OGH 4Ob59/18g

OGH4Ob59/18g25.9.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers Dr. R***** M*****, vertreten durch Dr. Peter Rosenthal, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die Beklagte T*****  GmbH, *****, vertreten durch Draxler Rexeis Sozietät von Rechtsanwälten OG in Graz, und den Nebenintervenienten auf Seiten der Beklagten Prof. Dr. W***** V*****, vertreten durch ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen (restlich) 118.981,11 EUR sA, über die außerordentliche Revision der Beklagten (Revisionsinteresse 70.000 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 25. Jänner 2018, GZ 4 R 171/17z‑63, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00059.18G.0925.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Aufgrund eines Feststellungsurteils steht zwischen den Parteien rechtskräftig fest, dass die Beklagte dem Kläger für alle Schäden haftet, die diesem aus einer Fehlberatung in Zusammenhang mit einem fremdfinanzierten „Gratis-Pensionsvorsorgemodell“ entstehen. Die Fremdfinanzierung erfolgte durch einen CHF-Kredit, der Schaden des Klägers besteht aus einer Deckungslücke. Im ersten Rechtsgang über die Zahlungsklage wurden dem Kläger davon bereits rechtskräftig 69.758,03 EUR zuerkannt.

Strittig ist im zweiten Rechtsgang ausschließlich die Frage einer Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit des Klägers dadurch, dass er ein Konvertierungsangebot der finanzierenden Bank im Jahr 2012 nicht angenommen hatte.

Das Berufungsgericht verneinte diese Obliegenheit des Klägers mit der Begründung, dass sich die Deckungslücke bis zum 31. 12. 2014 (dem Endtermin des Kredits) von 118.206,96 EUR ohne Konvertierung auch im Fall der Konvertierung nicht nennenswert (nämlich nur um 957,18 EUR) verkleinert hätte. Die Beklagte habe daher auch die vergrößerte Deckungslücke im Betrag von 69.573 EUR zu tragen, die sich aus der verspäteten Konvertierung vom 5. 3. 2015 (nachdem es zur Aufhebung der Wechselkursuntergrenze bei Schweizer Franken gekommen war) ergeben hat. Die ordentliche Revision erklärte das Berufungsgericht für nicht zulässig.

Im Ergebnis nur gegen den Zuspruch dieser zusätzlichen Deckungslücke richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten. Die Beklagte vermag jedoch in ihrem Rechtsmittel keine erhebliche Rechtsfrage iSv § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

Rechtliche Beurteilung

1.1. Ob eine Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit vorliegt, ist nicht ex post, sondern ex ante zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0026909 [T1a]; 5 Ob 125/15s), und zwar danach, ob der Geschädigte schuldhaft (RIS‑Justiz RS0027062) eine ihm zumutbare Handlung unterlassen hat, die von einem Durchschnittsmenschen gesetzt worden und bei objektiver Betrachtung geeignet gewesen wäre, den Schaden zu vermindern (RIS‑Justiz RS0023573; RS0022681 [T4]; RS0027015). Dies hängt grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet keine erhebliche Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0027787 [T18]).

1.2. Wird aufgrund dieser Prüfung eine Handlungspflicht des Geschädigten bejaht, ist in einem weiteren Schritt zu fragen, ob die gebotene, jedoch unterlassene Handlung die Vergrößerung des Schadens tatsächlich verhindert hätte (RIS‑Justiz RS0022913). Es muss versucht werden, den hypothetischen Ablauf bei Vermeiden der Unterlassung durch Setzen des gebotenen Verhaltens herauszufinden. Das gebotene Verhalten ist hinzuzudenken (vgl 4 Ob 145/11v mwN). Diese Prüfung der natürlichen Kausalität erfolgt notwendigerweise ex post und ist dem Tatsachenbereich zuzuordnen (RIS‑Justiz RS0022582).

1.3. Ein Anleger darf zwar nicht auf Kosten des Schädigers spekulieren (RIS‑Justiz RS0120784 [T12; T36]; RS0087615 [T7]; 1 Ob 118/16h). Bei volatilen Werten kann der Schädiger dem Anleger den Einwand der Schadensminderungsobliegenheit bei Verkauf oder Behalten aber nur dann entgegenhalten, wenn die Verkaufs- oder Behalteobliegenheit dem Anleger zumutbar war. Da bei Wertpapieren im Regelfall die Kursentwicklung keine sicheren Schlüsse des einzelnen Anlegers auf Unternehmenswert und objektiven Wert seiner Beteiligung zulässt, ist eine schuldhafte Verletzung der Verkaufs- oder Behalteobliegenheit des Anlegers nur in besonderen Fallkonstellationen zu bejahen (RIS‑Justiz RS0120785; 1 Ob 118/16h mwN).

2.1. Im vorliegenden Fall ist aus dem Sachverhalt nicht abzuleiten (und wird von der Revision auch nicht aufgezeigt), dass der Kläger bei gebotener Sorgfalt erkennen hätte können, dass eine Konvertierung im Jahr 2012 im Hinblick auf die weitere Ungewissheit der Kursentwicklung vorteilhaft, mit anderen Worten eine Verschlechterung des Kurses zu erwarten gewesen wäre. Das Angebot der Bank erfolgte auf Nachfrage seines Rechtsvertreters; eine Empfehlung, es anzunehmen, erhielt der unerfahrene Kläger nicht. Aus dem Schreiben der Bank ging auch nicht hervor, dass eine sofortige Konvertierung vorteilhaft sei. Wenn daher das Berufungsgericht im Ergebnis die Zumutbarkeit der Annahme des vorzeitigen Konvertierungsangebots der Bank durch den Kläger verneinte, ist dies angesichts der Komplexität des Investitionsmodells nicht zu beanstanden.

2.2. Die in diesem Zusammenhang von der Revision unter Verweis auf 1 Ob 118/16h ausschließlich relevierte Frage, ob der Beklagten eine unrichtige Halteempfehlung durch den Rechtsanwalt des Klägers zurechenbar wäre, kann dahinstehen, zumal eine derartige Empfehlung hier nicht festgestellt ist. Dem Kläger wurde bloß nicht zugeraten und ihm auch sonst die vermeintliche Vorteilhaftigkeit einer sofortigen Konvertierung nicht verdeutlicht.

2.3. Obwohl der Geschädigte grundsätzlich nicht verpflichtet ist, zur Beurteilung seiner Schadensminderungsobliegenheit sachverständigen Rat einzuholen (2 Ob 324/00m), hat der Kläger hier immerhin einen Steuerberater und einen Rechtsanwalt kontaktiert. Abgesehen davon, dass ein Rechtsanwalt nicht ohne Weiteres als Fachmann für die Entwicklung von Fremdwährungskursen gelten kann, waren beide – worauf die Revision selbst verweist – ausschließlich im Interesse des Klägers tätig; ihre Beauftragung hatte nicht den Zweck, die Beklagte zu entlasten (vgl 4 Ob 88/13i; RIS‑Justiz RS0021766 [T7]).

2.4. Die Bejahung des Rechtswidrigkeits- und Adäquanzzusammenhangs durch das Berufungsgericht blieb von der Revision unbekämpft.

Zusammenfassend enthält die Revision keine validen Argumente zur maßgeblichen Fragen der ex ante zu beurteilenden Verletzung der Schadensminderungs-obliegenheit des Klägers.

Stichworte