OGH 6Ob7/15w

OGH6Ob7/15w19.2.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. G. Kodek sowie die Hofrätinnen Dr. E. Solé und Dr. A. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Mag. Ulrich Salburg, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. M***** AG, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, sowie 2. A***** Ltd, *****, vertreten durch die CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 23.633,33 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. September 2014, GZ 2 R 161/14g‑39 in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien je die mit 1.400,04 EUR (darin 233,34 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Aufgrund einer Beratung durch seinen Anlageberater sowie diverser Werbebroschüren kaufte der Kläger mit Auftrag vom 24. 4. 2007 1.156 Stück Zertifikate der MEL zu einem Kurs von 21,19 EUR, somit zu einem Gesamtkaufpreis von 24.985,55 EUR von der erstbeklagten Partei. Die im Anlegerprofil angekreuzte Risikobereitschaft „hoch“ entsprach nicht der tatsächlichen Risikobereitschaft des Klägers und wurde vom Berater vorgenommen. Der Kläger hätte die Zertifikate nicht gekauft, wenn der Kurs vor seinem Kauf größere Schwankungen aufgewiesen hätte. Er wollte ein Produkt, dass sich gleichmäßig positiv und über dem Niveau des Tagesgeldzinssatzes entwickelt. Er hätte nicht investiert, wenn er gewusst hätte, dass er sein eingesetztes Kapital auch verlieren könne. In diesem Fall hätte er mit dem eingesetzten Kapital ein Appartement zur Vermietung erworben.

Die zunächst auf einem Wertpapierdepot der Erstbeklagten gehaltenen Zertifikate wurden am 4. 8. 2010 nach Auftrag des Klägers auf ein Depot bei der Commerzbank ausgelagert. Zu diesem Zeitpunkt notierten sie bei 4,09 EUR. Von der Auslagerung der Wertpapiere bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz am 31. 1. 2014 schwankte der Kurs zwischen 2,95 EUR (25. 11. 2011) und 4,87 EUR (13. 5. 2013). Ob der Kläger die Wertpapiere bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz noch hielt, konnte nicht festgestellt werden.

Das Erstgericht wies das auf Rückzahlung des um Dividendenzahlungen verminderten Kaufpreises der Wertpapiere gegen deren Rückübertragung gerichtete Klagebegehren ab. Da nicht klärbar sei, ob der Kläger die Zertifikate noch halte oder nicht, könne weder die zurückzustellende Leistung noch ein stellvertretendes commodum noch ein Differenzschaden ermittelt werden. Die Beweislast für den Besitz der Papiere zum Zeitpunkt des Schlusses mündlicher Verhandlung erster Instanz treffe den Kläger. Das Erstgericht schließe sich zwar nicht der in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 7 Ob 77/10i vertretenen Auffassung an, sondern sei der Meinung, dass es sich bei den klagsgegenständlichen Zertifikaten um vertretbare Sachen handle und eine Individualisierung gar nicht möglich sei. Einer Klagsstattgebung stünde dennoch entgegen, dass der Verbleib der Papier nicht geklärt werden habe können.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die zweitbeklagte Partei habe bereits in ihrem Schriftsatz vom 24. 7. 2012, somit eineinhalb Jahre vor Schluss der Streitverhandlung, darauf hingewiesen, dass die Klage unschlüssig sei, da der Kläger behaupte, die Wertpapiere verkauft zu haben, gleichzeitig jedoch Naturalrestitution Zug um Zug gegen Rückgabe der Zertifikate begehre. Der Kläger habe somit ausreichend Zeit gehabt, seine Behauptung zu modifizieren und durch Beweisanträge zu untermauern. Der Kläger habe nach ständiger Rechtsprechung unabhängig davon, ob er die Wertpapiere noch halte oder nicht die Schadenshöhe zu beweisen. Dieser Beweis sei dem Kläger missglückt.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil es zur Frage, ob eine auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückerstattung erworbener Wertpapiere gerichtetes und auf den Rechtsgrund des Schadenersatzes gestütztes Begehren eines Anlegers schon allein deshalb zum Scheitern verurteilt sei, weil nicht feststehe, ob er die Wertpapiere noch halte oder bereits verkauft habe, keine höchstgerichtliche Judikatur vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

