European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E128045
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen über das Feststellungsbegehren werden dahin abgeändert, dass das Urteil zu lauten hat:
„Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für die zukünftigen tatsächlich aufgewendeten Heilungskosten aus dem Unfall des Pferds 'B*' am 19. 10. 2017 haftet, soweit auch ein verständiger Tierhalter in der Lage des Geschädigten diese Kosten aufgewendet hätte.
Das darüber hinausgehende Feststellungsmehrbegehren wird abgewiesen.“
Hinsichtlich des Zahlungsbegehrens wird der Revision nicht Folge gegeben.
Die Kostenaussprüche der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die Fällung einer neuen Entscheidung über die Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens aufgetragen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei anteilige Barauslagen von 286,20 EUR binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 563,54 EUR (darin 93,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte war entgeltlich mit der Einstellung, Fütterung und Versorgung des Reitpferds „B*“ der Klägerin betraut. Am 19. 10. 2017 zog sich das Pferd bei einem Unfall Verletzungen zu, aufgrund derer es seit November 2018 ein „Pflegefall“ ohne wirtschaftlichen Wert ist und dauerhaft nicht mehr im Pferdesport verwendet werden kann. Konkret besteht eine unfallkausale Lahmheit an der rechten Vorder- und der linken Hintergliedmaße, an der sich nichts mehr ändern wird. Das Pferd benötigt auch zukünftig Spezialnahrung, Medikamente, (Schmerz-)Behandlungen und eine regelmäßige adäquate Betreuung, es leidet aber keine quälenden Schmerzen. Folgeschäden aufgrund der Vorschädigungen sind nicht auszuschließen. Aufgrund des Unfalls legte die Klägerin für das Aufsuchen des Pferds 4.098,5 Kilometer zusätzlich zurück. Die für den Hufschmied aufgewendeten Kosten wären auch ohne den Unfall entstanden. Die Klägerin hatte das Pferd noch vor dem Unfall zum Verkauf angeboten und war mit einer Interessentin ins Gespräch gekommen, wobei es sich noch nicht um ein konkretes Verkaufsgespräch handelte.
Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die Höhe des Schadenersatzanspruchs der Klägerin und die Berechtigung des Feststellungsbegehrens.
Die Klägerin begehrte die Zahlung von 30.298,82 EUR und die Feststellung der Haftung des Beklagten für zukünftige Schäden aus dem „Vorfall“ vom 19. 10. 2017. Das Zahlungsbegehren setzt sich unter anderem aus den Schadenspositionen Fahrtkosten, Kosten des Hufschmieds und Einstellgebühren des Pferds ab dem Unfallzeitpunkt zusammen. Die Klägerin brachte vor, die Einstellkosten, die Beschlagungskosten und die Fahrtkosten aus ihren auch ohne den Unfall regelmäßig getätigten Fahrten zum Pferdestall wären ihr ohne den Unfall nicht entstanden, weil sie das Pferd verkauft hätte.
Der Beklagte erwiderte – soweit für das Revisionsverfahren relevant –, die Fahrtkosten, die Einstell- und die Hufschmiedkosten wären der Klägerin auch ohne den Unfall entstanden. Es sei einzig die Willensentscheidung der Klägerin, das nicht heilbare und nicht verwertbare Pferd zu behalten; daraus resultierende Kosten seien nicht ersatzfähig.
Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren mit 12.736,42 EUR samt gestaffelter Zinsen statt und wies das Mehrbegehren von 17.562,40 EUR samt Zinsen sowie das Feststellungsbegehren ab.
