die die Antragstellerin zum Auszug aus der Ehewohnung berechtigen würden.

Das Erstgericht erklärte die vorübergehende getrennte Wohnungnahme der Antragstellerin für rechtmäßig. Es stehe fest, dass die Ehefrau durch das Zusammenleben seit dem Jahr 2006 und die daraus entstandenen ehelichen Konflikte an verstärkten Migräneanfällen und einer depressiven Verstimmung leide. Eine Verschlechterung dieser Zustände sei wahrscheinlich. Auch die gemeinsame Tochter der Streitteile sei dadurch beeinträchtigt und leide unter dem Zusammenleben der Eltern.

Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung in antragsabweisendem Sinn ab und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs unzulässig sei. Der Antragsgegner strebe mit seinem ausschließlich eine Rechtsrüge enthaltenden Rekurs die Abänderung im Sinne der Antragsabweisung an und wende ein, dass den Feststellungen keine wichtigen persönlichen Gründe für die gesonderte Wohnungnahme entnommen werden könnten; er mache auch geltend, dass Dauerzustände nicht zum Gegenstand der Entscheidung gemacht werden könnten, die Antragstellerin jedoch angegeben habe, dass die Fortsetzung der Ehe keine Zukunft mehr hätte. Die Interpretation der nicht bekämpften Tatsachenfeststellungen dahin, dass keine den Auszug der Antragstellerin rechtfertigenden Gründe vorlägen, die auf das Verhalten des Antragsgegners zurückzuführen seien, sei nicht berechtigt. Vielmehr seien ehewidrige Verhaltensweisen des Antragsgegners festgestellt worden, welche die Migräneanfälle und die Depressionen der Antragstellerin in gesundheitsgefährdender Weise verstärkten. Berechtigt erscheine jedoch der Einwand, dass die gesonderte Wohnungnahme nicht mit der Aussicht oder Absicht erfolgt sei, die eheliche Gemeinschaft in absehbarer Zeit wieder aufzunehmen. Die Antragstellerin habe nie die Absicht einer Rückkehr in die Haushaltsgemeinschaft geäußert und nicht einmal Erwägungen darüber angestellt, ob der Antragsgegner sich ändern wolle oder könne. Sie habe sich nur auf die ärztliche Bescheinigung als Anlass dafür berufen, „zumindest eine häusliche Trennung auf Zeit" anzustreben. Diese Bestätigung enthalte jedoch nur die Empfehlung einer Trennung, nicht jedoch deren zeitliche Begrenzung. Die Antragstellerin habe selbst bei ihrer Vernehmung ausgesagt, dass ein bestimmter Vorfall im Sommer 2007 für sie das Signal gewesen sei, „dass es keinen Sinn mehr habe und die Ehe keine Zukunft mehr habe". Statt einer Rückkehrabsicht für den offenbar für unmöglich gehaltenen Fall einer Änderung des Antragsgegners motiviere die Antragstellerin ihr Begehren damit, verhindern zu wollen, dass der Antragsgegner das Verlassen der Ehewohnung als Scheidungsgrund des böswilligen Verlassens verwende. Von Anfang an habe die Antragstellerin daher mit der Scheidung der auch ihrer Ansicht nach gescheiterten Ehe gerechnet. Dafür sei das Institut der getrennten Wohnungnahme mit Bewilligung des Außerstreitgerichts gemäß § 92 ABGB nicht vorgesehen; ob die gesonderte Wohnungnahme gerechtfertigt war, sei vielmehr im Scheidungsverfahren zu prüfen.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Antragstellerin ist zulässig und berechtigt.

Gemäß § 92 Abs 2 ABGB kann ein Ehegatte vorübergehend gesondert Wohnung nehmen, solange ihm ein Zusammenleben mit dem anderen Ehegatten unzumutbar oder der Auszug sonst aus wichtigen persönlichen Gründen gerechtfertigt ist. Nach § 92 Abs 3 ABGB hat das Gericht über Antrag „festzustellen", ob die gesonderte Wohnungnahme durch einen Ehegatten rechtmäßig war oder ist, wobei auf die gesamten Umstände der Familie, besonders auf das Wohl der Kinder, Bedacht zu nehmen ist.

Zutreffend haben die Vorinstanzen angesichts der Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts die Auffassung vertreten, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine gesonderte Wohnungnahme durch die Antragstellerin vorliegen, weil die Migräneanfälle und depressiven Zustände der Antragstellerin mit dem Verhalten des Antragsgegners zusammenhängen und im Falle eines unveränderten Zusammenlebens eine Verschlechterung dieser Zustände wahrscheinlich ist. Das Erstgericht hat weiters darauf hingewiesen, dass auch die gemeinsame Tochter der Streitteile unter der Situation leidet.

