European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0050OB00021.15X.0519.000
Spruch:
A. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art 1 Abs 1 zweiter Satz der Richtlinie zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte, RL 77/249/EWG , so auszulegen, dass es einem Mitgliedstaat möglich ist, die Vornahme von Beglaubigungen über die Echtheit von Unterschriften auf Urkunden, die für die Schaffung oder Übertragung von Rechten an Liegenschaften erforderlich sind, vom freien Dienstleistungsverkehr der Rechtsanwälte auszunehmen und die Ausübung dieser Tätigkeit den öffentlichen Notaren vorzubehalten?
2. Ist Art 56 AEUV dahin auszulegen, dass er einer nationalen Vorschrift des Registerstaats (Österreich) nicht entgegensteht, nach der die Vornahme von Beglaubigungen über die Echtheit von Unterschriften auf Urkunden, die für die Schaffung oder Übertragung von Rechten an Liegenschaften erforderlich sind, öffentlichen Notaren vorbehalten ist, und zwar mit der Wirkung, dass die von einem in der Tschechischen Republik ansässigen Rechtsanwalt in dessen Sitzstaat vorgenommene Erklärung über die Echtheit einer Unterschrift im Registerstaat nicht anerkannt wird, obwohl dieser Erklärung nach tschechischem Recht die Rechtswirkung einer amtlichen Beglaubigung zukommt,
insbesondere weil,
a. die Frage der Anerkennung einer in der Tschechischen Republik von einem dort ansässigen Rechtsanwalt verfassten Erklärung über die Echtheit einer Unterschrift auf einem Grundbuchsgesuch im Registerstaat die inhaltliche Ausübung einer Dienstleistung durch einen Rechtsanwalt betrifft, die im Registerstaat ansässigen Rechtsanwälten nicht möglich ist, und die Verweigerung der Anerkennung einer solchen Erklärung daher nicht dem Beschränkungsverbot unterliegt
oder
b. ein solcher Vorbehalt gerechtfertigt ist, um die Rechtmäßigkeit und Rechtssicherheit von Akten (Urkunden über Rechtsgeschäfte) sicherzustellen und daher zwingenden Gründen des Allgemeininteresses dient und zudem erforderlich ist, um dieses Ziel im Registerstaat zu erreichen?
B. Das Verfahren über den Revisionsrekurs der Antragstellerin wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
Begründung:
I. Sachverhalt
Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines Hälfteanteils an der österreichischen Liegenschaft EZ 394 GB *****.
Sie unterfertigte am 25. 2. 2009 in Budweis, Tschechische Republik, ein Grundbuchsgesuch, wobei ein dort ansässiger tschechischer Rechtsanwalt am selben Tag eine Erklärung über die Echtheit der Unterschrift der Antragstellerin verfasste. Der darüber zweisprachig ausgestellte Vermerk enthält unter anderem das Geburtsdatum der Antragstellerin und den zum Nachweis ihrer Identität eingesehenen Ausweis. Darin bestätigt der unterzeichnende Rechtsanwalt, dass die Antragstellerin die Urkunde vor ihm eigenhändig in einer Ausfertigung unterzeichnete. Diese Erklärung ist mit einer Endbeglaubigung gemäß Art 10 Abs 1 des Beschlusses des Vorstands der tschechischen Rechtsanwaltskammer vom 11. 4. 2006 versehen.
II. Begehren und Vorbringen der Antragstellerin
Die Antragstellerin begehrt die Bewilligung der Anmerkung der Rangordnung für die beabsichtigte Veräußerung ihres Anteils an der Liegenschaft gemäß § 53 Abs 1 Grundbuchsgesetz (im Folgenden: GBG).
Ihrem am 15. 7. 2014 beim Erstgericht eingebrachten Grundbuchsgesuch legte die Antragstellerin unter anderem den zwischen der Republik Österreich und der tschechoslowakischen sozialistischen Republik abgeschlossenen Vertrag vom 10. 11. 1961, BGBl Nr 309/1962 idF BGBl III Nr 123/1997, das tschechische Gesetz über die Rechtsanwaltschaft, Nr 85/1996, und den Beschluss des Vorstands der tschechischen Rechtsanwaltskammer vom 11. 4. 2006 bei.