1.1. Der Schädiger hat den Geschädigten grundsätzlich so zu stellen, wie er ohne schuldhaftes Verhalten stünde. Der Schaden ist durch eine Differenzrechnung zu ermitteln; es ist zunächst der hypothetische heutige Vermögensstand ohne das schädigende Ereignis zu ermitteln und von diesem Betrag der heutige tatsächliche Vermögenswert abzuziehen ( Koziol , Österreichisches Haftpflichtrecht I 3 12; RIS‑Justiz RS0030153).

1.2. Beim Vermögensschaden ist zwischen dem realen Schaden, der in der tatsächlichen negativen Veränderung der Vermögensgüter des Geschädigten liegt und auf dessen Ausgleich die Naturalherstellung (§ 1323 ABGB) ausgerichtet ist, und dem rechnerischen Schaden zu unterscheiden. Während für den realen Schaden eine in Geld messbare Vermögenseinbuße nicht entscheidend ist, versteht man unter rechnerischem Schaden die in Geld messbare Verminderung des Vermögens oder eines Vermögensgutes des Geschädigten. Der rechnerische Schaden wird stets durch eine Differenzberechnung ermittelt (4 Ob 140/12k).

2.1. Bei einer Kapitalveranlagung liegt ein zu ersetzender Schaden bereits darin, dass ein Anleger kein wertstabiles (wie von ihm gewünscht), sondern ein Kursschwankungen unterliegendes Wertpapier erworben hat (RIS‑Justiz RS0120784 [T7]; Kodek, Ausgewählte Fragen der Schadenshöhe bei Anlegerschäden, ÖBA 2012, 11 ff). Für das Vorliegen eines realen Schadens reicht es aus, dass die Zusammensetzung des Vermögens des Geschädigten nach dem schadensbegründenden Ereignis nicht seinem Willen entspricht (6 Ob 145/08d).

2.2. Entschließt sich der Geschädigte, die unerwünschte Anlage vorläufig noch zu behalten, besteht ein vereinfacht als „Naturalrestitution“ bezeichneter Anspruch, der auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen einen Bereicherungsausgleich durch Übertragung des noch vorhandenen Finanzprodukts an den Schädiger gerichtet ist (RIS‑Justiz RS0108267 [T15], RS0120784 [T22]). Hätte der Anleger bei richtiger Beratung die Anleihen nicht gekauft, hat er daher im Rahmen der Naturalrestitution (§ 1323 ABGB) ‑ Zug um Zug gegen Übertragung der Anleihen ‑ Anspruch auf Rückzahlung der zum Erwerb der Anleihen gezahlten Kaufpreise abzüglich der erhaltenen Zinszahlungen (RIS‑Justiz RS0120784 [T3], RS0108267 [T5]). Sind die Wertpapiere noch nicht verkauft, so besteht beim Anlegerschaden kein Wahlrecht zwischen „Naturalersatz“ und Differenzanspruch (8 Ob 66/14k).

2.3. Durch die Notwendigkeit, ein Leistungsbegehren in diesem Sinne zu erheben, wird die Möglichkeit des Anlegers, auf dem Rücken der beklagten Partei zu spekulieren, verhindert (6 Ob 28/12d; vgl schon 8 Ob 39/12m).

