OGH 5Ob57/20y

OGH5Ob57/20y22.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Hopmeier Wagner Kirnbauer Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei St*****, vertreten durch Dr. Rudolf Tobler, Dr. Karl‑Heinz Götz, Rechtsanwälte in Neusiedl am See, wegen 55.064,71 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Jänner 2020, GZ 16 R 1/20i‑18, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00057.20Y.0422.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Klägerin stürzte in der Nacht vom 28. auf den 29. 4. 2018 zwischen 4:00 Uhr und 5:00 Uhr Früh auf einem Grundstück der beklagten Partei ca 2 m tief in eine Grube, in der ein Container für Grünabfälle des daneben liegenden Friedhofs aufgestellt war. Durch den Sturz erlitt sie schwere Verletzungen.

Das Erstgericht wies ihr Schadenersatzbegehren ab. Die von ihr betretene Wiesenfläche sei kein Weg im Sinne des § 1319a ABGB. Die Beklagte habe überdies nicht damit rechnen müssen, dass ortsunkundige Personen den von der Klägerin zunächst benützten Weg verlassen und diesen Wiesenbereich nachts betreten.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und verneinte auch die von der Klägerin erstmals in der Berufung geltend gemachte Haftungsgrundlage des § 1319 ABGB. Die ordentliche Revision ließ es nicht zu, weil die Frage, ob die Unterlassung einer zumutbaren Maßnahme dem Wegehalter als grobes Verschulden anzulasten sei, nur im Einzelfall beurteilt werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1.1. Weg im Sinn des § 1319a ABGB ist nach dessen Abs 2 eine Landfläche, die von jedermann unter den gleichen Bedingungen für den Verkehr jeder Art oder für bestimmte Arten des Verkehrs benützt werden darf, auch wenn sie nur für einen eingeschränkten Benützerkreis bestimmt ist. Unter den Begriff des „Weges“ fallen daher nach dem weiten Begriffsinhalt auch von jedermann benutzbare Privatstraßen (RIS‑Justiz RS0115172). Innerhalb eines Grundstücks befindliche Wege sind vom Anwendungsbereich des § 1319a ABGB im Regelfall deshalb ausgenommen, weil ihnen das die sachliche Rechtfertigung für eine haftpflichtrechtliche Sonderbehandlung bietende Merkmal der Zulässigkeit der allgemeinen Benützung fehlt (RS0030061; RS0029988). Bei einer auf Privatgrund liegenden Fläche ist – wenn sich aus den besonderen Umständen nicht das Gegenteil ergibt – davon auszugehen, dass eben kein „Weg“ im Sinn des § 1319a ABGB vorliegt (RS0109222; 7 Ob 214/13s).

1.2. Hier betrat die Klägerin auf der Suche nach einer Abkürzung zunächst den zum Grünabfallcontainer führenden gepflegten Schotterweg, der in der Folge in eine unebene betonierte Fläche und dann in eine ungepflegte Wiesenfläche überging. Der Unfall ereignete sich, nachdem sie diese Wiesenfläche betreten und etwa 4 bis 5 m begangen hatte, wo ihr dann ein Maschendrahtzaun die Fortbewegung versperrte. Beim Umkehren übersah sie, dass die Wiesenfläche dort zur Containergrube hin nicht abgesichert war, stieg ins Leere und stürzte in die Grube.

1.3. Dass die Vorinstanzen die von der Klägerin betretene Wiesenfläche nicht als Weg im Sinn des § 1319a ABGB werteten, hält sich im Rahmen der bereits zitierten Rechtsprechung. Weshalb die ungepflegte Wiesenfläche aufgrund der äußeren Erscheinungsform objektiv für redliche Dritte als Verkehrsfläche anzusehen sein sollte, ist nicht ersichtlich. Nach den Feststellungen stand diese Landfläche gerade nicht jedermann unter gleichen Bedingungen zur Verfügung. Die in der Revision zitierten Entscheidungen 2 Ob 23/94 und 2 Ob 59/05y befassten sich mit der Frage der unerlaubten Benützung des Wegs im Sinn des § 1319a Abs 2 ABGB und sind nicht einschlägig. Dass die dort benützte Forststraße bzw das Tankstellenareal jeweils Weg im Sinn des § 1319a Abs 1 ABGB waren, war nicht strittig. Eine Abweichung von den Grundsätzen dieser Entscheidungen ist daher nicht zu erkennen. Dass die Vorinstanzen die Oberflächenbeschaffenheit der Wiesenfläche bei der Beurteilung der Wegeeigenschaft im Sinn des § 1319a Abs 1 ABGB heranzogen, ist im Einzelfall nicht zu beanstanden. Mit dem unbefestigten Randbereich einer Forststraße (7 Ob 24/02h) oder einem Steilabhang am Rand der Straße (6 Ob 21/01h) bzw einem in den Bergwerkstollen führenden Felsloch am Rand einer Schipiste (4 Ob 299/98v) ist die im Anschluss an die Containergrube gelegene Wiesenfläche nicht zu vergleichen. Die Beurteilung, objektiv sei jedermann erkennbar, dass der Weg (spätestens) am Ende der an den Schotterweg anschließenden holprigen Betonfläche endet, ist nicht korrekturbedürftig. Eine krasse Verkennung der Rechtslage liegt nicht vor, sodass es nicht mehr darauf ankommt, ob die Klägerin die Wiesenfläche nun unerlaubt oder widmungswidrig benutzt hat oder nicht.