Es sprach der Klägerin den Ersatz der Wertminderung des Pferds in der festgestellten Höhe (unter Abweisung eines Mehrbegehrens), der Fahrtkosten im festgestellten unfallkausalen Umfang (ebenfalls unter Abweisung eines Mehrbegehrens), sowie diverser Behandlungskosten zu. Den Anspruch auf Ersatz der Einstellungs- und Hufbeschlagungskosten wies es mit der Begründung ab, dass diese auch ohne den Unfall aufgelaufen wären und die Klägerin noch keine konkrete Kaufzusage gehabt habe. Das Feststellungsbegehren sei abzuweisen, weil mangels Besserbarkeit des Gesundheitszustands des Pferds keine Heilungskosten mehr auflaufen könnten und das Begehren zu unbestimmt sei.
Das Berufungsgericht gab der gegen die Abweisung des Leistungsbegehrens von 8.562,40 EUR samt gestaffelter Zinsen und gegen die Abweisung des Feststellungsbegehrens erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge. Es führte aus, es fehle an einer Tatsachengrundlage, dass die Klägerin ohne Unfall das Pferd verkauft hätte und daher die begehrten Fahrt-, Einstell- und Hufbeschlagskosten nicht mehr hätte tragen müssen.
Zum Feststellungsbegehren führte es aus, es stehe der Klägerin frei, ihr Pferd „einschläfern“ zu lassen. § 6 Abs 1 TSchG stehe dem nicht entgegen. Sie könne das Pferd auch einem zur Übernahme bereiten Dritten weitergeben. Das Entstehen weiterer Kosten liege daher in ihrer ausschließlichen Disposition. Die Schadenersatzpflicht des Beklagten erstrecke sich nicht auf nutzlose, vermeidbare Kosten. Damit seien keine ersatzfähigen künftigen Schäden aus der Verletzung des Pferds denkbar.
Die Revision sei zulässig, weil die Frage, ob § 6 Abs 1 TSchG der Tötung eines Haustiers entgegenstehe, das infolge einer unheilbaren Verletzung seine Zweckbestimmung nicht mehr erfüllen könne, vom Obersten Gerichtshof nicht entschieden sei.
Mit ihrer Revision strebt die Klägerin die Klagestattgebung hinsichtlich weiterer 7.562,40 EUR sowie hinsichtlich des Feststellungsbegehrens an. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Die Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht bei der Beurteilung des Feststellungsinteresses eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Sie ist auch teilweise berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Zum Feststellungsbeghren:
1.1. Die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden setzt voraus, dass die Möglichkeit solcher Schäden aus einem Schadensereignis besteht, also künftige Ersatzansprüche, insbesondere gesundheitliche Spät- oder Dauerfolgen, nicht ausgeschlossen werden können (RS0039018 [T28, T31]; vgl RS0038920; RS0038971 [T4, T5]).
1.2. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall schon deshalb erfüllt, weil das Pferd nach den Feststellungen auch künftig Medikamente und (Schmerz-)Behandlungen benötigen wird und Folgeschäden aus der Verletzung nicht auszuschließen sind.
2.1. Zu Unrecht verneint das Berufungsgericht das Feststellungsinteresse mit der Begründung, dass eine Tötung des invaliden Tieres das Entstehen weiterer Kosten verhinderte.
2.2. Gemäß § 6 Abs 1 TSchG ist es verboten, Tiere ohne vernünftigen Grund zu töten. Diese Bestimmung normiert einen (durch zahlreiche Ausnahmen eingeschränkten) Lebensschutz und damit ein grundsätzliches Tötungsverbot für alle Tiere (Binder, Das österreichische Tierschutzgesetz4 § 6 zu Abs 1 [59]).
Ist die Tötung eines Tiers – wie hier – weder durch eine Rechtsnorm vorgesehen bzw für zulässig erklärt (etwa Schlachtung, Tötung von Futtertieren, Tötung im Rahmen der Schädlings- und Seuchenbekämpfung, Jagd oder Fischerei), noch geboten (Nottötung), so ist das Vorliegen eines „vernünftigen Grundes“ im Einzelfall durch eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung des Tierschutzes zu beurteilen (vgl Binder, Tierschutzgesetz4 § 6 zu Abs 1 [59]).
