OGH 14Os142/18s

OGH14Os142/18s25.6.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Juni 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Setz-Hummel in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Binder als Schriftführer in der Auslieferungssache des Dmitry F*****, AZ 313 HR 62/13k des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 21. Februar 2017, AZ 22 Bs 291/15b, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes sowie den Antrag des Dmitry F***** auf Erneuerung des Auslieferungsverfahrens nach § 363a StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, des Betroffenen und seiner Verteidiger Dr. Böhmdorfer, Mag. Schender, Dr. Hausmaninger und Dr. Dietrich zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0140OS00142.18S.0625.000

 

Spruch:

 

1./ In der Auslieferungssache AZ 313 HR 62/13k des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzt die in der Begründung des Beschlusses des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 21. Februar 2017, AZ 22 Bs 291/15b (ON 181), vertretene Rechtsauffassung, wonach „rein kriminelle Taten nicht in den Regelungsbereich des Art 4 Abs 3 des Abkommens“ fielen, Art 4 Abs 3 des Auslieferungsvertrags der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika (BGBl III 1999/216).

2./ Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird verworfen.

3./ Dem Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens wird nicht Folge gegeben.

 

Gründe:

Mit Note des United States Department of Justice vom 31. März 2014 (ON 43 S 7 ff) übermittelten die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) das Ersuchen um Auslieferung des ukrainischen Staatsangehörigen Dmitry F***** zur Strafverfolgung wegen der im Auslieferungsersuchen angeführten Straftaten.

Nach der gegen den Betroffenen zur Zahl 13 ***** am 20. Juni 2013 beim Bundesbezirksgericht für den Bezirk Illinois‑Nord eingebrachten Anklageschrift (ON 41) ist der Genannte der Begehung von Straftaten verdächtig, die die US‑amerikanischen Strafverfolgungsbehörden als Verschwörung zum organisierten Verbrechen (Titel 18, United States Code § 1962 [d]), der Verschwörung zur Geldwäscherei (Titel 18, United States Code § 1956 [h] und § 2), des zwischenstaatlichen Reisens zur Unterstützung von organisierter Kriminalität (Titel 18, United States Code § 1952 und § 2) und der Verschwörung zum Bestechen eines ausländischen Amtsträgers (Titel 18, United States Code § 371 und § 2) subsumierten.

Mit Beschluss vom 30. April 2015, GZ 313 HR 62/13k‑140, erklärte der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien die begehrte Auslieferung mangels eines sich aus den Auslieferungsunterlagen ergebenden hinreichenden Tatverdachts für nicht zulässig (ON 140 S 207).

Mit Blick auf die Möglichkeit des Nachreichens weiterer Dokumente in einem allfälligen Rechtsmittelverfahren erörterte der Einzelrichter dabei auch Art 4 Abs 3 des Auslieferungsvertrags zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, BGBl III 1999/216 idF BGBl III 2010/5 (in der Folge: Auslieferungsvertrag USA). Nach diesem werde eine Auslieferung dann abgelehnt, wenn – unabhängig vom Tatverdacht und von der Tat selbst – die Beweggründe, die zur Stellung des Auslieferungsbegehrens geführt hätten, (zumindest auch) politischer Natur seien (ON 140 S 213 f). Diese Regelung sei so zu verstehen, dass jede Art der politischen Motivation des Auslieferungsbegehrens, gleich ob innen-, geo-, wirtschafts- oder machtpolitisch, zu dessen Ablehnung führen müsse (ON 140 S 217).

Nach ausführlicher Darlegung der dazu angestellten Erwägungen (ON 140 S 221 ff) bejahte das Erstgericht die politische Motivation des Auslieferungsersuchens.

Zur Begründung dieser Annahme setzte es sich nicht nur eingehend mit der Person des Dmitry F***** und der jüngeren Geschichte der Ukraine unter Beleuchtung von Einflussnahmen des Betroffenen, dem es ungeachtet des Auslieferungsverfahrens nach wie vor politisches Gewicht in der Ukraine zumaß, auseinander. Der Erstrichter erörterte – unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Interessen der USA – auch die „Gaskrisen“ der Jahre 2006 und 2009 mit Blick sowohl auf die Tätigkeit des Betroffenen im Gashandel als auch seinen Konflikt mit der ehemaligen Ministerpräsidentin Julija T*****.

Bezugnehmend auf das politische Engagement von Dmitry F***** setzte sich der Einzelrichter mit dessen – nach seiner Einschätzung amerikanischen Interessen zuwiderlaufenden – Unterstützung von Wiktor J***** im Präsidentschaftswahlkampf 2010 auseinander und verwies auf die Einschätzung des Zeugen Wolfgang P*****, wonach die USA sich bereits ab Jänner 2006 bemüht hätten, ein vom Betroffenen geleitetes Unternehmen (und somit diesen selbst) aus seiner „Stellung im Gassektor zu verdrängen“.

Schließlich stellte das Erstgericht detailliert die politischen Ereignisse in der Ukraine dem Vorgehen der amerikanischen Behörden in der gegenständlichen Auslieferungssache gegenüber. Dabei setzte es insbesondere den am 1. November 2013 erfolgten Widerruf eines ersten Ersuchens um Festnahme des Dmitry F***** vom 30. Oktober 2013 in Beziehung zu einer für Ende November 2013 geplanten Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Ukraine sowie einer Reise der im amerikanischen Außenministerium für Europa und Eurasien zuständigen Victoria N***** in die Ukraine. Das am 27. Februar 2014 übermittelte (erneute) Ersuchen um vorläufige Festnahme des Betroffenen brachte der Erstrichter in Verbindung mit der Weigerung des ukrainischen Präsidenten J*****, das Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen, die dadurch ausgelöste Protestwelle („Euromaidan“, ON 140 S 347) und die Ankündigungen von Julija T***** und Vitali K*****, bei der Präsidentschaftswahl anzutreten. Unter Verweis auf ein „geleaktes“ Telefonat zwischen Victoria N***** und dem amerikanischen Botschafter in der Ukraine erachtete das Erstgericht die Kandidatur Vitali K*****s – aufgrund der Unterstützung durch den Betroffenen – als den USA nicht genehm (ON 140 S 355).

