OGH 1Ob142/13h

OGH1Ob142/13h29.8.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr.

Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Margot H*****, vertreten durch Dr. Tassilo Neuwirth und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Salzburg, *****, vertreten durch Dr. Franz Gerald Hitzenbichler und Dr. Bernhard Zettl, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 11.712 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 27. Mai 2013, GZ 4 R 69/13i‑17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Teil‑Zwischenurteil des Landesgerichts Salzburg vom 14. März 2013, GZ 12 Cg 102/11i‑13, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 838,44 EUR (darin enthalten 139,74 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin kam am 30. 4. 2011 beim Befahren der F*****gasse in Salzburg mit einem „Segway“ durch einen ausfahrenden Poller zu Sturz und verletzte sich. Zu Beginn der F*****gasse befinden sich beidseits des (im Boden) versenkbaren Pollers zwei fixe Poller, zwischen denen die Durchfahrtsbreite ca 3,3 m beträgt. Neben diesen Pollern sind die Verkehrszeichen „Fußgängerzone“ mit Zusatztafeln angebracht, aus denen sich die Zulässigkeit des Befahrens der Fußgängerzone mit Fahrrädern ergibt. Im Unfallszeitpunkt befand sich ‑ in Fahrtrichtung der Klägerin rechts ‑ auf der linken Seite (des rechten Verkehrszeichens) ein Schild mit der Aufschrift „STOP“ und dem Hinweis „!ACHTUNG! Versenkbarer Poller“. Eine Bodenmarkierung im Bereich des versenkbaren Pollers war nicht sichtbar. Der versenkbare Poller hatte einen Durchmesser von 27,5 cm und war 80 cm hoch. Die Versenkdauer beträgt ca 2 Sekunden, die Hebedauer ca 6 Sekunden. Vor dem Hebevorgang ertönt 2 Sekunden lang ein Piep‑Ton. An einem Elektroschaltkasten im linken Bereich der Durchfahrt erscheint 2 Sekunden lang ein Blinksignal, außerdem beginnt die Pollerkappe zu blinken.

Als die Klägerin in Richtung F*****gasse fuhr, kam ihr ein Fiaker entgegen, weshalb sie rechts der Polleranlage, etwa 4 m vom beweglichen Poller entfernt, wartete. Sie sah nicht, dass sich der Poller senkte, um den Fiaker passieren zu lassen, sah aber die beiden fixen Poller. Nachdem der Fiaker den Bereich des Pollers verlassen hatte, fuhr die Klägerin mit dem „Segway“ über den versenkbaren Poller, der ‑ ausgelöst durch Fernbedienung des Fiakers ‑ wieder hochfuhr und sie zu Sturz brachte. Ein Blinksignal oder ein akustisches Signal nahm die Klägerin zuvor nicht wahr. Sie hätte darauf auch nicht mehr reagieren können. Der Unfall wäre nur dadurch zu vermeiden gewesen, dass die Klägerin den Pollerbereich (im Unfallszeitpunkt) gar nicht befahren hätte.

Die Klägerin stützte den geltend gemachten Schadenersatzanspruch und das Feststellungsbegehren im Wesentlichen auf AHG, § 1319 ABGB und die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte.

Das Erstgericht sprach mit Teil‑Zwischenurteil aus, dass das Leistungsbegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Es erachtete die vorhandene Absicherung des Pollers als unzureichend und eine weitergehende Absicherung als zumutbar. Die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflichten schuldhaft verletzt, sodass sie der Klägerin für die Unfallsfolgen hafte. Für ein Mitverschulden der Klägerin bestehe kein Raum.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es mit Teilurteil das Leistungsbegehren abwies. Rechtlich führte es aus, dass nach der „Pilomat“‑Entscheidung 2 Ob 60/11d ein versenkbarer Poller keine Anlage iSd § 1319a ABGB, sondern ein Werk iSd § 1319 ABGB sei. Der Beklagten sei der Nachweis gelungen, dass sie alle Vorkehrungen zur Verhinderung des Schadens getroffen habe. Die festgestellte Beschilderung der Polleranlage sei ausreichend gewesen. Die Beklagte habe nicht von vornherein damit rechnen müssen, dass Verkehrsteilnehmer die eindringliche Warnung nicht wahrnehmen oder nicht beachten würden. Die Klägerin sei vor der Polleranlage wegen der Durchfahrt eines Fiakers stehen geblieben und habe genügend Zeit gehabt, die Warnung zu studieren. Der Unfall sei ausschließlich auf mangelnde Sorgfalt der Klägerin zurückzuführen. Ihrer Behauptung, die zwei Poller links und rechts seien bereits ausgefahren gewesen und sie habe nicht ahnen können, dass in der Mitte ein weiterer Poller ausfahren werde, mangle es an Ernsthaftigkeit. Kein vernünftiger Mensch werde annehmen, dass Poller, welche die Durchfahrt mehrspuriger Fahrzeuge verhindern sollten, so aufgestellt seien, dass eine Durchfahrtsbreite von 3,3 m frei bleibe. Die nach dem Unfall (von der Beklagten) vorgenommenen Veränderungen an der Polleranlage seien nur eine Reaktion auf die nicht vorhersehbare Unfallhäufung und kein Beweis für eine ursprünglich mangelhafte Absicherung.

