European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E119728
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.253,88 EUR (darin enthalten 208,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die beklagte Gemeinde ist Halterin eines Radwegs, der unter anderem durch ein Weidegebiet führt. Am Nachmittag des 6. Juli 2014 fuhren die Klägerin und ihr Ehegatte mit Fahrrädern auf diesem Radweg in östliche Richtung. Beim Durchfahren einer elektrischen Viehsperre kam die Klägerin zu Sturz und verletzte sich. Im Bereich der Unfallstelle verläuft der Radweg über zumindest 100 m vor dieser nahezu geradlinig, sodass eine entsprechende Sichtmöglichkeit auf die Viehsperre gegeben war.
Bei einer elektrischen Viehsperre handelt es sich um eine Art Weidetor, das im Wesentlichen aus einem beweglichen Glasfieberstab besteht. Der Glasfieberstab wird an einem Baum, einem Holzpflock oder einer Mauer mittels einer Zugfeder fixiert. Er ist mit einem elektrisch leitenden Kunststoffgummi überzogen, der das Weidevieh vom Überschreiten der Viehsperre abhalten soll. Die Viehsperre kann aber von einem Radfahrer passiert werden. In einem solchen Fall bekommt der Glasfieberstab zuerst Kontakt mit dem vorderen Bereich der Radgabel und wird beim Erstkontakt mit dem Fahrrad nach vorne geschleudert; in weiterer Folge pendelt der Glasfieberstab in die ursprüngliche, nahezu waagrechte Position zurück.
Die gegenständliche Viehsperre bestand aus einem etwa 2,1 m langen Fieberglasstab, der auf einem neben dem Radweg vorhandenen Weidepflock montiert war. Auf diese Weise wurde der Radweg auf einer Durchfahrtsbreite von 1,75 m für das Weidevieh abgesperrt. Daneben, über die restliche Breite des Radwegs, befand sich ein Holztor, um Fußgängern ein Passieren zu ermöglichen. An diesem Holztor war ein Schild mit der Aufschrift „Achtung! Elektronisches Weidegatter. Durchfahrt möglich“ angebracht. Eine regelmäßige Wartung der in Rede stehenden Viehsperre ist nicht erforderlich. Die Viehsperre wies zum Unfallszeitpunkt keinen Defekt auf.
Am Unfallstag fuhr der Ehegatte der Klägerin etwa 10 bis 20 m vor der Klägerin, wobei sie zunächst eine Geschwindigkeit zwischen 25 und 35 km/h einhielten. In Annäherung an die Viehsperre reduzierten sie die Geschwindigkeit. Der Ehegatte der Klägerin durchfuhr die Viehsperre mit einer Geschwindigkeit von rund 20 km/h; die Klägerin reduzierte ihre Geschwindigkeit noch weiter auf etwa 7 bis 10 km/h. Zu diesem Zeitpunkt pendelte die Viehsperre aufgrund des Durchfahrens des Ehegatten der Klägerin noch leicht nach, befand sich aber schon fast wieder in annähernd waagrechter Position. Entweder aufgrund des Nachpendelns der Viehsperre oder wegen der geringen Geschwindigkeit der Klägerin gelangte das Ende der Viehsperre in die Speichen des Hinterrads am Fahrrad der Klägerin, wodurch sie zu Sturz kam. Der Klägerin wäre es mit einer starken Bremsung möglich gewesen, ihr Fahrrad nach dem Passieren der Viehsperre durch ihren Ehegatten noch vor der Viehsperre anzuhalten. Der Klägerin und ihrem Gatten war die in Rede stehende Viehsperre bekannt, weil sie diese bereits zumindest zehn Mal zuvor passiert hatten.