Der Einzelrichter betrachtete das (erste) Ersuchen um „Festnahme eines seiner engsten Berater und einer der einflussreichsten Personen in der Ukraine“ als Druckmittel gegen den ukrainischen Präsidenten in den Gesprächen um das Assoziierungsabkommen und sah das erneute Festnahmeersuchen darin motiviert, dass die USA Dmitry F***** an weiteren politischen Einflussnahmen hindern hätten wollen. Auf diese Zusammenschau der politischen Ereignisse in der Ukraine und das Vorgehen amerikanischer Behörden bei den Ersuchen um vorläufige Festnahme gründete er die politische Motivation des am 1. April 2014 gestellten Auslieferungsersuchens (ON 140 S 361 ff).

Demgegenüber erachtete das Erstgericht das ausdrückliche Bestreiten politischer Beweggründe durch die US‑amerikanischen Behörden als nicht überzeugend (ON 140 S 365 ff).

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluss richtete sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 162), die das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts unter anderem auf weitere zwischenzeitig von den amerikanischen Behörden übermittelte Unterlagen (insbesondere unterschriebene Zusammenfassungen der Aussagen von zwei Belastungszeugen, ON 152 und ON 153) gründete. In Art 4 Abs 3 Auslieferungsvertrag USA erblickte die Beschwerdeführerin zwar ein dem ARHG fremdes, über § 14 ARHG hinausgehendes (dem Auslieferungsasyl in § 19 Z 3 ARHG entsprechendes) Auslieferungshindernis, das aber „zu erwartende massive, mit rechtsstaatlichen Wertungen nicht in Einklang zu bringende Nachteile, wie insbesondere eine den Betroffenen konkret treffende Gefahr einer politischen Verfolgung oder andere schwerwiegende, Menschenrechtsverletzungen gleichkommende Beeinträchtigungen“ voraussetze.

Dieser Beschwerde gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 21. Februar 2017, AZ 22 Bs 291/15b (ON 181), Folge und erklärte die Auslieferung des Dmitry F***** für nicht unzulässig.

Unter Berücksichtigung nachträglich übermittelter Unterlagen ging das Beschwerdegericht von einem hinreichenden Tatverdacht aus (BS 5 ff) und verneinte das Vorliegen von politischen Beweggründen im Sinn des Art 4 Abs 3 Auslieferungsvertrag USA (BS 15 ff). Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Wien sei diese Bestimmung „im Gegensatz zum reinen Wortlaut“ so zu verstehen, dass „Ausgangspunkt der Überprüfung politischer Beweggründe doch der (politische) Charakter der Tat sei, nicht hingegen jedwede politische Interessenlage des Zielstaats“. Somit fielen „rein kriminelle Taten nicht in den Regelungsbereich des Art 4 Abs 3 des Abkommens“ (BS 16). Diese Ansicht gründete das Rechtsmittelgericht auf die (österreichischen) Gesetzesmaterialien und einen Vergleich mit dem Auslieferungsvertrag zwischen der BRD und den USA. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts sei „unter Berücksichtigung des Willens des Gesetzgebers eine teleologisch einschränkende Auslegung des Art 4 Abs 3 des Abkommens vorzunehmen, die dazu führt, dass die vom Erstgericht herangezogenen Ereignisse in der Ukraine vom Herbst 2013 bis ins Frühjahr 2014, die also mehrere Jahre nach den inkriminierten Handlungen und Monate nach der Anklageerhebung stattfanden, sowie das angenommene außen- bzw geopolitische Interesse der USA an einer Verhaftung des Betroffenen im angeführten Zeitraum, mangels politischen Charakters der Tat nicht in den Anwendungsbereich des Art 4 Abs 3 des Abkommens fallen“ (BS 17). Neben einer vom Rechtsmittelsenat in Art 44 Abs 4 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Korruption (BGBl III 2006/47) erblickten Auslieferungsverpflichtung im Sinn des Art 4 Abs 2 lit c Auslieferungsvertrag USA (BS 18) führte das Beschwerdegericht auch Praktikabilitätserwägungen (insbesondere Beweisprobleme) für seine Ansicht ins Treffen (BS 18 f).

Auf der Tatsachenebene ging das Rechtsmittelgericht davon aus, dass selbst unter Zugrundelegung der (gegenteiligen) erstgerichtlichen Auslegung des Art 4 Abs 3 Auslieferungsvertrag USA eine politische Motivation des Auslieferungsbegehrens nicht ausreichend indiziert sei. Zwar konzedierte das Oberlandesgericht Wien, dass es sich beim Betroffenen um eine politisch einflussreiche Person gehandelt habe und die Umstände hinsichtlich des zunächst eilig gestellten, dann widerrufenen und später wiederholten Festnahmeersuchens im historischen Kontext auffällig erscheinen würden. Diesen Bedenken hielt es jedoch Überlegungen entgegen, wonach politische Aktivitäten einem Auslieferungsverfahren nicht entgegenstehen dürften (BS 19 f).

Darüber hinaus erwog das Beschwerdegericht, dass bei der Prüfung eines Auslieferungsbegehrens ein strenger Maßstab anzulegen sei. Danach sei kein unlauteres Interesse des Zielstaats anzunehmen, weil es sich bei den „USA um ein Land mit langer demokratischer und rechtsstaatlicher Tradition“ handle, in dem der Betroffene „keine politischen Handlungen“ gesetzt habe, die „inkriminierten Taten rein kriminellen Charakter“ aufweisen würden, die „Ermittlungen und Anklageerhebung vor den nun behaupteten politisch relevanten Geschehnissen“ erfolgt seien und sich „die Anklage gegen mehrere Personen aus verschiedenen Ländern“ richte (BS 20).