III. Bisheriges Verfahren
Das Erstgericht wies den Antrag ab. Ein Antrag auf Anmerkung der Rangordnung für die beabsichtigte Veräußerung könne gemäß § 53 Abs 3 GBG nur dann bewilligt werden, wenn die Unterschrift am Gesuch gerichtlich oder notariell beglaubigt sei. Die Beglaubigung der Unterschrift der Antragstellerin durch einen tschechischen Rechtsanwalt entspreche nicht den Bestimmungen des zwischenstaatlichen Übereinkommens vom 10. 11. 1961. Darüber hinaus weise der von der Antragstellerin vorgelegte Beglaubigungsvermerk nicht den nach Art 21 und Art 22 des Staatsvertrags vom 10. 11. 1961 geforderten Abdruck eines amtlichen Siegels auf.
Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts. Es stimmte der Ansicht der Antragstellerin zu, dass hinsichtlich der Beurkundung der Echtheit ihrer Unterschrift der „tschechische Beglaubigungsweg“ eingehalten worden sei. Zweck der Beglaubigungsvorschriften sei es, sicherzustellen, dass sich alle Personen und Behörden, denen gegenüber die grundbücherlich zu vollziehende Erklärung unmittelbar oder mittelbar wirke, auf die Echtheit der Unterschrift verlassen könnten. Eine nach dem Recht des (ausländischen) Beurkundungsorts mängelfreie Beurkundung genüge aber nicht ohne weitere Erfordernisse für die inländische (österreichische) Formvorschrift. Das Beglaubigungswesen zwischen der tschechischen Republik und der Republik Österreich sei durch einen bilateralen Staatsvertrag geregelt, der dem Haager Beglaubigungsübereinkommen vorgehe und daher zwingend anzuwenden sei. Selbst wenn es sich beim Vermerk über die Erklärung der Echtheit der Unterschrift um eine tschechische öffentliche Urkunde handle, sei der Vorgang der Beglaubigung unter Art 21 Abs 2 des Staatsvertrags zu subsumieren. Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs dieser Bestimmung auf tschechische Rechtsanwälte komme nicht in Betracht. Deren Einbeziehung würde nicht nur dem Wortlaut des Art 21 Abs 2 des Staatsvertrags widersprechen, sondern im Ergebnis auch dazu führen, dass jede nachträgliche Erweiterung der Beglaubigungsbefugnis in einem der Vertragsstaaten von der gegenseitigen Anerkennung erfasst sei, was dem Willen der vertragsschließenden Teile nicht unterstellt werden könne. In der Differenzierung zwischen öffentlichen Notaren und Rechtsanwälten liege auch kein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit im Sinne der Art 56 ff AEUV.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat über den Revisionsrekurs der Antragstellerin zu entscheiden. Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist die Frage, ob die von einem in Tschechien ansässigen Rechtsanwalt abgegebene Erklärung über die Echtheit einer Unterschrift auf einem Grundbuchsgesuch in Österreich anzuerkennen und der Grundbuchseintragung zugrunde zu legen ist, obwohl nach österreichischem Recht die Bewilligung eines solchen Gesuchs die gerichtliche oder notarielle Beglaubigung der Unterschrift erfordert.
IV. Rechtsgrundlagen
1.1 Nach § 53 Abs 1 GBG ist der Eigentümer berechtigt, die bücherliche Anmerkung für eine beabsichtigte Veräußerung oder Verpfändung zu verlangen, um die bücherliche Rangordnung vom Zeitpunkt dieses Ansuchens für die infolge dieser Veräußerung oder Verpfändung einzutragenden Rechte zu begründen. Abs 3 dieser Bestimmung ordnet dazu an, dass die Anmerkungen solcher Gesuche nur dann bewilligt werden können, wenn nach dem Grundbuchstand die Einverleibung des einzutragenden Rechts oder die Löschung des bestehenden Rechts zulässig wäre und wenn die Unterschrift der Gesuche gerichtlich oder notariell beglaubigt ist. Dazu wird die Anwendung der Bestimmungen des § 31 Abs 3 bis 5 GBG angeordnet (§ 53 Abs 3 GBG).
