OGH 4Ob208/18v

OGH4Ob208/18v26.2.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin S*, geboren am *, vertreten durch Mag. Siegfried Berger, Rechtsanwalt in St. Johann im Pongau als Verfahrenshelfer, gegen den Beklagten M*, geboren am *, vertreten durch Mag. Raimund Unger, Rechtsanwalt in Bischofshofen, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 23. August 2018, GZ 21 R 191/18m‑27, womit das Urteil des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 21. März 2018, GZ 30 C 23/17z‑23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E124598

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil wie folgt zu lauten hat:

„Die zwischen der Klägerin und dem Beklagten am 14. September 2000 vor dem Standesamt Ordu, Türkei, zu Familienbuchnummer 27/2001 geschlossene Ehe wird aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten geschieden; dies mit der Wirkung, dass sie mit Rechtskraft des Urteils aufgelöst ist.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 4.861,27 EUR (darin 810,21 EUR USt und 17,06 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

 

Entscheidungsgründe:

Die Parteien sind seit dem Jahr 2000 verheiratet. Aus der Ehe sind zwei Kinder, 2001 und 2006 geboren, hervorgegangen.

Die Klägerin begehrt die Scheidung der Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten. Als Eheverfehlungen macht sie das mit erheblichen Geldverlusten (im Herbst 2016 rund 7.000 EUR) verbundene Automatenspielen des Beklagten, Gewalttätigkeiten gegen sie, Ehebruch (mehrere außereheliche Beziehungen) und Unterhaltsverletzungen geltend.

Der Beklagte beantragt die Klagsabweisung, in eventu die Scheidung der Ehe aus dem überwiegenden Verschulden der Klägerin. Die Ehewidrigkeiten lägen mehrere Jahre zurück und seien verziehen worden, Geldverluste durch Automatenspiel und Gewaltanwendung seien ebenso unrichtig wie eine Unterhaltsverletzung.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es stellte fest, dass der Beklagte die Klägerin mehrfach mit anderen Frauen betrogen hat und dass er seit Jahren in Spiel- und Wettlokalen um Geld spielte. Die Klägerin bat ihn immer wieder erfolglos, mit dem Spielen aufzuhören. Der Beklagte bedrohte die Klägerin auch, sie umzubringen und schlug sie wiederholt. Die Klägerin hat ihm dann verziehen. Letztlich verzögerte der Beklagte eine Ablieferung von Geld an seinen Dienstgeber, ein Security-Unternehmen. Er forderte die Klägerin auf, falls notwendig seinem Dienstgeber gegenüber wahrheitswidrig anzugeben, die gemeinsame Tochter habe das Geld versehentlich mit dem Altpapier entsorgt. Dies brachte für die Klägerin das Fass zum Überlaufen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass der Beklagte während der Ehe durch Eingehen außerehelicher Beziehungen bzw ehewidriger Beziehungen sowie durch das wiederholte Zufügen körperlicher Gewalt zwar schwere Eheverfehlungen begangen habe, diese seien aber von der Klägerin allesamt verziehen worden. Darüber hinaus seien diese Eheverfehlungen auch verfristet. So lägen sowohl die letzte ehewidrige Beziehung als auch der letzte Vorfall körperlicher Gewalt mehrere Jahre zurück. Das Glücksspiel des Beklagten sowie der zur Auflösung der häuslichen Gemeinschaft führende Vorfall, nämlich die Aufforderung, seinem Dienstgeber gegenüber unwahre Angaben zu machen, seien keine derart schweren Eheverfehlungen, um einen Scheidungsgrund zu verwirklichen. Da davon auszugehen sei, dass die Ehe mit der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft unheilbar zerrüttet war, spielten allfällige nach diesem Zeitpunkt gesetzte Eheverfehlungen des Beklagten, wie zum Beispiel eine Verletzung der Unterhaltspflicht, keine Rolle mehr.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Die Klägerin beantragt mit ihrer außerordentlichen Revision, die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten zu scheiden; in eventu wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt in der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

1.1. Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG müssen schuldhaft gesetzt werden und objektiv schwer sein. Sie müssen auch subjektiv als ehezerstörend empfunden werden (RIS‑Justiz RS0056366; vgl auch RS0056470; RS0056369). Eine schwere Eheverfehlung hat das Verhalten eines Ehegatten zur Voraussetzung, das mit dem Wesen der Ehe als einer alle Lebensbereiche der Ehepartner umfassenden Lebensgemeinschaft unvereinbar ist (RIS‑Justiz RS0056341 [T1]; RS0056387 [T1]). Eine Verfehlung ist dann als schwer zu bezeichnen, wenn sie im Allgemeinen und objektiv in den Lebenskreisen und Berufskreisen der Gatten bei einem selbst mit rechter ehelicher Gesinnung erfüllten und daher auch zur Nachsicht bereiten Ehegatten eine völlige Entfremdung herbeiführen würde (RIS‑Justiz RS0056424; vgl auch RS0056024).

1.2. Bei der Beantwortung der Frage, ob ein Scheidungsgrund nach § 49 EheG vorliegt, ist nicht jeder einzelne vom Kläger als Eheverfehlung geltend gemachte Tatbestand für sich allein, sondern das Gesamtverhalten des beklagten Ehegatten, soweit darin vom Kläger eine Eheverfehlung erblickt wird, zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0056171; auch RS0056009). Eine Mehrheit an sich nicht schwerer Eheverfehlungen kann in ihrer Gesamtheit einen Scheidungsgrund bilden (RIS‑Justiz RS0056411), wobei nicht nur gleichartige Eheverfehlungen zusammenzufassen sind, sondern auch solche, die zwar einzeln als Scheidungsgrund nicht ausreichen, im Zusammenhang aber als schwere Eheverfehlung zu werten sind (9 Ob 66/10m; RIS‑Justiz RS0057240).