Unter Hinweis darauf, dass die USA auch die Verhaftung eines mutmaßlichen Komplizen betrieben hätten, hielt der Senat außerdem fest, dass sich die Sachlage anders gestalten würde, wenn „ein Mensch in ein Land mit wenig ausgeprägter Rechtsstaatlichkeit, Gewaltentrennung und Demokratie“ ausgeliefert werden solle, „wo ihm auch politische Agitation und/oder politisch strafbare Handlungen vorgeworfen“ würden, also „die Justiz in ein Spannungsfeld zwischen unabhängiger Entscheidung und starkem Einfluss der Exekutive“ geraten würde (BS 21). Unter Berücksichtigung einer Entscheidung eines US-Bundesrichters betreffend vom Präsidenten der USA erlassener Einreiseverbote führte das Beschwerdegericht aus, dass gerade die US-amerikanische Justiz ihre Unabhängigkeit „kürzlich eindrucksvoll unter Beweis gestellt“ habe. Schließlich ging das Rechtsmittelgericht davon aus, dass unter diesen Gesichtspunkten „aber auch bei einer wörtlichen Interpretation des Art 4 Abs 3 des Abkommens keine ausreichenden Hinweise für politische Beweggründe“ vorliegen. An diesem Kalkül vermochten für den Senat auch vorgelegte Zeitungsartikel nichts zu ändern und „sei darüber hinaus zu diesem Thema auf die – nach der kontinentaleuropäischen Tradition zu beachtenden – Ausführungen des ersuchenden Staates“ zu verweisen, wonach … eine politische Motivation begründet bestritten wird“ (BS 21 f). Da die Fahndung und das erste Festnahmeersuchen zeitnah nach Anklageerhebung erfolgten, sei auch das nachfolgende Auslieferungsverfahren grundsätzlich unbedenklich (BS 22).

Gegen diesen Beschluss des Beschwerdegerichts richten sich die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes sowie der vom Betroffenen gestellte Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens.

 

I./ Zur Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes:

Darin führt die Generalprokuratur Folgendes aus:

Gemäß § 33 Abs 3 ARHG hat das Gericht die Zulässigkeit der Auslieferung in rechtlicher Hinsicht umfassend in Bezug auf Auslieferungsvoraussetzungen und Auslieferungshindernisse zu prüfen. Dabei hat es neben den jeweils zur Anwendung kommenden nationalen auslieferungsrechtlichen, strafrechtlichen und strafprozessualen Bestimmungen auch insbesondere sich aus zwischenstaatlichen Vereinbarungen ergebende Auslieferungsvoraussetzungen und -hindernisse zu berücksichtigen. Der Anwendungsvorrang zwischenstaatlicher Vereinbarungen in § 1 ARHG bedeutet, dass selbst dort, wo das ARHG etwa die Auslieferung und Rechtshilfe in einem weiteren Maß zulässig erklärt als die anzuwendende zwischenstaatliche Vereinbarung, die engeren Grenzen aus letzterer zur Anwendung kommen (Martetschläger in WK² ARHG § 1 Rz 4; Göth-Flemmich in WK² ARHG § 33 Rz 8).

Die Entscheidung des Gerichts über die Zulässigkeit der Auslieferung erfolgt auf Grundlage des Auslieferungsersuchens und der vom ersuchenden Staat übermittelten Auslieferungsunterlagen ( Göth-Flemmich in WK² ARHG § 33 Rz 2). Bleiben nach deren Prüfung Zweifel am Vorliegen eines sich daraus ergebenden oder vorgebrachten Auslieferungshindernisses bestehen und können diese auch durch eine zulässige Zusicherung des ersuchenden Staates nicht verlässlich ausgeräumt werden, so ist die Auslieferung vom Gericht für unzulässig zu erklären ( Göth‑Flemmich in WK² ARHG § 33 Rz 7).

Diesen Prüfkriterien entspricht der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 21. Februar 2017, AZ 22 Bs 291/15b, nicht.

1./ Die vom Oberlandesgericht Wien vorgenommene Auslegung des Art 4 Abs 3 Auslieferungsvertrag USA ist rechtlich verfehlt:

Art 4 Auslieferungsvertrag USA sieht unter der Überschrift „ Politische und militärische strafbare Handlungen “ vor:

(1) Die Auslieferung wird nicht bewilligt, wenn die strafbare Handlung, derentwegen um Auslieferung ersucht wird, eine politische strafbare Handlung ist.

(2) Für die Zwecke dieses Vertrages werden die folgenden strafbaren Handlungen nicht als politische strafbare Handlungen angesehen:

a) Mord;

b) ein anderes vorsätzliches Verbrechen gegen die Person des Staatsoberhauptes eines der Vertragsstaaten oder gegen ein Mitglied der Familie des Staatsoberhauptes; und

c) eine strafbare Handlung, derentwegen beide Vertragsstaaten auf Grund eines mehrseitigen, internationalen Übereinkommens verpflichtet sind, den Verfolgten entweder auszuliefern oder die Angelegenheit den eigenen zuständigen Behörden zur Entscheidung über die Strafverfolgung zu unterbreiten.

(3) Die Auslieferung wird nicht bewilligt, wenn die zur Behandlung zuständige Behörde des ersuchten Staates entscheidet, dass das Ersuchen aus politischen Beweggründen gestellt wird.

(4) Der ersuchte Staat kann die Auslieferung für Handlungen des Militärstrafrechtes ablehnen, die nicht auch strafbare Handlungen des allgemeinen Strafrechtes sind.

 

Internationale Abkommen gehören nach ihrer Transformation ins nationale Recht dem nationalen Rechtsbestand an, bleiben jedoch Völkerrecht. Somit haben innerstaatliche Rechtsanwendungsorgane bei ihrer Interpretation die völkerrechtlichen Regeln anzuwenden, die in Form der Normen des Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) als Vertragsbestimmungen, sonst als Völkergewohnheitsrecht innerstaatlich geltend und wirksam sind (Binder/Zemanek in Reinisch, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts I5 Rz 335). Gemäß Art 31, 32 WVK kommt dabei dem Wortlaut besonders große Bedeutung zu. Darüber hinaus ist die Bedeutung der Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen nach ihrem Zusammenhang und im Lichte des Ziels und Zwecks der Regelung zu beurteilen. Ergänzende Auslegungsmittel dürfen nicht zu einer Korrektur des durch die bloße Textauslegung gewonnenen Sinns führen (vgl 5 Ob 21/15x).