1.2 § 31 GBG handelt von der Einverleibung und ordnet in seinem Abs 1 an, dass eine solche nur aufgrund öffentlicher Urkunden oder solcher Privaturkunden geschehen kann, auf denen die Unterschriften der Parteien gerichtlich oder notariell beglaubigt sind und der Beglaubigungsvermerk bei natürlichen Personen auch das Geburtsdatum enthält. § 31 Abs 3 GBG, auf den § 53 Abs 3 GBG verweist, hält in seinem ersten Satz fest, dass die Beglaubigung ausländischer Urkunden durch Staatsverträge geregelt wird.
2. Eine Regelung über das Urkundenwesen enthält der zwischen der Republik Österreich und der ehemaligen tschechoslowakischen Republik abgeschlossene Vertrag vom 10. 11. 1961, BGBl 309/162, über den wechselseitigen rechtlichen Verkehr in bürgerlichen Rechtssachen, über Urkundenwesen und über Erteilung von Rechtsauskünften (im Folgenden: Staatsvertrag). Dieser Staatsvertrag wurde durch Kundmachung des Bundeskanzlers betreffend die zwischen der Republik Österreich und der tschechischen Republik geltenden bilateralen Verträge, BGBl III 123/1997, auch im Verhältnis zwischen der tschechischen Republik und der Republik Österreich anerkannt. Er steht damit im bilateralen Verhältnis zur tschechischen Republik in Geltung und geht daher dem Haager Beglaubigungsübereinkommen vor.
Das Urkundenwesen ist im II. Teil des Staatsvertrags geregelt, wobei die hier maßgeblichen Bestimmungen folgenden Wortlaut haben:
„Art 21
(1) Die von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde eines der Vertragsstaaten ausgestellten öffentlichen Urkunden, die mit der amtlichen Unterschrift und dem amtlichen Siegel versehen sind, genießen auch vor den Gerichten und den Verwaltungsbehörden des anderen Vertragsstaats die Beweiskraft öffentlicher Urkunden. Dies gilt auch für andere inländische Urkunden, denen nach den Rechtsvorschriften des Vertragsstaats, indem sie ausgestellt wurden, die Beweiskraft öffentlicher Urkunden zukommt.
(2) Diese Beweiskraft kommt auch der Bestätigung der Echtheit der Unterschrift auf einer Privaturkunde zu, die von einem Gericht, einer Verwaltungsbehörde oder von einem österreichischen öffentlichen Notar der Privaturkunde beigesetzt worden ist.
Art 22
Die im Art 21 Abs 1 bezeichneten Urkunden einschließlich der Bestätigungen der Echtheit einer Unterschrift, die mit der amtlichen Unterschrift und dem amtlichen Siegel des Gerichts, der Verwaltungsbehörde oder der die Urkunde ausstellenden Person versehen sind, bedürfen zum Gebrauch vor den Gerichten und den Verwaltungsbehörden des anderen Vertragsstaats keiner weiteren Beglaubigung.“
Art 28 des Staatsvertrags erklärt unter anderem die Bestimmungen des II. Teils, die die Gerichte betreffen, auch auf tschechoslowakische Staatsnotariate anwendbar, soweit es sich um Angelegenheiten handelt, die in der Republik Österreich in den Bereich der Gerichtsbarkeit fallen.
3.1 In der tschechischen Republik sind Rechtsanwälte seit 1. 1. 2005 berechtigt, die Echtheit der Unterschrift auf einer Privaturkunde zu bestätigen. § 25a des (tschechischen) Gesetzes über die Rechtsanwaltschaft, Nr 85/1996 Sb, in der geltenden Fassung, hat folgenden Wortlaut:
„(1) Der Rechtsanwalt ist berechtigt, die amtliche Beglaubigung einer Unterschrift, die durch besondere Rechtsvorschriften gefordert wird, durch seine Erklärung mit den gleichen Rechtswirkungen zu ersetzen, sofern der Rechtsanwalt die Urkunde selbst verfasst hat oder sie durch die handelnde Person vor dem Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben wurde (nachfolgend nur 'Erklärung über die Echtheit einer Unterschrift' genannt).