Die Klägerin erhob ein Schadenersatzbegehren, mit dem sie vor allem Schmerzengeld forderte. Zudem erhob sie ein Feststellungsbegehren in Bezug auf die Haftung der Beklagten für künftige Schäden. Eine im Zuge eines Weges errichtete Anlage stelle ein Werk im Sinn des § 1319 ABGB dar, weshalb ihr die geltend gemachten Ansprüche auf Basis dieser Rechtsgrundlage zustünden. Auf dem Radweg habe es keine ausreichenden Warnhinweise gegeben. Die Viehschranke sei durch eine verschlissene Feder aus der Pendelhalterung gerutscht und auf diese Weise in die Speichen ihres Fahrrads gelangt. Die Beklagte habe auch dadurch die gebotene Sorgfalt nicht aufgewendet, dass sie eine per se ungeeignete Anlage zur Abschrankung des Radwegs verwendet und dessen Kontrolle und Wartung unterlassen habe. Die geltend gemachten Ansprüche stünden ihr überdies auch aus der Wegehalterhaftung nach § 1319a ABGB zu. Die Beklagte habe grobe Fahrlässigkeit zu verantworten.
Die Beklagte entgegnete, dass die in Rede stehende Viehsperre nicht als Werk im Sinn des § 1319 ABGB zu qualifizieren sei. Ein Defekt der Viehsperre habe nicht bestanden. Das Alleinverschulden am Unfall treffe die Klägerin, weil sie auf das vorhandene Warnschild nicht entsprechend reagiert habe, sondern unaufmerksam die Viehschranke durchfahren habe.
Das Erstgericht gab dem Zahlungs- und Feststellungsbegehren ausgehend von einer Verschuldensteilung im Verhältnis von 1:2 zu Lasten der Beklagten teilweise statt; das Mehrbegehren wies es ab. Ein Radweg habe vordergründig die Funktion eines Verkehrswegs. Aus diesem Grund könne die Klägerin ihre Ansprüche nur auf die Wegehalterhaftung nach § 1319a ABGB stützen. Die Beklagte habe mit der elektrischen Viehsperre ein künstliches Hindernis geschaffen, dessen Gefährlichkeit ihr hätte bewusst sein müssen. Auf die Gefahr, dass die Viehsperre nachpendle, habe das Warnschild nicht hingewiesen. Aus diesem Grund sei die Haftung der Beklagten zu bejahen. Die Klägerin könne jedoch nicht aus ihrer Eigenverantwortung entlassen werden, weil ihr die Unfallstelle als Gefahrenstelle bekannt gewesen sei. Außerdem habe die Klägerin das Nachpendeln der Viehsperre nach der Durchfahrt ihres Ehegatten erkannt, weshalb sie ihr Fahrrad hätte anhalten müssen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten, nicht aber jener der Klägerin, Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen wurde. Die in Rede stehende Viehsperre diene der Ermöglichung der Benützung des durch Weidegebiet führenden Radwegs. Die Viehsperre sei daher als eine dem Verkehr auf dem Radweg dienende Anlage im Sinn des § 1319a ABGB zu werten. Diese Bestimmung sei eine Spezialnorm und verdränge die Haftungsbestimmung des § 1319 ABGB. Im Hinblick auf die besonderen Umstände des vorliegenden Falls liege eine grobe Fahrlässigkeit der Beklagten nicht vor. Die Errichtung elektrischer Viehsperren auf Wegen in Weidegebieten sei nicht unüblich. Die elektrische Viehsperre sei auch nicht defekt gewesen. Dass sich die Beklagte nicht darüber erkundigt habe, ob die Viehsperre für „hochfrequentes Öffnen“ geeignet sei, begründe für sich allein keine grobe Fahrlässigkeit. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil den zu lösenden Rechtsfragen keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
Über Antrag der Klägerin nach § 508 ZPO sprach das Berufungsgericht nachträglich aus, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei, weil in der Rechtsprechung nicht geklärt sei, ob eine elektrische Viehsperre im Bereich eines Radwegs als ein auf einem Weg aufgeführtes Werk im Sinn des § 1319 ABGB oder als eine im Zuge des Weges befindliche Anlage im Sinn des § 1319a ABGB zu werten sei.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Klägerin, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.
Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, die Revision zurückzuweisen, in eventu, dieser den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil zur Abgrenzung der Wegehalterhaftung nach § 1319a ABGB von der Haftungsbestimmung des § 1319 ABGB eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof geboten erscheint. Die Revision ist aber nicht berechtigt.