Zwar haben die USA die WVK nicht ratifiziert, jedoch hat der sich in Art 31 Abs 1 WVK findende Grundsatz, wonach der objektive Parteiwille wie er im Vertragstext zum Ausdruck kommt, entscheidend ist, gewohnheitsrechtliche Bedeutung (vgl Herdegen , Völkerrecht 138 Rn 29 mwN).

Bei Auslegung nach Treu und Glauben unter primärer Orientierung am Vertragstext werden in Art 4 Auslieferungsvertrag USA drei selbstständige Gründe für die Ablehnung einer Auslieferung genannt: Neben politischen strafbaren Handlungen (Abs 1 mit den in Abs 2 dargestellten Ausnahmen) und Handlungen des Militärstrafrechts (Abs 4) auch dann, wenn „das Ersuchen aus politischen Beweggründen gestellt wird“ (Abs 3; gleichermaßen authentischer englischer Text: „Extradition shall not be granted if the executive anthority of the Requested State determines that the request was politically motivated“, BGBl III 1999/216).

Damit stellt – ungeachtet dessen, dass Art 4 Auslieferungsvertrag USA mit „Politische und militärische strafbare Handlungen“ überschrieben ist – Abs 3 leg cit ausschließlich auf das Auslieferungsersuchen als solches und gerade nicht auf die zugrundeliegende Tat ab. Eine Auslegung, wonach „rein kriminelle Taten“ nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen, findet somit – wie auch das Beschwerdegericht einräumte (BS 16) – im Wortlaut keine Deckung. Zudem verbietet der Zweck dieser Regelung, nämlich einem Betroffenen Schutz vor Missbrauch des Strafrechts zu politischen Zwecken zu gewähren, eine solche Einschränkung ihres Anwendungsbereichs (allgemein zur völkerrechtlichen Entwicklung diesbezüglich siehe Delbrück/Wolfrum in Dahm , Völkerrecht² I/2, 172 f).

Schon im Ansatz (zur Interpretation von völkerrechtlichen Vertragsbestimmungen vgl Binder/Zemanek in Reinisch , Österreichisches Handbuch des Völkerrechts I 5 Rz 317 ff) fehl geht die Berufung des Oberlandesgerichts Wien [einseitig] auf den „Willen des [österreichischen] Gesetzgebers“ (BS 17). Ergänzende Auslegungsmittel (wie die vom Beschwerdegericht angeführten Gesetzesmaterialien) sind in erster Linie zur Bestätigung der Textauslegung heranzuziehen. Nur wenn diese die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel lässt oder zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt, dürfen sie direkt der Bedeutungsbestimmung dienen ( Binder/Zemanek in Reinisch, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts I 5 Rz 325). Da die vorliegende Regelung aber klar und unmissverständlich ist, bedarf es nicht des Rückgriffs auf subsidiäre Erkenntnisquellen (zur Frage „einseitiger Erklärungen interpretativen Charakters“ in EB siehe Binder/Zemanek aaO Rz 324, 298).

Unverständlich bleibt der Hinweis des Oberlandesgerichts Wien auf den Auslieferungsvertrag zwischen der BRD und den USA, enthält dieses Abkommen – wie auch das Beschwerdegericht insofern zutreffend anführt (BS 17) – keine der hier in Rede stehenden Bestimmung vergleichbare Regelung.

Dementsprechend steht der Beschluss des Rechtsmittelgerichts in der in seiner Begründung vertretenen Rechtsansicht, wonach „rein kriminelle Taten“ nicht in den Anwendungsbereich von Art 4 Abs 3 Auslieferungsvertrag USA fallen würden, mit dem Gesetz nicht in Einklang.

2./ Den (erkennbar bloß hilfsweise getroffenen) Konstatierungen des Beschwerdegerichts, wonach auch bei Zutreffen der erstgerichtlichen Auslegung eine politische Motivation des Auslieferungsbegehrens im vorliegenden Fall nicht ausreichend indiziert ist (BS 19) und keine ausreichenden Hinweise für politische Beweggründe vorliegen (BS 21), haften wegen offenbar unzureichender Begründung (§ 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO) – mit Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wahrzunehmende (RIS-Justiz RS0123668; Fabrizy , StPO 13 § 23 Rz 4a; Schroll , WK‑StPO § 23 Rz 6/2; Ratz , WK‑StPO § 292 Rz 17) – formale Begründungsmängel an.

Gemäß § 86 Abs 1 StPO hat ein Beschluss neben Spruch und Rechtsmittelbelehrung eine Begründung zu enthalten, in der die tatsächlichen Feststellungen und die rechtlichen Überlegungen auszuführen sind, die der Entscheidung zugrunde gelegt werden. Die Pflicht zur Angabe des rechtlich als entscheidend beurteilten Sachverhalts umfasst auch jene zur Darlegung der Tatsachen (Beweisergebnisse), auf denen diese Sachverhaltsannahmen beruhen. Damit erst wird die Tatsachengrundlage der Entscheidung (§ 35 Abs 2 erster Fall StPO) dahin überprüfbar, ob sie in formal einwandfreier Weise – also ohne Begründungsmängel iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO und demnach nicht willkürlich – geschaffen wurde (vgl 15 Os 35/18p).

Diese – auch für reformatorische Beschwerdeentscheidungen (§ 89 Abs 2b StPO) geltende – Pflicht zur mängelfreien Begründung verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien.

Legte das Erstgericht seine zur Annahme politischer Beweggründe des Auslieferungsersuchens führenden Erwägungen (wie oben bereits dargestellt) detailliert dar, erschöpft sich die Begründung des Beschwerdegerichts für deren Negation im Wesentlichen in spekulativen Ausführungen zur Möglichkeit auch gegenteiliger Schlussfolgerungen (vgl auch BS 22 f).