(2) Die Erklärung über die Echtheit einer Unterschrift muss auf der Urkunde oder auf einer mit ihr fest verbundenen Urkunde vorgenommen werden und hat Folgendes zu beinhalten:
[...]
(5) Einzelheiten über die Pflichten eines Rechtsanwalts gemäß den vorstehenden Absätzen werden in einer Berufsregel geregelt. [...]“
4.2 Mit Beschluss des Vorstands der tschechischen Rechtsanwaltskammer vom 11. 4. 2006 wurden die Einzelheiten bezüglich der Pflichten des Rechtsanwalts bei der Erklärung über die Echtheit der Unterschrift, der Evidenzhaltung dieser Erklärungen, der Endbeglaubigung dieser Erklärungen und des Buches der Erklärungen über die Echtheit der Unterschrift näher geregelt. Nach Art 10 Abs 1 dieses Beschlusses versieht die Kammer auf Verlangen der Person, die das rechtliche Interesse am Gebrauch der Erklärung als öffentliche Urkunde auch außerhalb des Territoriums der tschechischen Republik nachweist, die im Einklang mit dem Gesetz und mit diesem Beschluss abgegebene Erklärung mit ihrer Endbeglaubigung in der tschechischen Sprache nach dem als Anlage Nr 3 zu diesem Beschluss beigefügten Muster.
5. Die am Gesuch der Antragstellerin von einem tschechischen Rechtsanwalt vorgenommene Erklärung über die Echtheit ihrer Unterschrift sowie die durch die tschechische Rechtsanwaltskammer erfolgte Endbeglaubigung entsprechen den angeführten Vorschriften der tschechischen Republik.
V. Zur Auslegung des Staatsvertrags
1. Internationale Abkommen gehören nach ihrer Transformation ins nationale Recht dem nationalen Rechtsbestand an. Sie sind nach völkerrechtlichen Regeln auszulegen. Gemäß Art 31, 32 WVK (Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge) kommt dem Wortlaut besonders große Bedeutung zu. Darüber hinaus ist die Bedeutung der Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen nach ihrem Zusammenhang und im Lichte des Ziels und Zwecks der Regelung zu beurteilen (vgl EuGH 15. 7. 2010, C‑70/09 Rn 36). Ergänzende Auslegungsmittel dürfen aber nicht zu einer Korrektur des durch die bloße Textauslegung gewonnenen Sinns führen.
2. Art 21 Abs 1 des Staatsvertrags bezweckt die Gleichstellung der beiderseitigen öffentlichen Urkunden hinsichtlich der Beweiskraft. Dazu verweisen die Erläuternden Bemerkungen (RV 689 BlgNR IX. GP , 16) ausdrücklich darauf, dass diese Gleichstellung einem seit jeher geübten Gegenseitigkeitsverhältnis entspricht. Abs 2 des Art 21 stellt die Bestätigung der Echtheit der Unterschrift auf einer Privaturkunde hinsichtlich der Beweiskraft den öffentlichen Urkunden gleich, sofern sie von einem Gericht, einer Verwaltungsbehörde oder von einem österreichischen öffentlichen Notar beigesetzt worden ist. Im Gegensatz zu Art 21 Abs 1 letzter Satz des Staatsvertrags, der die Beweiskraft öffentlicher Urkunden auch für andere inländische Urkunden, denen nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaats eine solche Beweiskraft zukommt, erstreckt, beschränkt Abs 2 diese Wirkung ausschließlich auf Bestätigungen, die von einem Gericht, einer Verwaltungsbehörde oder von einem österreichischen öffentlichen Notar stammt. Nur solche Bestätigungen bedürfen keiner weiteren Beglaubigung.