Entgegen der Auffassung des Rekursgerichts kann der Antrag nicht deshalb als unberechtigt angesehen werden, weil damit entgegen den Intentionen des Gesetzgebers ein Dauerzustand „abgesegnet" würde. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die gerichtliche Entscheidung stets nur auf den jeweiligen Entscheidungszeitpunkt beziehen kann. Dabei ist also zu prüfen, ob derzeit die Voraussetzungen für eine gesonderte Wohungnahme vorliegen, ohne dass damit eine Aussage darüber getroffen würde, ob und wann der betreffende Ehegatte allenfalls gehalten sein wird, die häusliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen. Dies hängt stets einerseits vom Anlass für die gesonderte Wohnungnahme, andererseits aber von zukünftigen Entwicklungen - etwa einer Änderung im Verhalten des anderen Ehegatten - ab, die sich naheliegenderweise im Entscheidungszeitpunkt noch nicht beurteilen lassen. Eine solche Prognose wird von § 92 Abs 3 ABGB auch gar nicht verlangt. Entgegen der Auffassung des Revisionsrekursgegners ist eine vorübergehende gesonderte Wohnungnahme nicht ausschließlich bei besonders schweren Eheverfehlungen des anderen Teils gerechtfertigt, sondern schon nach dem klaren Gesetzeswortlaut auch aus (sonstigen) wichtigen persönlichen Gründen, die gar nichts mit einem vorwerfbaren Verhalten des anderen zu tun haben müssen.

Dass die Antragstellerin auch bei einer Besserung ihres Gesundheitszustands und einer glaubwürdigen Bereitschaft des Antragsgegners, sein Verhalten ihr gegenüber zu ändern, von vornherein zu einer Rückkehr nicht bereit wäre, lässt sich den getroffenen (unangefochtenen) Feststellungen der Vorinstanzen nicht entnehmen. Derartiges hat der Antragsgegner im Übrigen im Verfahren erster Instanz auch gar nicht behauptet. Dass die Antragstellerin ihre Antragstellung unter anderem damit motiviert hat, sie wolle auch deshalb eine gerichtliche Entscheidung, damit ihr Verhalten nicht als Scheidungsgrund ausgelegt werden könne, kann ihr schon deshalb in keiner Weise vorgeworfen werden, weil eine entsprechende Bindungswirkung - etwa für ein späteres Scheidungsverfahren - ja gerade dem Gesetzeszweck entspricht (vgl nur RIS-Justiz RS0009505, RS0009496). Auch die Anhängigkeit eines Scheidungsverfahrens steht einem Antrag und einer Entscheidung gemäß § 92 Abs 3 ABGB nicht im Wege, da Zweck dieses Feststellungsverfahrens auch die präjudizielle Abklärung des Rechts zur gesonderten Wohnungnahme für spätere Verfahren ist (RIS-Justiz RS0047298).

Auch wenn es richtig ist, dass „Dauerzustände" nicht zum Gegenstand einer Entscheidung des Außerstreitrichters gemäß § 92 Abs 3 ABGB gemacht werden können, wurde doch in der höchstgerichtlichen Judikatur wiederholt ausgesprochen, dass von einem solchen Dauerzustand dann keine Rede sein kann, wenn sich das Verhalten eines Ehegatten, das einen wichtigen Grund zur gesonderten Wohnungnahme für den anderen Ehegatten bildet, in Zukunft ändern könnte (RIS-Justiz RS0047288). Das Vorbringen der Antragstellerin kann nun aber nicht so verstanden werden, dass sie ohne Rücksicht auf eine Änderung der Verhältnisse in einer Weise, die ihr eine Wiederaufnahme der häuslichen Beziehung wieder zumutbar machen würde, keinesfalls bereit wäre, in die Ehewohnung zurückzukehren. Die Antragstellerin hat vielmehr vorgebracht, dass aus ärztlicher Sicht eine „zumindest vorübergehende" Trennung für ihren Gesundheitszustand indiziert sei. Dass sie unter keinen Umständen bereit wäre, in die Ehewohnung zurückzukehren, wurde weder vom Antragsgegner behauptet, noch von den Vorinstanzen festgestellt.

Damit ist die Entscheidung des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 78 Abs 2 Satz 1 AußStrG.

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