Obwohl das Rechtsmittelgericht dem Erstgericht noch ausdrücklich zustimmte, dass „die Umstände hinsichtlich des zunächst eilig gestellten, dann widerrufenen und später wiederholten Festnahmeersuchens im historischen Kontext auffällig erscheinen“ (BS 20 f), setzte es dem in der Folge jedoch bloß allgemeine Erwägungen, wonach politische Betätigung eine Auslieferung „nur in Ausnahmefällen“ hindern dürfe, sowie Spekulationen, dass ansonsten „Straftäter gar in dieser Absicht eine politische Karriere erst beginnen könnten“, ohne Bezugnahme auf den  konkreten Sachverhalt entgegen. Auch wenn „jeder einflussreiche ‚pro-russisch‘ agierende Politiker oder Wirtschaftsmagnat“ sich „mit denselben Argumenten“ auf dieses Auslieferungshindernis berufen könnte, entbindet dies das Beschwerdegericht nicht von seiner Pflicht, sich mit einem solchen Einwand auseinanderzusetzen. Dass es sich bei den USA um „ein Land mit langer demokratischer und rechtsstaatlicher Tradition handelt“, ist ein untaugliches Argument, lässt sich doch – weil auch demokratische Rechtsstaaten politische Interessen verfolgen können – daraus ein Schluss auf die zu begründende Tatsache nicht ziehen. Nicht aussagekräftig für eine politische Motivation des Auslieferungsersuchens in Ansehung von Dmitry F***** ist ferner, ob auch gegen weitere Personen ermittelt und Anklage erhoben worden ist oder die Verhaftung auch einer weiteren Person betrieben worden ist (BS 20 f unter Bezugnahme auf ON 172 S 267 ff). Gleiches gilt für die ins Treffen geführte Unabhängigkeit der US-Gerichte (BS 21), sagt diese doch nichts über politische Beweggründe für das konkrete – vom US-Justizministerium übermittelte – Auslieferungsersuchen aus.

Überdies verweist das Oberlandesgericht Wien bei der Prüfung politischer Beweggründe ausdrücklich auf die „nach der kontinentaleuropäischen Tradition“ zu beachtenden Ausführungen des ersuchenden Staates (BS 21) und spricht solcherart das im Auslieferungsverfahren geltende formelle Prüfungsprinzip (zum Begriff vgl Göth‑Flemmich in WK 2 § 33 ARHG Rz 3; RIS‑Justiz RS0125233) an. Dabei verkennt es jedoch den unterschiedlichen Prüfungsmaßstab hinsichtlich des Tatverdachts einerseits und der Auslieferungsvoraussetzungen und ‑hindernisse andererseits. Der für das Auslieferungsverfahren geforderte Tatverdacht wird bei schlüssigen Unterlagen vermutet. Zweifel bezüglich des Vorliegens eines Auslieferungshindernisses gehen aber zu Lasten des ersuchenden Staates und nicht des Betroffenen, weshalb der Maßstab diesbezüglich höher ist als hinsichtlich der Begründetheit des Tatverdachts (vgl Murschetz , Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, 295 f und 298). Insofern hat das Beschwerdegericht von dem ihm eingeräumten Beweiswürdigungsermessen nicht im Sinn des Gesetzes Gebrauch gemacht (vgl RIS‑Justiz RS0096557).

Da der Eintritt eines Nachteils für den Betroffenen Dmitry F***** durch die aufgezeigten Gesetzesverletzungen nicht ausgeschlossen werden kann, wird deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen sein (§ 292 letzter Satz StPO).

 

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

1./ Wie die Generalprokuratur zutreffend betont, sind internationale Abkommen selbst nach ihrer Transformation in das nationale Recht nach völkerrechtlichen Regeln auszulegen. Gemäß (dem zum Bestand völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts gehörenden) Art 31 Abs 1 WVK (Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge) ist ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen.

Nach Art 4 Abs 3 Auslieferungsvertrag USA, dem im Übrigen auch das Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung (ABl L 181/27) nicht entgegensteht (vgl Art 17 Abs 1 dieses Abkommens), wird die Auslieferung nicht bewilligt, wenn die zur Behandlung zuständige Behörde des ersuchten Staats entscheidet, dass das Ersuchen aus politischen Beweggründen gestellt wird.

Aus dem Wortlaut dieser Vertragsbestimmung ergibt sich eindeutig, dass bestimmte Kategorien strafbarer Handlungen gerade nicht von der Prüfung hinsichtlich politischer Beweggründe des Auslieferungsbegehrens ausgenommen sind. Anhaltspunkte für eine davon abweichende Auslegung bestehen nicht.

Der vom Oberlandesgericht vorgenommenen teleologischen Reduktion steht im Übrigen auch entgegen, dass die wörtliche Interpretation dieser Bestimmung zu keinem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt (vgl Binder/Zemanek in Reinisch , Österreichisches Handbuch des Völkerrechts I 5 Rz 325). Denn der Art 4 Abs 3 Auslieferungsvertrag USA zugrunde liegende Norminhalt, dass der Betroffene über das Auslieferungshindernis des § 19 Z 3 ARHG hinaus in jedem Fall – also unabhängig von der Art des ihm angelasteten kriminellen Verhaltens – vor politisch instrumentalisierten Auslieferungsverfahren geschützt werden soll, ist rechtsstaatlich besehen einwandfrei und somit nicht zu beanstanden.

Damit war die Gesetzesverletzung wie im Spruch ersichtlich festzustellen.

2./ Die Tatsachenannahmen eines Beschlusses verletzen das Gesetz, wenn diese ein Begründungsdefizit im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 StPO aufweisen und demnach willkürlich getroffen wurden (15 Os 35/18p; vgl Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 9.142). Solche Rechtsfehler sind allerdings (auch im Verfahren über eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes) auf Grundlage der Gesamtheit der Entscheidungsgründe aufzuzeigen (vgl RIS‑Justiz RS0119370).