3.1. Dieser Zweck der Beschränkung des Schadenersatzanspruchs, wenn der Anleger die Papiere behält, auf die Naturalrestitution steht einem beliebigen Wechsel zwischen einem Begehren auf Ersatz des Differenzschadens und einem solchen auf Naturalrestitution im aufgezeigten Sinn entgegen. Der Anleger muss sich vielmehr entscheiden, ob er die Wertpapiere behalten will. Diesfalls steht ihm nur der Anspruch auf Naturalrestitution zu. Veräußert er hingegen die Papiere, so kann er den Differenzanspruch begehren. Dabei handelt es sich um einen Anwendungsfall der konkreten Schadensberechnung, der nicht durch Rückgriff auf hypothetisch erzielbare Kurserlöse zu fiktiven Zeitpunkten ersetzt werden kann. Gerade bei bloßen Vermögensschäden aufgrund von Beratungsfehlern, die naturgemäß nicht mit einem Eingriff in ein (anderes) konkret geschütztes Rechtsgut verbunden sind, scheidet eine abstrakte Schadensberechnung jedenfalls dann aus, wenn es sich um volatile Vermögenswerte handelt (vgl 1 Ob 46/11p; 6 Ob 244/12v; Kodek , Ausgewählte Fragen der Schadenshöhe bei Anlegerschäden, ÖBA 2012, 11 ff).

3.2. Daher kann bei Anlegerschäden ‑ anders als in anderen Fällen der Rückabwicklung (dazu RIS‑Justiz RS0041067) ‑ das Gericht auch nicht etwa statt eines erhobenen Begehrens auf Ersatz des Differenzschadens als Minus eine Zahlungspflicht Zug um Zug gegen Rückgabe der Wertpapiere auferlegen. Im Übrigen erfordert auch nach der Rechtsprechung, die bei der Rückabwicklung die Verurteilung Zug um Zug nicht als aliud sondern als minus ansieht, eine Verurteilung zu einer Leistung Zug um Zug ein entsprechendes Anbieten der Gegenleistung durch den Kläger (RIS‑Justiz RS0020973).

4.1. Ein derartiges (zumindest) Angebot des Klägers der Rückerstattung der seinerseit erworbenen Wertpapiere Zug um Zug gegen Rückerstattung des Kaufpreises ist im Kontext der Anlegerschäden auch deshalb erforderlich, weil durch die schadenersatzrechtliche Naturalrestitution eine Vertragsaufhebung nachgebildet wird. Daher liegt in der Erhebung eines Anspruchs auf Rückerstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe der erworbenen Papiere auch das Begehren, in die Vertragsaufhebung einzuwilligen ( Leupold/Ramharter , Die Verletzung der Pflicht zur Warnung vor mangelnder Kreditwürdigkeit nach dem Verbraucherkreditgesetz, ÖBA 2011, 469 [490 ff]; Kodek , Ausgewählte Fragen der Schadenshöhe bei Anlegerschäden, ÖBA 2012, 11 [14]).

4.2. Hätte der Kläger die Wertpapiere zum Höchstkurs von 4,87 EUR veräußert, so könnte er diese in der Folge billiger wieder erwerben und damit seiner Rückgabepflicht genügen und die Differenz lukrieren. Eine derartige Vorgangsweise wäre nicht im Sinne des Gesetzes. Dieser Gefahr kann auch nicht dadurch begegnet werden, dass der Kläger so behandelt wird, als hätte er die Wertpapiere zum seinerzeitigen Höchstkurs veräußert. Die Feststellungen des Erstgerichts zum Kursverlauf können sich nämlich immer nur auf den Zeitpunkt bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz beziehen, allfällige nachträgliche Kursveränderungen bis zur tatsächlichen Rückabwicklung aber nicht mehr erfassen. Hätte der Kläger die Wertpapiere ‑ entgegen seinem Vorbringen ‑ noch behalten und würde der Kurs nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz wieder ansteigen und in der Folge absinken, so könnte der Kläger wiederum auf den Rücken der beklagten Parteien einen Spekulationsgewinn erzielen.