3. Der Wortlaut des Staatsvertrags unterscheidet damit zwischen Urkunden, denen nach dem Ausstellungsort die Beweiskraft öffentlicher Urkunden zukommt und der Bestätigung der Echtheit der Unterschrift, der eine solche Beweiskraft nur dann beigemessen werden kann, wenn sie von einem Gericht, einer Verwaltungsbehörde oder einem österreichischen öffentlichen Notar stammt. Der Zweck des Staatsvertrags ist an den im bilateralen Verhältnis im Zeitpunkt seines Abschlusses vorherrschenden Gegenseitigkeitsverhältnissen zu messen. In keiner der nationalen Rechtsordnungen kam zu diesem Zeitpunkt Rechtsanwälten die Befugnis zur Bestätigung der Echtheit von Unterschriften zu. Dass auch die Ausdehnung einer solchen Befugnis auf Rechtsanwälte in einem der beiden Vertragsstaaten von dieser Regelung erfasst sein sollte, widerspricht daher nicht nur dem Wortlaut des Abkommens, das die zur Zeit des Zustandekommens mit einer solchen Befugnisse ausgestatteten Institutionen und Personen in Art 21 Abs 2 abschließend aufzählt (und sich damit deutlich von Art 21 Abs 1 letzter Satz unterscheidet), sondern lässt sich auch mit dem im Völkerrecht tragenden Grundsatz der Gegenseitigkeit nicht in Einklang bringen.
4. Der Senat geht daher davon aus, dass die Erklärung über die Echtheit der Unterschrift auf einer Privaturkunde, die von einem tschechischen Rechtsanwalt gemäß § 25a des tschechischen Gesetzes über die Rechtsanwaltschaft beigesetzt und von der tschechischen Rechtsanwaltskammer endbeglaubigt wurde, von dem zwischen der Republik Österreich und der Republik Tschechien geltenden Vertrag vom 10. 11. 1961, BGBl 309/162, BGBl III 123/1997, über den wechselseitigen rechtlichen Verkehr in bürgerlichen Rechtssachen, über Urkundenwesen und über Erteilung von Rechtsauskünften nicht erfasst ist .
VI. Zur ersten Vorlagefrage
1. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats entscheidet über die notwendige Form der die Grundlage für eine Eintragung in das Grundbuch bildenden Urkunden das Registerrecht, also das Recht am Registerort (vgl 5 Ob 34/84 = SZ 57/118; 5 Ob 199/05h). Danach kann die Anmerkung für eine beabsichtigte Veräußerung nur bewilligt werden, wenn die Unterschrift am Gesuch gerichtlich oder notariell beglaubigt ist (§ 53 Abs 3 GBG).
2. Art 56 AEUV ist anzuwenden, wenn ein Leistungserbringer Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen anbietet, in dem er niedergelassen ist, und zwar unabhängig vom Niederlassungsort des Empfängers dieser Dienstleistungen. Danach sind Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, grundsätzlich verboten. Die Bestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit erfassen nach der Rechtsprechung des EuGH auch Sachverhalte, in denen sich der Dienstleistungsempfänger in den anderen Mitgliedstaat begibt, um die Leistung in Empfang zu nehmen (EuGH 28. 4. 1998, C‑158/96). Die Leistung von Rechtsanwälten ist als Dienstleistung zu qualifizieren (vgl Art 57 lit d AEUV). Die von der Revisionsrekurswerberin in Tschechien bei einem dort ansässigen Rechtsanwalt erwirkte Erklärung über die Echtheit ihrer Unterschrift gemäß § 25a des tschechischen Gesetzes über die Rechtsanwaltschaft fällt daher nach Ansicht des Senats unter den Begriff der Dienstleistung gemäß Art 56 AEUV.
3. Der Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleitungsverkehrs der Rechtsanwälte dient die Richtlinie 77/249/EWG . Sie gilt nach Art 1 Abs 1 erster Satz für die in Form der Dienstleistung ausgeübte Tätigkeit der Rechtsanwälte. Nach Art 4 Abs 4 dieser Richtlinie bleibt der Rechtsanwalt für die Ausübung von Tätigkeiten, die nicht mit der Vertretung oder Verteidigung eines Mandanten im Bereich der Rechtspflege oder vor Behörden zusammenhängen, den im Herkunftsstaat geltenden Bedingungen und Standesregeln unterworfen. Unbeschadet der Bestimmungen dieser Richtlinie können die Mitgliedsstaaten die Abfassung von förmlichen Urkunden, mit denen ein Recht an Grundstücken geschaffen oder übertragen wird, einer bestimmten Gruppe von Rechtsanwälten vorbehalten (Art 1 Abs 1 zweiter Satz der RL 77/249/EWG ).