1. Während § 1319a ABGB die Haftung des Wegehalters gegenüber den Weg benützenden Dritten regelt, zielt § 1319 ABGB auf die Haftung für Schäden ab, die durch Einsturz oder Ablösen von Teilen eines mangelhaften (Bau-)Werks entstehen. Aufgrund der weiten Interpretation vor allem der Begriffe „(Bau)Werk“ (er erfasst jede willkürliche Gestaltung der natürlichen Boden- oder Geländebeschaffenheit: 2 Ob 79/08v) und „Teil eines Werkes“ (dazu gehört alles, was mit dem Werk in organischer oder mechanischer fester Verbindung steht, wie zB Terrassengeländer, Zauntore, Seile, Gesimsstücke, Dachziegel, Fahrstühle, Abdeckung von Schächten und Aufgrabungen: Reischauer in Rummel 3 § 1319 ABGB Rz 5) in § 1319 ABGB kommt es nicht selten zu Abgrenzungsschwierigkeiten.
Dabei ist in der Rechtsprechung seit der Entscheidung 4 Ob 104/97s (ecolex 1997, 841) der Grundsatz anerkannt, dass zwischen den § 1319 und 1319a ABGB keine volle Anspruchskonkurrenz besteht, sondern dann, wenn der Wegehalter gleichzeitig als Besitzer einer im Zuge des Weges bestehenden baulichen Anlage zu werten ist, § 1319a ABGB als Spezialnorm die Bestimmung des § 1319 ABGB verdrängt (7 Ob 113/13p; 1 Ob 142/13h; 1 Ob 150/15p). Andernfalls wäre die besondere, ausdrücklich normierte Haftungsbeschränkung des § 1319a ABGB gegenstandslos. Die wesentliche Grundlage für die Einschränkung der Haftung des Wegehalters auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit liegt in seiner Interessenneutralität (8 Ob 93/04s EvBl 2005/87). Die Haftungsbeschränkung besteht nach der Rechtsprechung daher nur dann nicht, wenn ein besonderes Interesse des Wegehalters an dem betreffenden (Bau‑)Werk besteht (2 Ob 79/04p), so etwa bei einer Brückenwaage, von der der Wegehalter profitiert (7 Ob 58/03k).
2.1 Der Klägerin ist zuzugestehen, dass aufgrund der weiten Interpretation des § 1319 ABGB die in Rede stehende elektrische Viehsperre als Teil eines (Bau-)Werks anzusehen ist. Dies führt aber nicht gleichsam automatisch zur strengeren Haftung des § 1319 ABGB. Vielmehr stellt sich zusätzlich die entscheidende Frage, ob die Viehsperre eine dem Verkehr dienende Anlage bzw eine im Zuge des Weges bestehende Anlage ist, also zum Weg gehört.
In der Entscheidung 2 Ob 357/97g (JBl 1998, 715) wurde eine quer zur Fahrbahn als Absperrung auf zwei Holzpflöcken angebrachte Kette als (Bau-)Werk qualifiziert und nach § 1319 ABGB beurteilt. Der Senat verwies auf 4 Ob 104/97s und hielt fest, dass es sich im damaligen Fall um ein Geländer gehandelt habe, das der Benützung der Straße diente und als deren Bestandteil angesehen wurde; demgegenüber solle im Fall 2 Ob 357/97g die angebrachte Absperrkette gerade eine Benützung der Straße verhindern. Es bestehe daher kein Anlass, unter solchen Umständen eine Haftung gemäß § 1319 ABGB von vornherein auszuschließen und die Haftungseinschränkung gemäß § 1319a ABGB auf grobes Verschulden vorzunehmen, welche Bestimmung sich vor allem durch die Interessenneutralität des Halters begründen lasse und deren ratio es sei, den Halter, der Wege zur Verfügung stelle und Möglichkeiten zu ihrer Benützung schaffe, dafür dem Benutzer nicht mit aller Strenge haften zu lassen. Dem Berufungsgericht sei beizupflichten, dass die gegenständliche Absperrung als Werk im Sinn des § 1319 ABGB gelten könne. Dies sei in der Rechtsprechung bereits für Zäune (EvBl 1971/280) und (Weg‑)Schranken (EvBl 1981/146) angenommen worden.