4.3. Dieser Zusammenhang erfordert, dass der Kläger sich für eine der beiden Berechnungsmethoden entscheidet und die tatsächlichen Voraussetzungen für deren Anwendbarkeit ‑ wie auch sonst die Voraussetzungen für das Bestehen eines von ihm geltend gemachten Anspruchs ‑ unter Beweis stellt.

5. Der Umstand, dass es sich bei Wertpapieren um vertretbare Sachen handelt, die sich vielfach einer näheren Individualisierung entziehen (vgl dazu ausführlich 6 Ob 172/14h) steht dem ebensowenig entgegen wie die in der zitierten Entscheidung angestellte Überlegung, dass sich bei der Irrtumsanfechtung das Problem der Individualisierung nicht schon bei der Prüfung der Zulässigkeit der Anfechtung, sondern erst auf der Ebene der Rückabwicklung nach § 877 ABGB stellt. Abgesehen davon, dass der Kläger im vorliegenden Fall sein Begehren auf Schadenersatz stützt, ist ergänzend darauf zu verweisen, dass Karollus (ÖBA 2011, 450 ff) seine Kritik an der Entscheidung 7 Ob 77/10i auf solche Fälle einschränkt, in denen ein Spekulieren auf dem Rücken des Schadenersatzpflichtigen nicht möglich ist. Auch nach Karollus soll aber dem Geschädigten nicht die Möglichkeit eröffnet werden, denselben aus einem besonders ungünstigen Verkauf abgeleiteten Differenzschaden in Parallelprozessen gegen verschiedene, aus unterschiedlichen Erwerbsvorgängen Haftpflichtige mehrfach geltend zu machen ( Karollus , ÖBA 2011, 450 [455 f]).

6.2. Ein Beweis, dass und wann der Kläger die Wertpapiere veräußert hat bzw dass er sie noch besitzt, ist dem Kläger auch ohne Weiteres zumutbar. Damit liegen nach der Rechtsprechung von der Nähe zum Beweis auch die Voraussetzungen für eine Umkehr der Behauptungs‑ und Beweislast in diesem Fall gerade nicht vor (RIS‑Justiz RS0013491 [T1]; RS0006261 [T10]; RS0040182).

6.3. Damit hätte aber der Kläger im vorliegenden Fall behaupten und unter Beweis stellen müssen, wann und zu welchem Kurs er die Wertpapiere veräußert hat. Die diesbezüglich nach seinem eigenen Vorbringen und den Beweisergebnissen verbleibenden Unklarheiten gehen zu seinen Lasten.

6.4. Der Kläger behauptete demgegenüber von Anfang an, die Wertpapiere bereits verkauft zu haben, begehrt jedoch Naturalrestitution Zug um Zug gegen Rückübertragung der Zertifikate. Darauf wies die zweitbeklagte Partei bereits in ihrer Klagebeantwortung hin. Dieses Klagebegehren blieb während des gesamten Verfahrens insoweit unverändert. In seinem Schriftsatz ON 24, in dem der Kläger sich nicht nur auf Schadenersatz, sondern auch auf Rückabwicklungsansprüche wegen List stützt, wurde das Klagebegehren zwar aufgrund von Dividendenausschüttungen um 1.167,56 EUR eingeschränkt, jedoch weiterhin Zug um Zug gegen Rückgabe von 1.156 Zertifikaten. In seiner Parteienvernehmung gab der Kläger selbst an, er könne nicht genau sagen, was mit den Zertifikaten nach der Auslagerung auf ein Depot der Commerzbank passiert sei.

7. Damit erweisen sich die Entscheidungen der Vorinstanzen aber als frei von Rechtsirrtum, sodass der unbegründeten Revision ein Erfolg zu versagen war.

8. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Dabei war jedoch ‑ entgegen dem Kostenverzeichnis der erstbeklagten Partei ‑ lediglich von einem Streitwert von 23.633,33 EUR sA auszugehen.

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