OGH 15Os35/18p

OGH15Os35/18p25.7.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Juli 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ertl, LL.M., als Schriftführer in der Medienrechtssache des Antragstellers Dr. Erich M***** gegen die Antragsgegnerin R***** GmbH ua wegen § 20 MedienG, AZ 24 Hv 148/13y des Landesgerichts Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen Beschlüsse in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes sowie über den Antrag der R***** GmbH auf Erneuerung des Verfahrens nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger und des Vertreters der Antragsgegnerin Dr. Bauer zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00035.18P.0725.000

 

Spruch:

 

In der Medienrechtssache AZ 24 Hv 148/13y des Landesgerichts Innsbruck verletzen

1. der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 22. Juni 2017, GZ 24 Hv 148/13y-109, in seinem Punkt 2. § 86 Abs 1 StPO (iVm § 41 Abs 1 MedienG);

2. der Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom 2. März 2018, AZ 7 Bs 198/17a, im Umfang der Entscheidung über die Beschwerde der Antragsgegnerin R***** GmbH §§ 86 Abs 1, 89 Abs 2b StPO (iVm § 41 Abs 1 MedienG).

Der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 22. Juni 2017 (ON 109) wird in den Punkten 2. und 5. aufgehoben und es wird dem Landesgerichts Innsbruck die neue Entscheidung über den auf die Website www.v ***** bezogenen und den Zeitraum 3. November 2016 bis 12. Juni 2017 betreffenden Folgeantrag des Dr. Erich M***** aufgetragen.

Mit ihrem Antrag auf Erneuerung wird die R***** GmbH auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

Mit Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 3. Mai 2016 (ON 71) wurde (unter anderem) der R***** GmbH aufgrund nicht gehöriger Veröffentlichung des (seit 15. Jänner 2015 rechtskräftigen) Urteils des Landesgerichts Innsbruck vom 31. März 2014, GZ 24 Hv 148/13y‑23, auf den Internetseiten www.v ***** und www.a ***** im Zeitraum vom 2. März 2015 bis zum 3. Mai 2016 gemäß § 20 Abs 1 (iVm § 34 Abs 4) MedienG die Zahlung einer Geldbuße von 20 Euro pro Tag an den Antragsteller Dr. Erich M***** auferlegt.

Den dagegen erhobenen Beschwerden gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluss vom 28. Oktober 2016, AZ 7 Bs 173/16y (ON 87), nicht Folge.

Abgesehen von dem – ersichtlich noch vor Zustellung der Rechtsmittelentscheidung – am 2. November 2016 gegen die Antragsgegnerinnen N***** GmbH und R***** GmbH in Bezug auf Zeiträume bis zum 2. November 2016 gestellten Folgeantrag (ON 88) brachte der Antragsteller am 8. November 2016 einen weiteren Folgeantrag (nur) gegen die N***** GmbH ein (ON 90). Diesem war ein Ausdruck eines am 4. November 2016 versendeten E‑Mails des Vertreters der Antragsgegnerinnen N***** GmbH und R***** GmbH angeschlossen, in dem dieser (unter anderem) betreffend die Internetseite www.v ***** „auf die seit gestern online gestellte Veröffentlichung“ verwies (ON 90 S 5).

Der auf die Stellungnahme des Vertreters der Antragsgegnerinnen folgenden Mitteilung des Vertreters des Antragstellers vom 10. November 2016 war die Kopie eines an Ersteren gerichteten Schreibens vom 7. November 2016 angeschlossen, in dem Letzterer (unter anderem) in Bezug auf die Urteilsveröffentlichung auf der Internetseite www.v ***** beklagt, dass diese „neuerlich mit einem Lichtbild“ seines Mandanten erfolgt sei (ON 92 S 9 f).

Am 24. Mai 2017 begehrte der Antragsteller in einem weiteren gegen die R***** GmbH gerichteten Folgeantrag (unter anderem) die Zuerkennung einer Geldbuße wegen der – seiner Auffassung nach – (weiterhin) nicht gehörigen, nämlich die „App-Version“ aussparenden Urteilsveröffentlichung auf der Internetseite www.v ***** im Zeitraum vom 3. November 2016 bis zum 24. Mai 2017 (ON 103).

Die dagegen gerichtete Äußerung der Antragsgegnerin beschränkte sich auf das Thema der begehrten Veröffentlichung auf der „App-Version“ von www.v ***** (ON 105).

Eine Bezugnahme auf die nach der Aktenlage am 3. November 2016 auf der Internetseite www.v ***** erfolgte Urteilsveröffentlichung enthält weder der Antrag noch die korrespondierende Äußerung. Gleiches gilt für die Gegenäußerung des Antragstellers und seinen auf den Zeitraum vom 25. Mai bis 12. Juni 2017 bezogenen Folgeantrag (ON 106) sowie die darauf bezogene Gegenäußerung der R***** GmbH (ON 107).