In der Entscheidung 1 Ob 142/13h wurde ein am Anfang einer Fußgängerzone aufgestellter, ausfahrbarer bzw versenkbarer Poller als Werk im Sinn des § 1319 ABGB beurteilt. Dazu verwies der Senat auf 2 Ob 60/11d zu einem (vergleichbaren) Pilomaten auf einer Privatstraße und hob hervor, dass der Pilomat die Benutzung der Verkehrsfläche behindert und nicht gefördert habe.
In der Entscheidung 2 Ob 60/11d wurde der erwähnte Pilomat ebenfalls als Werk im Sinn des § 1319 ABGB beurteilt. Dazu wurde auf die weite Auslegung des Begriffs „Werk“ verwiesen, wonach auch Schranken und Straßenabsperrungen als solche Werke angesehen würden. Darüber hinaus sei nach dem Gesetzeszweck der Begriff des „Einsturzes“ oder der „Ablösung“ auf alle anderen Gefahren, die sich aus der Statik oder Dynamik eines Werks ergeben, auszudehnen, wie zB die Verletzung beim Betreten eines in die Höhe schnellenden Sprungdeckels, der einen in die Tiefe führenden Fluchtschacht abdecke, weiters Baugrubenschächte, Kanaldeckel, Schranken oder Absperrungen.
Zum Verhältnis zwischen § 1319 ABGB und § 1319a ABGB wurde in dieser Entscheidung Folgendes ausgeführt: „Ist ein Wegehalter gleichzeitig Besitzer einer im Zuge des Weges bestehenden Anlage, würde bei uneingeschränkter Bejahung der Anspruchskonkurrenz beider Tatbestände die Haftungsbeschränkung des § 1319a ABGB auf grobes Verschulden und Vorsatz in Ansehung solcher Anlagen gegenstandslos. Eine solche Auslegung verbietet sich nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach § 1319a ABGB als Spezialnorm § 1319 ABGB im Allgemeinen verdrängt. Eine Ausnahme wurde nur für Fälle angenommen, in denen ein besonderes Interesse des Wegehalters am betreffenden Werk bestand. Ist aber ein auf einem Weg aufgeführtes Werk im Sinn des § 1319 ABGB nicht zugleich eine Anlage im Sinn des § 1319a ABGB, so bleibt nach der neueren Rechtsprechung die Anspruchskonkurrenz zwischen den beiden Bestimmungen grundsätzlich weiterhin bestehen. Als 'im Zuge eines Weges befindliche Anlagen' sind solche zu verstehen, die dem Verkehr auf dem Weg dienen. Wo die Funktion einer Baulichkeit als Verkehrsweg klar im Vordergrund steht, ist § 1319a ABGB gegenüber § 1319 ABGB als lex specialis anzusehen. So wie in 2 Ob 256/09z ein in einer Fußgängerzone aufgestellter Plakatständer als nicht der besseren Benützbarkeit der Verkehrsfläche dienend, sondern diese behindernd und daher nicht als im Zuge des Weges befindliche Anlage im Sinn des § 1319a Abs 2 ABGB qualifiziert wurde, hindert auch der hier zu beurteilende Pilomat die Benützung und ist daher nicht als im Zuge des Weges befindliche Anlage im Sinn des § 1319a ABGB anzusehen. Es hat daher im vorliegenden Fall bei der Anspruchskonkurrenz zu verbleiben.“
2.2 Für die Entscheidungen 2 Ob 357/97g und 1 Ob 142/13h war als Abgrenzungskriterium maßgebend, dass die bauliche Anlage nach ihrer Zweckbestimmung den Weg absperrte, dessen Benützung also unmöglich machen und damit verhindern sollte. Auch wenn die Formulierung in der zuletzt dargestellten Entscheidung 2 Ob 60/11d einen Interpretationsspielraum offen lässt, gilt Gleiches auch für diese Entscheidung. Dies ergibt sich aus dem für die Entscheidung wesentlichen Tatsachenelement, dass sich im Bereich des Pilomaten ein eindeutig sichtbares Fahrverbotsschild befand.