Im angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht das Vorliegen eines politisch motivierten Auslieferungsbegehrens (zusammengefasst) deshalb verneint (BS 20 ff), weil

a./ die USA ein Land mit langer demokratischer und rechtsstaatlicher Tradition seien,

b./ der Betroffene im ersuchenden Staat keine politischen Handlungen gesetzt habe,

c./ die inkriminierten Taten „rein kriminellen“ Charakter aufweisen (somit keine politischen Delikte darstellen) würden,

d./ die Ermittlungen und die Anklageerhebung vor den behaupteten politischen Veränderungen in der Ukraine erfolgt seien,

e./ sich die Anklage gegen mehrere Personen aus verschiedenen Ländern richte,

f./ die US‑amerikanische Justiz politisch unabhängig sei und

g./ die USA eine politische Motivation des Auslieferungsbegehrens begründet in Abrede gestellt hätten.

Indem sich die Generalprokuratur ausschließlich gegen die zu a./ und e./ bis g./ dargestellten Begründungselemente wendet, aber die übrigen Erwägungen des Beschwerdegerichts (b./ bis d./) zur Gänze ausblendet, zeigt sie eine Gesetzesverletzung im dargelegten Sinn nicht auf.

Bleibt im Übrigen anzumerken, dass das Vorliegen des Auslieferungshindernisses des Art 4 Abs 3 Auslieferungsvertrag USA nur anhand von Indizien geklärt werden kann. Solcherart ist aber eine indirekte Beweisführung unter Heranziehung von objektivierbaren Umständen, wie (hier) die (von der Nichtigkeitsbeschwerde als solche auch nicht bestrittene) „demokratische und rechtsstaatliche“ Tradition der USA und die „Unabhängigkeit ihrer Justiz“, welche nach Art einer Reflexwirkung auf die politische Entscheidungsfindung Einfluss haben können, unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.

Der weiteren Rechtsmittelkritik zuwider hat das Oberlandesgericht, soweit es illustrativ auch die „kontinentaleuropäische Tradition“ bei Bewertung der Ausführungen des ersuchenden Staats zur Frage der politischen Motivation des Auslieferungsersuchens ins Spiel brachte (BS 21 f), nicht zum Ausdruck gebracht, dass es sich insoweit durch das (für die Prüfung des dringenden Tatverdachts geltende) formelle Prüfungsprinzip (§ 33 ARHG; RIS‑Justiz RS0125233; Göth‑Flemmich in WK 2 ARHG § 33 Rz 3) beschränkt erachtet hätte. Hinweise dafür, dass das Beschwerdegericht insoweit von seinem Beweiswürdigungsermessen nicht in gesetzlich gebotener Weise Gebrauch gemacht hätte, ergeben sich mit Blick auf die inhaltliche Erörterung der in Rede stehenden Erklärung der USA im Übrigen auch nicht.

Davon abgesehen hat das Oberlandesgericht in diesem Umstand ersichtlich (arg: „darüber hinaus“) keine notwendige Bedingung für die Feststellung des Fehlens der politischen Motivation des vorliegenden Auslieferungsbegehrens erblickt (vgl RIS-Justiz RS0116737; Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 9.116).

Die Generalprokuratur zeigt somit keinen Begründungsmangel der angefochtenen Entscheidung auf, weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde in diesem Umfang zu verwerfen war.

Daraus folgt aber auch, dass sich die eingangs (zu 1./) aufgezeigte Gesetzesverletzung nicht zum Nachteil des Betroffenen ausgewirkt hat. Der Oberste Gerichtshof sah sich somit nicht veranlasst, ihre Feststellung mit konkreter Wirkung zu verbinden (vgl § 292 letzter Satz StPO).

 

II./ Zum Erneuerungsantrag des Betroffenen:

1./ Ein Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens kann auch im erweiterten Anwendungsbereich des § 363a StPO – dessen Wortlaut folgend – nur wegen einer Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle gestellt werden (RIS‑Justiz RS0132365). Das Vorbringen des Antragstellers hat daher, soweit es sich auf nationale Grundrechte (Art 2 StGG, Art 7 B‑VG) und darüber hinaus auf Art 49 Abs 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bezieht, auf sich zu beruhen (vgl dazu EuGH 24. 10. 2018, C‑234/17, XC ua sowie 13 Os 49/16d [verstärkter Senat]).

2./ Gleiches gilt, soweit vorgebracht wird, dass durch die (im Rahmen der Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde aufgezeigte) unrichtige Auslegung des Art 4 Abs 3 Auslieferungsvertrag USA Art 5 MRK verletzt worden wäre. Denn dieses Grundrecht ist – zufolge Subisdiarität gegenüber der Grundrechtsbeschwerde – von vornherein nicht Gegenstand im Verfahren über einen Erneuerungsantrag (RIS‑Justiz RS0123350). Davon abgesehen wäre die bekämpfte Entscheidung nicht kausal für die behauptete Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit und korrespondierende Grundrechte. Insoweit geht daher die Bezugnahme des Erneuerungsantrags auf Art 1 1. ZPMRK (welches Grundrecht mit Blick auf die Kaution thematisiert wird) und auf Art 2 4. ZPMRK (im Zusammenhang mit Weisungen) ins Leere. Dazu wird im Antrag selbst darauf hingewiesen, dass „als Folge der Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien vom Erstgericht mit Beschluss vom 24. Februar 2017 die gelinderen Mittel verschärft worden“ seien. Allfällige aus Freiheitsentzug oder Freiheitsbeschränkungen resultierende Grundrechtsverletzungen hätten daher mit Rechtsmitteln gegen diese Entscheidung geltend gemacht werden müssen. Die vorliegend bekämpfte Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung hat mit solchen freiheitsbezogenen Grundrechten nichts zu tun (vgl RIS‑Justiz RS0116089, RS0111221; insbesondere 14 Os 41/12d).