2.1. Die Frage, ob die Unterlassung einer zumutbaren Maßnahme dem Wegehalter als grobes Verschulden vorgeworfen werden kann (hier die mangelnde Absperrung des Wegs unmittelbar im Bereich des Endes der betonierten Fläche), kann nur im Einzelfall beurteilt werden und wirft daher keine erhebliche Rechtsfrage auf (RS0030171 [T8]). Ganz allgemein ist der Beurteilungsmaßstab das Verkehrsbedürfnis und die Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen (vgl RS0053423). Abzustellen ist darauf, was an Maßnahmen nach der Art des Wegs, besonders nach seiner Widmung, seiner geografischen Situierung in der Natur und dem daraus resultierenden Maß einer vernünftigerweise zu erwartenden Benützung (Verkehrsbedürfnis) für seine Instandhaltung angemessen und nach objektiven Maßstäben zumutbar ist (RS0087605 [T2]; RS0029997; RS0087607). Dies kann nur im Einzelfall geprüft werden (RS0030202; RS0087607). Generell dürfen die Anforderungen der Verkehrssicherungspflichten nicht überspannt werden (RS0023487). Eine grobe Verkennung der Rechtslage in Bezug auf die Frage der Absperrung des Wegs an seinem Ende liegt aber nicht vor.

2.2. Dass die Beklagte mit einem Verhalten wie demjenigen der Klägerin nicht rechnen musste, haben die Vorinstanzen schlüssig begründet. Dass jemand des Nachts bei unzureichender Beleuchtung einen zu einem Grünabfallcontainer neben dem Friedhof führenden Weg irrtümlich benützt, mag vorkommen. Dass so jemand dann aber nach dem Ende des gepflegten Schotterwegs und der daran anschließenden grob betonierten Fläche den Weg verlässt und im Dunkeln auf einer Wiesenfläche neben der Containergrube auf der Suche nach einem Abkürzungsweg weitergeht, ist tatsächlich ein sehr ungewöhnliches Verhalten, mit dem nach der nicht korrekturbedürftigen Beurteilung der Vorinstanzen die Beklagte nicht zu rechnen brauchte, zumal der die Fortbewegung auf der Wiese versperrende Maschendrahtzaun am Ende der Containergrube in Annäherung an die Unfallstelle nicht nur bei Tag, sondern auch bei Dunkelheit erkennbar war. Auch dass die Klägerin– wenn sie diese Wiesenfläche schon betritt – bei entsprechender Aufmerksamkeit die daneben liegende Containergrube erkennen hätte können, liegt auf der Hand. Dass sie im Fall des Umkehrens unter Berücksichtigung dieses Umstands vor ihre Füße zu schauen und der von ihr beabsichtigten Gehlinie Aufmerksamkeit zuzuwenden hat, entspricht ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung (RS0027447), deren Grundsätze im Gegensatz zur Auffassung der Revision auch hier durchaus anzuwenden sind.

3.1. Die Bestimmung des § 1319 ABGB ist zwar sinngemäß auf ähnliche, dort nicht ausdrücklich geregelte Fälle (wie etwa den Sturz in eine betonierte Grube) anzuwenden (RS0029932). § 1319a ABGB würde § 1319 ABGB als Haftungsgrundlage nur dann verdrängen, wenn der Wegehalter gleichzeitig als Besitzer einer im Zug des Wegs bestehenden baulichen Anlage zu werten wäre (8 Ob 103/17f mwN; 9 Ob 19/19p mwN). Die Frage dieser Konkurrenz stellt sich dann nicht, wenn – wie von den Vorinstanzen angenommen – der Bereich der Wiesenfläche gar nicht als Weg im Sinn des § 1319a ABGB anzusehen ist. Einer näheren Erörterung dieser Haftungsgrundlage bedarf es aber schon mangels ausreichenden Vorbringens nicht:

3.2. Macht die Klägerin nämlich einen bestimmten Rechtsgrund ausdrücklich geltend, ist das Gericht daran gebunden und darf der Klage nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattgeben (RS0037610). Maßgebend für den Entscheidungsspielraum des Gerichts sind der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt und die dafür angegebenen anspruchsbegründenden Tatsachen (RS0037610 [T37]).

3.3. Hier hat die Klägerin die Beklagte ausschließlich als Halterin des entlang der Friedhofsmauer führenden Wegs unter ausdrücklicher Berufung auf § 1319a ABGB wegen Verletzung der ihr obliegenden Warn‑ und Absicherungsmaßnahmen in Anspruch genommen. Die 2 m tiefe Containergrube hat sie nur im Zusammenhang mit den Wegehalterverpflichtungen der Beklagten erwähnt. Zu den Haftungsvoraussetzungen des § 1319 ABGB hat die Klägerin hingegen nichts behauptet; Tatsachenbehauptungen fehlen etwa zur Frage des Besitzers des Werks, aber auch zu dessen mangelnder Beschaffenheit. Auch in rechtlicher Hinsicht hat die Klägerin diese Haftungsgrundlage im Verfahren erster Instanz niemals ins Treffen geführt, obwohl die Beklagte ab Streiteinlassung bestritten hat, dass sich der Unfall überhaupt auf einem Weg im Sinn des § 1319a Abs 1 ABGB ereignet habe. Damit waren die Ausführungen in der Berufung – wie vom Berufungsgericht auch einleitend vermerkt – als unzulässige Neuerungen im Sinn des § 482 ZPO unbeachtlich. Auf die diesbezügliche Hilfsbegründung des Berufungsgerichts ist daher nicht weiter einzugehen.

4. Die Aktenwidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurden geprüft, sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

5. Damit war die außerordentliche Revision zurückzuweisen, ohne dass dieser Beschluss einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO).

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