Eine Erkrankung oder Verletzung rechtfertigt die Tötung eines Heimtiers – dazu zählen auch Reitpferde (Hinteregger in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 § 1332a ABGB Rz 2 Fn 3) – dann, wenn der Zustand des Tieres mit Schmerzen oder Leiden verbunden ist und eine Therapie nach fachkundigem Urteil entweder nicht erfolgversprechend scheint oder unmöglich oder dem Tierhalter (insbesondere aus Kostengründen) nicht zumutbar ist. Dabei ist auf die Wertungen des § 1332a ABGB zurückzugreifen (Binder, Tierschutzgesetz4 § 6 zu Abs 1 [60]).
Innerhalb der Zumutbarkeitsgrenze normiert § 15 TSchG eine Behandlungspflicht (Binder, Tierschutzgesetz4 § 6 zu Abs 1 [60]).
2.3. Eine generelle Schadensminderungsobliegenheit des Geschädigten, ein verletztes Tier jedenfalls fachgerecht töten zu lassen, besteht nicht. Dies ergibt sich schon daraus, dass § 1332a ABGB den Ersatz der Heilungskosten auch in einer den Wert des Tiers übersteigenden Höhe vorsieht.
2.4. In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof bereits klargestellt, dass in Fällen, in denen ein Tier ohne Aussicht auf Heilung verletzt wurde und daher den Nutzen, dessentwegen es vom Tierhalter angeschafft wurde, nicht mehr hat, nichts den Tierhalter daran hindert, das invalide Tier angesichts seiner oder der emotionalen Bindung eines Dritten am Leben zu lassen (RS0110774 = 1 Ob 160/98f).
3.1. Grund und Höhe des Schadenersatzanspruchs bei Verletzung eines Tiers bestimmen sich nach den Regelungen des ABGB über die Sachbeschädigung. Lediglich für die Kosten der Heilung des verletzten Tieres gilt die Sonderbestimmung des § 1332a ABGB (RS0110775).
3.2. Nach § 1332a ABGB gebühren im Fall der Verletzung eines Tieres die tatsächlich aufgewendeten Kosten der Heilung oder der versuchten Heilung auch dann, wenn sie den Wert des Tieres übersteigen, soweit auch ein verständiger Tierhalter in der Lage des Geschädigten diese Kosten aufgewendet hätte.
Unter Heilungskosten sind bei Menschen Aufwendungen zu verstehen, die durch die Körperverletzung veranlasst wurden und die gegenüber den ohne den Unfall erforderlich gewesenen gewöhnlichen Aufwendungen in der Absicht gemacht wurden, die gesundheitlichen Folgen des Unfalls zu beseitigen oder doch zu bessern (RS0030591). Unter dem Begriff der Heilungskosten ist bei Tieren nichts anderes zu verstehen (1 Ob 160/98f; Danzl in KBB5 § 1332a ABGB Rz 3).
3.3. Ob ein verständiger Tierhalter in der Lage des Geschädigten die tatsächlich aufgelaufenen Kosten aufgewendet hätte, ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0110776 [T1] = 8 Ob 93/01m).
4.1. Dem festgestellten Sachverhalt ist nicht zu entnehmen, dass das Pferd dauernde Schmerzen leiden würde. Zwar kann die Lahmheit nicht wieder beseitigt werden, Heilungskosten können aber etwa im Zusammenhang mit der Behandlung unfallkausaler Schmerzen oder von Folgeschäden auftreten.
Zur Regelmäßigkeit und Höhe der allenfalls in Zukunft notwendigen Behandlungskosten des Pferds der Klägerin haben die Vorinstanzen keine Feststellungen getroffen. Damit liegt aber kein Anhaltspunkt dafür vor, bereits zum Beurteilungszeitpunkt im vorliegenden Verfahren jegliche zukünftigen Heilungskosten als solche Kosten zu beurteilen, die ein „verständiger Tierhalter in der Lage des Geschädigten“ nicht mehr aufgewendet hätte.