Für die Heranziehung des § 1319 ABGB (im Sinne einer Anspruchskonkurrenz mit § 1319a ABGB) kommt es somit nicht darauf an, ob die bauliche Anlage im Bereich eines Weges der besseren Benützbarkeit der Verkehrsfläche dient oder ein Hindernis für die Wegbenützung darstellt. Vielmehr ist im gegebenen Zusammenhang entscheidend, ob die bauliche Anlage nach seiner Zweckbestimmung den Verkehr verhindern soll.
2.3 Mit diesem Ergebnis steht die Wertung des § 1319a ABGB im Einklang, wonach der Wegcharakter dann im Vordergrund steht, wenn eine bauliche Anlage im Bereich eines Weges dem Zweck dient, von einem Ort zum anderen zu gelangen. So ist etwa ein Geländer, das dem Schutz von Verkehrsbenützern vor einem Absturz dient, Bestandteil des Weges (4 Ob 104/97s EvBl 1997/158). Ebenso kann eine der Entwässerung der Fahrbahnoberfläche dienende Kanalabdeckung als Anlage im Sinn des § 1319a Abs 2 ABGB beurteilt werden (2 Ob 36/13b Zak 2013/295).
2.4 Die hier zu beurteilende elektrische Viehsperre sollte nicht den Radverkehr auf dem Radweg einschränken oder verhindern. Da – was die Klägerin selbst erkennt – die Alternative etwa darin bestanden hätte, die Weidetiere einzuzäunen und den Weg abzusperren, diente die Viehsperre gerade der Ermöglichung des Radverkehrs und der Benützung des Radwegs. In diesem Fall kann auch nicht ein deutlich überwiegendes Interesse des Wegehalters an der Viehsperre, das gegen die Heranziehung des § 1319a ABGB sprechen würde, angenommen werden.
2.5 In der Entscheidung 1 Ob 260/05z (ZVR 2006/198 [Huber]) hat der Oberste Gerichtshof eine (vergleichbare) elektrische Viehsperre auf einer für den Mountainbikeverkehr freigegebenen Forststraße ebenfalls auf der Grundlage des § 1319a ABGB beurteilt. Gleiches gilt für eine (nur schwer erkennbare) 80 cm über dem Boden zwischen zwei Eisenstehern gespannte Nylonschnur als Weidezaun auf einer häufig durch Radfahrer frequentierten Strecke (5 Ob 130/16b Zak 2016/777: Haftung bejaht) oder ein (kaum sichtbares, nicht gekennzeichnetes) Weideabsperrband auf einem Forstweg (4 Ob 211/11z: Haftung bejaht).
2.6 Insgesamt ergibt sich somit, dass die hier zu beurteilende elektrische Viehsperre als eine dem Radverkehr dienende Anlage auf dem Radweg der Beklagten zu beurteilen ist. Die Haftung der Beklagten richtet sich daher nur nach der Wegehalterhaftung des § 1319a ABGB als lex specialis.
3.1 Nach § 1319a ABGB haftet der Wegehalter nur für einen mangelhaften Zustand des Weges. Beurteilungsmaßstab für die Mangelhaftigkeit sind das Verkehrsbedürfnis und die Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen. Ein mangelhafter Zustand eines Weges liegt nur dann vor, wenn die nach der Art des Weges angemessenen und zumutbaren Vorkehrungen nicht getroffen wurden. Der Umfang der Sorgfaltspflicht des Wegehalters bestimmt sich dabei nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Überdies haftet der Wegehalter nur für auffallende Sorglosigkeit und Vorsatz, was ebenfalls nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist (vgl dazu RIS‑Justiz RS0087607; RS0087606). Im Zusammenhang mit einem Radweg besteht die Haftung des Wegehalters nach § 1319a ABGB nach der Rechtsprechung für eine atypische Gefahrenquelle, die für den Wegehalter erkennbar war (vgl 1 Ob 260/05z; 5 Ob 130/16b).
3.2 Nach der Entscheidung 2 Ob 23/94 (ZVR 1995/61) ist im Fall einer Viehabsperrung in Form eines über den Weg gespannten, kaum sichtbaren und nicht gesicherten Weidedrahts ein grobes Verschulden des Wegehalters gegeben.
