OGH 9Ob66/10m

OGH9Ob66/10m22.10.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil, Dr. Hopf, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Sabine H*****, vertreten durch Dr. Hannes Lederer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte und widerklagende Partei Heinrich H*****, vertreten durch Dr. Roland Kometer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 21. Mai 2010, GZ 3 R 167/10w-49, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1.) Im Zusammenhang mit der behaupteten Verfristung der Scheidungsgründe (§ 57 EheG) übersieht der Revisionswerber zunächst, dass seine zur dauerhaften Zerrüttung führende schwere Eheverfehlung bei Klageeinbringung am 2. 10. 2006 keinesfalls verfristet sein konnte: Nach den Feststellungen verletzte der Beklagte und Widerkläger (im Folgenden: „Beklagter“) nämlich am 2. 9. 2006 den gemeinsamen minderjährigen Sohn der Streitteile im Zuge einer Auseinandersetzung am Körper, um dessen Telefonat mit der Klägerin und Widerbeklagten (im Folgenden: „Klägerin“) zu unterbinden.

2.) Darüber hinaus ist es aber zumindest vertretbar anzunehmen, dass auch das Verhalten des Beklagten im Zusammenhang mit dem Erwerb der Liegenschaft F*****gasse eine bei Klageeinbringung noch nicht verfristete Eheverfehlung darstellte: Obwohl Ansprüche Dritter vorhersehbar gewesen waren, hatte der Beklagte die Klägerin nicht nur als Käuferin vorgeschoben, sondern diese im zu erwartenden Prozess persönlich und finanziell im Stich gelassen. Tatsächlich endete der gegen die Klägerin geführte Prozess erst im Juli 2006 mit Zurückweisung der vom Verfahrensgegner erhobenen außerordentlichen Revision. Es ist auch vertretbar, die Verletzung der Beistandspflicht mit dem Ende des Prozesses anzusetzen.

3.) Unzutreffend ist auch der Einwand, die Klägerin habe eine Verletzung der Beistands- sowie der Unterhaltspflicht nicht eingewendet: Der Revisionswerber übersieht hier das umfangreiche Vorbringen im Schriftsatz ON 3 des Widerklageverfahrens 33 C 15/07w.

4.) Der Revisionswerber missdeutet auch den eindeutigen Wortlaut der Entscheidung 3 Ob 507/94: Nicht nur gleichartige Verfehlungen sind zusammenzufassen, sondern auch solche, die zwar einzeln als Scheidungsgrund nicht ausreichen, im Zusammenhang aber als schwere Eheverfehlung zu werten sind (RIS-Justiz RS0057240).

5.) Gemäß § 59 Abs 2 EheG können auch Eheverfehlungen, auf die die Scheidungsklage nicht mehr gestützt werden kann, zur Unterstützung noch aktueller Scheidungsgründe herangezogen werden (RIS-Justiz RS0056907): Vertretbar wurden in diesem Zusammenhang die Verletzungen

a.) der Beistandspflicht (Verhalten des Beklagten im Zusammenhang mit der Operation der Klägerin)

b.) der Unterhaltspflicht (Notwendigkeit der Klageführung; Südamerika-Aufenthalt ohne Zurücklassen entsprechender Barmittel trotz eines gerichtlichen Zahlungstitels)

als weitere Eheverfehlungen gewertet.

6.) Bei der Würdigung des maßgeblichen Gesamtverhaltens (RIS-Justiz RS0056171) ist für die Annahme eines überwiegenden Verschuldens ua entscheidend, aufgrund welcher Eheverfehlung die Zerrüttung der Ehe in erster Linie zu einer unheilbaren wurde (RIS-Justiz RS0057361). Es kommt also nicht bloß auf die Schwere der Verfehlungen an sich, sondern auch darauf an, in welchem Umfang diese Verfehlungen zur unheilbaren Zerrüttung beigetragen haben (RIS-Justiz RS0056751). Unter diesem Aspekt ist es daher vertretbar, den Ehebruch der Klägerin, der bereits im Stadium einer schon weitgehend eingetretenen, durch den Beklagten verursachten Zerrüttung stattfand, weniger zu gewichten als die Verstöße des Klägers (vgl 4 Ob 133/05w).

7.) Für die Verzeihung (§ 56 EheG) ist der Ehegatte behauptungs- und beweispflichtig, der die Verfehlung begangen hat (RIS-Justiz RS0106971). Eine solche wurde von den Vorinstanzen schon mangels ausreichenden Vorbringens zutreffend nicht angenommen. Weder die Fortsetzung der Hausgemeinschaft (EFSlg 57.192) noch ein Zuwarten mit der Scheidungsklage (RIS-Justiz RS0056806; RS0057110) lassen zwingend auf eine Verzeihung durch die Klägerin schließen.

8.) Abgesehen von krasser Fehlbeurteilung stellt die Verschuldenszumessung bei der Scheidung in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage dar (RIS-Justiz RS0119414). Eine solche Fehlbeurteilung vermag der Revisionswerber aber nicht aufzuzeigen.

Stichworte