Über Antrag der Klägerin erklärte das Berufungsgericht entgegen seinem ursprünglichen Ausspruch die ordentliche Revision nachträglich doch für zulässig. Ihm würden „schwerwiegende Rechtsirrtümer“ vorgeworfen, außerdem hätten die Polleranlagen in der Stadt Salzburg eine derartige Bedeutung, dass eine Klarstellung erforderlich erscheine, welche Vorkehrungen die Beklagte zur Erfüllung ihrer Verkehrssicherungspflicht treffen müsse.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin erhobene Revision ist entgegen dem gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. In der Revision wird keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.

1. Die Klägerin geht ebenso wie die Vorinstanzen davon aus, dass der hier zu beurteilende, am Anfang der Fußgängerzone aufgestellte versenkbare Poller ein Werk iSd § 1319 ABGB ist (so auch 2 Ob 60/11d für einen sogenannten Pilomat auf einer Privatstraße, der die Benutzung der Verkehrsfläche behindert und nicht fördert; Ch. Huber in Schwimann, ABGB‑TaKom² [2012] § 1319 Rz 21). § 1319 ABGB ist ein speziell geregelter Tatbestand der heute allgemein anerkannten Verkehrssicherungspflichten. Im Unterschied zu letzteren, bei denen der Geschädigte ihre Verletzung nach allgemeinen deliktischen Grundsätzen behaupten und beweisen muss, reicht für eine Haftung nach § 1319 ABGB die Feststellung, dass der Einsturz oder die Ablösung auf die mangelhafte Beschaffenheit des Gebäudes (Werks) zurückzuführen ist (2 Ob 60/11d mwN). Grundsätzlich ist das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen einen Schadenseintritt iSd § 1319 ABGB nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0029874; RS0029991). Vom Eigentümer des Bauwerks werden nach der ständigen Rechtsprechung nur solche Sicherheitsvorkehrungen verlangt, die vernünftigerweise nach der Auffassung des Verkehrs zu erwarten sind (RIS‑Justiz RS0030049).

2. Die Anforderungen an die allgemeine Verkehrssicherungspflicht dürfen nicht überspannt werden, soll sie keine in Wahrheit vom Verschulden unabhängige Haftung des Sicherungspflichtigen zur Folge haben (4 Ob 124/98h mwN; RIS‑Justiz RS0023893 [T2, T3]); sie findet ihre Grenze daher immer in der Zumutbarkeit möglicher Maßnahmen der Gefahrenabwehr (RIS‑Justiz RS0023397 [T11]). Umfang und Intensität von Verkehrssicherungspflichten richten sich dabei vor allem danach, in welchem Maß die Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen können (4 Ob 124/98h mwN uva; RIS‑Justiz RS0023726). Die Lösung der Frage, ob im konkreten Fall die Beklagte alles ihr Zumutbare zur Verhütung der Gefahren der vorliegenden Art getan hat, bildet wegen der über den Anlassfall nicht hinausgehenden Bedeutung keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (1 Ob 338/98g mwN; RIS‑Justiz RS0110202 [T4]), schließt doch die Kasuistik des Einzelfalls in der Regel eine beispielgebende Entscheidung aus.

3. Jedenfalls gut vertretbar ist, dass die Vorkehrungen im Hinblick auf die festgestellte Beschilderung ausreichend iSd § 1319 ABGB waren. Die Klägerin gestand schon in ihrer Klageschrift zu, dass sie die Stopptafel bemerkte. Sie blieb vor der Polleranlage wegen der Durchfahrt des Fiakers stehen und hatte genügend Zeit, den deutlichen Warnhinweis auf den versenkbaren Poller zu studieren, hatte sie doch aus ihrer Sichtposition direkten Blickkontakt zur Beschilderung. In der Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe nicht damit rechnen müssen, dass die Klägerin die eindringliche Warnung durch Verkehrszeichen und akustische sowie optische Signale nicht wahrnehmen oder nicht beachten würde, damit liege keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vor, sondern der Unfall sei auf die mangelnde Sorgfalt der Klägerin zurückzuführen, liegt keine im Interesse der Rechtssicherheit wahrzunehmende Verkennung der Rechtslage. Wenn das Fahren mit einem „Segway“ ‑ wie die Klägerin argumentiert ‑ ein erhöhtes Gefahrenpotential in sich birgt, muss der Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten besonders achtsam wählen. Dieser „erhöhte Unsicherheitsfaktor“ löst aber keine weitergehende Verkehrssicherungspflicht der Beklagten aus.

Mangels Verstoßes der Beklagten gegen die Verkehrssicherungspflicht kommt es nicht mehr darauf an, ob die Klägerin in der konkreten Unfallsituation noch die Chance gehabt hätte, unfallvermeidend zu reagieren. Sie zeigt nicht auf, inwiefern das Verhalten des Fiakerfahrers, der mittels Fernbedienung das Herausfahren des Pollers bewirkte, der Beklagten zuzurechnen sein sollte. Dass die Beklagte nachträglich ein Gefahrenzeichen anbrachte und darauf der Poller graphisch dargestellt ist, dient der Verkehrssicherheit, zeigt aber nicht auf, dass die Beklagte im Unfallszeitpunkt ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht ausreichend nachgekommen wäre. Dass der Poller zu schnell in die Höhe gefahren wäre, ist eine im Revisionsverfahren unbeachtliche Neuerung (§ 504 Abs 2 ZPO).

4. Da keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO beantwortet werden musste, ist die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Da die Beklagte auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat, stehen ihr Kosten für eine Revisionsbeantwortung zu (§ 41 und § 50 Abs 1 ZPO).

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