Ein solcher Fall liegt hier allerdings nicht vor. Nach den Feststellungen war über eine weite Strecke Sicht auf die elektrische Viehsperre und das daneben befindliche, für Fußgänger vorgesehene Holztor gegeben. Der Klägerin und ihrem Ehegatten waren der Radweg und die elektrische Viehsperre bekannt, zumal sie diese zuvor zumindest zehn Mal passiert hatten.
3.3 In der Entscheidung 1 Ob 260/05z (ZVR 2006/198 [Huber]) wurde die schon erwähnte elektrische Viehsperre auf einer für den Mountainbikeverkehr freigegebenen Forststraße nicht als atypische Gefahrenquelle angesehen und ein mangelhafter Zustand des Weges verneint. In dieser Entscheidung wurde zwar ausgeführt, dass ein für den Mountainbikeverkehr freigegebener Forstweg (eine Mountainbikestrecke) nicht dieselben Sicherheitserfordernisse erfüllen müsse wie ein ausschließlich zum Zweck des Radfahrens angelegter Weg. Dies wurde allerdings damit begründet, dass beim Mountainbiken gefahrenträchtige Strecken in freiem Gelände befahren würden, weshalb eine besondere Aufmerksamkeit des Mountainbikefahrers zu fordern sei und das Gebot des Fahrens auf Sicht bestehe. Diese Überlegungen beziehen sich in Wirklichkeit auf die Präzisierung des Sorgfaltsmaßstabs von Mountainbikern, also auf deren Verhalten.
Die Schlussfolgerung von Huber in seiner Glosse in ZVR 2006/198, wonach es durchaus denkbar wäre, dass ein und dasselbe Hindernis gegenüber dem Mountainbiker zu tolerieren sei, während gegenüber einem normalen Radfahrer grobe Fahrlässigkeit zu bejahen sei, ist sicherlich zutreffend. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die hier zu beurteilende elektrische Viehsperre auf dem in Rede stehenden Radweg als typische Gefahrenquelle anzusehen wäre. Für die Beurteilung ist nämlich nicht so sehr entscheidend, ob es sich um eine Mountainbikestrecke handelt, sondern ob mit einer derartigen Einrichtung (Viehsperre) aufgrund der ländlichen Umgebung und des Vorhandenseins von Weidevieh gerechnet werden muss.
Im Anlassfall war die elektrische Viehsperre für die Klägerin keine atypische Gefahrenquelle. Aus diesem Grund hätte sie ihre Fahrweise auf die besondere Situation einstellen müssen. Konkret hätte sie das Auspendeln der Viehsperre abwarten oder ihr Fahrrad vor der Sperre anhalten müssen, was ihr nach den Feststellungen auch möglich gewesen wäre.
3.4 Das Berufungsgericht hat zutreffend festgehalten, dass elektrische Viehsperren auf Wegen in Weidegebieten nicht unüblich sind. Sie sind gerade für die Eingrenzung eines Weidebereichs – bei gleichzeitiger Ermöglichung des (Rad-)Verkehrs – vorgesehen. Für die Behauptung der Klägerin, dies gelte nur für den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, besteht keine Sachverhaltsgrundlage. Dafür, dass für die Beklagte eine besondere Gefahrensituation erkennbar gewesen wäre, bestehen insgesamt keine Anhaltspunkte.
3.5 Die Feststellung des Erstgerichts zur fehlenden Geeignetheit einer elektrischen Viehsperre „für den Bereich mit hochfrequentem Öffnen“ bezieht sich auf die technische Konstruktion, die bei oftmaligem Öffnen des Weidetores unter massiver Krafteinwirkung durch schnelles Durchfahren ein Verrutschen des Fieberglasstabs nicht verhindern kann. Ein solcher Defekt hat im Anlassfall aber gerade nicht bestanden.
4. Insgesamt ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Beklagten aufgrund der besonderen Umstände keine grobe Fahrlässigkeit anzulasten ist, nicht zu beanstanden. Damit steht die Entscheidung des Berufungsgerichts mit den in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entwickelten Grundsätzen im Einklang. Den Ausführungen in der Revision kommt keine Berechtigung zu, weshalb dem Rechtsmittel der Klägerin der Erfolg zu versagen war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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