Ob die Maßfigur des verständigen Tierhalters (dazu Reischauer in Rummel, ABGB³ § 1332a Rz 3) bestimmte tatsächlich aufgewendete Heilungskosten auf sich genommen hätte oder nicht, kann vielmehr erst dann beurteilt werden, wenn der Gesundheitszustand des Pferds zum Zeitpunkt der Behandlung, die Behandlungskosten, die Indikation für die konkrete Behandlung und deren angestrebter Erfolg feststehen.
Davon wird auch die Beurteilung abhängen, ob eine Tötung des Tiers nach § 6 TSchG – ausgehend von dessen Gesundheitszustand im Zeitpunkt der jeweiligen medizinischen Maßnahme – überhaupt zulässig wäre.
Dass eine Euthanasie des Pferds – das lediglich lahmt und nicht mehr geritten werden kann – bereits zum jetzigen Zeitpunkt zulässig wäre, nur weil das Auflaufen zukünftiger Behandlungskosten unbekannter Höhe möglich ist, kann allerdings nicht angenommen werden.
4.2. Das Entstehen weiterer ersatzfähiger Schäden aus dem streitgegenständlichen Unfall ist daher nicht – wie das Berufungsgericht meinte – aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen. Das Feststellungsinteresse der Klägerin ist daher zu bejahen.
4.3. Das Feststellungsbegehren ist allerdings nur hinsichtlich der zukünftigen Behandlungskosten berechtigt, die von der in § 1332a ABGB umschriebenen Maßfigur des verständigen Tierhalters in der Lage des Geschädigten aufgewendet worden wären. Dem darüber hinausgehenden Mehrbegehren auf Haftung für den Ersatz sämtlicher unfallkausaler Schäden kommt hingegen keine Berechtigung zu.
Im Übrigen war dem Urteilsspruch eine präzisere, dem von der Klägerin tatsächlich Gewollten entsprechende Fassung zu geben (vgl RS0039357; RS0041254 [T2, T16]), indem konkret auf den Unfall des Pferds „B*“ Bezug genommen wurde.
Zum Leistungsbegehren:
5. Über einen Verkauf des Pferds an S* wurden nach den Feststellungen noch keine konkreten Verkaufsverhandlungen geführt. Die Klägerin hat – abgesehen von ihrem Vorbringen zu dieser Interessentin – im erstinstanzlichen Verfahren nur vorgebracht, sie habe das Pferd verkaufen wollen, aber keine Behauptungen dazu aufgestellt, dass ihr dies (innerhalb eines bestimmten Zeitraums) jedenfalls gelungen wäre.
Die Vorinstanzen waren daher nicht gehalten, Feststellungen dazu zu treffen, ob ein Verkauf den Pferds ohne den Unfall überhaupt zustande gekommen wäre (vgl RS0053317). Auch die in diesem Zusammenhang gerügten Verfahrensmängel liegen daher nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
6.1. Dass es sich bei den Kosten der Einstellung und Behufung des Pferds sowie den Fahrtkosten zum Unterbringungsort des Pferds, die auch ohne den Unfall angefallen wären, um einen Ausgleich für die Vereitelung des Gebrauchs und damit um eine Entschädigung für die Beeinträchtigung ideeller Interessen handelt, die nur unter den besonderen, hier nicht behaupteten Voraussetzungen des § 1331 ABGB ersatzfähig sind (vgl RS0110774 = 1 Ob 160/98f), zieht die Revisionswerberin nicht mehr in Zweifel.
7. Die Kostenentscheidung zum erst- und zweitinstanzlichen Verfahren war dem Berufungsgericht vorzubehalten (RS0124588).
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 43 Abs 1, 50 ZPO. Die Revisionswerberin ist mit dem Feststellungsbegehren, auf das 40 % des Revisionsinteresses entfallen, rund zur Hälfte durchgedrungen.
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