4. Der Senat geht davon aus, dass die von einem in Tschechien ansässigen Rechtsanwalt nach den nationalen Vorschriften abgegeben Erklärung über die Echtheit einer Unterschrift auf einem Grundbuchsgesuch eine Tätigkeit darstellt, die von Art 4 Abs 4 der Richtlinie 77/249/EWG erfasst ist. Nach österreichischem Recht ist eine solche Beurkundung den Notaren vorbehalten. Da die Beglaubigung der Unterschrift auf einem Grundbuchsgesuch für die Begründung oder Übertragung von Rechten an einer Liegenschaft erforderlich ist, stellt sich die Frage, ob Art 1 Abs 1 zweiter Satz der RL 77/249/EWG so auszulegen ist, dass es einem Mitgliedstaat möglich ist, die Vornahme von solchen Beurkundungen als Teil der vorsorgenden Rechtspflege vom freien Dienstleistungsverkehr der Rechtsanwälte auszunehmen und die Ausübung dieser Tätigkeit den Notaren, die wie Rechtsanwälte den rechtspflegenden Berufen zuzurechnen sind, vorzubehalten.
VII. Zur weiteren Vorlagefrage
1. Art 57 Abs 3 AEUV normiert, dass unbeschadet des Kapitels über die Niederlassungsfreiheit, der Leistende zwecks Erbringung seiner Leistungen seine Tätigkeit vorübergehend in dem Mitgliedstaat ausüben kann, in dem die Leistung erbracht wird, und zwar unter den Voraussetzungen, welche dieser Mitgliedstaat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt. Diese Bestimmung entspricht Art 60 Abs 3 EWGV, zu der der Europäische Gerichtshof wiederholt ausgeführt hat, sie impliziere nicht, dass jede für Staatsangehörige dieses Staats geltende nationale Regelung, die normalerweise eine Dauertätigkeit von in diesem Staat ansässigen Personen zum Gegenstand hat, in vollem Umfang auf zeitlich begrenzte Tätigkeiten angewandt werden könne, die von in anderen Mitgliedsstaaten ansässigen Personen ausgeübt würden (Urteil vom 25. 2. 1988, Rs 427/85 mwN).
2. Anders als für einen in Tschechien ansässigen Rechtsanwalt, der nach den Vorschriften des (tschechischen) Gesetzes über die Rechtsanwaltschaft ermächtigt ist, eine der Beglaubigung durch einen Notar gleichwertige Erklärung über die Echtheit einer Unterschrift auf einer Privaturkunde abzugeben, besteht für österreichische Rechtsanwälte keine Befugnis zur öffentlichen Beglaubigung. Damit bedarf es einer Klarstellung, ob die Frage nach der Anerkennung einer in der Tschechischen Republik von einem dort ansässigen Rechtsanwalt verfassten Erklärung über die Echtheit einer Unterschrift auf einem Grundbuchsgesuch im Registerstaat die inhaltliche Ausübung einer Dienstleistung durch einen Rechtsanwalt in diesem Staat betrifft, sodass diese Tätigkeit nicht dem Beschränkungsverbot unterliegt.
3. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH verlangt Art 56 AEUV nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistungserbringers aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen ‑ selbst wenn sie unterschiedslos für einheimische Dienstleistungserbringer wie für Dienstleistungserbringer anderer Mitgliedstaaten gelten ‑, wenn sie geeignet sind, die Tätigkeit des Dienstleistungserbringers, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (EuGH 28. 3. 1996, Rs C‑272/94; 12. 12. 1996 Rs C‑3/95; 7. 3. 2013, Rs C‑577/11 ua). Andererseits ist in Anbetracht der Besonderheiten bestimmter
Dienstleistungen anerkannt, dass an den Leistungserbringer gestellte besondere Anforderungen nicht als mit dem Vertrag unvereinbar anzusehen sind, die sich aus der Anwendung von Regelungen für diese Art von Tätigkeiten ergeben (EuGH 25. 2. 1988 Rs C‑427/85). Solche Beschränkungen dürfen nicht in diskriminierender Weise angewandt werden, müssen ‑ sofern dem nicht bereits durch die Rechtsvorschriften Rechnung getragen ist, denen der Dienstleistungserbringer in dem Staat unterliegt, in dem er ansässig ist ‑ aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt und geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihm verfolgten Ziels zu gewährleisten, und dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (EuGH vom 26. 2. 1991, Rs C‑180/89; 12. 12. 1996, Rs C‑3/95 ua).