Mit Beschluss vom 22. Juni 2017 (ON 109) verpflichtete das Landesgericht Innsbruck die R***** GmbH nach § 20 Abs 1 MedienG wegen nicht gehöriger Urteilsveröffentlichung auf der Internetseite www.v ***** im Zeitraum vom 3. November 2016 bis zum 12. Juni 2017 zur Zahlung einer Geldbuße von 50 Euro pro Tag (Punkt 2.) und hob die Kosten der Beteiligten gegenseitig auf (Punkt 5.). Inhaltlich setzte sich das Erstgericht (neuerlich nur) mit der am 27. Februar 2015 auf www.v ***** erfolgten und am 19. August 2015 umgestalteten Urteilsveröffentlichung auseinander und erachtete diese für nicht gehörig. Zudem stellte es fest, dass seit 1. Oktober 2015 auf der genannten Website keine weitere Veröffentlichung des Urteils erfolgt und eine solche von der Antragsgegnerin R***** GmbH „nicht einmal behauptet“ worden sei (BS 9, 12). Die dem Folgeantrag vom 8. November 2016 (ON 90) und der Mitteilung des Antragstellers vom 10. November 2016 (ON 92) angeschlossenen Ausdrucke des teils elektronisch geführten Schriftverkehrs zwischen den Beteiligtenvertretern, der auch eine mögliche neuerliche, am 3. November 2016 vorgenommene Urteilsveröffentlichung auf www.v ***** betraf, wurden bei der Begründung des Beschlusses nicht berücksichtigt.

In ihrer dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerde (ON 112) brachte die Antragsgegnerin R***** GmbH vor, das Urteil sei unmittelbar nach Zustellung der Entscheidung des Beschwerdegerichts vom 28. Oktober 2016 (vgl ON 87) im Zeitraum vom 3. November bis 22. Dezember 2016 auf www.v ***** veröffentlicht gewesen. Zum Beweis dafür legte sie neben Kopien der (bereits aktenkundigen) Korrespondenz der Vertreter der Antragsgegnerin vom 4. November 2016 sowie des Antragstellers vom 7. November 2016 zwei Screenshots der Internetseite www.v ***** beinhaltend eine Urteilsveröffentlichung samt Teaser vor.

Mit Beschluss vom 2. März 2018, AZ 7 Bs 198/17a (ON 151), gab das Oberlandesgericht Innsbruck (unter anderem) der Beschwerde der R***** GmbH nur dahin Folge, dass es die der Antragsgegnerin auferlegte Geldbuße auf 30 Euro pro Tag herabsetzte. Dazu führte das Beschwerdegericht aus, es würden sich nach dem Akteninhalt keine Hinweise darauf ergeben, dass nach dem 3. Mai 2016 verbesserte Urteilsveröffentlichungen auf der Internetseite www.v ***** erfolgt wären (BS 18). Die mit den Schriftsätzen des Antragstellervertreters ON 90 und 92 erfolgte und mit der Beschwerde der Antragsgegnerin R***** GmbH wiederholte Vorlage der Anwaltskorrespondenz, welche (auch) die am 3. November 2016 vorgenommene Urteils-veröffentlichung auf der Website www.v ***** zum Gegenstand hatte, fand in dieser Entscheidung ebenso wenig Berücksichtigung wie die mit der Beschwerde erstmals erfolgte Vorlage der Screenshots.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes aufzeigt, stehen die Beschlüsse des Landesgerichts Innsbruck vom 22. Juni 2017 (ON 109) und des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 2. März 2018 (ON 151) mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Vorauszuschicken ist, dass eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (nur) Gesetzwidrigkeit – also verfehlte Rechtsanwendung auf einen Lebenssachverhalt (RIS‑Justiz RS0117731) – zum Gegenstand hat. Gesetzwidrig kann auch die Bejahung oder Verneinung der für die Rechtsfrage entscheidenden Tatsachen sein, wenn sie aufgrund eines rechtlich mangelhaften Verfahrens zustande gekommen oder mit formalen Begründungsmängeln (vgl § 281 Abs 1 Z 5 StPO) behaftet ist. Formal mängelfrei, demnach nicht willkürlich geübtes Ermessen, das zu erheblich bedenklichen Sachverhaltsannahmen führt, kann hingegen Anlass zu einem Vorgehen nach § 362 StPO (auch analog) geben (RIS‑Justiz RS0123668, RS0118412, RS0117416, RS0117085; zuletzt 17 Os 22/17i; Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 7, 17, § 362 Rz 4; Schroll, WK‑StPO § 23 Rz 6/2).