3./ Schließlich ist nach ständiger Rechtsprechung Art 6 MRK in Bezug auf das Verfahren im ersuchten Staat nicht anwendbar. Unter diesem Aspekt kann nach herrschender Lehre und ständiger Rechtsprechung nur ein drohendes unfaires Verfahren im ersuchenden Staat (siehe dazu unten 5./) geltend gemacht werden (vgl RIS‑Justiz RS0123200 [T2, T3]). Gegenteiliges ist auch aus vom Erneuerungswerber (isoliert) zitierten Aussagen des EGMR (9. 4. 2015, A. T. gegen Luxemburg, 30460/13, welche Entscheidung sich auf das Recht auf anwaltlichen Beistand schon bei der ersten polizeilichen Vernehmung bezieht [vgl Rz 62, 63])und des Verfassungsgerichtshofs (2. 7. 2016, SV 3/2015, in der dieses Gericht auf „Grundsätze der EMRK“ Bezug genommen hatte) nicht zu entnehmen. Ebensowenig tritt die Kommentarstelle, auf die sich der Erneuerungswerber beruft, „für eine umfassende Geltung des Art 6 EMRK“ ein. Diese nimmt vielmehr ebenfalls nur das Strafverfahren im ersuchenden Staat in den Blick (vgl Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen5 § 73 IRG Rz 50). Die wegen angeblicher Verfahrensmängel und Begründungsdefizite des bekämpften Beschlusses erhobene Kritik des Antragstellers kann daher auf sich beruhen.

4./ Dem Vorbringen, wonach sich im Hinblick auf das in den USA zu erwartende Strafmaß eine Verletzung des Art 3 MRK ergebe, ist Folgendes zu erwidern:

Eine Auslieferung kann für den Aufenthaltsstaat eine Konventionsverletzung bedeuten, wenn die betroffene Person im Zielstaat einer Strafe oder Behandlung ausgesetzt wird, welche die Schwelle zur unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung erreicht und daher mit Art 3 MRK unvereinbar ist (RIS‑Justiz RS0123201, RS0123229).

Im Zielstaat drohende Freiheitsstrafen können nur dann in ein Spannungsverhältnis zu Art 3 MRK treten, wenn sie in keiner Relation zur Schuld des Täters und zum Unrechtsgehalt der Tat stehen (RIS‑Justiz RS0118079), wobei Fragen des geeigneten Strafmaßes grundsätzlich außerhalb des Anwendungsbereichs der Konvention liegen und nach der Rechtsprechung des EGMR insoweit ein großer Beurteilungsspielraum der unterschiedlichen Strafrechtsordnungen in dieser kriminalpolitischen Frage akzeptiert wird (14 Os 41/12d mwN; vgl dazu allgemein Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 20 Rz 46).

Bisher entschiedene Fälle betrafen im Wesentlichen bloß eine drohende Todesstrafe oder eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung (vgl 14 Os 41/12d mit Verweis auf EGMR 7. 7. 1989, Soering , 14.038/88; EGMR 17. 1. 2012, Harkins und Edwards , 9.146/07 und 32.650/07; vgl insgesamt zu den Kriterien dieser Rechtsprechung: Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 20 Rz 46; Meyer‑Ladewig/Lehnert in Meyer‑Ladewig et al , EMRK 4 Art 3 Rz 58).

Davon ausgehend wird mit der Behauptung, wonach die dem Antragsteller angelasteten Tathandlungen in den USA mit einer (zu kumulierenden) Höchststrafe von dreimal 20 Jahren und zweimal fünf Jahren bedroht sind, er – im Hinblick auf die „U.S. Federal Sentencing Guidelines“ – ein tatsächliches, zur Gänze zu verbüßendes Strafmaß von 235 bis 293 Monaten (dh knapp 20 bis rund 24 ½ Jahre) zu erwarten habe, und ihm auch harte vermögensrechtliche Sanktionen drohen, ein Grundrechtsverstoß nicht aufgezeigt (vgl EGMR 7. 6. 2016, Findikoglu/Deutschland , 20.672/15, mit Bezug auf eine laut den erwähnten Strafbemessungsrichtlinien zu erwartende Freiheitsstrafe von 324 bis 420 Monaten für Computerstraftaten; siehe auch 15 Os 46/19g). Bleibt anzumerken, dass auch die Rechtsausführungen eines US‑amerikanischen Strafrechtsexperten, auf die sich der Erneuerungswerber zur Untermauerung seiner Behauptungen beruft, seinen Standpunkt nicht stützen. Denn die Expertise geht selbst von einer Höchststrafdrohung von 20 Jahren aus (vgl ON 100 S 17, 185).

Der Einwand, dass eine solche Strafe im Hinblick auf das Lebensalter des Betroffenen faktisch einer lebenslangen Freiheitsstrafe gleichkäme, dringt ebenfalls nicht durch. Denn eine altersbedingte erhöhte Strafempfindlichkeit ist unter dem Blickwinkel des Art 3 MRK in der Regel nicht anzuerkennen (vgl EGMR 29. 5. 2001, 63.716/00, Sawoniuk/Vereinigtes Königreich : „There is no prohibition in the Convention against the detention in prison of persons who attain an advanced age“).

Mit der Behauptung, die US‑amerikanischen Gerichte könnten den Grundsatz der Spezialität in einer mit der innerstaatlichen Rechtsanschauung nicht im Einklang stehenden Weise zum Nachteil des Betroffenen auslegen, wodurch er weiteren Anklagevorwürfen wegen anderer Taten ausgesetzt sein könnte, wird die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen, ernsthaften (gewichtigen) Gefahr nicht dargetan. Denn die bloße Möglichkeit drohender unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung reicht nicht aus. Vielmehr muss ein konkretes, anhand stichhaltiger Gründe belegbares, Risiko bestehen, die betroffene Person würde im Empfangsstaat der tatsächlichen Gefahr einer Art 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein (RIS‑Justiz RS0123229). Diesen Kriterien wird der Antrag nicht gerecht.

Soweit der Erneuerungswerber bloß pauschal behauptet, dass die dem Betroffenen angelasteten Tathandlungen nach österreichischem Recht nicht strafbar seien, macht er den Bezug zur behaupteten Verletzung des Art 3 MRK nicht klar. Im Übrigen unterlässt er auch jegliche Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Ausführungen des angefochtenen Beschlusses zur beiderseitigen Strafbarkeit (BS 9 f).