4. Die Notare üben ihre Tätigkeiten nach der österreichischen Rechtsordnung freiberuflich aus. Die Ausgestaltung des Notarberufs ist in der Notariatsordnung vom 25. Juli 1871 (RGBl Nr 75/1871) in der Fassung des BGBl I 2005/164, zuletzt geändert durch BGBl I 2013/190, (im Folgenden: NO) geregelt. Notare werden vom Staat bestellt und in ihr öffentliches Amt eingeführt, damit sie nach Maßgabe dieses Gesetzes öffentliche Urkunden über Rechtserklärungen, Rechtsgeschäfte und rechtserhebliche Tatsachen aufnehmen und ausfertigen und zur Entlastung der Gerichte die von den Parteien anvertrauten Urkunden verwahren und Gelder und Wertpapiere zur Ausfolgung an Dritte oder zum Erlag bei Behörden übernehmen (§ 1 Abs 1 NO). Der Notar ist daher für die Beurkundung von Akten oder Verträgen zuständig. Dabei kann das Tätigwerden des Notars je nach Art des von ihm zu beurkundenden Akts obligatorisch oder fakultativ sein. Durch sein Tätigwerden stellt der Notar das Vorliegen aller gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen für das Zustandekommen des Akts sowie die Rechts- und Geschäftsfähigkeit der Beteiligten fest.
5. Die Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG, die nach ihrem Erwägungsgrund 5 die Beseitigung der Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten bezweckt und damit die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs konkretisiert, findet nach ihrem Art 2 Abs 2 lit l auf die Tätigkeit von Notaren, die von staatlichen Stellen bestellt werden, keine Anwendung.
6. Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 24. 5. 2011, Rs C‑53/08, ausdrücklich betont, dass sein Urteil weder den Status und die Organisation des Notariats in der österreichischen Rechtsordnung betrifft, noch die Voraussetzungen, die neben der Staatsangehörigkeit für den Zugang zum Beruf des Notars erforderlich sind (Rn 74). In dieser Entscheidung verwies der Europäische Gerichtshof darauf, dass der Umstand, dass mit der notariellen Tätigkeit im Allgemeininteresse liegende Ziele verfolgt werden, die insbesondere dazu dienen, die Rechtmäßigkeit und die Rechtssicherheit von Akten zwischen Privatpersonen zu gewährleisten, einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellt, der etwaige Beschränkungen, die sich aus den Besonderheiten der notariellen Tätigkeit ergeben, rechtfertigen kann, und bezog sich dabei auf Angelegenheiten des Standes und der Organisation des Notarberufs (Rn 96), zumal seine Entscheidung keine Fragen im Zusammenhang mit dem freien Dienstleistungsverkehr berührten (vgl Rn 75). Somit kann die Frage, ob es einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses dient, wenn nationale Vorschriften die Vornahme von Beglaubigungen über die Echtheit von Unterschriften auf Urkunden, die für die Schaffung oder Übertragung von Rechten an Liegenschaften erforderlich sind, mit der Wirkung den öffentlichen Notaren vorbehalten, dass die einem in Tschechien ansässigen Rechtsanwalt nach den nationalen Vorschriften mögliche Erklärung über die Echtheit einer Unterschrift auf einem Grundbuchsgesuch nicht auch in Österreich anerkannt wird, anhand der bislang vorliegenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht mit solcher Eindeutigkeit beantwortet werden, dass der Oberste Gerichtshof von seiner Vorlagepflicht enthoben wäre.
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