OGH 7Ob645/87

OGH7Ob645/879.7.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warte, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Izabela Jolanta S***, geborene B***, geboren am 29. November 1957 in Sosnowiece, Polen, Sportlehrerin, Wien 3., Gänsbachergasse 3, vertreten durch Dr. Ernst Grossmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Franz Anton S***, geboren am 27. Jänner 1939 in Wien, technischer Kaufmann, Wien 15., Johnstraße 45/9, vertreten durch Dr. Harald Posch, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 25. Februar 1987, GZ 15 R 111/86-28, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 17. Oktober 1985, GZ 29 Cg 124/85-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Vorinstanzen haben die zwischen den Streitteilen geschlossene Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten geschieden, wobei das Berufungsgericht nach Beweiswiederholung von folgendem wesentlichen Sachverhalt ausging:

Der Ehe entstammt der am 18. Juli 1982 geborene Sohn Alexander. Schon bei der Eheschließung befand sich der Beklagte in großen finanziellen Schwierigkeiten, doch hat er während der ganzen Ehe die Klägerin, die anfänglich die deutsche Sprache nur mangelhaft beherrschte, über seine finanzielle Situation stets in Irrtum geführt. Als die Klägerin nach und nach die wahre Situation zu ahnen begann, versuchte der Beklagte weiterhin ihr deren Ausmaß zu verschleiern. Schließlich brachte der Beklagte die Klägerin dazu, mit ihm und dem gemeinsamen Kind nach Kenia zu fahren, weil er dort nach seinen Angaben ausreichende Verdienstmöglichkeiten habe. In Wahrheit erwiesen sich auch diese behaupteten Möglichkeiten als nicht gegeben. Demnach kam es auch in Kenia zu großen Schwierigkeiten. Die Klägerin wollte daher schon mehrmals nach Österreich zurückkehren, wurde jedoch vom Beklagten immer wieder zum Weiterverbleib überredet. Schließlich kam es zu einer großen Auseinandersetzung, als der Kläger gegen Gäste der benachbarten italienischen Botschaft vorging und hierauf diese Gäste, einschließlich des Botschafters, beschimpfte. Als die Klägerin ihn zurückhalten wollte, wurde sie vom Beklagten zurückgestoßen und in Anwesenheit der Gäste des italienischen Botschafters ebenfalls beschimpft. Dies bekräftigte sie endgültig in der Absicht, die Gemeinschaft mit dem Beklagten aufzugeben und nach Österreich zurückzukehren. Da ihre Aufenthaltsbewilligung für Kenia bereits abgelaufen war, erhielt sie über die österreichische Botschaft für den 20. April 1985 ein sogenanntes Eintages-Visum, das ihr den Rückflug am genannten Tag ermöglichte. Die Kosten für den Rückflug hatte die österreichische Botschaft vorgestreckt, weil sich der Beklagte, der auch der Erteilung des Visums zustimmen mußte, schriftlich bereit erklärt hatte, die Rückflugkosten für die Klägerin und das Kind zu ersetzen. Als ihm die Klägerin vor ihrem Abflug ihren Entschluß, sich von ihm scheiden zu lassen, mitgeteilt hatte, antwortete der Beklagte, "mach was Du willst!" (im übrigen kann auf die ausführlichen Feststellungen des Berufungsgerichtes auf den Seiten 79 bis 87 des Aktes verwiesen werden).

Die Vorinstanzen erblickten in dem geschilderten Verhalten des Beklagten eine Reihe schwerer Eheverfehlungen, die in ihrer Gesamtheit das auf § 49 EheG gestützte Scheidungsbegehren der Klägerin rechtfertigten. Bei dieser Situation sei der Rückflug der Klägerin nach Österreich gerechtfertigt gewesen, sodaß der Klägerin ungerechtfertigtes Verlassen des Beklagten nicht als Eheverfehlung angelastet werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Beklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt. Wie sich aus dem Protokoll über die mündliche Berufungsverhandlung vom 25. Februar 1987 ergibt, ist der Beklagte trotz ausgewiesener Ladung zum anberaumten Termin ohne Entschuldigung nicht erschienen. Demnach bestand für das Berufungsgericht kein Grund, die Tagsatzung zwecks neuerlicher Ladung des Beklagten zu erstrecken. Das nunmehrige Vorbringen der Revision über die angeblichen Gründe des Beklagten für sein Nichterscheinen stellen im Revisionsverfahren unzulässige Neuerungen dar.

Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ist daher nicht gegeben, weil ein solcher Mangel nicht vorliegt, wenn die Partei trotz Ladung ohne Entschuldigung von einer Berufungsverhandlung fernbleibt (Arb. 8817, 2 Ob 532/80 ua.). Eheverfehlungen sind Handlungen oder Unterlassungen, die sich gegen das Wesen der Ehe und die damit verbundenen Pflichten richten (EFSlg. 33.898 ua.). Eine Verfehlung ist dann als schwer zu bezeichnen, wenn sie im allgemeinen und objektiv in den Lebens- und Berufskreisen der Gatten bei einem selbst mit rechter ehelicher Gesinnung erfüllten und daher zur Nachsicht bereiten Ehegatten eine völlige Entfremdung herbeiführen würde (2 Ob 521/87, 8 Ob 626/85 ua.). Bei der Beantwortung der Frage, ob ein Scheidungsgrund nach § 49 EheG vorliegt, ist nicht jeder einzelne vom Kläger als Eheverfehlung geltend gemachte Umstand für sich allein, sondern das Gesamtverhalten des beklagten Ehegatten, soweit darin vom Kläger eine Eheverfehlung erblickt wird, zu beurteilen (EFSlg. 13.792 ua.). Eine Mehrheit an sich nicht schwerer Eheverfehlungen kann daher in ihrer Gesamtheit die Ehescheidung rechtfertigen (8 Ob 516/86 ua.). Voraussetzung für die Ehescheidung nach § 49 EheG ist eine unheilbare Zerrüttung der ehelichen Gemeinschaft. Eine solche ist dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten zu bestehen aufgehört hat, wobei es genügt, daß der Kläger die eheliche Gesinnung verloren hat (EFSlg. 36.333, 33.958 ua.).

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, daß die Klägerin vom Beklagten seit Beginn der Ehe über seine tatsächliche wirtschaftliche Situation in Irrtum geführt worden ist. Dies mußte bei ihm ein Unsicherheitsgefühl erzeugen, das schließlich geeignet war, das für das Bestehen einer Ehe erforderliche Vertrauen zu zerstören. Demnach kann es keinem Zweifel unterliegen, daß durch das Verhalten des Beklagten die Klägerin ihre eheliche Gesinnung verloren hat. Nach den getroffenen Feststellungen ist die Ehe unheilbar zerrüttet. Dies geht allein auf das Verhalten des Beklagten zurück. Diese Zerrüttung war bereits zu dem Zeitpunkt gegeben, als sich die Klägerin entschloß, von Kenia nach Österreich zurückzukehren. Es spielt hiebei keine Rolle, daß allenfalls die einzelnen ehewidrigen Handlungen oder Unterlassungen des Beklagten für sich allein ein Ehescheidungsbegehren nicht gerechtfertigt hätten. In ihrer Gesamtheit waren sie geeignet, die Grundlage für eine weitere Ehe zu zerstören. Es ist auch unerheblich, daß sich die Klägerin mehrmals vom Beklagten überreden ließ, bei ihm zu bleiben. In einem solchen Verbleiben könnte zwar eine Verzeihung bisheriger Eheverfehlungen erblickt werden, doch können auch verziehene Eheverfehlungen gemäß § 59 Abs. 2 EheG zur Stützung eines auf andere Verfehlungen gestützten Scheidungsbegehrens herangezogen werden (EFSlg. 43.673, 7016 ua.). Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt den für sich allein vielleicht nicht allzu gravierenden Vorfall bei der italienischen Botschaft, erfährt dieser doch eine wesentlich schwerwiegendere Beurteilung, weil er gewissermaßen jener Tropfen war, der das Faß zum Überlaufen brachte.

Mit Recht sind demnach die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß die Ehe zu dem Zeitpunkt, als die Klägerin den Entschluß faßte, den Beklagten endgültig zu verlassen, durch schwere Eheverfehlungen des Beklagten endgültig und dauernd zerrüttet war. Aus diesem Grunde war die Ehe der Streitteile gemäß § 49 EheG aus dem Verschulden des Beklagten zu scheiden. Der Abflug der Klägerin war nur mehr die Konsequenz der bereits eingetretenen Zerrüttung und kann daher nicht als Eheverfehlung der Klägerin gewertet werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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