5./ Einen weiteren Verstoß gegen Art 6 Abs 1 MRK erblickt der Antragsteller darin, dass ihm im ersuchenden Staat aufgrund der Zulässigerklärung der Auslieferung eine offenkundige Verweigerung eines fairen Verfahrens drohe. Mit der Behauptung, dass das Ermittlungsverfahren der US‑amerikanischen Strafverfolgungsbehörden einseitig geführt worden sei und er seine Verteidigungsrechte (mangels Gewährung von Akteneinsicht) nicht wahrnehmen habe können, macht er eine Grundrechtsverletzung aber nicht erfolgreich geltend. Denn das Oberlandesgericht ging davon aus, dass im Ermittlungsverfahren und im Verfahren über die Anklageerhebung durch eine „Grand Jury“ stattgefundene Beeinträchtigungen des „fair‑trial‑Prinzips“ in der Hauptverhandlung – im Hinblick auf die Pflicht zur Offenlegung wesentlicher staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsergebnisse und das Antragsrecht des Angeklagten – wirksam ausgeglichen werden können (BS 31). Der Erneuerungswerber bringt keine substanziierten Gründe für eine drohende tatsächliche Verletzung der Garantien des Art 6 MRK im Strafverfahren des ersuchten Staats vor (vgl RIS‑Justiz RS0123200 [T2]), wozu er aber angesichts der ihn treffenden Nachweispflicht hinsichtlich einer „flagranten Rechtsverweigerung“ verpflichtet gewesen wäre (vgl Meyer‑Ladewig/Harrendorf/König in Meyer-Ladewig et al EMRK 4 Art 6 Rz 166, EGMR 17. 1. 2012, 8.139/09 Othman [Abu Qatada]/Vereinigtes Königreich Rz 258; EGMR 27. 10. 2011, 37.075/09, Ahorugeze/Schweden Rz 113). Im Übrigen wendet der Erneuerungswerber auch nicht ein, dass sich die Befürchtung eines den Grundsätzen des Art 6 MRK widersprechenden Verfahrens aus der behaupteten politischen Motivation des Auslieferungsbegehrens ergebe.

6./ Die Auslieferung einer Person zur Strafverfolgung stellt einen Eingriff in den Schutzbereich des Art 8 MRK dar, der nur unter den Voraussetzungen des Art 8 Abs 2 MRK zulässig ist. Bei der demgemäß vorzunehmenden Notwendigkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Abwägung privater und familiärer gegen öffentliche Interessen kommt der Schwere der Straftat maßgebliche Bedeutung zu, wobei zu berücksichtigen ist, dass den Interessen der betroffenen Person das öffentliche Interesse des ersuchenden Staats an der Verfolgung bereits begangener Straftaten gegenübersteht, sodass eine Auslieferung nur unter außergewöhnlichen Umständen ungerechtfertigt oder unverhältnismäßig ist (11 Os 117/18t).

Derart außergewöhnliche Umstände, die eine Auslieferung des in der Ukraine geborenen, vor seiner Einreise nach Österreich in der Ukraine, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Brasilien aufhältigen Betroffenen (vgl BS 33) mit Blick auf die Art und Schwere der ihm zur Last liegenden Straftaten mit einer inkriminierten Bestechungssumme von 18,5 Millionen US-Dollar (BS 2 f) unverhältnismäßig machten, werden mit dem Hinweis auf das Fehlen von familiären, privaten und geschäftlichen Beziehungen des Antragstellers zu den USA und der Kritik am gegenständlichen Strafverfahren und der Sanktionspraxis der USA nicht dargetan.

Im Übrigen weckt der Erneuerungswerber keine Bedenken gegen die Erwägungen des Oberlandesgerichts, wonach die Familie F***** über die entsprechenden finanziellen Möglichkeiten für Reisen in die USA verfüge (BS 33). Ob die Angehörigen des Betroffenen nach wie vor einen Privatjet und Hubschrauber besitzen, spielt unter dem Aspekt des Art 8 MRK ebensowenig eine Rolle wie die Frage, ob dem Betroffenen durch das US‑amerikanische Strafverfahren der Verlust seines gesamten Vermögens droht.

Mit dem Vorwurf, das Oberlandesgericht habe die (amtswegige) Prüfung unterlassen, ob die Familie des Betroffenen nach den Einreise- und Visumsvorschriften zum dauerhaften Aufenthalt in den USA berechtigt sind, wird eine Grundrechtsverletzung nicht dargetan.

7./ Der Einwand, wonach dem Betroffenen auch der Verlust von Vermögenswerten droht, die keinen Bezug zu den ihm angelasteten kriminellen Verhaltensweisen aufweisen, macht nicht klar, inwieweit er durch die bekämpfte Entscheidung in Art 1 1. ZPMRK verletzt sein soll.

Für die Annahme, dass sich ein solcher Grundrechtsverstoß aus der Befürchtung vermögensbezogener Maßnahmen im Strafverfahren des ersuchenden Staats ergeben könnte, bestehen weder rechtliche noch tatsächliche Anhaltspunkte. Denn einerseits ist aus der vom Erneuerungswerber zitierten Entscheidung des EGMR (6. 11. 2008, Ismayilov gegen Russland , 30.352/03) ein derartiger Ansatz nicht ableitbar. Andererseits bezieht sich die Anklage auf Titel 18 des United States Code, § 1963 (a) (2), welche Vorschrift allein den Verfall jener Vermögenswerte erfasst, die aufgrund der Begehung strafbarer Handlungen nach § 1962 des genannten Gesetzes erlangt wurden (vgl dessen Abs 1 lit a: „any interest the person has acquired or maintained in violation of section 1962“).

8./ Soweit der Antragsteller in eigenständiger Bewertung des Umstands, dass die USA entsprechende Auslieferungsunterlagen nur zögerlich übermittelt hätten, auf eine – seiner Ansicht nach Art 5 (auch iVm Art 18) MRK widersprechende – arglistige Vorgehensweise des ersuchenden Staats schließt und auch insoweit den Vorwurf einer politischen Motivation des Auslieferungsbegehrens erhebt, ist er auf die obenstehenden Ausführungen zur Reichweite des in Rede stehenden Grundrechts (2./ und 3./) zu verweisen.

Dem Erneuerungsantrag war daher keine Folge zu geben.

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