Gemäß § 86 Abs 1 StPO hat ein Beschluss neben Spruch und Rechtsmittelbelehrung eine Begründung zu enthalten, in der die tatsächlichen Feststellungen und die rechtlichen Überlegungen auszuführen sind, die der Entscheidung zugrunde gelegt werden. Die Pflicht zur Angabe des rechtlich als entscheidend beurteilten Sachverhalts umfasst auch jene zur Darlegung der Tatsachen (Beweisergebnisse), auf denen diese Sachverhaltsannahmen beruhen. Damit erst wird die Tatsachengrundlage der Entscheidung (§ 35 Abs 2 erster Fall StPO) dahin überprüfbar, ob sie in formal einwandfreier Weise – also ohne Begründungsmängel iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO und demnach nicht willkürlich – geschaffen wurde (vgl zu den Anforderungen an die Entscheidungsgründe bei Urteilen § 270 Abs 2 Z 5 StPO; zu bekämpfbaren Beschlüssen siehe auch § 89 Abs 2a Z 3 StPO).

Indem der von der Wahrungsbeschwerde bekämpfte Beschluss des Landesgerichts Innsbruck bei der Annahme, seit 1. Oktober 2015 wäre keine neuerliche Veröffentlichung des Urteils erfolgt, den zum Zeitpunkt der Beschlussfassung aktenkundigen – wenn auch im Zusammenhang mit einem gegen die N***** GmbH gerichteten Folgeantrag vorgelegten – Schriftverkehr zwischen den Parteienvertretern (ON 90, 92) unberücksichtigt ließ, der eine am 3. November 2016 auf www.v ***** vorgenommene (neuerliche) Urteilsveröffentlichung indiziert, haftet ihm der Begründungsmangel der Unvollständigkeit iSd § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO an (vgl zu diesem Begriff RIS‑Justiz RS0118316 und Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 420 ff, wobei Beschlüsse auf den gesamten Akteninhalt Rücksicht zu nehmen haben). Die dadurch bewirkte Überschreitung des rechtlich eingeräumten Beweiswürdigungsermessens schlägt auf die davon betroffene Rechtsfrage (hier: die Auferlegung einer Geldbuße wegen nicht gehöriger Veröffentlichung eines Urteils nach § 20 Abs 1 MedienG) durch und macht deren Lösung insgesamt rechtsfehlerhaft.

Gleiches gilt – mit Blick auf die Anforderung einer mängelfreien Begründung auch von reformatorischen Beschwerdeentscheidungen (§ 89 Abs 2b StPO) – für die Entscheidung des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 2. März 2018 in Bezug auf die Sachverhaltsannahme, dass nach dem 3. Mai 2016 keine verbesserten Urteilsveröffentlichungen erfolgt wären. Denn auch dieser Beschluss ließ den eine (neuerliche) Urteilsveröffentlichung auf www.v ***** indizierenden Schriftverkehr zwischen den Parteienvertretern unberücksichtigt.

Hinzu kommt, dass die Beschwerde der Antragsgegnerin eine am 3. November 2016 erfolgte Urteilsveröffentlichung ausdrücklich behauptet und – durch Vorlage nicht nur der bereits aktenkundigen Anwaltskorrespondenz, sondern auch von Screenshots einer Urteilsveröffentlichung samt Teaser – bescheinigt hat (ON 112). Das Beschwerdegericht wäre daher auch unter dem Aspekt der Auseinandersetzung mit dem gesamten relevanten Rechtsmittelvorbringen zu dieser Erörterung verpflichtet gewesen.

Da im Beschwerdeverfahren gemäß § 89 Abs 2b StPO bei der Entscheidung in der Sache auch Umstände zu berücksichtigen sind, die nach dem bekämpften Beschluss eingetreten oder bekannt geworden sind, hätte das Beschwerdegericht (auch) die vom Beschwerdeführer vorgelegten (neuen) Beweismittel, die (ebenfalls) eine am 3. November 2016 auf der Internetseite www.v ***** vorgenommene (neuerliche) Urteilsveröffentlichung indizierten, nicht unberücksichtigt lassen dürfen, weshalb die Entscheidung des Oberlandesgerichts auch § 89 Abs 2b StPO verletzt.

Die den angefochtenen Beschlüssen anhaftenden Gesetzesverletzungen gereichen der – die Stellung einer Angeklagten innehabenden Medieninhaberin (§ 41 Abs 6 MedienG) – R***** GmbH zum Nachteil. Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, ihre Feststellung auf die im

Spruch ersichtliche Weise mit

konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO). Die davon rechtslogisch abhängigen Entscheidungen – auch über Rechtsmittel gegen die aufgehobenen Beschlussteile – und Verfügungen gelten damit ebenfalls als beseitigt (RIS‑Justiz RS0100444; Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 28).

Die R***** GmbH war mit ihrem gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 2. März 2018 gerichteten Antrag auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO auf die Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu verweisen.

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