OGH 1Ob118/16h

OGH1Ob118/16h18.10.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 2. E***** B*****, 3. W***** B*****, 5. J***** D*****, 8. B***** W*****, 9. R***** W*****, alle vertreten durch Mag. Ulrich Salburg, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei 2. A*****, Jersey, vertreten durch CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH, Wien, wegen 2. 44.932,13 EUR; 3. 23.149,36 EUR; 5. 56.332,96 EUR; 8. 24.503,30 EUR und 9. 39.055 EUR, jeweils sA, über die Revision der achtklagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. März 2016, GZ 30 R 33/15s‑65, mit dem unter anderem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 14. August 2015, GZ 35 Cg 57/10m‑59, gegenüber den acht‑ und neuntklagenden Parteien bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0010OB00118.16H.1018.000

 

Spruch:

Die Revision der achtklagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die achtklagende Partei ist schuldig, der zweitbeklagten Partei die mit 1.568,52 EUR (darin enthalten 261,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Achtklägerin begehrte aus dem Titel des Schadenersatzes die Rückerstattung des Kaufpreises einer von ihr zu einem bestimmt bezeichneten Zeitpunkt in bestimmter Höhe erworbenen Veranlagung in Form von Zertifikaten samt Anhang Zug um Zug gegen die Rückübertragung der Zertifikate. Sie habe ihre Anlageentscheidung auf der Grundlage von Werbemaßnahmen, die von der zweitbeklagten Emissionsbank in Auftrag gegeben worden seien, getroffen. Durch unrichtige Angaben in den Werbebroschüren sei sie über die Sicherheit und Wertstabilität der Investition in die Irre geführt worden, wobei sie ohne diese irreführenden Angaben die Investition nicht getätigt hätte.

Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung des Begehrens der Achtklägerin durch das Erstgericht und sprach aus, dass die Revision zulässig sei. Wenngleich Rechtsprechung und Lehre eine Schadensminderungspflicht des geschädigten Anlegers (in der Ausprägung einer Behalte‑ oder Verkaufsobliegenheit) nur sehr eingeschränkt zuließen, sei zu berücksichtigen, dass die Achtklägerin den durch den Erwerb nicht gewollter Wertpapiere verwirklichten realen Schaden nicht erst durch einen Kursverlust, sondern bereits zu einem Zeitpunkt erkannt habe, in dem es ihr möglich gewesen wäre, die Zertifikate mit Gewinn zu veräußern, sodass der Achtklägerin die Schadensminderung auch zumutbar gewesen wäre.

Hinsichtlich der durch die Verletzung der Schadensminderungspflicht verursachten Folgeschäden komme es zu keiner Schadensteilung, sondern zu einem gänzlichen Entfall des Ersatzanspruchs, sodass der Geschädigte den nachträglich eingetretenen Schadensteil zur Gänze alleine zu tragen habe. Hätte die Achtklägerin den– nach herrschender Ansicht einen Verkauf voraussetzenden – Differenzschaden geltend gemacht, wäre die nach Erkennen des (realen) Schadens eingetretene Wert‑(Kurs‑)Minderung vom Gesamtschaden abzuziehen. Hier mache sie jedoch keinen durch Anwendung der Differenzmethode zu ermittelnden Vermögensnachteil geltend, sondern begehre den Ersatz des realen Schadens durch Naturalausgleich. Um Spekulationen auf Kosten des Schädigers zu verhindern, sei in einem solchen Fall die Vorverlegung des Zeitpunkts der Schadensberechnung erforderlich, sodass die nachfolgende Kursentwicklung außer Acht zu lassen sei. Das führe zum Ausschluss eines Ersatzanspruchs: Die Nichtberücksichtigung des dem erkannten Schaden (und einer angemessenen Überlegungsfrist) nachfolgenden Wertverlusts erfolge beim Naturalausgleich dadurch, dass die negative Wertentwicklung vom grundsätzlich zu ersetzenden Kaufpreis abgezogen werde, was im vorliegenden Fall, weil der Wert der Zertifikate im Zeitpunkt der Realisierung durch die Achtklägerin, dass es sich um keine risikolose Anlage handle, höher als der Kaufpreis gewesen sei, zu einem Vermögenszufluss an die Zweitbeklagte führen müsste.