1.3. Die Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des Ehegatten durch den anderen (RIS‑Justiz RS0057020 [T2]; RS0056787 [T6]) sowie die Verletzung der Treuepflicht (RIS‑Justiz RS0056332; RS0056496) sind schwere Eheverfehlungen.

1.4. Das Gesetz verpflichtet die Ehegatten ua zur anständigen Begegnung. Dieser Begriff ist objektiv auszulegen. Schwere und beharrliche Verstöße gegen dieses Verhaltensgebot, in denen sich eine mangelnde Schätzung der Persönlichkeit des Ehepartners ausdrückt, sind eine schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG (RIS‑Justiz RS0056321 [T3]; RS0056652). Ein Ehepartner verstößt gegen die Verpflichtung zur gegenseitigen Achtung, Rücksichtnahme und zum ehrlichen Bemühen, dem anderen Ehepartner das Zusammenleben erträglich zu machen, wenn er ein Verhalten an den Tag legt, das den anderen kränkt oder geeignet ist, ihm Aufregung zu bereiten (RIS‑Justiz RS0055998). Jeder Ehegatte darf vom Ehepartner erwarten, dass dieser Neigungen, die ein gedeihliches Zusammenleben stören, so weit als möglich unterdrückt (so zum Alkoholmissbrauch RIS‑Justiz RS0056016, der einen Verstoß gegen die Pflicht zur anständigen Begegnung begründet, RS0056311 [T1], allerdings einer näheren Umschreibung des Beginns, der Ursachen, des Ausmaßes und allfälliger Folgen bedarf, RS0056345; RS0056327).

2.1. Auch verziehene Eheverfehlungen (zur Verzeihung vgl RIS‑Justiz RS0043961) können zur Unterstützung einer auf andere Eheverfehlungen begründeten Scheidungsklage geltend gemacht werden. Auf solche verziehene Eheverfehlungen ist aber nur dann einzugehen, wenn wenigstens eine als Scheidungsgrund geltend gemachte nicht verjährte und nicht verziehene Eheverfehlung vorliegt (RIS‑Justiz RS0057314; RS0043434). Diese neuen Eheverfehlungen brauchen für sich allein nicht für eine Scheidung auszureichen, sie dürfen aber auch nicht vollkommen belanglos sein. Sie müssen jedenfalls zusammen mit der hilfsweise geltend gemachten Eheverfehlung schwer sein, damit ein Scheidungsgrund vorliegt (RIS‑Justiz RS0056907 [T1]).

2.2. Keinesfalls hat ein Teil durch jahrzehntelange Nachsicht und Langmut den Anspruch auf Scheidung bei Fortsetzung und Wiederholung oder sogar Steigerung eines gleichartigen ehewidrigen Verhaltens des anderen Teiles verloren, weil selbst im Falle einer ausdrücklichen Verzeihung – und daher umso mehr im Falle bloßer Abstandnahme von der Geltendmachung eines erworbenen Scheidungsanspruchs – kein Verzicht auf die Geltendmachung eines Scheidungsanspruchs wegen künftigen ehewidrigen Verhaltens angenommen werden dürfte (RIS‑Justiz RS0056134).

3.1. Im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanzen sind das anhaltende Spielverhalten des Beklagten und die Aufforderung zu Falschangaben gegenüber seinem Dienstgeber nicht als bloß belanglose Eheverfehlungen des Beklagten zu werten. Auch wenn der Beklagte die Familie durch sein Spielverhalten nie in grobe finanzielle Schwierigkeiten brachte, führte das Glücksspiel jedenfalls zu Geldverlusten für die Familie, und es handelte sich dabei nicht um einen bloß einmaligen Vorfall, sondern der Beklagte spielte seit Jahren in Spiel- und Wettlokalen um Geld. Ein derartiges ehe- und familienschädigendes Verhalten ist hier vor allem aufgrund seiner Dauerhaftigkeit und angesichts des wiederholten – erfolglosen – Ersuchens der Klägerin an den Beklagten, mit dem Spielen aufzuhören, als schwere Eheverfehlung zu werten. Dies wird durch die Aufforderung des Beklagten an die Klägerin, seinem Dienstgeber gegenüber falsche Angaben über den Verbleib von dem Kläger anvertrautem Geld zu machen, noch verstärkt.

3.2. Diese als Scheidungsgrund geltend gemachten Eheverfehlungen des Beklagten wurden von der Klägerin nicht verziehen und sind auch nicht verjährt. Da es sich nicht um ein vollkommen belangloses ehewidriges Verhalten handelt, sind auch die bereits verziehenen und verjährten gleichartigen Eheverfehlungen (früheres Spielverhalten) sowie auch die nicht gleichartigen Eheverfehlungen (Ehebruch, Gewaltausübung) in ihrer Gesamtheit (vgl 7 Ob 645/87) in die Gesamtbeurteilung einzubeziehen. Insgesamt ist daher die unheilbare Ehezerrüttung auf das schuldhafte Verhalten des Beklagten zurückzuführen. Auf die weiters geltend gemachte Verletzung der Unterhaltspflicht kommt es nicht mehr an.

3.3. Die Ehe ist somit – wie von der Klägerin beantragt – aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten zu scheiden. Der Revision ist Folge zu geben und das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass der Klage stattgegeben wird.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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