Die Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu fehle, ob die hier vorliegende Fallkonstellation die Annahme einer Schadensminderungs‑ pflicht durch Verkauf der Wertpapiere rechtfertige sowie ob der nach Erkennen des realen Schadens eingetretene Kursverlust in einem solchen Fall außer Betracht zu bleiben und wie dies bei einem Naturalausgleich zu erfolgen habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 zweiter Satz ZPO) nicht zulässig.

1. Nach ständiger Rechtsprechung tritt ein (realer) Schaden aus einer fehlerhaften Anlageberatung bereits durch den Erwerb des in Wahrheit nicht gewollten Finanzprodukts ein (RIS‑Justiz RS0129706). Entschließt sich der Geschädigte, die unerwünschte Anlage vorläufig zu behalten, besteht ein vereinfacht als „Naturalrestitution“ bezeichneter Anspruch, der auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen einen Bereicherungsausgleich durch Übertragung des noch vorhandenen Finanzprodukts an den Schädiger gerichtet ist (8 Ob 39/12m ua; RIS‑Justiz RS0108267 [T15]; RS0120784 [T22]).

Die Klägerin erhob im Sinn der Naturalrestitution (§ 1323 ABGB) einen solchen Anspruch und meint, es hätte sie keine (hier:) Verkaufsobliegenheit getroffen, sodass ihr eine Verletzung der Schadensminderungspflicht nicht angelastet werden könne.

2.1 Aus § 1304 ABGB ergibt sich die Verpflichtung des Geschädigten, den Schaden möglichst gering zu halten, wenn und soweit ihm ein entsprechendes Verhalten möglich und zumutbar ist (RIS‑Justiz RS0027043; Reischauer in Rummel , ABGB 3 II/2a § 1304 Rz 37 f).

2.2 Maßgebend ist stets, ob der Geschädigte jene Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die ein verständiger Teilnehmer in seiner Lage angewandt hätte, um eine (weitere) Schädigung nach Möglichkeit abzuwenden (RIS‑Justiz RS0027015 [T10]). Eine Verletzung der Schadensminderungspflicht liegt damit stets dann vor, wenn der Geschädigte Handlungen unterlassen hat, die geeignet gewesen wären, den Schaden abzuwehren oder zu verringern, obwohl sie – objektiv betrachtet – von einem verständigen Durchschnittsmenschen gesetzt worden wären, um eine nachteilige Veränderung des eigenen Vermögens hintanzuhalten (RIS‑Justiz RS0023573; RS0022681 [T4]; RS0027015 [T6, T8, T10]; RS0104931).

3.1 In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist bereits klargestellt, dass der Schädiger dem Anleger, der wegen der pflichtwidrigen Anlageberatung nicht die gewünschten risikolosen, sondern risikoträchtige Wertpapiere erworben hat, grundsätzlich den Einwand der Schadensminderungspflicht entgegenhalten kann (vgl RIS‑Justiz RS0120785). Dazu wird ausgeführt, dass die Verkaufs- oder Behalteobliegenheit unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht nur für „besondere Fallkonstellationen“ zu bejahen ist. Begründet wird dies im Wesentlichen damit, dass die Kursentwicklung im Regelfall keine sicheren Schlüsse des einzelnen Anlegers auf Unternehmenswert und objektiven Wert seiner Beteiligung zulasse (RIS‑Justiz RS0120785; M. Bydlinski , Zum Schadenersatz bei volatilen Vermögenswerten, JBl 2011, 681; Leupold/Ramharter , Anlegerschaden und Kausalitätsbeweis bei risikoträchtiger hypothetischer Alternativanlage, ÖBA 2010, 718 [732]; G. Kodek , Ausgewählte Fragen der Schadenshöhe bei Anlegerschäden, ÖBA 2012, 11 [21]).

3.2 Was dem Geschädigten im Rahmen der Schadensminderungspflicht (Rettungspflicht) zumutbar ist, bestimmt sich nach den Interessen beider Teile und den Grundsätzen des redlichen Verkehrs, sodass damit im Zusammenhang stehenden Fragen regelmäßig keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl RIS‑Justiz RS0027787). Ob eine „besondere Fallkonstellation“ vorliegt, nach der dem Anleger eine Verkaufs- oder Behalteobliegenheit zugemutet werden kann, richtet sich daher ausschließlich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls und steht damit einer allgemein gültigen Aussage des Obersten Gerichtshofs zu diesem Problem entgegen (vgl RIS-Justiz RS0042405 [T2]). Auch begründet allein der Umstand, dass der Oberste Gerichtshof zu einer konkreten Fallgestaltung noch nicht Stellung genommen hat, noch keine erhebliche Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0102181).

4. Die Klägerin hatte von Anfang an anstelle der von ihr gewünschten sicheren Anlage unerwünschte Papiere gehalten, wobei sie nach den Feststellungen diesen Umstand und damit den realen Schaden zu einem Zeitpunkt erkannte, als es ihr selbst unter Bedachtnahme auf eine angemessene Überlegungszeit möglich gewesen wäre, die Zertifikate gewinnbringend zu veräußern. Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Fall grundlegend von dem in der Entscheidung 2 Ob 74/12i beurteilten Sachverhalt, auf den sich die Revisionswerberin beruft. Der damalige Kläger hielt zunächst die von ihm gewollte Anlage, wobei der Schadenseintritt auf die teilweise Nichtausführung einer Stop‑loss‑order zurückzuführen war. Anders als im vorliegenden Fall wurde der Kläger nach dem der Entscheidung 2 Ob 74/12i zugrunde liegenden Sachverhalt von der damals Beklagten an die Vermittlerin verwiesen, die ihm vom Verkauf der Papiere abriet. Im vorliegenden Verfahren tritt die Revisionswerberin der Ansicht der Vorinstanzen, dass die von ihr nach Erkennen des realen Schadens eigenständig kontaktierte Vermittlerin der Beklagten nicht als Gehilfin zugerechnet werden könne, nicht entgegen, und kann damit auch nicht mehr argumentieren, ihre Willensentscheidung, die Wertpapiere trotz der erkannten Risikogeneigtheit zu behalten, sei durch die von ihr der Zweitbeklagten angelasteten unrichtigen Angaben in der Werbebroschüre herausgefordert worden. Mit der von ihr erkannten Risikogeneigtheit mussten zwangsläufig Zweifel an der Richtigkeit der Angaben in den Werbeprospekten einhergehen, sodass ihre Entscheidung, die Wertpapiere dennoch zu halten, nicht mehr auf das der Beklagten haftungsbegründend angelastete Verhalten zurückgeführt werden kann. Ein Spekulieren des geschädigten Anlegers auf Kosten des Schädigers wird aber vom Obersten Gerichtshof abgelehnt (6 Ob 7/15w mwN; RIS-Justiz

RS0120784 [T12; T36];

RS0087615 [T7]). Damit ist es im konkreten Einzelfall auch nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht im Rahmen der Schadensminderungspflicht eine Veräußerung der Zertifikate durch die Achtklägerin für zumutbar erachtete, weil diese noch vor Eintritt eines Kursverlusts die Risikoträchtigkeit der von ihr erworbenen Anlage erkannt hatte und auch noch nach Einhaltung einer angemessenen Überlegungsfrist diese mit Gewinn veräußern hätte können.

5. Soweit die Achtklägerin ihrer Revision zugrunde legt, das vom Berufungsgericht angenommene Erkennen des Risikos durch sie könne dem Urteil des Erstgerichts nicht entnommen werden, lässt sie außer Acht, dass die Ausführungen des Erstgerichts im Rahmen seiner Beweiswürdigung am Verständnis der vom Berufungsgericht seiner Beurteilung zugrunde gelegten Feststellung keinen Zweifel aufkommen lässt. Soweit die Rechtsrüge in der Revision der Achtklägerin hievon abweicht, ist sie nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt.

6. Auf die vom Berufungsgericht ebenfalls als erheblich erachtete Rechtsfrage, ob der nach Erkennen des realen Schadens eingetretene Kursverlust außer Betracht bleibe und wie dies beim Naturalausgleich zu erfolgen habe, kommt die Achtklägerin in ihrer Revision nicht zurück. Der Oberste Gerichtshof ist aber nicht dazu berufen, theoretisch zu einer Rechtsfrage, deren Lösung durch die zweite Instanz vom Rechtsmittelwerber gar nicht bestritten wird, Stellung zu nehmen (RIS-Justiz RS0102059 [T18]).

7. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

8. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Die Zweitbeklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen und hat daher Anspruch auf Ersatz ihrer darauf entfallenden Kosten.

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